Betrieb &  Gewerkschaft
Wie können wir die Katastrophe bei Karstadt Kaufhof abwenden?

von Franz Rieger

08/2020

trend
onlinezeitung

13.7.20

Die drohende Schließung dutzender Filialen von Galeria Karstadt Kaufhof ist ein Schlag in die Magengrube für die Beschäftigten. Eine Kündigung wäre für viele eine Katastrophe. Was ist passiert und wie können die Beschäftigten die Schließungswelle stoppen?

Die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof hat bei Redaktionsschluss (13.7.20) die Schließung von rund 50 Häusern angekündigt. Rund 5000 Mitarbeiter würden dann ihren Job verlieren. Viele sind in einem Alter, in dem es extrem schwierig sein wird, gleichwertige Arbeit zu finden, aber nicht alt genug, um eine kurze Zeit bis zur Rente zu überbrücken. Und das mitten in einer schweren Wirtschaftskrise und drohender Massenarbeitslosigkeit.

Keine Begründung

Eine ernstzunehmende Begründung für die Schließungen bleibt der Eigentümer schuldig. Viele von der Schließung bedrohte Filialen schreiben nach wie vor schwarze Zahlen. Auch die Begründung, die Mieten seien zu hoch, ist ein Scheinargument. Denn bei zahlreichen Filialen, etwa Galeria Kaufhof an der Zeil in Frankfurt, ist die Signa GmbH Immobilieneigentümer und Vermieter. Dieselbe Signa, der der Kaufhof-Konzern gehört.1 Weiter verweist der Konzern auf angeblich „hohe Verluste“ durch Corona. In Wahrheit waren die Geschäfte jedoch nur wenige Wochen geschlossen und durften schon bald wieder unter Auflagen öffnen. Für einen Milliardenkonzern wie Kaufhof und Signa eigentlich kein Problem, zumal Kaufhof seit April keine Miete mehr zahlt. Wo liegen also die wahren Gründe für die Schließungen?

Wahrscheinlicher ist, dass René Benko, der Eigentümer der Signa, sein Kapital in profitablere Bereiche abziehen will, nämlich in den Immobilienmarkt. Immobilienspekulation, nicht Einzelhandel ist das milliardenschwere Stammgeschäft der Signa. Das Manager Magazin berichtet von einem Deal zwischen Benko und dem Finanzinvestor Apollo, der nach der Schließung der Filialen 17 der Immobilien in bester Innenstadtlage von Benko kaufen will. Benko selbst blieben dann noch mindestens 10 Immobilien in Top-Lage. Zudem plant Benko in den nächsten Jahren allein in Berlin Investitionen in Höhe von drei Milliarden Euro in Luxusbauten (am Hermannplatz, am Alexanderplatz und am Kufürstendamm). Und das während angeblich 500 Millionen fehlen, um alle Filialen offen zu halten.

Bislang stand diesem Vorhaben der im Tarifvertrag vereinbarte Kündigungsschutz und die Standortgarantie bis 2024 im Weg, für die die Beschäftigten in den Tarifverhandlungen herbe Einschnitte hingenommen hatten. Da kam die Corona-Pandemie dem Unternehmen sehr gelegen. Durch die vermeintliche Insolvenzgefahr und das eingeleitete Schutzschirmverfahren können die tarifvertraglichen Vereinbarungen umgangen werden.

Wir sind die Tricksereien und Ausflüchte der Unternehmensleitung satt! Wenn der Eigentümer der Ansicht ist, dass es finanziell nicht möglich ist die Filialen weiterzuführen, soll er die Geschäftsbücher des Kaufhof-Konzerns und der Signa offenlegen und uns beweisen, ob wirklich kein Geld mehr da ist.

Zermürbungstaktik und Tricksereien

Das Unternehmen hatte zunächst gestreut, dass 80 Filialen von der Schließung bedroht seien, ziemlich sicher ein purer Bluff. Als dann „nur“ 62 Filialen geschlossen und rund 6000 Mitarbeiter entlassen werden sollten, feierte die Gewerkschaft ver.di dies als Erfolg. Hinter der Paywall bürgerlicher Zeitungen, feiern sich die Kapitalisten für den Erfolg ihrer Salami-Taktik. Das Handelsblatt schreibt:

„Sie [die vom Unternehmen engagierten Insolvenzverwalter] haben erreicht, dass die Arbeitnehmervertreter die Schließung von 62 Häusern und die Entlassung von mehr als 5000 Mitarbeitern zähneknirschend noch als gewissen Verhandlungserfolg verkaufen konnten. Denn die beiden Sanierer hatten geschickt vorher lanciert, dass bis zu 80 Häuser auf der Kippe gestanden haben sollten.“2

Und das Unternehmen spielt dieses Spiel weiter: Als nächstes sollten dann statt 62 „nur“ 56 Filialen geschlossen werden, dann wurde vage angedeutet, dass vielleicht weitere Filialen gerettet werden könnten. Die schrittweisen Zugeständnisse sind Kalkül: Bis zuletzt soll den Beschäftigten vorgegaukelt werden, dass sie, wenn sie kuschen, noch eine Chance darauf haben, dass ausgerechnet ihre Filiale doch noch gerettet wird. Das soll die Kampfmoral der Beschäftigten untergraben. Der Jobverlust wäre für viele der älteren Beschäftigten eine Katastrophe. Das Unternehmen weiß das und spielt bewusst mit dieser Angst.

Dem können die Beschäftigten nur etwas entgegensetzen, wenn ausnahmslos alle gemeinsam für den Erhalt aller Arbeitsplätze streiken, egal ob ihre Filiale von der Schließung betroffen ist oder nicht, egal ob Karstadt, Kaufhof, Karstadt Sports oder Karstadt Feinkost. Es ist die ureigene Aufgabe von Gewerkschaften, diesen Zusammenhalt zu organisieren. Dies das bislang versäumt wurde hat die Position der Beschäftigten gefährlich geschwächt.

Beschäftigte deren Filiale nicht (mehr) auf der Schließungsliste steht, fragen sich vielleicht, wieso sie das Risiko eines gemeinsamen Streiks eingehen sollen. Die Antwort ist einfach: Weil sie in ein paar Jahren die nächsten sein werden, die platt gemacht werden. Der Unternehmer weiß, dass er es nicht auf einmal mit allen Beschäftigten aufnehmen kann. Deswegen greift er auf die Salami-Taktik zurück. Die Kapitalisten versuchen uns nach Nationalität, Standort, Arbeitsbereich, Unternehmenszweig, Aufenthaltsstatus oder Gehaltsgruppe zu spalten. Stoppen können wir sie nur, wenn wir bei jedem Angriff wie ein Mann als Klasse zusammenstehen. Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle! Wer jetzt noch knapp der Entlassung entkam, ist als nächstes dran. Es braucht den Streik aller Beschäftigten des Kaufhof-Konzerns.

ver.di muss kämpfen statt kuschen!

Bislang haben die Verantwortlichen bei ver.di sich damit begnügt, an Eigentümer, Vermieter und Politik zu appellieren, die Filialschließungen noch abzuwenden. Wo das nicht erfolgreich war, beschränkt sich die Gewerkschaft darauf, von den Entscheidungsträgern der Politik die gesetzliche Grundlage für zwölf statt sechs Monate Transfergesellschaft zu fordern. Sie hat die Schließung zahlreicher Filialen also schon längst akzeptiert, noch bevor sie einen echten Kampf organisierte. Auch der Gesamtbetriebsrat hat wohl bereits einen Sozialplan unterzeichnet und damit die Schließungen akzeptiert.

Die ver.di-Führung hat das Spiel des Unternehmers mitgespielt. Sie hat von Anfang an vermeintliche Erfolge gefeiert, die keine waren („nur“ 62 statt 80 Filialen geschlossen) und sich ansonsten der marktwirtschaftlichen Profitlogik des Eigentümers gebeugt. Zwar unter lautem Gezeter und Appellen an die „soziale Verantwortung“ des Eigentümers René Benko, aber ohne einen ernsten Kampf zu organisieren, der ausreichend Druck auf Unternehmen und Politik ausüben würde. Denn Proteste und Demonstrationen, so „bunt“ und „laut“ sie auch sein mögen, machen dem Unternehmen keinen Eindruck. Nur der Streik kann die Macht der Belegschaft deutlich machen und den nötigen Druck auf das Unternehmen aufbauen!

Ist der Streik gegen die Schließungen illegal?

Funke-Unterstützer und auch der Autor dieser Zeilen nahmen Anfang Juli an einer Protestaktion vor einer Berliner Filiale teil und kamen dort mit den Beschäftigten ins Gespräch. Alle mit denen wir sprachen, wollten streiken, sollten die Verhandlungen scheitern. Mit einer Ausnahme: Die zuständige ver.di-Sekretärin in Berlin schloss einen Streik kategorisch aus, auch wenn die Verhandlungen scheiterten und die Schließung der Filialen drohe. Es gäbe einen laufenden Tarifvertrag, ein Streik verstoße gegen die Friedenspflicht und sei somit illegal. Das stimmt jedoch nicht: Für einen Sozialtarifvertrag dürfte man streiken. Ein Sozialtarifvertrag erhebt Forderungen, die nicht im bereits bestehenden Tarifvertrag stehen. Ein legaler Streik aller Beschäftigten ist also möglich! Wenn er nicht realisiert wird, liegt das allein am Unwillen der Gewerkschaftsführung.

„Sozialpartnerschaft“ führt zur Niederlage

René Benko und der Kaufhof-Konzern kümmern sich nicht um Fairness oder soziale Verantwortung. Sie kämpfen bedingungslos für ihre Interessen und nutzen jede Möglichkeit, die sich ihnen bietet. Die große Opferbereitschaft der Beschäftigten in früheren Tarifverhandlungen wurde vom Unternehmer nicht mit Dank, sondern mit einem Tritt in den Hintern quittiert. Sie kümmern sich nicht um den Tarifvertrag und den darin festgeschriebenen Kündigungsschutz. Sobald sich eine legale Möglichkeit bot, ihn zu umgehen, taten sie das. Währenddessen weigert sich die ver.di-Führung, legale Möglichkeiten zum Streiken auszunutzen. Die sozialpartnerschaftliche Orientierung der Verantwortlichen bei ver.di bereitet die Niederlage vor.

Wo die Gewerkschaftsführung legale Möglichkeiten ausnutzen sollte, um Streiks zu ermöglichen, redet sie den Beschäftigten ein, der Streik sei illegal. Wo sie die Beschäftigten aller Filialen und Unternehmensspaten vereinen sollte, bleibt sie untätig und schürt Ängste. Wo sie eine laute, öffentliche Kampagne starten und die empörensten Fakten über René Benko und sein Unternehmen hinausposaunen sollte, verkriecht sie sich in Hinterzimmergesprächen. Sie beraubt die Beschäftigten erst all ihrer Stärken (Einheit, Streikbereitschaft) und erklärt selbigen dann, sie seien zu schwach um die Schließungen zu verhindern. So legt sie selbst die Voraussetzungen für die Niederlage und sagt dann der Kampf sei nicht zu gewinnen.

Was tun?

Die Katastrophe ist abwendbar! Die Beschäftigten müssen jetzt die Initiative übernehmen, sich über Filialen hinweg vernetzen und von der Gewerkschaftsführung den Streik einfordern. In persönlichen Gesprächen mit Gewerkschaftsverantwortlichen und bei Gewerkschaftstreffen sollte gefordert werden:

1) Streik aller Filialen für einen Sozialtarifvertrag mit derart hohen Forderungen, dass Entlassungen für den Arbeitgeber extrem teuer und faktisch unmöglich werden (etwa Lohn der Jahre bis zur Rente als Abfindung im Falle einer Kündigung). Ziel des Streiks muss sein, alle Filialen und Arbeitsplätze zu erhalten.

2) Offensive Organisierung und Mobilisierung des Streiks und einer öffentlichen Kampagne, die die Tricksereien und Schweinereien des Eigentümers offenlegt. Organisierung von Solidarität aus der Bevölkerung und sozialen Bewegungen.

Wenn der Eigentümer die Schließung der Filialen nicht verhindern kann, muss er enteignet, der Konzern verstaatlicht und die Warenhäuser unter demokratischer Kontrolle durch die Belegschaften weitergeführt werden.

Ohne einen solchen Kampf droht die Schließung. D.h. dass rund 5000 Beschäftigte ab Oktober noch maximal 12 Monate in einer Transfergesellschaft für 80% ihres Lohnes angestellt sind. Danach stehen die meisten vor dem beruflichen Aus. Einen neuen Job zu finden wird für viele aus Altersgründen schwierig. Hinzu kommt die Wirtschaftskrise und die drohende Massenarbeitslosigkeit: 7 Millionen Menschen sind derzeit auf Kurzarbeitergeld. Zahlreiche Großkonzerne haben Entlassungen im fünfstelligen Bereich angekündigt. Wer jetzt seinen Job bei Karstadt verliert und keinen neuen Job findet, wird unter Umständen mit einer Rente auf Hartz IV-Niveau in der Altersarmut enden. Verarmung oder Kampf! Das ist die Perspektive für die Beschäftigten bei Kaufhof.

Quelle: https://www.derfunke.de/rubriken/kapital-und-arbeit/2710-wie-koennen-wir-die-katastrophe-bei-karstadt-kaufhof-abwenden