Quelle: http://www.taz-ruhr.de/240800/21.html 

Gefangene des Staates

von KURT SCHRAGE
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Hinter der Kleinstadt Büren liegt Deutschlands größter Abschiebeknast. Die Menschen darin leben zwischen Angst, Wut und Verzweiflung. Vor einem Jahr starb ein Mann in Einzelhaft

Acht Kilometer außerhalb der Kleinstadt Büren (Kreis Paderborn) betreibt die nordrhein-westfälische Justiz das größte Abschiebegefängnis in Deutschland. Für 35 Millionen Mark ließ sie 1993 ein früheres Kasernengelände der belgischen Armee zum Hochsicherheitsknast umbauen. Maximal 530 männliche Gefangene ab dem 16. Lebensjahr werden dort "fluchtsicher" bis zum Abtransport zu den Flughäfen Düsseldorf und Frankfurt verwahrt. Mit Änderung des Artikel 16 Grundgesetz Mitte 1993 ist in der Bundesrepublik das Recht auf Asyl praktisch abgeschafft worden. Seitdem halten die Asylpolitiker eine immer reibungsloser funktionierende Abschiebemaschinerie in Gang. 
Der abgeschottete Gebäudekomplex steht inmitten des Waldgebietes Stöckenbusch, wo die Belgier Atomsprengköpfe bewachten. Ein sechs Meter hoher und mehrere hundert Meter langer Betonwall schließt das 72.300 Quadratmeter große Grundstück mit drei Trakten für Gefangene aus 60 Nationen ein. Im "Modellknast" Büren wachen 45 "Blaue Sheriffs" des privaten Essener Sicherheitsdienstes "Security Fritz Kötter" und 66 Vollzugsbeamte. Im Schnitt durchlaufen pro Jahr 3.500 Gefangene die JVA Büren.
Am 30. August erinnert eine Mahnwache vor dem Abschiebeknast an den Tod des Gefangenen Rachid Sbaai. Er starb in Isolationshaft.

Keine Träne für Gefangene
Peter Möller, Gefängnisdirektor der JVA Büren: "Dass Deutschland nicht alle Asylbewerber aufnehmen kann, dürfte allen klar sein. Sonst wäre es nicht zu dieser Asylgesetzgebung gekommen. Gefühlsmäßig ist das anders zu bewerten. Wir haben überhaupt kein Recht, dem Einzelnen übel zu nehmen, dass er auf dieser Welt einen sicheren Platz finden möchte. Es sind aber nicht alle gefoltert worden, die hier sind. Wenn man in Algerien lebt und selbst vielleicht gar nicht bedroht ist, aber im Nachbarort Hälse abgeschnitten werden - wer bekommt es da nicht mit der Angst zu tun? Wenn man sensibel ist, geht einem das manchmal auch nahe. Nur, man kann nicht den ganzen Tag mit Tränen in den Augen herumlaufen."
Frank Gockel, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren: "Im Besucherraum spielen sich erschütternde Szenen ab. Wenn eine Frau mit kleinen Kindern sich vom Ehemann trennen muss und sie sich das letzte Mal sehen. Wenn Gefangene da sitzen und begründete Todesangst vor der Abschiebung haben. Wir sind da in einem Gewissenskonflikt: durch unsere Arbeit unterstützen wir das System, halten die Gefangenen ruhig und machen ihnen auch Hoffnung. Genauso gut versuchen wir auch Sand in die Abschiebemaschinerie zu streuen. Ohne uns gäbe es keine Gegenöffentlichkeit."

"Wieso bin ich im Knast?"
Gefangener aus Marokko: "Letzte Woche wurde ein Marokkaner abgeschoben. Und wo ist er jetzt? Im Knast in Marokko. Er ist nach Deutschland gekommen, um Hilfe zu bekommen. Dann kommt er in den Knast. In ein, zwei Wochen ist der Junge tot. Was ist das für ein Asylgesetz? Was soll das? Wieso bin ich hier im Knast? Was habe ich gemacht? Gar nichts."
Tarnah Yassin, Libanon: "Ich will kein Asyl. Ich möchte nur zu meiner Frau und meinen Kindern. Bitte. Das ist alles. Bitte. Wir sind keine Verbrecher. Ich kriege einen Unfall im Kopf, wirklich. Ich will nur meine Frau und meine Kinder. Ich habe mein ganzes Land im Libanon verkauft, bevor ich hierher gekommen bin. Ich will nur zu meiner Familie, das ist alles."
Gefangenensprecher Mohammed: "Ich habe Unterschriften von 120 Leuten aus Afrika. Wir wollen einen Runden Tisch mit amnesty international, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft, Presse, Fernsehen und dem Verwaltungsgericht. Unsere Herzen sind kaputt. Das Fernsehen weiß alles, aber keiner hört uns. Wenn etwas passiert, kommen sie sofort. Warum kommen sie nicht vorher und gucken, wie es hier aussieht? Die verstehen nicht, warum wir angst haben."

Rachid Sbaai erstickte am 30. August 1999
Frank Gockel: "In der JVA Büren ist schon wieder eine Person arrestiert worden. Arrest bedeutet totale Isolation, ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Zeitung, ohne Bücher und vor allem ohne Kontakt zu Mitgefangenen, mit nur einer Stunde Hofgang, die isoliert von anderen Gefangenen stattfindet, 23 Stunden allein in einer Kellerzelle. Immer wieder hören wir von Flüchtlingen, die in Arrestzellen durchgedreht sind. Rachid Sbaai starb am 30. August 1999 während der Verbüßung einer Arreststrafe qualvoll an einer Rauchvergiftung. Er hatte seine Matratze angezündet, um auf sich aufmerkam zu machen. Nach diesem tragischen Todesfall ist es für uns unfassbar, dass diese Art der Disziplinierung noch immer stattfindet. Statt zu strafen, wäre eine psychologische Betreuung notwendig. Die Beamten in der JVA Büren sind mit dieser Aufgabe überfordert."

"Diese Kameraden werden festgeschnallt."
Werner Nowak, Bereichsleiter der JVA Büren: "Wir haben schon erlebt, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand gerannt sind. Dann wird uns das zur Last gelegt. In diesem Raum (Bunkerzelle) wird der Gefangene 24 Stunden von oben mit der Kamera bewacht. Hier haben wir dann eine Neuerung: Ein Bett, auf das diese Kameraden festgeschnallt werden. Wir wollen keinesfalls, dass die Gefangenen mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Das machen wir nicht. Hier muss viertelstündig beobachtet werden. Die zwei Türen in dem Raum dienen unserer Sicherheit, dass man da eventuell mit zwei Mann agieren kann. Alles passiert unter ärztlicher Kontrolle."

"China! Zack! Arbeit gucken!"
Bernd Meyer, Chef der Unternehmerbetriebe: "Täglich arbeiten 120 - 150 Gefangene. In Lohnstufe 2 verdient jeder 59,46 DM in der Woche. Die Elektroabteilung lötet Stecker, baut Halogenspots. Hier verpacken wir Schrauben für die Möbelindustrie. Pro Tag werden 10.000 Beutel produziert. Die Chinesen arbeiten in der Gruppe zusammen. China! Zack! Arbeit gucken! Zeig Arbeit! Zeig! Zack!. Die Chinesen arbeiten gut zusammen. Das Problem ist, dass sie alle Lin heißen. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen: Pakistani und Inder, Chinesen, Schwarzafrikaner. Kommunikation soll möglich sein, aber nicht überhand nehmen. Die Arbeit geht nämlich nach Termin." 

Justiz versus Geldtransporter 
Christa Götze, Betriebsleiterin "Kötter Security" JVA Büren: "Wir suchen unsere Mitarbeiter nach Ausbildungsstand und Sprachkenntnissen aus. Bei Ausländern müssen die Papiere in Ordnung sein. In Essen gibt es die Kötter-Akademie, an der berufsbegleitend unterrichtet wird. Der Fahrer eines Geldtransporters muss andere Anforderungen erfüllen als jemand in der Justiz. Wer viel mit Gefangenen umgeht, bekommt eine Sanitäterausbildung. Jemand, der Außenposten läuft, braucht die nicht."

"Staatsschutz wollte mich anwerben."
Frank Gockel: Bei Mahnwachen und Demos gegen die Abschiebepraxis ist das Verhältnis Demonstranten - Polizei immer 1: 2. Früher waren wir bis zu 2.500 Leute, heute sind wir 500. Die Polizei fährt über Wasserwerfer und Räumpanzer alles auf, obwohl die Demos friedlich verlaufen. Staats- und Verfassungsschutz haben große Angst vor den Demos, deshalb stehen sie jedes Jahr im Verfassungsschutzbericht. Ende letzten Jahres wollte mich der Paderborner Staatsschutzbeamte Marx anwerben, um von mir Infos über die Demos und Mahnwachen zu bekommen. Ich habe das abgelehnt und einen Rechtsanwalt eingeschaltet."

Mitarbeit: HANNA KIND