Medien unterster Kategorie
verbreiten in den letzten Wochen
wieder, dass Karl Marx ein
Antisemit gewesen sei. Als
„Beweis“ wird auf einen
angeblichen Privatbrief von Karl
Marx verwiesen, den dieser
angeblich anlässlich des
Ablebens von Ferdinand Lassall
geschrieben haben soll.
Wer aber eine solche Behauptung
aufstellt oder verbreitet, trägt
natürlich auch die Beweislast
darzulegen, das dies der
Wahrheit entspricht.
Hier braucht man eigentlich
gar nicht weiter zu schreiben
oder zu lesen denn die
Behauptung das Karl Marx diesen
Brief geschrieben habe ist schon
sehr alt. Schon der Urheber
dieser Behauptung und
Herausgeber der Abschrift des
angeblichen Briefes von 1913,
der Marx Gegner Eduard
Bernstein, wurde von namhafter
Seite aufgefordert, einen Beweis
vorzulegen dass seine angebliche
Abschriften auf echten Briefen
von Marx beruhen. Eduard
Bernstein hat trotz
ausdrücklichem Verlangen der
damaligen Politiker Karl
Kautsky, Victor Adler und Franz
Mehring keine Einsichtnahme in
die angeblichen Privatbriefe von
Karl Marx an Friedrich Engels
gewährt.
Die Echtheit dieses Briefes
ist also nicht bestätigt und
nicht beweisbar, der Herausgeber
Eduard Bernstein räumte jedoch
damals bereits ein, das er den
Brief „überarbeitet“ habe und
gab damals schon Abänderungen
zu. Auch die angeblichen
Abschriften von Bernstein sind
kaum zu bekommen da diese nie
akzeptiert worden sind oder groß
verbreitet worden sind. Mit
solchem Schund braucht man sich
also gar nicht abgeben oder
darauf eingehen solche
Behauptungen widerlegen sich
mangels Beweis für diese
Behauptung selber.
Es lohnt sich aber doch
einmal einen Blick auf diesen
Eduard Bernstein zu werfen und
die Frage zu stellen, welches
Interesse er eigentlich an
Briefen von Karl Marx und dessen
Veröffentlichung haben konnte.
Es ist allgemein natürlich nicht
üblich, dass Privatbriefe
veröffentlicht werden, weil sie
eben privat sind. Die von
Bernstein veröffentlichten
Privatbriefe des Karl Marx
stammen aus dem Zeitraum
zwischen den frühen Jahren ab
1844 und 1883, dem Jahr als Marx
Karl verstarb. Friedrich Engels
soll nun die Privatbriefe, auch
besagten und angeblichen Brief
vom September 1864, ganze 31
Jahre lang bis zum August 1895
aufbewahrt haben natürlich ohne
diese zu veröffentlichen
- was mit
Privatbriefen ja nie gemacht
wird. Hernach sollen diese
Privatbriefe auf unbekanntem
Wege vom Wohnsitz Friedrich
Engels zum SPD Vorsitzenden
August Bebel gebracht worden
sein, wo diese Briefe weitere
gut 15 Jahre gelagert haben
sollen. August Bebel verstarb im
August 1913, war aber die Jahre
zuvor über längere Phasen
bereits schwer erkrankt gewesen.
Ausgerechnet der Marx Gegner
Eduard Bernstein schaffte es in
dieser Zeit, vermutlich von der
Parteibürokratie um Ebert,
Noske, Scheidemann usw.
unterstützt, in den Besitz der
Briefe zu gelangen und hatte
Jahre Zeit für Fälschungen. Und
er veröffentlichte diese
angeblichen Briefe, ohne irgend
Jemandem Einsichtnahme zu
gewähren und änderte nach
Gutdünken ab.
Und es wurde unter
anderem auch besagter und
angeblicher Brief von Marx an
Engels hinzugefügt oder
wesentlich abgeändert.
Natürlich sind
„Erbstreitigkeiten“ um den
Nachlass von Briefen usw. großer
Persönlichkeiten an der
Tagesordnung, angebliche Erben
möchten gerne die Verstorbene
Personen in ihrem Sinne umdeuten, unglaubwürdig machen oder
einfach Geld verdienen. In
neuerer Zeit war letzteres u.a.
bei den angeblichen „Hitler
Tagebüchern“ der Fall, die als
Fälschung großes Aufsehen
erregten. Im Zuge der
allgemeinen Volksverhetzung
gegen den Islam sind zum
Beispiel auch krasse und
widerliche Fälschungen von
angeblichen Zitaten des
Ayatollah Khomeini im Iran
aufgeflogen. Solche Beispiele
gibt es sicher sehr viele und
die Veränderungen und
Weiterentwicklungen aller
Sprachen sowie die notwendigen
Übersetzungen bieten Betrügern
und Fälschern Ansatzpunkte,
Erfolg bis zu einer Wiederlegung
bei Menschen zu haben, die das
eben glauben möchten oder
allgemein unkritisch sind.
Für den angeblichen Brief von
Marx, der ihn als „Antisemiten
und Rassisten“ hinstellen soll,
gibt und gab es also jemals
nicht den geringsten Beweis
außer der Darstellung seines
Gegners Eduard Bernstein, der
seinerseits allerdings selber
die antisemitische
Rassenideologie des Eugen
Dühring gegen die Kritik von
Marx und Engels verteidigte.
Auch die Wortwahl des Briefes
passt viel eher zum Denken des
Eduard Bernstein als zu der des
Karl Marx.
Marx selber hat religiöse
Menschen nie als Feind oder gar
minderwertig betrachtet und
seine Einstellung zur Religion
in seiner bekannten Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie
ausführlich dargelegt, die ein
wesentliches Element seiner
Denkweise des Dialektischen
Materialismus ist. Daher ist es
auch undenkbar, dass er in
privaten Briefen sich so
geäußert haben soll, derartige
Primitivität passt nun wirklich
eher zu Eduard Bernstein und
seines Gleichen. Karl Marx hatte
im Falle des selbst
verschuldeten Ablebens des
Ferdinand Lassalle auch gar
keinen Grund sich noch groß und
gar in unpolitischer Weise zu
äußern, da diese politische
Richtung im Vergleich zum
Marxismus zu der Zeit nur
schwindenden Einfluss hatte.
Natürlich konnten aber nur
Briefe von Marx gefälscht und
erfunden werden, die es gar
nicht gab oder die sonst
niemand
je gesehen hatte, da
widrigenfalls die Fälschung und
der Fälscher sofort aufgeflogen
wären.
Nach dem Ableben von Karl Marx
und Friedrich Engels nahmen die
Auseinandersetzungen in der
damaligen Partei zwischen
Marxisten und dem Rechten
Flügel, zu deren Wortführern
Bernstein gehörte, wieder enorm
zu. Rosa Luxemburg schrieb in
dieser Zeit das grundlegende
Werk: „Sozialreform oder
Revolution“, in dem
sie die
revisionistischen „Thesen“ des
Eduard Bernstein gründlich
analysierte und zurückwies.
Zudem übersetzte die Gruppe
Internationale damals die Werke
des Karl Marx neu in das
russische und wies ihrerseits
absichtliche Fälschungen und
Falschübersetzungen des
Georgi Walentinowitsch Plechanow
in Russland nach. Zudem gewann
ihre Gruppe Internationale an
Einfluss und gehörte zu den
führenden Kräften der
(gescheiterten) russischen
Revolution von 1905, die auch in
der deutschen Sozialdemokratie
breit diskutiert wurde. Diese
ist als „Massenstreikdebatte“
bekannt geworden und in diese
griff Rosa Luxemburg ebenfalls
mit einem ihrer grundlegenden
Werke: „Massenstreik, Partei und
Gewerkschaften“, ein.
Wenn also heute von einigen
Medien der primitiveren Art
behauptet wird, es habe privat
noch einen ganz
anderen Karl
Marx gegeben, ist das eine
haltlose und unwahre Behauptung
und vom Grunde her
unglaubwürdig.
Leider machen auch einige
„Linke“ den Fehler, absichtlich
oder leichtgläubig und in
Unkenntnis des Herausgebers und
Verfassers des angeblichen
Briefes von Marx, den Fehler,
von der Echtheit des Briefes
auszugehen und unsägliche
Redewendungen des Eduard
Bernstein als die von Marx
anzuerkennen und diese zu
verteidigen.
Hätte Marx so etwas an Engels
geschrieben dann hätte dieser
ihn jedoch ganz sicher zur Rede
gestellt und den Brief
zurückgewiesen. Karl Marx hat
nie politische Gegner aufgrund
ihrer Religion oder Nationalität
angegriffen und das hatte er
auch gar nicht nötig. Das
besondere an Karl Marx und
seiner Denkweise des
Dialektischen Materialismus ist
eben, dass er kein abgehobener
Philosoph gewesen ist,
sondern
seine Denkweise zur Richtschnur
des politischen Handelns
geworden ist.
2.8.2020
Einige Quellenangaben:
Der Briefwechsel zwischen
Friedrich Engels und Karl Marx
1844 bis 1883, hrsg. von A.
Bebel und E. Bernstein, 4 Bde,
Stuttgart 1913. Für die
Vertraulichkeit der
Editionsarbeiten anschaulich
Victor Adlers Bemühung um
Einsichtnahrne in den
Brief-wechsel im März 1911 (an
Bebel, 19.3.1911, und dessen
Antwort vom 22.3, in: Adler
Briefwechsel, S. 524–28).
Die
komplizierte
Entstehungsgeschichte verdient
eine eigene Darstellung, soweit
sie bis Ende 1910 in unserem
Zusammenhang relevant ist, wird
sie weiter unten skizziert. Zur
Konstellation in der
Schlussphase, bis hin zum
Versuch Kautskys, die
Publikation noch im Mai 1913 zu
verhindern oder aufzuschieben,
vgl. Adler-Briefwechsel, S.
564–72.
Das Resumé von Dietz
(ebd., S. 569f.) betont die
persönlich komplizierenden
Komponenten, nach Erscheinen
haben die Hauptkontrahenten ihre
sachlich differierenden
Positionen im Rahmen der
Parteiloyalität formuliert: F.
Mehring, „Engels und Marx”, in:
Archiv für die Geschichte des
Sozialismus und der
Arbeiterbewegung, Jg. 5 (1915),
S. 1–38, und N. Rjazanov, „Der
Briefwechsel zwischen Marx und
Engels”, in: Neue Zeit, Jg. 32
(1913–14), Bd 2, S. 564–71.
Rjazanovs Moskauer
Akademievortrag von 1923 bietet
eine, der veränderten
Parteikonstellation
entsprechend, „gestraffte”
Version, in der allerdings
Bernsteins Verantwortlichkeit
für die Streichungen in der
Edition eher indirekt nahegelegt
als behauptet wird, der
Gegensatz mit Mehring deutlich
und das eigene Schwanken in
Bezug auf vollständige
Wiedergabe angedeutet bleibt;
vgl. ders., „Neueste
Mitteilungen Über den Nachiaß
von Karl Marx und Friedrich
Engels”, in: Archiv usw., Jg.
11(1925), S. 385–400, bes. S.
396.
D. Rjazanov, „Einleitung
zum ersten Band des
Briefwechsels zwischen Marx und
Engels”, in: K. Marx, F. Engels,
Historisch-kritische
Gesamtausgabe, Abt. III, Bd 1,
Berlin 1929, S.IX-L, plaziert
durch ausführliche inhaltliche
Polemik gegen die
Tilgungskriterien des
verantwortlichen Herausgebers
die Schuldzuweisung für Die
Geschichtskosmetik von 1913 sehr
einseitig bei Bernstein.
Ed. Hinweis
Wir erhielten den Beitrag vom
Autor für diese Ausgabe.
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