Ist da was faul im Hause Österreich? Und wenn
ja, was? Nicht, dass wir gleich von Krise reden
wollen, schon gar nicht von einer Staatskrise.
Indes häufen sich doch die Phänomene, die
nahelegen, dass es nicht mehr so läuft wie es
die letzten Jahrzehnte gelaufen ist. Was da
neuerdings abgeht und primär unter der Rubrik
Skandal und Korruption verhandelt wird, sind
nicht mehr kleine Ausrutscher sondern gröbere
Entgleisungen. Die Staatsapparate wirken
nervös. Sie vermitteln nicht Sicherheit,
sondern transportieren Unsicherheit. An zwei
Beispielen soll das illustriert und analysiert
werden.
Unsere Geschichte
ließe sich auch ganz vordergründig erzählen:
Als eine Recherche von Intrigen, Übergriffen,
Verdächtigungen, Affären, Verschwörungen. Als
Kampf um Einflussnahme im Staatsapparat, wo
Legalität und Illegalität des öfteren
verschwimmen. Abgesehen davon, dass darüber
intensiv berichtet wird, interessieren uns die
Geschehnisse hier nur als Folie. Details
ermüden mehr als sie klären. Hier werden also
keine Einzelheiten verhandelt, der Blick ist
einer vom Elfenbeinturm, nicht einer aus den
Niederungen der Scharmützel. Man muss
aufpassen, dass man vor lauter Sümpfen nicht
die Landschaft insgesamt aus den Augen
verliert.
Verstörend und
verwirrend
Begonnen hat das
alles Anfang 2018. Das erste Aufsehen erregende
Ereignis waren die Ermittlungen gegen das
„Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung“ (BVT). Dieses ist Teil
des Innenministeriums. „Der höchste Beamte des
Innenministeriums marschiert direkt zur
Staatsanwältin, übergibt ihr ein Paket mit
anonymen Vorwürfen gegen BVT-Beamte, liefert
ihr die passenden Zeugen dazu, dann gibt es
eine Razzia, bei der massenweise Daten
beschlagnahmt werden, die gar nichts mit dem
Fall zu tun haben“, fasste der Standard
treffend zusammen.
Am 29. Februar
2018 kam es tatsächlich zu einer
Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten des
Verfassungsschutzes. Durchgeführt wurde die
Razzia von einer Polizeieinheit gegen
Straßenkriminalität(!), angeblich weil diese
keine Berührungspunkte mit dem
Verfassungsschutz aufweist. Die Polizisten
sollen dabei bewaffnet und mit Sturmmasken
aufgetreten sein. Man stelle sich das ganz
drastisch vor: Da hetzt der Minister einer
Abteilung seines Ministeriums ein
Polizeikommando auf den Hals. Unter dem
freiheitlichen Innenminister Herbert Kickl
perlustrierte ein freiheitlicher Einsatzleiter
den von der ÖVP dominierten Verfassungsschutz.
Mitglieder desselben wurden eingeschüchtert und
bedroht. Der Leiterin des Extremismusreferats
legte man nahe, sich in die Pension zu
verabschieden. Interessiert war man auch an
Aufzeichnungen über die rechtsextreme Szene und
einer Liste der verdeckten Ermittler. Und
sollte es kompromittierendes Material über die
FPÖ geben (und das ist anzunehmen), könnten
jetzt die Rechtspopulisten zumindest wissen,
was beim Verfassungsschutz aufliegt und was
nicht.
Auch wenn das
alles (noch) nicht so heiß gegessen wie gekocht
wird, ist diese Causa äußerst verstörend und
verwirrend. Je mehr man sich informiert, desto
irrer und abgedrehter erscheinen die
Zusammenhänge. Schlauer wird man kaum. Seriöse
Beurteilungen sind schwer. 70 Prozent der
insgesamt rund 336.000 Aktenseiten (!) des
parlamentarischen BVT-Ausschusses unterliegen
zudem einer Geheimhaltungsstufe. Im August 2018
erkannte das Oberlandesgericht Wien die Razzia
im BVT jedenfalls als unverhältnismäßig bzw.
die zusätzliche Hausdurchsuchung von
Privatwohnungen als rechtswidrig.
Österreichische
Parteien frönen recht hemmungslos dem Hobby der
Okkupation von Staatsposten. Die ÖVP ist hier
schon 70 Jahre bestens aufgestellt. Keine
Partei sitzt, und das auf fast allen Ebenen, so
fest und tief in den Staatsapparaten wie die
Volkspartei. Die Freiheitlichen wiederum fühlen
sich in dieser Hinsicht (Militär und Polizei
mal ausgenommen) notorisch unterrepräsentiert,
treten daher besonders eifrig in Erscheinung,
wenn es um Beute geht. Ämter sichern einerseits
Einfluss, andrerseits werden Parteigänger mit
lukrativen Posten versorgt. So weit, so
primitiv.
Wenn der
ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl von
undurchsichtigen ÖVP-Netzwerken in den
Geheimdiensten spricht, hat er nicht unrecht.
Der überproportionale Gewicht der schwarzen
Gärten ist evident. Zweifellos wollte Kickl
aber das Innenministerium nach seinem Gusto
säubern (schwarz und rot raus, blau rein!) So
ist dieses handfeste Gerangel vorerst ein
ordinärer Umfärbeversuch. Es ist aber mehr, vor
allem, weil sich die Methoden verschärfen. Was
früher durch einen friedlichen Proporz hinter
den Kulissen geregelt wurde, wird nun zu einem
Schaukampf verschiedener Einheiten. Wichtig
dabei ist auch die Regie.
Gestaltete sich
der erste Fall als Schlacht in einem
Ministerium, so ist der zweite Fall grob
gesprochen eine Fehde zwischen dem
Justiz- und dem Innenministerium. Im Mai 2019
wurde von mehreren Staatsanwälten der
„Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft“ (WKStA) gegen
Christian Pilnacek, den Generalsekretär im
Justizministerium und weitere Vorgesetzte aus
der Weisungskette Anzeige wegen des Verdachts
und Anstiftung auf Amtsmissbrauch erstattet.
Dabei ging es um die Causa Eurofighter aus dem
Jahre Schnee (2002ff.), die Pilnacek laut einem
aufgezeichneten Protokoll vom 1. April abdrehen
wollte. Zitiert wird er mit den Worten:
„Ich mach ein
Auge zu, und wir stellen irgendwelche Dinge
ein“ und „Setzts euch z'samm und daschlogts
es.“
Gemeint sei
damit, so wurde später nachgereicht, nur das
Verfahren niederzuschlagen, nicht
irgendjemanden.
Der höchste
Beamte des Justizministeriums wird also von der
Korruptionsstaatsanwaltschaft des „Verbrechens
des Amtsmissbrauchs“ beschuldigt und angezeigt.
Als Retourkutsche gab es auch prompt Anzeigen
gegen Exponenten der
Korruptionsstaatsanwaltschaft. Da ging es nun
um illegale Tonbandaufnahmen,
Beweismittelfälschung etc.- So wird einem nicht
fad beim Hauen und Stechen im Hause Österreich.
Inzwischen sind all diese Verfahren
eingestellt.
Gewaltpol
statt Gewaltmonopol
Normalerweise
achtet der Staat darauf, dass die Gesellschaft
auf sich eingespielt ist und dies auch bleibt.
Ein funktionierender Staatsapparat ist zwar
kein monolithischer Block, stellt aber doch ein
organisches Gesamtgebilde dar, wo
Teilinteressen erfolgreich unter Gesamtanliegen
subordiniert werden, die außerdem politisch
vorgegeben sind. Erstmals hat man nun das
Gefühl, dass dies nicht mehr in obligater Form
aufgeht, dass Konventionen brechen, dass der
Staatsapparat unter seinen Anforderungen und
Auslastungen aus seinem ehernen Rahmen fällt.
Insbesondere, dass sich Gewaltpole gegen das
Gewaltmonopol verselbständigen. Jene entdecken
Spielräume und nutzen sie.
Der strukturelle
Konservativismus der Bürokratie ist dahin. Alle
Involvierten betonen aber strikt
rechtsstaatlich zu handeln, und das soll ihnen
bei der Dehnbarkeit der Rechtsform im Großen
und Ganzen auch gar nicht abgesprochen werden.
Was eine Kompetenzüberschreitung ist oder
nicht, ist auch eine Frage geschickter
Auslegung. Die Zurückhaltung ist auf jeden Fall
futsch. Elementar ist vielmehr die Differenz
zwischen Absichten und Resultaten. Alles wird
fragiler. Der Staat wird von einer
organisierten zu einer desorganisierten Gewalt.
Er entsichert sich selbst.
Bisweilen
entsteht der Eindruck, dass der Staat von
diversen Banden (nicht nur Seilschaften!)
durchsetzt ist, die nur mühsam zusammengehalten
werden können. Sie gleichen Rackets. Manche
schlafen, manche wachen, manche walten, manche
schalten. Dazu kommt auch noch, dass die
Justizbehörden und andere öffentliche Stellen
mit den Verfahren quantitativ heillos
überlastet sind und zusätzlich überfrachtet
werden. Justizminister Jabloner spricht von
Aktenbergen, die „beklemmend“ sind. Er fürchtet
gar den „stillen Tod“ der Justiz“. Die Causa
Grasser, das Korruptionsverfahren gegen den
ehemaligen Finanzminister der Regierung
Schüssel läuft nun schon mehr als zehn Jahre
und ein Ende ist nicht in Sicht. Die
parlamentarischen Untersuchungsausschüsse als
Folge der Affären sind inzwischen von der
Ausnahme zur Regel geworden. Sie regen aber
kaum noch auf. Wird das Instrument inflationär
gebraucht, verliert es an Reiz und
Aufmerksamkeit. Sie zeichnen sodann von Politik
und Verwaltung ein verheerendes Bild, wenn
diese lediglich als Kette von Skandalen
firmieren.
Staat
desavouiert Staat. Sektoren greifen nicht
ineinander, sondern treten gegeneinander auf.
Gelegentlich fallen sie auch schon übereinander
her. Einzelne Pole entfalten marodierende Züge.
Unter der Last usupatorischer Gelüste wirkt der
Staat lädiert. Auffällig ist, dass Konflikte
nicht mehr staatsintern, d.h. zwischen oder
innerhalb der Ministerien, Abteilungen,
Sektionen und Büros geklärt oder zumindest
befriedet werden können, sondern dass Apparate
selbst Übergriffe auf ihresgleichen tätigen und
immer häufiger der Klagsweg beschritten wird.
Sind das nun bloß Ausreißer oder ist das
die Spitze eines Eisbergs?
Insgesamt geht es
darum, einzuschätzen, ob solche Vorkommnisse
als Scharmützel abgetan werden können, oder ob
sie von einer neuen Entwicklung künden. Dass es
Netzwerke gibt, die verschiedenen Parteien
zuzuordnen sind, sollte im Parteienstaat der
Zweiten Republik nicht überraschen,
überraschend ist allerdings das formelle und
entschiedene Auftreten ganzer Instanzen
gegeneinander. Schlachten hinter den
Polstertüren von Bürokratie und Justiz dringen
nicht mehr nur durch Indiskretion und
Investigation an die Öffentlichkeit, jene
selbst wählen und wagen zusehends einen Schritt
nach draußen und duellieren sich vor Publikum.
Der Staat tritt dabei weniger als Gewaltmonopol
in Erscheinung, sondern einzelne Gewaltpole
lösen sich gleich Querschlägern aus ihrem
originären Zusammenhang.
Gewaltmonopol
heißt nicht nur, dass der Staat darüber
entscheidet, wer Gewalt verfügen darf, sondern
auch, dass die einzelnen Gewalten der nicht zu
Unrecht so benannten Staatsgewalt aufeinander
abgestimmt sind und im Falle von internen
Konflikten diese noch vor dem Vollzug
ausmoderiert und ausgeräumt werden. Regulative
sind durch die Legislative vorgegeben. Kleine
Havarien sind da nicht ausgeschlossen, größere
Unfälle allerdings schon. Solche gefährden
nämlich das Vertrauen in die Institutionen und
ihre ideelle Grundlage, den Rechtsstaat. Wir
erleben auf jeden Fall eine Krise des
synchronen Agierens, die Dissonanzen in den
Instanzen vergrößern sich, die Formierung des
Gewaltmonopols gestaltet sich schwieriger.
High Noon?
Auch wenn man
Andreas Khol, dem ehemaligen
ÖVP-Nationalratspräsidenten vorwerfen mag, dass
er die Irrgärten der Volkspartei in den
Apparaten pflegen und hegen möchte, spricht er
doch zurecht von einem „High Noon“ in der
Justiz. „Wie sollen die Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger Anklagebehörden vertrauen, deren
Chefs und Mitarbeiter sich gegenseitig
Gesetzesbruch der schlimmsten Art vorwerfen,
gegeneinander vor Gericht zu Felde ziehen,
Entscheidungen offensichtlich missachten,
mithilfe von gesetzwidrig ins Vertrauen
gezogenen 'Leibjournalisten' den Krieg in den
Medien fortsetzen und anfachen?“ - Ja, wie?
Diese Vorfälle sind jedenfalls nicht vom Himmel
gefallen oder gar Ausdruck narzisstischer und
durchgeknallter Gemüter. Sie scheinen vielmehr
langsam gewachsen zu sein, um sich
chronologisch zu entpuppen und zu vermehren.
Für
Justizminister Clemens Jabloner stellen diese
Vorkommnisse nun
„kein
Ruhmesblatt“ für die Justiz dar. Jabloner,
dVersuch die Scharmützel im österreichischen
Staatsapparat zu deutener auch als Vizekanzler
in der Beamtenregierung von Brigitte Bierlein
fungiert, meint, dass zu viel informell
erledigt werde, dass in Zukunft Weisungen
klargestellt sein müssen und vor allem, dass
die Sprache verträglich zu sein habe. „Was ich
einmahne, ist mehr Formalismus und Distanz“,
sagt er. Das mag alles sinnvoll sein, löst aber
das Problem keineswegs, dieses ist
struktureller Natur, nicht durch
Geschäftsordnung, Weisung und Umgangsformen zu
bereinigen. Das ist „Old School“, doch deren
Kräfte erschöpfen sich. Die Rettung in und
durch die Formebene ist immer nur dann möglich,
wenn die Form selbst intakt ist. Trotz
Beteuerungen von allen Seiten darf dies
bezweifelt werden.
In den Tiefen des
Staats lauern die Ungeheuer, da mag das Meer
noch so ruhig sein. Auf den biederen Staat der
Zweiten Republik war Verlass, im Bösen wie im
Guten. Nunmehr jedoch geraten nicht nur Gut und
Böse durcheinander, man weiß auch nicht mehr,
woran man sich halten soll. Der Wust der
Nachrichten und Sendungen erlaubt keine
ernsthafte Rezeption. Da braucht es gar keine
Fake News. Das Misstrauen wächst,
Überraschungen und Eruptionen häufen sich. Der
Staat gerät ins Rutschen, aber nicht weil er
von außen bedroht wird, sondern weil seine
inneren Mechanismen schwächeln. Ziemlich
derangiert kommt er daher, der Vater Staat.
Manchmal wirkt er fast dement, bestimmte
Aktionen sind als Aussetzen staatsbürgerlicher
Rationalität interpretierbar.
Nur weil in
Österreich Trauerspiele gerne als Operetten
aufgeführt werden - das hier ist keine
europäische Provinzposse! Auch dass Österreich
erstmals von einer Beamtenregierung
administriert wird, da es im Parlament keine
Regierungsmehrheit mehr gibt, ist ein
erstaunliches Phänomen. Dass ein Video eine
Regierung praktisch über Nacht sprengen kann,
wer hätte das gedacht? Man darf gespannt sein,
wie das Spiel weitergeht. Denn weitergehen wird
es. Nicht nur hier.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese
Ausgabe .Kurzfassungen des Artikels sind
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