Vor 50 Jahren: Die APO diskutiert den Überfall auf die CSSR

Ein transkribierter Tonbandmitschnitt vom Teach-In
in der TU Westberlin

08/2018

trend
onlinezeitung

21. August 1968

In den frühen Morgenstunden rücken Einheiten der sowjetischen Roten Armee in Prag ein. Die Prager Regierung untersagt bewaffneten Widerstand. Überall in der Tschechoslowakei kommt es zu passiven Widerstandsaktionen der Bevölkerung gegen die Interventionstrup­pen. In Prag beteiligen sich Uber 100.000 Menschen an Demonstratio­nen, die den ganzen Tag über anhalten. Die Sowjetunion verlangt ul­timativ die Bildung einer neuen Regierung.

Um 11.30 Uhr treffen sich im Republikanischen Club Vertreter zahl­reicher Verbände der Außerparlamentarischen Opposition, um über die Organisation der in der Nacht telefonisch bereits vereinbarten Ak­tionen gegen den Einmarsch der fünf Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei zu diskutieren. Ein Offener Brief an die Zentralkomitees der fünf Staaten wird diskutiert und verabschiedet. Der Offe­ne Brief ist unterschrieben von: AStA FU, AStA TU, AStA KiHo, SDS, SHB, RC. FALKEN.

Um 14.00 Uhr findet im Auditorium maximum der Techni­schen Universität eine Diskussionsveranstaltung des AStA der FU und des AStA der TU zum Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei statt. Vor etwa 1.200 Anwesenden erklärt Wolfgang Lefevre (SDS), die Interven­tion des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei habe deutlich gemacht, daß die Zukunft des Sozialismus nicht län­ger an die Sowjetunion gebunden sei. Christian Semler (SDS) warnt vor der Gefahr angesichts der vom Senat initiierten Protestaktionen in „einer anti-kommunistischen Welle unter­zugehen". Der ehemalige Vorsitzende des Republikanischen Clubs, Dr. Klaus Meschkat, greift die SED Westberlins scharf an, weil sie sich geweigert hat, an Protestaktionen gegen die Besetzung der CSSR teilzunehmen. Meschkat erklärt, daß wer jetzt nicht zu einer Zuammenarbeit bereit sei, auch in Zukunft für „punktuelle Aktionseinheiten" nicht mehr in Frage komme.

Um 17 Uhr formiert sich vor der Technischen Universität ein Demon­strationszug. Auf dem Weg von der TU zur Militärmission der Tsche­choslowakei in der Podbielskiallee wächst die Teilnehmerzahl der De­monstration von 2000 auf über 4000 Personen an. Neben drei Groß­fotos, die Trotzki, Lenin und Che Guevara zeigen, werden Transpa­rente mit Aufschriften wie „Wir grüßen Dubcek und die KP der CSSR" , „Sowjetunion — Imperialist Nr. 2", „CSSR — kein Pro­tektorat der DDR" getragen. Die Demonstranten rufen Sprechchöre „Dubcek, Svoboda!", „Amis raus aus Vietnam, Russen raus aus Prag!", „NATO und Warschauer Pakt — Verbrecherkontrakt!"

Demo-Flugblatt 21.8.1968 Westberlin

Vor der CSSR-Mision sprechen auf einer kurzen Kundgebung Ekkehart Krippendorff, Christian Semler (SDS), Niels Kadritzke (SHB) und Klaus Meschkat (RC). Der Leiter der Militärmission der CSSR, Dr. Kreplak, empfängt eine Delegation der Demonstranten, der Eckehart Krippendorff, Klaus Meschkat und Heinz Beinert angehö­ren. Die Delegation Ubergibt Dr. Kreplak den Offenen Brief „an die Zentralkomitees der fünf Staaten". Dr. Kreplak bezeichnet den Offe­nen Brief als „eine sehr vernünftige Erklärung", die sich positiv von dem unterscheide, was auf der am Abend vor dem Schöneberger Rathaus vorgesehenen Kundgebung der Berliner Abgeordnetenhauspar­teien zu erwarten sei.(*)

Hier gibt es den Teach-In-Mitschnitt mit Beiträgen von Christian Semler, Peter Strothmann, Reinhard Wolff, Jörg Huffschmidt, Rolf Vieten, Wolfgang Lefèvre, Harry Ristock, Niels Kadritzke, Ekkehart Krippendorff, Klaus Meschkat und weitere Berichte vom 21.8.1968.

*) Der Text wurde entnommen aus: Siegward Lönnendonker u.a., Freie Universität Berlin 1948-1093, Hochschule im Umbruch, Teil V, 1967-1969, Gewalt und Gegengewalt, WEstberlin 1983, S.109