Anti-Migrationspolitik im Mittelmeerraum
"Verhaltenskodex" für (respektive gegen) NGOs und Stärkung der Rolle Libyens

von Bernard Schmid

8/2017

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Das Treffen fand in der estnischen Hauptstadt Tallinn statt; Estland hat derzeit (im zweiten Halbjahr 2017) die EU-Ratspräsidentschaft inne. Doch bei den Seenotrettungsprogrammen, um die es auf der Veranstaltung ging, handelte es sich nicht um Einsätze in den relativ beschaulichen Gewässern der Ostsee, die quasi vor der Haustür lag. Vielmehr wurde hier, achtzig Kilometer südlich von Helsinki, über Überfahrten auf dem Mittelmeer debattiert, die im vergangenen Jahr mutmaßlich rund 5.000 Menschen das Leben kosteten. Und in den Staaten, deren Rolle künftig aufgewertet werden soll, herrschen weitaus weniger – vermeintlich – idyllische Verhältnisse als in den drei Kleinstaaten im Baltikum.

Es ging bei der Zusammenkunft der 28 Innenminister aus allen derzeitigen Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) um Boote, mit denen Migranten von Nordafrika an die europäischen Küsten übersetzen. Als informelles Treffen anberaumt, hatte die Ministerkonferenz am Donnerstag, den 06. Juli 17 keine Kompetenz zur Beschlussfassung. Doch sie signalisierte eine unzweideutige Unterstützung für eine deutsch-französisch-italienische Initiative, die am Sonntag zuvor beschlossen worden war. An jenem 02. Juli d.J. versammelten sich die Innenminister der drei Staaten in Paris und entschieden sich dazu, einen „Verhaltenskodex“ für die im Mittelmeerraum bei der Seenotrettung für Migranten aktiven NGO auszuarbeiten. Ferner stellten sie die Weichen für eine erhebliche Stärkung der Rolle Libyens bei der Zurückhaltung oder „Rücknahme“ von Migranten, deren Ankunft in Europa als unerwünscht betrachtet wird. (Abgeschmettert bzw. in die Schubladen verbannt wurde hingegen die durch Italiens Regierung ebenfalls favorisierte Idee, wonach andere EU-Häfen für Migranten geöffnet werden, um die italienischen Häfen – wo ihre Ankunft faktisch stattfindet – zu „entlasten“. Italien soll nach dem Willen seiner Verbündeten einige Gelder dafür zur Verfügung gestellt bekommen, das angebliche „Problem“ weiterhin in seinen Häfen allein zu bewältigen, doch eine Grenz- bzw. Hafenöffnung anderswo ist nicht vorgesehen.)

Noch ist der genaue Text des „Verhaltenskodex“ nicht in allen Details bekannt, er wird derzeit in Rom erarbeitet, in Absprache mit der EU-Kommission. Doch es ist offensichtlich, dass es darum gehen wird, den in Italien und anderswo zunehmend als „Partner der Schlepperorganisationen“ und „Taxis für Migranten“ diffamierten humanitären NGOs viel stärker als bislang die Zügel anzulegen. Diese führten laut Angaben des italienischen Innenministers Marco Minniti im vergangenen Jahr 26 Prozent und im laufenden Jahr 34 Prozent der Rettungseinsätze für schiffbrüchige Migranten im Mittelmeer durch. Doch ihre Spielräume sollen künftig erheblich eingeschränkt werden.

So soll grundsätzlich ein Polizeibediensteter auf ihren Schiffen an Bord mitfahren müssen. Die NGOs sollen dazu verpflichtet werden, ihre Rettungsaktionen eng mit der vor den libyschen Küsten kreuzenden EU-Mission EUNAVFOR Med sowie den Küstenwachen der betroffenen Länder abzustimmen und ihnen ständig ihre jeweilige Position zu signalisieren. Dazu zählt Italien, an dessen Küsten in diesem Kalenderjahr bislang 85.000 Geflüchtete eintrafen. Aber auch Libyen – ein Staat, dessen Geschicke von rivalisierenden Milizen und Armeen bestimmt werden und der teilweise als failed state eingestuft wird, auch wenn zumindest die dortige Erdölproduktion dabei ist, sich wieder zu stabilisieren: Nach dem Umsturz 2011 war sie von zuvor 1,6 Millionen Barrel Rohöl pro Tag auf 200.000 im vergangenen Jahr gesunken, doch bis Ende dieses Jahres soll sie voraussichtlich wieder 1,32 Millionen Barrel betragen.

Die Schiffe von NGOs, die humanitäre Rettungsmissionen im Mittelmeer betreiben, sollen dazu künftig nicht mehr in libysche Hoheitsgewässer innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone einlaufen dürfen. Dort zu intervenieren, soll den libyschen Küstenwächtern vorbehalten bleiben. Deren Ausrüstung und Ausbildung wiederum will die EU erklärtermaßen verbessern. Hintergedanke dabei ist, dass allein die libysche Küstenwache dazu in der Lage sein wird, Schiffe mit Migranten am Bord zur Rückkehr auf libyschen Boden zu zwingen. Im vorigen Jahr sollen laut Angaben des französischen Figaro vom Donnerstag, den 06. Juli 17 bereits 6.000 Geflüchtete zum Anlegen auf libyschem Festland gezwungen worden sein. Dort aber sind sie oft schutzlos ihren Peinigern ausgeliefert, denn viele der in Libyen aktiven Milizen sind in den Menschenhandel verwickelt oder sperren Migranten für unbestimmte Zeit in Haftzentren ein - aus denen körperlich heil heraus kommt, wer sich von der Familie im Herkunftsland genügend Geld überweisen lassen kann. Auch die Küstenwache, die selbst aus Angehörigen diverser Milizen zusammengesetzt ist, zeigt sich darin verwickelt. Ein strukturiertes Korps stellte diese Küstenwache bislang ohnehin nicht da, die mit europäischen Militärkreise eng verbundene Internetpublikation Bruxelles2.eu bezeichnete sie am 28. April 17 als „im Aufbau befindlich“. Auf einem italienischen und einem niederländischen Schiff waren demnach libysche Militärs vom 26. Oktober 2016 bis zum 13. Februar 2017 in einem Crashkurs ausgebildet worden.

Die NGOs zur Seenotrettung im Mittelmeer, die bei der Demonstration zum G20-Gipfel in Hamburg am Samstag, den 08. Juli 17 in den vorderen Reihen liefen, protestieren heftig gegen diese Pläne. Ruben Neugebauer von der in Deutschland ansässigen Vereinigung Sea-Watch erklärte etwa gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP, einen Verhaltenskodex gebe es längst, und dies das international gültige Seerecht.

Die deutsche Bundesregierung steht ebenfalls hinter dieser Politik, und Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach in Tallinn offensiv für die Stärkung der libyschen Küstenwache aus. Sein Amtskollege aus dem Auswärtigen Amt, Sigmar Gabriel, hielt sich seinerseits am 08. Juni 17 in Libyen auf. Bei seiner Ankunft in Tripolis erklärte er in einem offiziellen Statement etwa: Eine erste, drängende Aufgabe ist es (…), die unwürdigen Lebensbedingungen in den Detention Centern zu verbessern“, was unzweifelhaft impliziert, dass die Geflüchteten weiterhin in diesen libyschen Lagern belassen werden soll. Positiv Bezug nahm Gabriel auf die europäische Mission EUNAVFOR Med: „Deutsche Soldatinnen und Soldaten leisten einen wichtigen Beitrag zu dieser Mission. Wir haben erst vor wenigen Tagen die Verlängerung des Mandats in den Bundestag eingebracht.

Italien ist bereits einen Schritt weiter: Am 21. Mai 17 unterzeichnete dessen Innenminister Marco Minniti eine Vereinbarung mit seinen Amtskollegen aus Libyen, dem Tschad und Niger. Diese sieht vorgelagerte Kontrollen für Migration an den EU-Außengrenzen nun auch im Süden Libyens sowie die Einrichtung von Auffanglagern in den Sahelstaaten Niger und Tschad vor. Auch unterzeichnete die italienische Regierung am 03. August 2016 in Rom ein Abkommen mit der sudanesischen Diktatur über die Rücknahme unerwünschter Migranten und Geflüchteter. Am 24. August 16 fand daraufhin eine Sammelabschiebung von vierzig Personen, unter ihnen Darfur-Flüchtlinge, in Richtung Sudan statt. Vor wenigen Wochen riefen die beiden italienischen Vereinigungen ASGI und ARCI den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deswegen an.

Ein weiteres Koordinierungstreffen, das die Anstrengungen gegen den Migranten„zustrom“ in Richtung EU-Europa bündeln sollte (bei dem es jedoch auch ein bisschen Widerspruch von Seiten der südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten gab) fand am 24. Juli in der tunesischen Hauptstadt Tunis statt. // Vgl. http://actu.orange.fr //

Eine Fortsetzung dazu, vor allem aber zu Emmanuel Macrons neuen Vorstößen in Richtung Libyen folgt alsbald.. !

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.