„Kein Ort für Nazis“ sollte auf dem Wimpel mit dem
Bild eines kleinen grünen Kaktus stehen, der
mehrere Monate an der Vitrine eines linken
Café-Kollektivs im Berliner Stadtteil Neukölln
hing, und zwar auf Arabisch.
Als Teil einer
Kampagne gegen vermehrte Angriffe auf linke Projekte
in Neukölln vor einigen Jahren wurden solche Wimpel
in verschiedenen Sprachen gedruckt und an
Einzelpersonen und Geschäfte verteilt. Einige davon
hängen immer noch an Fenstern im Kiez. Die
Entscheidung, den Satz auf dem Wimpel auf arabisch
zu übersetzen, scheint zunächst etwas fragwürdig.
Wenn der Satz „Kein Ort für Nazis“ diesen und ihren
Sympathisant_innen signalisieren soll, dass sie hier
unerwünscht sind, würde er ja auf Deutsch völlig
ausreichen. Oder war der Spruch freundlich gemeint
und sollte die arabischen Nachbar_innen beruhigen,
dass hier keine Nazis Kaffee trinken und dass sie
selber dort willkommen sind? Oder war die
Aufforderung an Teile der arabischen Community
gerichtet, die wegen ihrer antizionistischen
Positionierung mit Nazis gleichgesetzt werden? Man
hätte sich viele solcher Fragen über die exakte
Botschaft und die Adressat_innen des Wimpels stellen
können, wäre er in korrektem Arabisch beschriftet
worden. Das war jedoch nicht der Fall. Die
Buchstaben waren nicht miteinander verbunden und
wurden in ihrer alleinstehenden Form gedruckt. Da
Arabisch in Kurrentschrift geschrieben wird, ergab
der Wimpel somit wenig Sinn.
Vor dem Hintergrund der fehlerhaften Schreibweise
stellen sich daher ganz andere Fragen. Was wollte
das Café-Kollektiv damit ausdrücken? Verachtung?
Gleichgültigkeit? Eine multikulturelle Pose?
Allerdings führen Diskussionen über individuelle
Beweggründe nicht weit. Erhellender dürfte es sein,
den Wimpel und seine Umgebung zu analysieren. Der
kleine grüne Kaktus, quasi das Logo der Kampagne,
verweist auf das gleichnamige Lied der Comedian
Harmonists und soll einen „stacheligen“
Zivilgesellschaftlichen Widerstand symbolisieren.
Zugegeben, eine witzige und passende Metapher.
Nachvollziehen können diese Anspielung jedoch eher
diejenigen, die sich mit dem deutschen Liedgut der
1920er Jahre auskennen. Im Zusammenhang mit der
arabischen Schrift jedoch sticht der Kaktus anders –
und andere. Während für Israelis die Kaktusfrucht,
Sabre genannt, als Symbol für in Israel geborene
Jüdinnen und Juden und ihren aussen stachligen,
innen aber süssen Charakter steht, hat die
Kaktuspflanze in der palästinensischen Kultur andere
Konnotationen. Sie erinnert vor allem an die von
Israel 1948 über 400 zerstörten Dörfer und Städte,
von denen nicht viel mehr übrig geblieben ist als
Kaktuspflanzen. Nicht nur die Schrift ist also je
nach Blickwinkel vielfach deutbar. Vielleicht nimmt
ein israelischer Tourist die Kombination arabischer
Schrift mit einem Kaktus als bedrohliche Botschaft
wahr? Oder sieht eventuell eine arabischstämmige
Schülerin in dem Wimpel einen nett gemeinten, doch
nicht ganz gelungenen Versuch deutscher Linker, sich
mit dem palästinensischen Kampf zu solidarisieren?
Es gäbe sicherlich noch andere Lesarten und durch
diese Symbolik ausgelöste Emotionen, doch lassen wir
es dabei bewenden.
Die Tatsache, dass der Wimpel in einem Café an der
Weserstrasse hing, steht auch in Verbindung mit den
rasanten Veränderungen in Nord-Neukölln während der
letzten zehn Jahre, ein Prozess, der unter dem
Begriff der Gentrifizierung zusammengefasst wird.
Passend zu diesem Café und seiner Klientel ist
allerdings der witzige Widerspruch, der besagt, dass
wer das Wort Gentrifizierung in den Mund nimmt und
sich über ihre Auswüchse echauffiert, wahrscheinlich
zu denen gehört, die sie mit ihrer blossen
Anwesenheit eher fördern als aufhalten.
Die Tatsache, dass linke Studierende
Aufwertungsprozesse vorantreiben, ist natürlich den
meisten bekannt und wird entschuldigt mit dem
Hinweis auf die Regeln des globalen
Immobilienmarktes, die sich unabhängig vom
individuellen Verhalten durchsetzen. Tatsächlich
kaufen sich die meisten „jungen Kreativen“ keine
Eigentumswohnungen im Bezirk und sehen sich selbst
mit prekären Arbeitsverhältnissen und steigenden
Mieten konfrontiert. Das täuscht jedoch nicht
darüber hinweg, dass die Ansiedlung einer
akademischen Mittelschicht an Orten wie Neukölln und
Wedding die Verdrängung von Wenigverdiener_innen und
nicht-europäischen Migrant_innen mit sich bringt.
Auch wenn es nicht gerne zugestanden wird, weiss
man, auf welcher Seite der Macht man steht, wer als
Aufwertung und Potential und wer als Abwertung und
Gefahr fungiert, egal, wie rebellisch man sich gibt
oder wie ernsthaft man sich dieser Logik zu
widersetzen versucht.
Aus dieser teilweise erzwungenen Position im Rahmen
der städtischen Transformationsprozesse entwickeln
sich unter vielen Zugezogenen Züge eines kolonialen
Unternehmungsgeistes. Man fühlt sich ganz ungeniert
als Vorreiter und Entdecker. Die „einheimische“
Bevölkerung wird zunächst als faszinierend
empfunden, als reizvoller Aspekt des neu entdeckten
Territoriums.
Allmählich wird sie jedoch auch als Störfaktor oder
Bedrohung wahrgenommen, gegen die ständig Vorposten
im urbanen Grenzland errichtet werden: in Gestalt
von Studentenbars, Bioläden und Galerien. Um sich
mit dieser Klassenauseinandersetzung nicht direkt
konfrontieren zu müssen, geben sich diejenigen, die
diese Entwicklung nicht ignorieren können, mit ihren
fortschrittlichen und antifaschistischen
Selbstdarstellungen zufrieden. So zum Beispiel
werden die kollektiven Arbeitsformen einiger
Geschäfte als Verbesserung gegenüber den
ausbeuterischen Verhältnissen in den von
Migrant_innen betriebenen Imbissen dargestellt, ohne
dass die soziale und ethnische Ausschliesslichkeit
jener neuen Kollektive mitgedacht würde.
Der Verwandlungsprozess geht auch mit politischen
Kampagnen und Demonstrationen einher, die sich mit
liberalen und linken Parolen direkt und indirekt
gegen die lokale Bevölkerung wenden. So formierte
sich in Neukölln vor einiger Zeit eine Gruppe, die
eine steigende Abneigung gegen Tourist_innen als
xenophobe Drohung fabulierte und damit
skandalisierende Berichte in Massenmedien erzeugte,
die zu mehr Polizeigewalt gegen die
nicht-existierenden gewaltbereiten „Anti-Touristen“
aufriefen. Ähnlich manifestieren sich auch bestimmte
Aktionen gegen Homophobie, die so gut wie keinen
Dialog mit den migrantischen politischen
Akteur_innen vor Ort suchen, sondern das berechtigte
Anliegen, als öffentlich zu erkennende Schwule,
Lesbe oder Transperson nicht angemacht oder
geschlagen zu werden, mit nichts anderem als mehr
Polizeipräsenz samt ihrer Racial-Profiling-Taktiken
zu lösen glauben können.
Besonderes absurd wirkt die Anwesenheit der
militanten „Antideutschen“ im Kiez, die den
israelischen Staat und seine militärische Agitation
im Namen ihrer höchst eigenen deutschen
Geschichtsverarbeitung unterstützen und zufällig
auch gerne ihre Zeit in Cafés wie dem unseren
verbringen. Die Reviermarkierung dieser Gruppe
drückt sich unter anderem darin aus, dass sie die
Befreiung Neuköllns 1945 feiert, indem Israel- und
USA-Fahnen schwenkende weisse Deutsche durch eine
von Palästinenser_innen und Libanes_innen bewohnte
Nachbarschaft marschieren. Der akademische
Demonstrationszug von aufgeklärten Bellizist_innen,
der gegen „Deutschland“ ist, aber in der Tat gegen
seine migrantischen Mitmenschen zu Felde zieht, kann
als extremes Beispiel von Verachtung seitens der
Neu-Siedler_innen im Kiez betrachtet werden, leider
aber nicht als das einzige.
Und so blicken wir erneut auf unser Café und können
den belanglosen kleinen Wimpel mit Schreibfehler als
Konzentrat eines tiefen Missverständnisses und
Missverhältnisses entziffern, wie es seitens der
heutigen linksalternativen Milieus in den
migrantisch geprägten Stadtteilen Berlins kultiviert
wird: jenes speziellen neuköllnialistischen
Bewusstseins von alternativem Kleinunternehmertum
mit linksradikalem Image. Die gescheiterte
Beschriftung des Wimpels steht für den gescheiterten
Versuch, etwas zusammenzubringen, was sich nicht
verbinden lässt. Er steht für die vorgebliche
Aufgeschlossenheit der linksliberalen Mittelschicht
gegenüber dem Bild des „Anderen“ und der Unfähigkeit
oder Weigerung, mit den real existierenden Anderen
ins Gespräch zu kommen. Sie verkörpert Faszination,
Ignoranz und Abstossung zugleich. Ein vielsagendes
Beispiel für den verbreiteten Wunsch nach
Kosmopolität einer linken Szene, die lieber ihre
eigene Parolen falsch übersetzt, als sich von
aussereuropäischen Diskursen bereichern zu lassen.
Der kleine und in einem Blumentopf eingeschlossene
Kaktus, eine ursprünglich vom amerikanischen
Kontinent stammende Pflanze, kann zudem als
mahnender Hinweis auf die europäische koloniale
Vergangenheit und die kulturelle Aneignung
exotischer Merkmale durch die „alternative Szene“
betrachtet werden.
Wie jedes gute Kunstwerk war auch unser Wimpel nur
zeitlich begrenzt zu sehen. Nach mehreren Monaten
ersetzte das Café-Kollektiv den „arabischen“ Wimpel
durch eine fehlerfreie italienische Version, die
seither neben einem „Refugees Welcome“-Fähnchen
hängt. Dass das grosszügige Willkommenheissen von
Geflüchteten nicht uneingeschränkt gilt, konnte man
daran erkennen, dass in jenem Cafe vor Kurzem eine
Veranstaltung stattgefunden hat, in der zur
Niederschlagung des Islams aufgerufen wurde.
Angesichts dessen über die Bedeutung des
Refugees-Welcome-Fähnchens zu spekulieren, überlasse
ich in diesem Falle anderen …
Quelle:
http://www.untergrund-blättle.ch/ 13.7.2018 |