Unglücklicherweise sind es derzeit nicht die
Lohnabhängigen in Frankreich, die am lautstärksten
für ihre Interessen eintreten und um sie kämpfen,
dort wo sie ihre Belange bedroht sehen. Der von
viel publizistischem Widerhall und Donnergeräusch
begleitete Rücktritt des französischen
Generalstabschefs Pierre de Villiers am vorigen
Mittwoch lenkte die Aufmerksamkeit auf andere
„Opfer“ der Austeritätspolitik.
Nach einer Woche Dauerkonflikt zwischen
Staatspräsident Emmanuel Macron, er ist laut
Verfassung auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte,
und dem Generalstabschef der vier Waffengattungen
um geplante Einsparungen im Rüstungshaushalt zog de
Villiers daraus die Konsequenzen. Der Streit fing
am 12. Juli 17 an, als de Villiers vor dem
Verteidigungssschuss des Parlaments bezüglich
Einsparungsplänen erklärte (Originalton):
„Auf diese Weise lasse ich mich nicht ficken!“
Hinter verschlossenen Türen, doch der Ausspruch
drang nach außen.
Es
handelt sich um nur vorübergehende „Opfer“. Denn
der Rüstungshaushalt soll – nach einer Senkung um
850 Millionen Euro im laufenden Jahr, um die
Drei-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten und damit
bei der Europäischen Kommission nicht anzuecken -
schon ab 2018 wieder um 1,5 Milliarden Euro
steigen. Bis im Jahr 2025 soll das
Verteidigungsbudget dann kontinuierlich weiter
klettern, um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts
zu erreichen (was einer politischen
Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten im Rahmen
der NATO entspricht). Infolge der heftigen
publizistischen Reaktionen auf den Rücktritt de
Villiers’ beeilte sich Macron zu präzisieren, im
kommenden Jahr solle der Rüstungshaushalt
„als einziges Ministerialbudget“ steigen,
während alle anderen Ressorts Anstrengungen zur
Sparpolitik zu erbringen hätten. Dies versicherte
er am Donnerstag, den 20. Juli 17 auf dem
Atomwaffenstützpunkt im südfranzösischen Istres.
Allerdings erzürnt die obersten Militärs wohl –
stärker noch als die, nur vorläufige, Kürzung im
Rüstungshaushalt – die geplante Änderung bei der
Finanzierung der Auslandsoperationen der
französischen Armee. Bislang wurde für die
Auslandseinsätze oder OPEX (opérations
extérieures) stets zu Jahresbeginn ein
Budget erstellt, das jedoch in schöner Regelmäßigkeit
zu Jahresende überschritten wurde; daraufhin wurden
die zusätzlich erforderlichen Summen jedoch aus
anderen Haushaltsposten beglichen. Nunmehr möchte
die neue Regierung, um (ökonomische)
Planungssicherheit bei der Haushaltsaufstellung zu
bekommen, dieser Querfinanzierung ein Ende bereiten
und die OPEX insofern finanzpolitisch aufs Trockene
setzen, als diese mit ihrem eigenen Haushalt
auskommen müssen. (Schluchz!)
Der ausscheidende Generalstabschef de Villiers
führte dagegen das Argument ins Feld, es gefährde
die Sicherheit Frankreichs, wenn am Militärhaushalt
herumgekürzt werde, immerhin habe man ständig
„30.000 Soldaten im inneren und äußeren
Einsatz“ (d.h. bei den OPEX auf
internationalen Schlachtfeldern sowie im Rahmen der
„antiterroristischen“ Opération Sentinelle
beim Objektschutz und bei Patrouillen im
Landesinneren).
Emmanuel Macron
wollte – gemäß seiner
inoffiziellen Devise Je suis Jupiter
handelnd – vorwiegend unter Beweis stellen, dass er
und er allein an Bord des Staatsdampfers
kommandiert. Er echauffierte sich am Vorabend des
Nationalfeiertags vom 14. Juli darüber, dass de
Villiers’ im Verteidigungsausschuss des Parlaments
geäußerte Bedenken nach außen gedrungen seien. Vor
der im Hôtel de Brienne – am Sitz des
Verteidigungsministeriums - versammelten
Führungsriege der Armee machte er geltend:
„Ich bin Euer (/ Ihr) Chef! Und ich benötige
keinerlei Druck und keinerlei Kommentare.“
De
Villiers und andere hochrangige Militärs sahen sich
wiederum in ihrer Ehre gekränkt dadurch, dass sie
vor der Öffentlichkeit zusammgestaucht wurden -
statt hinter verschlossenen Türen, was in ihren
Augen noch akzeptabal erschienen wäre. Aus dieser
Sicht erschwert es den ehrenrührigen Affront
Macrons noch, dass dessen Regierungssprecher
Christophe Castaner kurz nach dem Rücktritt des
Generalstabschefs hinterher trat, indem er ihm am
21. Juli 17
„unloyales Verhalten in
seiner Kommunikation“ vorwarf. Beide Seiten
hielten sich also vor, die Krise nicht geheim
gehalten zu haben.
Pierre de Villiers
ist der Bruder des zwischen Konservativen und Front
National angesiedelten rechtskatholischen
Politikers Philippe de Villiers,
Präsidentschaftskandidat in den Jahren 1995 und
2007, in diesem Jahr Unterstützer von Marine Le
Pen. Der General selbst teilt zumindest einige der
politischen Überzeugungen seines Familienmitglieds.
Insbesondere galt er neben anderen hochrangigen
Militärs als Gegner der im Mai 2013 gesetzlich
eingeführten Eheberechtigung für homosexuelle
Paare.
Zur damaligen Zeit
hegten Teile der extremen Rechten in Frankreich
intensive, unverhüllte Putschgelüste. Eine aus der
Anti-Homosexuellenehe-Bewegung hervorgegangene
rechte Splittergruppe, Le Lys noir
(Die schwarze Lilie), richtete
2013 einen Appell in diesem Sinne an die
Berufsmilitärs. Zu ihren Helden rechnete die
Gruppierung erklärtermaßen auch Pierre de Villiers,
neben seinen Generalskollegen Benoît Puga und Bruno
Dary. (Puga war von 2010 bis 2016 der Chef des
„persönlichen Generalstabs“ des Präsidenten, der
das Staatsoberhaupt in militärischen Fragen berät –
Nicolas Sarkozy hatte ihn ernannt, und dessen
sozialdemokratischer Nachfolger François Hollande
behielt ihn mehrere Jahre lang auf dem Posten.)
Eine Reihe von rechtsextremen Medien wie Le
Gaulois behaupteten im Zuge der damaligen
Polemik ferner, dem Freimauerertum zuneigende
Offiziere hätten „katholische Militärs“ unter
Beobachtung setzen lassen, um Letztere bei
passender Gelegenheit aus ihren Funktionen zu
entfernen. Dabei wurde wiederum unter anderem der
Name de Villiers’ zitiert.
Auch derzeit feiert die rechtsextreme Presse,
infolge des „ehrenhaften“ Abgangs von
Generalstabschef de Villiers, denselben als Helden
und Vorbild. Zwar gibt es auch außerhalb der
neofaschistischen Rechten Mobilisierungen rund um
das neue Idol. In Chalon-sur-Saône, einer Stadt mit
wichtigem Militärstandort in Ostfrankreich, ging
etwa der konservative Bürgermeister Gilles Platret
mit rund 100 Menschen für ihn auf die Straße. Doch
bei den zahlreichen Petitionen, die sich nunmehr
für die „Ehre“ de Villiers’ einsetzen, sind vor
allem der Front National sowie die
rechtsbürgerliche Partei Debout la France unter
Nicolas Dupont-Aignan – in der Stichrunde der
Präsidentschaftswahl rief er zur Stimmabgabe für
Marine Le Pen auf – und die Medien der so genannten
fachosphère federfühend. Das Spektrum
reicht von der rechtskatholischen Webseite Le
Salon beige bis zum pseudo-säkularistischen
Medium Riposte Laïque, dessen
Philosophie sich ohne inhaltliche Verkürzung auf
den einfachen Nenner bringen lässt: „Die Moslems
sind unser Unglück!“
Aus parteipolitischen
Gründen, und um die Gunst der Stunde für eine
Profilierung gegen Staatschef Macron zu nutzen,
stimmten jedoch auch eine Reihe anderer politische
Protagonisten in den Chor derer ein, die das Hohe
Lied auf den Ehrenmann Pierre de Villiers singen.
Zu ihnen zählt – was für viele erstaunlich
geklungen haben mag – neben einigen Konservativen
auch der Linksnationalist und Linkssozialdemokrat
Jean-Luc Mélenchon, der ihm auf seinem relativ viel
gelesenen Blog ebenfalls gegen Macron den Rücken
stärkte.
Mélenchon beklagte eine „militärische
Schwächung“ Frankreichs durch die
Einsparungen. Er nahm zudem gegen eine stärkere
europäische Verflechtung der Rüstungspolitik und
–industrien Stellung, allerdings eher zugunsten
eines nationalen Alleingangs als im Sinne baldiger
Abrüstung. Mélenchon wurde daraufhin durch Macrons
Finanzminister Gérard Darmanin entgegen gehalten,
er trete doch gegen das Budget für Frankreichs
Atomwaffenarsenal ein. Mélenchon präzisierte in
einem Videobeitrag im Internet, er lehne die
luftwaffengestützte Atomrüstungskomponente ab – die
Flugzeuge sind im südfranzösischen Istres
stationiert, wo Macron am 20. Juli 17 weilte -,
unterstütze jedoch eine Konzentration von
Frankreichs nuklearer Abschreckungskapazität auf
die Atom-U-Bootflotte. Darin sehe er eine
„technische“ und keine prinzipielle Frage. Nun:
Antimilitarismus sieht vielleicht ein bisschen
anders aus...
De
Villiers war politisch „markiert“. Das politische
Signal mit der Ernennung des Generals François
Lecointre zum Amtsnachfolger de Villiers’ durch
Emmanuel Macron ist jedoch wiederum verheerend.
Denn François Lecointre war an dem wohl schlimmsten
Verbrechen der französischen Armee in jüngerer
Vergangenheit beteiligt, also an ihrer Verwicklung
in den Völkermord in Rwanda 1994.
Letztere erfolgte unter dem Oberbefehl von
Staatspräsident François Mitterrand, der sich
selbst seit seinen Tagen als Kolonial- respektive
„Überseeminister“ 1950/51 für einen großen Kenner
Afrikas hielt. Mitterrand war Jahrzehnte lang
besessen von der Idee, es bestehe ein
anglo-amerikanisches Komplott, das darauf hinaus
laufe, Frankreich seine neokoloniale Einflusszone
in Afrika abzujagen. Ganz in diesem Sinne
interpretierte Mitterrand das Vordringen der
Rwandischen patriotischen Front (RPF), die seit
1990 vom Nachbarland Uganda aus gegen das von Hutu
getragene ethno-nationalistische Regime in Rwanda
kämpfte. Als dieses sich im Frühjahr 1994 in ein
eliminatorisch-rassistisches Regime umwandelte und
die Vernichtung der Tutsi beabsichtigte,
unterstützte Frankreich dieses Regime als einzige
Großmacht. Dies erfolgte sowohl offiziell – die
„Interimsregierung“ der Völkmordplaner und
-organisatoren wurde im April 1994 in den Räumen
der französischen Botschaft in Kigali konstituiert
– als auch unter der Hand, mit Waffenlieferungen.
Mitterrand glaubte bis zuletzt felsenfest daran,
einen Vorposten der französischen Sprach- und
Kulturzone gegen Agressoren aus dem
englischsprachigen Uganda verteidigen zu müssen.
Auch, als längst Berichte über die Realität des
Völkermords, der vom 07. April bis Ende Juni 1994
andauerte, durch die internationale Presse gingen.
Lecointre war als
Offizier der Marinetruppen – diese bilden das
Rückgrat der früheren französischen Kolonialarmee
in Afrika – an der Opération Turquoise
beteiligt. So hieß im Juni und Juli 1994 die
französische Intervention, die objektiv dazu
diente, die Akteure des Völkermords vor dem Zugriff
der vordringenden RPF zu bewahren, teilweise
wiederzubewaffnen und in der Schlussphase in den
Osten des damaligen Zaire (heute Demokratische
Republik Kongo) abziehen zu lassen. François
Lecointre war damals in Gabun stationiert, wo bis
heute die größte französische Militärbasis in
Afrika liegt, und traf am 02. Juli 1994 in Goma an
der zairischen Grenze zu Rwanda ein. Er war
daraufhin für die Kommune Gisovu zuständig, wo er
eng mit einem der vormaligen Völkermordplaner
zusammenarbeitete, dem Teefabrikanten Alfred
Musema. Letzter wurde später vom Internationalen
Strafgerichthof zu Rwanda im tansanischen Arusha zu
lebenslänglicher Haft verurteilt. Im Rahmen seiner
Verteidigung hatte er ein Schreiben des
französischen Militärs François Lecointre
vorgelegt, das seine positive Rolle unterstreichen
solle. Laut Zeugenausgaben vor dem Sondergericht in
Arusha hatte Musema beim Massenmorden selbst mit
Hand angelegt.
Die Hauptschuld an
dem historischen Desaster, das Frankreich Agieren
in Rwanda bedeutet, liegt sicherlich bei Mitterrand
und den ihn umgebenden Politikern wie seinem
damaligen Berater Hubert Védrine, einem späteren
Außenminister. Aber die Offiziere und militärischen
Befehlshaber der Opération Turquoise,
und zuvor der seit 1990 laufenden verdeckten
Interventionen Frankreichs in Rwanda, waren de
facto tief in die Komplizenschaft mit den
Massenmördern verwickelt. Und kämpften an der Front
gegen die RPF, die sie als ihren eigenen Feind
betrachteten – die jedoch im Juli 1994 Kigali
einnahm und dadurch dem Schlachten ein Ende setzte.
Die Ernennung Lecointres ist deswegen ein fatales
Signal. Bereits die französische
Barkhane-Streitmacht in der Sahelzone, die seit
2014 unter anderem in Mali und im Tschad
interveniert, wird durch einen General – Bruno
Guibert – befehligt, der in die Komplizenschaft mit
dem Völkermord in Rwanda verwickelt war.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
Die
vom Autor gekürzte Fassung erschien in der
Wochenzeitung Jungle World vom 27.
Juli 17
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