Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Wie eine außergesetzliche Miliz?
Elysée-Mitarbeiter verdrischt auf eigene Faust Protestierer – ohne gesetzlichen Auftrag und ohne Polizistenstatus

08/2018

trend
onlinezeitung

Seit Ende voriger Woche wächst die Sache sich zu einer veritablen Staatsaffäre aus: Ein Video, das zur Mitte vergangener Woche (am 18. Juli 18) durch die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde auf ihrer Webseite publiziert wurde - vgl. https://www.lemonde.fr/-, zeigt einen Mitarbeiter des Elysée-Palasts, also des Präsidialamts, am diesjährigen 1. Mai in Paris. Man sieht den 25jährigen Alexandre Benalla, seines Zeichens persönlicher Sicherheitsbeauftragter von Jungpräsident Emmanuel Macron, wie er auf einen Protestierer eindrischt.

Die Szene wurde nicht am Rande der 1. Mai-Demonstration von rund 30.000 Menschen aufgenommen, welche am Nachmittag von der place de la Bastille zur place d’Italie im Pariser Süden führte – aber durch den Einsatz erst von 14.500 (laut behördlichen Zahlen) Vermummten, dann von über 2.000 Polizisten unterbrochen wurde. Vielmehr stammen die Bilder von der place de Contrescarpe in einem zentral gelegenen (und touristisch geprägten) Viertel. Dorthin versuchten mobile Protestierer/innen, am Spätnachmittag im Anschluss an die Demonstration die Unruhe zu tragen. Allerdings befanden sie sich schlussendlich zu sehr in der Unterzahl, um ernsthaft etwas ausrichten zu können. (Im Laufe des Abends lieferten sie sich in der Nähe des parc de Luxembourg ein Katz-und-Maus-Spiel mit – laut autonomen Zahlenangaben - 17 Faschisten der militanten rechtsextremen Gruppe GUD oder Groupe union défense, die einmal mehr als Speerspitze einer Anti-Sozialprotest-Bewegung auftraten.)

Kurz darauf tauchte auch noch ein zweiter Videofilm auf, welcher Benalla dieses Mal dabei zeigt, wie er eine weibliche Protestierende attackiert. (Vgl. https://www.youtube.com und https://www.huffingtonpost.f ) Diese Aufnahmen zeigen ein erhebliches Aggressionspotenzial seitens des behelmten jungen Mannes, der ferner eine Fahrradfahrerin, die dazwischen gehen möchte, vertreibt. Der Mann und die Frau, die auf den jeweiligen Videofilmen zu sehen sind, verlangen inzwischen, durch Ermittlungsbehörden angehört zu werden. (Vgl. http://www.lesoir.be/ )

Der Clou an der Sache ist: Es ist überhaupt nicht der Job eines Elysée-Mitarbeiters wie Alexandre Benalla, sich an der Seite von Polizisten in die handfeste Niederschlagung von Protesten einzumischen. Vielmehr handelte er offensichtlich auf eigenem Antrieb. Dafür ließ er sich mit Sondervollmachten und Polizeimaterial wie einem Funkgerät sowie einer Armbinde ausstatten. Auch in der bürgerlichen Presse und der bürgerlichen Rechtsopposition wird dieses Verhalten als „schockierend“ bezeichnet (etwa durch Le Figaro, vgl. (vgl. https://www.youtube.com/), ebenso wie aus der Linken. Allerdings aus durchaus unterschiedlichen Motiven heraus: Während die letztgenannte Kritik eher darauf abzielt, die Repression zu kritisieren, geht es Ersteren eher darum zu monieren, hier habe man nicht der Polizei ihre ureigenen Aufgaben überlassen, sondern habe von unberufener und unprofessioneller Seite her unzulässige Einmischung darin betrieben.

Die den Autonomen und Bewegungs-Linksradikalen nahe stehende Nachrichtenagentur Taranis News publizierte unterdessen eigene Bilder (die freilich in der bürgerlichen Mainstream-Berichterstattung keine Rolle spielen). Diese belegen, in wie engem Kontakt der beruflich gänzlich unqualifizierte, jedoch als Macron-Berater 10.000 Euro netto pro Monat beziehende Benalla im Laufe des Pariser 1. Mai mit allerhöchsten Polizeifunktionäre stand – vgl .dazu die kommentierte Bildstrecke bei dem Nachrichtenportal: https://taranis.news/

Letztere Aufnahmen stammen wiederum nicht von der o.g. place de Contrescarpe am Abend, sondern vom Nachmittag am Rande der Demonstration. Sie zeigen die hohen und höchsten Polizeifunktionäre am Rande der Brandstelle, dort, wo gegen 14 Uhr (an dem Tag in größerer Zahl auftretende) Vermummte einen McDonalds – im Erdgeschoss eines Wohnhauses, eine Scheißaktion also – in Brand gesteckt hatten. Die hochrangige Polizeiprominenz und die Anwesenheit eines Elysée-Beraters, welcher freilich qua Selbstermächtigung handelt, belegen, dass die These unhaltbar ist, wonach an jenem 1. Mai 18 etwa untergeordnete Polizeibeamte vor Ort einfach überfordert gewesen wäre. Es lässt die Geschehnisse (und etwa die Tatsache, dass man die Brandstifter beim McDo in Ruhe 45 Minuten lang gewährend ließ) in anderem Licht erscheinen: Wenn die Befehlskette bis in derart hohe Kreise reichte, dann gab es auch einen „politischen“ Umgang mit den Geschehnissen.

Die Benalla-Affäre, die nun auf politischer und publizistischer Ebene mächtig hochkocht, wirft aber auch ein erhellendes Licht auf die Staats- und Gesellschaftskonzeption eines Emmanuel Macron. Es handelt sich offenkundig um das „Modell Uber“. Analog zu dem, was Emmanuel Macron auf anderen Ebenen als Erfolgsrezept anbietet. Beispielsweise verdient darin nicht der/diejenige ein ausreichendes Einkommen, der oder die eine Ausbildung zum Taxifahrer oder als Transportdienstleisterin erzielte, sondern wer – ganz ohne strukturiertes Berufsbild, Ausbildung und Qualifizierung – rücksichtslos und „billig“ genug auf eigene Faust anbietet. Da auf diese Weise aber auch tradierte gesellschaftliche Schranken und berufliche Barrieren (die zum Teil auch aus strukturellen Diskriminierungen resultieren) durchbrochen wurden, konnte Macron durchaus auf eine gewisse soziale Basis bauen. Etwa unter sozialen Aufsteigern und Krisengewinnlern, auch aus den gesellschaftlichen Krisenzonen der banlieues oder Trabantenstädte.

Just aus diesen Milieus stammt Alexandre Benalla, als besonders rücksichtslose Verkörperung eines solchen Aufstiegsmodells. Während Emmanuel Macron 2016 den Sprung in die politische Arena als Präsidentschaftskandidat vorbereitete, doch ohne strukturierte Partei im Rücken, war Benalla einer seiner Vertrauten und mit seinem service d’ordre (Sicherheitsdienst, Saalschutz) betraut. Seitdem genoss Benalla beim nunmehrigen Präsidenten – nachdem Macron am 07. Mai 2017 in dieses Amt gewählt wurde – offensichtlich carte blanche. „Der Ganove der Republik“, wie ein Artikel übertitelt wurde (vgl. https://blogs.mediapart.fr)?

(Abstrahieren wir hier einmal von den diversen Verschwörungstheorien, die ebenfalls kursieren. So wird auf faschistisch- rassistischen Webseiten ebenso wie auf algerisch-nationalistischen – durch stalinistische übernommen – und im Querfrontsumpf eifrig behauptet, Benalla sei, seiner Herkunft wegen, „ein marokkanischer Agent“, vulgo Geheimdienstmitarbeiter jenes Königreichs. Dies halten wir, gelinde ausgedrückt, für unsinnig.
Vgl. hier:
http://canempechepasnicolas.over-blog.com/ auf einer neostalinistischen Webseite, die als Quelle eine algerische angibt – die traditionelle Rivalität zwischen Marokko und Algerien genügt als Erklärungsmotiv. Dieselbe Behauptung findet sich in diversen rechtsextremen Publikationen.)

Ein Gutes hat die Affäre noch, neben der politischen Krise, die möglicherweise dem amtierenden Innenminister Gérard Collomb – es handelt sich um den früheren Lyoner Oberbürgermeister, eine knochenharten Rechtssozialdemokraten und gnadenlosen Einwanderungspolitiker – politisch Kopf und Kragen kosten könnte. Denn nachweislich war Collomb seit dem 02. Mai 18 in die Existenz des „Problems“ eingeweiht (; vgl. https://www.bfmtv.com/ ). Dies weist übrigens auf eine politische Deckung für Alexanre Benalla von höchsten Stellen her hin. Ebenso wie die Lügen, die anfänglich vom Elysée-Palast aus verbreitet wurde, wobei das Präsidialamt behauptete, Benalla sei infolge der Problemchen vom 1. Mai d.J. von sensiblen Aufgaben abgezogen und sozusagen in den Innendienst versetzt worden. Was dann ziemlich schnell debattiert wurde, denn noch am Montag vor einer Woche – jenem 16. Juli d.J., an welchem die bei der WM in Moskau siegreiche französische Fußball-Nationalmannschaft im Bus über die Pariser Champs-Elysées rollte – war Benalla im vorderen Teil des Mannschaftsbusses präsent. Also dort, wo (unmittelbar an der Seite der Weltmeister, und unter den Augen von Kameras aus aller Welt) ganz bestimmt kein untergeordneter, ahnungsloser Beamtentropf hingelassen wurde.

Neben diesem Aspekt ist ein weiterer positiver, dass die vergangene Woche in der französischen Nationalversammlung debattierte „Verfassungsreform“ vorläufig geknickt und auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste. Ihr Gegenstand ist eine Reduzierung beider Parlamentskammern (ein Drittel Parlamentarier/innen wenig), eine Straffung des Parlamentsbetriebs und eine Verringerung der Oppositionsrechte (Änderungsanträge der Opposition dürfen nur im Plenarsaal debattiert werden, falls sie in den sachlich zuständigen Ausschüssen durch eine überparteiliche Mehrheit unterstützt werden). Aufgrund des Sturmlaufs der Links- und Rechtsopposition wegen der aktuellen Affäre brach die Parlamentsdebatte jedoch im Laufe des Samstag, den 21. Juli d.J. zusammen. Ein Gutteil des Regierungslagers kniff übrigens offenkundig und hielt sich fern vom Plenarsaal auf (vgl. https://www.mediapart.fr/)– entweder, weil man keine Lust hatte, die „Reform“ zu verteidigen, oder dem Knall infolge der Affäre ausweichen wollte. Oder beides…

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.