Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Rücktritt im Zorn
Emmanuel Macron verscherzt es sich mit der französischen Armeespitze

8/2017

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Unglücklicherweise sind es derzeit nicht die Lohnabhängigen in Frankreich, die am lautstärksten für ihre Interessen eintreten und um sie kämpfen, dort wo sie ihre Belange bedroht sehen. Der von viel publizistischem Widerhall und Donnergeräusch begleitete Rücktritt des französischen Generalstabschefs Pierre de Villiers am vorigen Mittwoch lenkte die Aufmerksamkeit auf andere „Opfer“ der Austeritätspolitik.

Nach einer Woche Dauerkonflikt zwischen Staatspräsident Emmanuel Macron, er ist laut Verfassung auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte, und dem Generalstabschef der vier Waffengattungen um geplante Einsparungen im Rüstungshaushalt zog de Villiers daraus die Konsequenzen. Der Streit fing am 12. Juli 17 an, als de Villiers vor dem Verteidigungssschuss des Parlaments bezüglich Einsparungsplänen erklärte (Originalton): „Auf diese Weise lasse ich mich nicht ficken!“ Hinter verschlossenen Türen, doch der Ausspruch drang nach außen.

Es handelt sich um nur vorübergehende „Opfer“. Denn der Rüstungshaushalt soll – nach einer Senkung um 850 Millionen Euro im laufenden Jahr, um die Drei-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten und damit bei der Europäischen Kommission nicht anzuecken - schon ab 2018 wieder um 1,5 Milliarden Euro steigen. Bis im Jahr 2025 soll das Verteidigungsbudget dann kontinuierlich weiter klettern, um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen (was einer politischen Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten im Rahmen der NATO entspricht). Infolge der heftigen publizistischen Reaktionen auf den Rücktritt de Villiers’ beeilte sich Macron zu präzisieren, im kommenden Jahr solle der Rüstungshaushalt „als einziges Ministerialbudget“ steigen, während alle anderen Ressorts Anstrengungen zur Sparpolitik zu erbringen hätten. Dies versicherte er am Donnerstag, den 20. Juli 17 auf dem Atomwaffenstützpunkt im südfranzösischen Istres.

Allerdings erzürnt die obersten Militärs wohl – stärker noch als die, nur vorläufige, Kürzung im Rüstungshaushalt – die geplante Änderung bei der Finanzierung der Auslandsoperationen der französischen Armee. Bislang wurde für die Auslandseinsätze oder OPEX (opérations extérieures) stets zu Jahresbeginn ein Budget erstellt, das jedoch in schöner Regelmäßigkeit zu Jahresende überschritten wurde; daraufhin wurden die zusätzlich erforderlichen Summen jedoch aus anderen Haushaltsposten beglichen. Nunmehr möchte die neue Regierung, um (ökonomische) Planungssicherheit bei der Haushaltsaufstellung zu bekommen, dieser Querfinanzierung ein Ende bereiten und die OPEX insofern finanzpolitisch aufs Trockene setzen, als diese mit ihrem eigenen Haushalt auskommen müssen. (Schluchz!)

Der ausscheidende Generalstabschef de Villiers führte dagegen das Argument ins Feld, es gefährde die Sicherheit Frankreichs, wenn am Militärhaushalt herumgekürzt werde, immerhin habe man ständig „30.000 Soldaten im inneren und äußeren Einsatz“ (d.h. bei den OPEX auf internationalen Schlachtfeldern sowie im Rahmen der „antiterroristischen“ Opération Sentinelle beim Objektschutz und bei Patrouillen im Landesinneren).

Emmanuel Macron wollte – gemäß seiner inoffiziellen Devise Je suis Jupiter handelnd – vorwiegend unter Beweis stellen, dass er und er allein an Bord des Staatsdampfers kommandiert. Er echauffierte sich am Vorabend des Nationalfeiertags vom 14. Juli darüber, dass de Villiers’ im Verteidigungsausschuss des Parlaments geäußerte Bedenken nach außen gedrungen seien. Vor der im Hôtel de Brienne – am Sitz des Verteidigungsministeriums - versammelten Führungsriege der Armee machte er geltend: „Ich bin Euer (/ Ihr) Chef! Und ich benötige keinerlei Druck und keinerlei Kommentare.“

De Villiers und andere hochrangige Militärs sahen sich wiederum in ihrer Ehre gekränkt dadurch, dass sie vor der Öffentlichkeit zusammgestaucht wurden - statt hinter verschlossenen Türen, was in ihren Augen noch akzeptabal erschienen wäre. Aus dieser Sicht erschwert es den ehrenrührigen Affront Macrons noch, dass dessen Regierungssprecher Christophe Castaner kurz nach dem Rücktritt des Generalstabschefs hinterher trat, indem er ihm am 21. Juli 17 „unloyales Verhalten in seiner Kommunikation“ vorwarf. Beide Seiten hielten sich also vor, die Krise nicht geheim gehalten zu haben.

Pierre de Villiers ist der Bruder des zwischen Konservativen und Front National angesiedelten rechtskatholischen Politikers Philippe de Villiers, Präsidentschaftskandidat in den Jahren 1995 und 2007, in diesem Jahr Unterstützer von Marine Le Pen. Der General selbst teilt zumindest einige der politischen Überzeugungen seines Familienmitglieds. Insbesondere galt er neben anderen hochrangigen Militärs als Gegner der im Mai 2013 gesetzlich eingeführten Eheberechtigung für homosexuelle Paare.

Zur damaligen Zeit hegten Teile der extremen Rechten in Frankreich intensive, unverhüllte Putschgelüste. Eine aus der Anti-Homosexuellenehe-Bewegung hervorgegangene rechte Splittergruppe, Le Lys noir (Die schwarze Lilie), richtete 2013 einen Appell in diesem Sinne an die Berufsmilitärs. Zu ihren Helden rechnete die Gruppierung erklärtermaßen auch Pierre de Villiers, neben seinen Generalskollegen Benoît Puga und Bruno Dary. (Puga war von 2010 bis 2016 der Chef des „persönlichen Generalstabs“ des Präsidenten, der das Staatsoberhaupt in militärischen Fragen berät – Nicolas Sarkozy hatte ihn ernannt, und dessen sozialdemokratischer Nachfolger François Hollande behielt ihn mehrere Jahre lang auf dem Posten.)

Eine Reihe von rechtsextremen Medien wie Le Gaulois behaupteten im Zuge der damaligen Polemik ferner, dem Freimauerertum zuneigende Offiziere hätten „katholische Militärs“ unter Beobachtung setzen lassen, um Letztere bei passender Gelegenheit aus ihren Funktionen zu entfernen. Dabei wurde wiederum unter anderem der Name de Villiers’ zitiert.

Auch derzeit feiert die rechtsextreme Presse, infolge des „ehrenhaften“ Abgangs von Generalstabschef de Villiers, denselben als Helden und Vorbild. Zwar gibt es auch außerhalb der neofaschistischen Rechten Mobilisierungen rund um das neue Idol. In Chalon-sur-Saône, einer Stadt mit wichtigem Militärstandort in Ostfrankreich, ging etwa der konservative Bürgermeister Gilles Platret mit rund 100 Menschen für ihn auf die Straße. Doch bei den zahlreichen Petitionen, die sich nunmehr für die „Ehre“ de Villiers’ einsetzen, sind vor allem der Front National sowie die rechtsbürgerliche Partei Debout la France unter Nicolas Dupont-Aignan – in der Stichrunde der Präsidentschaftswahl rief er zur Stimmabgabe für Marine Le Pen auf – und die Medien der so genannten fachosphère federfühend. Das Spektrum reicht von der rechtskatholischen Webseite Le Salon beige bis zum pseudo-säkularistischen Medium Riposte Laïque, dessen Philosophie sich ohne inhaltliche Verkürzung auf den einfachen Nenner bringen lässt: „Die Moslems sind unser Unglück!“

Aus parteipolitischen Gründen, und um die Gunst der Stunde für eine Profilierung gegen Staatschef Macron zu nutzen, stimmten jedoch auch eine Reihe anderer politische Protagonisten in den Chor derer ein, die das Hohe Lied auf den Ehrenmann Pierre de Villiers singen. Zu ihnen zählt – was für viele erstaunlich geklungen haben mag – neben einigen Konservativen auch der Linksnationalist und Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon, der ihm auf seinem relativ viel gelesenen Blog ebenfalls gegen Macron den Rücken stärkte.

Mélenchon beklagte eine „militärische Schwächung“ Frankreichs durch die Einsparungen. Er nahm zudem gegen eine stärkere europäische Verflechtung der Rüstungspolitik und –industrien Stellung, allerdings eher zugunsten eines nationalen Alleingangs als im Sinne baldiger Abrüstung. Mélenchon wurde daraufhin durch Macrons Finanzminister Gérard Darmanin entgegen gehalten, er trete doch gegen das Budget für Frankreichs Atomwaffenarsenal ein. Mélenchon präzisierte in einem Videobeitrag im Internet, er lehne die luftwaffengestützte Atomrüstungskomponente ab – die Flugzeuge sind im südfranzösischen Istres stationiert, wo Macron am 20. Juli 17 weilte -, unterstütze jedoch eine Konzentration von Frankreichs nuklearer Abschreckungskapazität auf die Atom-U-Bootflotte. Darin sehe er eine „technische“ und keine prinzipielle Frage. Nun: Antimilitarismus sieht vielleicht ein bisschen anders aus...

De Villiers war politisch „markiert“. Das politische Signal mit der Ernennung des Generals François Lecointre zum Amtsnachfolger de Villiers’ durch Emmanuel Macron ist jedoch wiederum verheerend. Denn François Lecointre war an dem wohl schlimmsten Verbrechen der französischen Armee in jüngerer Vergangenheit beteiligt, also an ihrer Verwicklung in den Völkermord in Rwanda 1994.

Letztere erfolgte unter dem Oberbefehl von Staatspräsident François Mitterrand, der sich selbst seit seinen Tagen als Kolonial- respektive „Überseeminister“ 1950/51 für einen großen Kenner Afrikas hielt. Mitterrand war Jahrzehnte lang besessen von der Idee, es bestehe ein anglo-amerikanisches Komplott, das darauf hinaus laufe, Frankreich seine neokoloniale Einflusszone in Afrika abzujagen. Ganz in diesem Sinne interpretierte Mitterrand das Vordringen der Rwandischen patriotischen Front (RPF), die seit 1990 vom Nachbarland Uganda aus gegen das von Hutu getragene ethno-nationalistische Regime in Rwanda kämpfte. Als dieses sich im Frühjahr 1994 in ein eliminatorisch-rassistisches Regime umwandelte und die Vernichtung der Tutsi beabsichtigte, unterstützte Frankreich dieses Regime als einzige Großmacht. Dies erfolgte sowohl offiziell – die „Interimsregierung“ der Völkmordplaner und -organisatoren wurde im April 1994 in den Räumen der französischen Botschaft in Kigali konstituiert – als auch unter der Hand, mit Waffenlieferungen. Mitterrand glaubte bis zuletzt felsenfest daran, einen Vorposten der französischen Sprach- und Kulturzone gegen Agressoren aus dem englischsprachigen Uganda verteidigen zu müssen. Auch, als längst Berichte über die Realität des Völkermords, der vom 07. April bis Ende Juni 1994 andauerte, durch die internationale Presse gingen.

Lecointre war als Offizier der Marinetruppen – diese bilden das Rückgrat der früheren französischen Kolonialarmee in Afrika – an der Opération Turquoise beteiligt. So hieß im Juni und Juli 1994 die französische Intervention, die objektiv dazu diente, die Akteure des Völkermords vor dem Zugriff der vordringenden RPF zu bewahren, teilweise wiederzubewaffnen und in der Schlussphase in den Osten des damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) abziehen zu lassen. François Lecointre war damals in Gabun stationiert, wo bis heute die größte französische Militärbasis in Afrika liegt, und traf am 02. Juli 1994 in Goma an der zairischen Grenze zu Rwanda ein. Er war daraufhin für die Kommune Gisovu zuständig, wo er eng mit einem der vormaligen Völkermordplaner zusammenarbeitete, dem Teefabrikanten Alfred Musema. Letzter wurde später vom Internationalen Strafgerichthof zu Rwanda im tansanischen Arusha zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Im Rahmen seiner Verteidigung hatte er ein Schreiben des französischen Militärs François Lecointre vorgelegt, das seine positive Rolle unterstreichen solle. Laut Zeugenausgaben vor dem Sondergericht in Arusha hatte Musema beim Massenmorden selbst mit Hand angelegt.

Die Hauptschuld an dem historischen Desaster, das Frankreich Agieren in Rwanda bedeutet, liegt sicherlich bei Mitterrand und den ihn umgebenden Politikern wie seinem damaligen Berater Hubert Védrine, einem späteren Außenminister. Aber die Offiziere und militärischen Befehlshaber der Opération Turquoise, und zuvor der seit 1990 laufenden verdeckten Interventionen Frankreichs in Rwanda, waren de facto tief in die Komplizenschaft mit den Massenmördern verwickelt. Und kämpften an der Front gegen die RPF, die sie als ihren eigenen Feind betrachteten – die jedoch im Juli 1994 Kigali einnahm und dadurch dem Schlachten ein Ende setzte. Die Ernennung Lecointres ist deswegen ein fatales Signal. Bereits die französische Barkhane-Streitmacht in der Sahelzone, die seit 2014 unter anderem in Mali und im Tschad interveniert, wird durch einen General – Bruno Guibert – befehligt, der in die Komplizenschaft mit dem Völkermord in Rwanda verwickelt war.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Die vom Autor gekürzte Fassung erschien in der Wochenzeitung Jungle World vom 27. Juli 17