Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

"Gilets Noirs“ („Schwarzwesten“)
Ein Migrantenkollektiv führt spektakuläre Besetzungen durch

08/2019

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Sie wollen gehen, Monsieur?“ Die Frage des Polizisten wirkt nur auf den ersten Blick höflich. Auf den zweiten stellt sich heraus, dass es sich um Spott handelt, um eine Falle. Sekunden später stürzen sich zahlreiche uniformierte und gepanzerte Bereitschaftspolizisten auf den am Boden sitzenden jungen Mann und zerren ihn fort, zusammen mit weiteren Anwesenden.

Der Mann ist einer von 700 Gilets Noirs (Schwarze Westen) die am vorletzten Freitag, den 12. Juli 19 das Pantheon besetzten. Das Anliegen der Gruppe aus Einwanderern und Unterstützern – namentlich angelehnt an die Gelbwesten-Bewegung - ist ein existentielles: Mit der Formel „Papiere für alle“ fordern sie die Abschaffung des „Illegalen“-Status, also die Legalisierung ihres Aufenthalts, sowie den Zugang zu Wohnraum für alle. Die Wahl des Ortes ist dabei nicht belanglos, denn der „Tempel der Republik“ ist die Grabstätte vieler Größen der französischen Geistesgeschichte und Politik, darunter viele, die sich gegen Sklaverei und Rassismus einsetzten.

Dass Einwanderer in Frankreich, oftmals aus früheren Kolonien stammend, gegen ihre rechtliche und gesellschaftliche Situation protestieren, ist nicht neu. Schon die erste „Sans papiers-Bewegung“ im Jahr 1996 hinterließ starke soziale und politische Spuren. Sie begann mit der Besetzung der Pariser Kirche Saint-Ambroise und endete mit der Räumung der Kirche Saint-Bernard, Schauplatz eines 50 Tage währenden Hungerstreiks. Dieses Jahr war für die französische Linke ein Wendepunkt: Nachdem sich KP und der Gewerkschaftsbund CGT zuvor gegen Einwanderung und die Öffnung des französischen Arbeitsmarktes positioniert hatten, solidarisierten sie sich nun explizit mit „illegalisierten“ Einwanderern.

Doch während Unterstützerdemonstrationen damals regelmäßig Zehntausende mobilisieren konnten, ist die Beteiligung aus der französischen Mehrheitsgesellschaft heute deutlich niedriger. Ungeachtet dessen, dass die Sans Papiers sowie Unterstützerkollektive immer sehr aktiv waren, zeugt die Bewegung der Gilets noirs zeugt von einer Remobilisierung. Erstmalig haben sich „Illegalisierte“, die Einwohner von Migrantenwohnheimen und Unterstützerkollektive aus der autonomen Bewegung gemeinsam organisiert.

Neuartigen Charakter hat aber auch das Ausmaß der Polizeigewalt gegen diesen Protest. Selbst unter einer konservativen Regierung wie der von Alain Juppé in den neunziger Jahren ließ man die Proteste zu und verhandelte mit den Sans papiers-Kollektiven über ihre Forderungen. Die Besetzer der Kirche Saint-Bernard wurden zwar geräumt, jedoch nicht abgeschoben.

Obwohl die Besetzung des Panthéons am Freitag, en 12. Juli d.J. vollkommen gewaltlos verlief, ließ der Polizeieinsatz vierzig Verletzte am Boden zurück. Dabei hatte der anwesende Einsatzleiter den Teilnehmer/inne/n an der Aktion zunächst freien Abzug zugesichert, sofern sie die Besetzung beendeten. Ein Teil der Anwesenden wurde anderthalb Stunden lang eingekesselt. 37 Teilnehmer am Protest wurden festgenommen, von ihnen kamen 17 nach wenigen Stunden frei. Dagegen wurden 19 in das Abschiebehaftzentrum im Pariser Stadtwald Bois de Vincennes eingeliefert. Eine weitere Person kam im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung – wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt – in Polizeigewahrsam.

Am Montag und Dienstag, den 15. und 16. Juli 19 ließen die zuständigen Haftprüfungsrichter (JLD, juges de la liberté et de la détention) jedoch alle 19 Abschiebehäftlinge frei. Ein spektakulärer Erfolg für die Protestierenden, auch wenn die Presse, die am Freitag breit berichtet hatte, diesen Ausgang weitestgehend verschwieg. Die JDL beanstandeten, die Polizeiaktion und die Massenfestnahme seien illegal gewesen, so dass alle darauf folgenden Behördenhandlungen ebenfalls auf ungesetzlicher Grundlage stünden.

Vgl. dazu in unterschiedlichen (bürgerlichen und linken) Medien auch:

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine gekürzte Fassung erschien am 20. Juli 19 bei der Tageszeitung ‚Neues Deutschland‘ (ND)