Zur politischen Ökonomie der Ausländerfeindlichkeit

von Wal Buchenberg
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1. Zur Geschichte der Immigration

In der Geschichte des Kapitalismus hatten gerade solche Länder eine hohe Immigrationsrate, die sich wirtschaftlich rasch entwickelten und besonders dann, wenn sie sich rasch entwickelten. 1844 zählten  die USA eine Bevölkerung von nur 19,5 Millionen, die bis 1855 durch fast 3 Millionen Immigranten ergänzt wurde. Damals waren die USA noch ein traditionelles Kolonialland, das heißt seine Einwanderer waren zunächst noch europäische Kleinbauern und Handwerker auf der Flucht vor der Industrialisierung im eigenen Land und auf der Suche nach einer vorindustriellen Existenz auf freiem Ackerland. Die zweite und dritte Immigrantengeneration ab 1863 kam dann meist aus den damaligen Armenhäusern Europas: Irland, Österreich, Italien, Polen und Rußland, und vergrößerte die Arbeiterarmee der amerikanischen Industrie. Das war die Zeit als sich die USA daran machten,  England industriell zu überholen.

Auch die britische Einwanderung nach Australien wurde anfangs aus den Verlierern der Industrialisierung gespeist: aus Asozialen und Kriminellen, ruinierten Handwerkern und irischen Kleinbauern. Zwischen 1861 und 1890 stieg die australische Bevölkerung um zwei Fünftel durch Immigration. Auch Australien erlebte parallel mit dem Einwandererschub einen wirtschaftlichen Aufstieg. Ab 1860, als die australische Bevölkerung um 3,5 Prozent im Jahr wuchs, lagen sowohl die Wachstumsrate der australischen Wirtschaft als auch der Lebensstandard der breiten Masse in Australien über den Vergleichszahlen in England.

Die erste amerikanische wie die erste australische Immigrationsbewegung war eine Flucht vor der Industrialisierung in ein rückständiges, aber landwirtschaftlich entwicklungsfähiges Gebiet. Solche Wanderungsbewegungen sind heute nur noch in Teilgebieten möglich, zum Beispiel dort, wo landlose Bauern Urwald roden, um sich Boden aneignen zu können.

Die zweite und dritte amerikanische Immigration, wie die spätere australische waren nicht mehr Bewegungen von Bauern auf der Suche nach neuem Boden, sondern von Armen, die ein rückständiger Kapitalismus im eigenen Land schon ruiniert hatte, aber diese industrielle Umwandlung war nicht dynamisch genug, um die proletarisierten Bauern und Handwerker in die nur langsam entstehende heimische Industrie zu saugen. Diese Proletarier zogen in kapitalistische Kerngebiete mit schnelleren Wachstumsraten. Falls sich die Wachstumsraten in den Metropolen verlangsamten, die Proletarisierung in der Peripherie aber weiter zunahm, musste das zu Reaktionen gegen die Immigration führen.

Es sind die gleichen amerikanischen Gewerkschaften, die als erste Gewerkschaften der Welt auf dem Arbeiterkongreß zu Baltimore 1866 die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag erhoben, die schon bald nach diesem historischen Schritt eine Begrenzung der Immigration forderten. Die Gewerkschaften fürchteten durch die Zuwanderung einen Druck auf die Löhne, also ein Sinken des Lebensstandards der Lohnabhängigen. Darin wurde ihnen von Marx und Engels durchaus recht gegeben. Engels schrieb 1882 über die USA: "Und diese fabelhafte Reichtumsakkumulation wird durch die enorme Einwanderung in Amerika noch von Tag zu Tag gesteigert. Denn direkt und indirekt kommt dieselbe in erster Linie den Kapitalmagnaten zugute. Direkt, indem sie die Ursache einer rapiden Steigerung der Bodenpreise ist, indirekt, indem die Mehrzahl der Einwanderer den Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter herabdrückt." (MEW 19, S. 307). Dass Immigration eine lohnsenkende Wirkung hat, die vor allem in den Lohnbereichen wirkt, wo sich das Angebot an Arbeitskräften vermehrt, wird auch von heutigen Untersuchungen bestätigt: "In den letzten zwei Jahrzehnten wuchs in den USA sowohl der Import aus Billiglohnländern sowie die Immigration von gering qualifizierten Arbeitskräften. Gleichzeitig sank das Lohnniveau der unqualifizierten Lohnarbeiter in den USA deutlich im Vergleich zum Lohnniveau der qualifizierten Arbeit." LitDok. 1998/99 b-489.

Senkung der Lohnkosten bedeuten aber für das Kapital automatisch höhere Profite. Daher werden die ökonomischen Wirkungen der Immigration in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur überwiegend positiv beurteilt: "Der Autor analysiert die ökonomischen Konsequenzen der Einwanderung in die USA seit 1800 und ... beurteilt die Wirkungen der Wanderungen - auch in jüngster Zeit ... insgesamt positiv." LitDok. 1993/94 a-1475.

Dennoch haben sich Teile der herrschenden Klasse vor allem Kreise innerhalb des Staatsapparats in allen Ländern zu bestimmten Zeiten gegen Immigration gestellt. Die gewerkschaftlichen Forderungen nach Begrenzung oder Stopp der Immigration wurden schon frühzeitig in den USA von den konservativsten Kräften aufgegriffen: Einerseits von den früher angekommenen Immigranten, bei denen sich der "amerikanische Traum" nicht erfüllt hatte und die immer noch auf eine vorindustrielle Existenz als selbständige Bauern hofften, als der zu verteilende Boden in den USA schon knapp wurde. Andererseits wandte sich die herrschende altbritischen weiße Elite gegen die Immigration, weil sie ihre gewachsene politische Vorherrschaft gegenüber einer zunehmend nichtbritischen Bevölkerung in Gefahr sah. Sie befürchtete einen zunehmenden Loyalitätsverlust bei den neuen Immigranten, die nicht aus dem protestantischen und englischsprachigen Kulturkreis stammten. Ergänzt wurde der Kreis der Immigrantengegner durch extreme Reaktionäre, die im eigenen Volk Loyalität und nationale Identität künstlich durch Hass auf Fremde und Zuwanderer schüren wollten. Diese extremen Reaktionäre wurden zu den Schöpfern rassistischer Theorien.

So vermischten sich in der Bewegung gegen ungebremste Immigration berechtigte gewerkschaftliche Sorgen um den Lebensstandard vor allem der ungelernten Arbeiter mit dem Herrschaftsinteresse der weißen Führungsschicht bis hin zu weißen Rassisten. Seit 1880 wurden die amerikanischen Einwanderungsgesetze ständig verschärft. Ab 1921 wurde die (legale) Einwanderung radikal gebremst.

2. Immigration in Deutschland

Deutschland ist gegenwärtig "das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt". LitDok. 1998/99 a-803. Auch für Deutschland werden die ökonomischen Folgen der Immigration von Wirtschaftswissenschaftlern insgesamt positiv beurteilt: "Seit 1988 kamen 1,1 Millionen Übersiedler aus der ehemaligen DDR, 1,35 Millionen Aussiedler aus den ehemaligen Ostblockstaaten und mehr als 1,8 Millionen Asylbewerber in die alte Bundesrepublik; insgesamt also über 4,2 Millionen Personen. Die ... ökonomischen Auswirkungen dieses starken Zustroms waren bislang durchweg positiv... unter den insgesamt zugewanderten 2,1 Millionen potentiell Erwerbstätigen hatten immerhin 1,4 Millionen Personen bis zum Jahresende 1992 einen Arbeitsplatz gefunden.... Die durchschnittliche Zuwachsrate des Sozialprodukts ist mit der Zuwanderung in den Jahren 1988 bis 1992 um reichlich 1 v.H. gestiegen... Die aus der Mehrbeschäftigung und dem zusätzlichen Wirtschaftswachstum resultierenden Steuer- und Beitragseinnahmen überstiegen im Jahr 1992 die staatlichen Leistungen an die Zuwanderer um mehr als 14 Mrd. DM". LitDok. 1993/94 a-1411.

Dass das Kapital ein Interesse am Zustrom billiger und besser noch: billiger und qualifizierter Arbeitskräfte hat, glauben wir gern. In der Fachliteratur heißt es: "Empirical data on major cities in advanced economies ... reveal that there is an ongoing demand for immigrant labour and a continuing stream of employment opportunities which do not require high educational levels and which pay low wages." LitDok. 1998/99 a-1648.

Trotzdem gibt es in Deutschland hartnäckige Argumente gegen einen ungebremsten Zuzug von Immigranten. Ist das alles "Rassismus" oder "rechts"? Schauen wir doch einmal genauer hin, wer Vorteile und wer Nachteile vom ungebremsten Zuzug von Immigranten nach Deutschland hat. Für eine Modellrechnung vergleiche ich einmal die wirtschaftlichen Folgewirkungen von 100.000 Immigranten eines Jahres und mit den Wirkungen von 100.000 Geburten in Deutschland im selben Zeitraum (Die tatsächliche Zahl der Geburten betrug 1995: 765.221). Um die Untersuchung zu vereinfachen, gehe ich davon aus, daß diese Immigranten weder Deutschkenntnisse noch private Kontakte in Deutschland haben, die ihr Fußfassen erleichtern könnten.

2.1 Konsumnachfrage
2.11 Wohnraum
2. 111 Wohnraum für Immigranten

Die 100.000 Immigranten bringen beim Übertritt über die deutsche Grenze vielleicht noch ein paar Habseligkeiten und etwas zu Essen und brauchen als erstes Wohnraum. Rechnen wir pro Person 10 m2, was allerdings weit unter dem in Deutschland erreichten Wohnstandard liegt, dann ergibt das eine zusätzliche Nachfrage nach Wohnraum von rund 1 Million m2. Finanziert werden muß dieser zusätzliche Wohnraum ganz aus Steuern. Vorteile von dieser zusätzlichen Nachfrage haben kleine Baukapitalisten, die sich auf Wohnbaracken spezialisiert haben und einige clevere Hausbesitzer, die für verkommene Altbauwohnungen hohe Mieten aus Steuermitteln bekommen. Nachteile haben vor allem ganz Arme in schlechtesten Wohnverhältnissen, deren Mieten durch die zusätzliche Nachfrage nach billigstem Wohnraum ansteigen werden. Anzunehmen ist, daß einige Arme, die ihre Miete nicht regelmäßig zahlen können, durch diese Nachfragewirkung in die Obdachlosigkeit fallen.

2.112 Wohnraum für Babys

Die 100.000 Geburten brauchen zunächst nur rund 1,5 m2 pro Person für Bettchen, Wickelkommode und Wäschefach. Diese 150.000 m2 zusätzlich nötiger Wohnraum tritt aber nicht als käufliche Nachfrage auf den Markt, denn die meisten Eltern rücken in ihrer Wohnung enger zusammen und falls sie doch in eine größere Wohnung ziehen, wird diese privat, nicht aus Steuermitteln finanziert.

2.12 Energie, Heizung, Strom, Wasser für Immigranten und Babys

Es kann wohl davon ausgegangen werden, daß 100.000 in Deutschland geborene Babys bei den "Wohnnebenkosten" nicht weniger Zusatzbedarf darstellen als 100.000 neue Immigranten. Allerdings muß der Immigrantenbedarf ausschließlich aus Steuermitteln finanziert werden, der Bedarf der Babys wird von den privaten Haushalten - in der Regel aus dem Lohn - getragen, wenn wir einmal vom Kindergeld und steuerlichen Vorteilen für Kinder absehen.

2. 13 Kleidung und Essen für Immigranten und Babys

Der Bedarf von in Deutschland geborenen Kleinkindern bei Essen und Kleidung wird in Geldwert ungefähr dem Bedarf von erwachsenen Immigranten entsprechen, weil deren Konsum staatlicherseits auf ein sehr niedriges Niveau gedrückt wird. Auch hier wird der Bedarf von Kleinkindern vorwiegend aus privaten Mitteln getragen, der Bedarf der Immigranten aus öffentlichen Mitteln, wenn wir private Kleiderspenden u.ä. außer Acht lassen.

2.2 Zirkulation, Handel und Verkehr (Konsumnachfrage und Arbeitskraftzufuhr)

Die Nachfrage im Handel steigt also durch 100.000 Immigranten mehr oder minder gleich stark wie durch 100.000 Neugeborene. Die Einzelhandelskapitalisten können sich über den vergrößerten Markt freuen und es kann ihnen egal sein, ob diese zusätzliche Nachfrage über öffentliche oder private Mittel finanziert wird. Allerdings kaufen Immigranten und Eltern von Babys nicht unbedingt in den gleichen Geschäften oder den gleichen Abteilungen der Kaufhäuser. Gerade der Billigmarkt für Kleidung und Lebensmittel wird beherrscht von großen Handelsketten, dem großen Kapital. Der Markt für Babybedarf bietet - abgesehen von industrieller Babynahrung - eher noch profitable Nischen für kleinere Händler.

Auch bei ihrer Suche nach Arbeit tauchen die 100.000 Immigranten kaum in Babyfachgeschäften auf. Kleine Händler mit zum Teil besser gestellten Kunden beschäftigen wenig ausländisches Personal. Dagegen bieten große Handelsketten relativ viele Billigarbeitsplätze für Hilfskräfte (Reinigung, Lagerarbeiten etc.). Dort sind zusätzliche Immigranten als Billigarbeiter willkommen.

Für die Kleinhändler kommt hinzu, daß sie zwar von den großen Ladenketten und Kaufhäusern kaputt konkurriert werden - jährlich gehen rund 60.000 Kleinkapitalisten bankrott - , ihre Läden und Kioske werden aber dann häufig von Ausländern übernommen, die mit einer geringeren Rendite zufrieden sind. Scheinbar verdrängen also ausländische Kioskbesitzer und Lebensmittelhändler die deutschen Kleinhändler. In welchem Umfang das geschieht, kann man in jeder Großstadt sehen, wo viele kleine Läden in den Nebenstraßen von Ausländern geführt werden. Zur Zeit sind 7,13% oder 213.000 Ausländer selbständige Gewerbetreibende und die Selbständigkeitsquote der Deutschen geht zurück, während sie bei den Ausländern ansteigt.

Solche Ausländer stellen quasi die "Ausländeraristokratie", deren Erfolgsstory sich in den Heimatländern herumspricht, was weitere Immigranten nachzieht. Die kleinen Einzelhändler in Deutschland freuen sich eher über einen Babyboom als über den Immigrantenzuzug. Vom Ruin bedrohte kleine Selbständige sehen daher vielleicht Gründe für Ausländerhass. Es ist auch schon  vorgekommen, daß mehrere Kleingewerbetreibende Geld zusammenlegten, um Jugendliche anzustiften, ein Asylantenheim "abzufackeln".

2.2 Zirkulation, Kriminalität

Die Kriminalität kann man als eine besondere Branche der Zirkulation ansehen. Durch Kriminalität werden keine Werte geschaffen, sondern meist schon geschaffene Werte mit besonderen Mitteln umverteilt. Welche Mittel der Eigentumsumverteilung als kriminell gelten, wird in jeder Gesellschaft von den Herrschenden bestimmt. Gesetze bestrafen nicht nur Kriminalität, sie schaffen sie auch.

Unbestreitbar ist jedoch, daß in den Fällen, wo Immigranten in die Kriminalität abgerutscht sind oder hineingezwungen wurden, sie deutliche Konkurrenzvorteile in allen Branchen haben, die mit grenzüberschreitendem Verkehr verbunden sind, wie Drogenhandel, Prostitution ausländischer Frauen, Waffenschieberei und Autoschieberei. Man muß davon ausgehen, daß sie in diesen Sparten eine ernstzunehmende Verdrängungskonkurrenz für deutsche Kriminelle darstellen. Also haben Leute aus dem kriminellen Milieu auch ernstzunehmende Gründe für Ausländerhaß. In rechtsextremen Organisationen sind auch überproportional Vorbestrafte vertreten.

2.3 Produktion (Konsumnachfrage und Arbeitskräftezufuhr)

Durch Immigration wie durch Neugeburten entsteht ein Zusatzbedarf, der über die zusätzliche Nachfrage die Produktion und das Wirtschaftswachstum fördert. Davon profitiert zunächst die Konsumgüterproduktion in Landwirtschaft und Industrie. Allerdings liegt der Bedarf der Immigranten eher im Billigkonsum mit niedrigen Profitraten, während die Profitraten für Babynachfrage deutlich höher liegen.

Mit den Immigranten drängen zusätzliche Billigarbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt, was nach Gesetzen von Nachfrage und Zufuhr auf dem Arbeitsmarkt lohnsenkende Wirkungen vor allem auf die unteren Lohngruppen ausübt. Der Anteil der Ausländer an Lohnabhängigen insgesamt betrug 1995: 9,4%,

Davon sind schlecht bezahlte Berufe oder Berufe mit hohem Gesundheitsrisiko deutlich überproportioniert: Der Ausländeranteil beträgt bei den Schweißern: 28,3%, Hilfsarbeitern: 23,9%, Bergleuten: 21,7%, Reinigungsberufen: 21,7%. Auch die Arbeitslosigkeit der Ausländer ist immer höher als der deutsche Durchschnitt.

Die Löhne der Facharbeiter und anderer höher qualifizierter Lohnarbeit (Ingenieure, Programmierer, mittlere und höhere Verwaltungsangestellte) werden durch die Immigration (noch) kaum berührt, weil dort die Zufuhr gering ist. Dass jetzt auch indische Programmierer nach Deutschland sollen ist neu. Die Gewerkschaften haben der Lohndrückerei dadurch einen gewissen Riegel vorgeschoben, dass sie eine Mindestlohnsumme für ausländische Programmierer durchgesetzt haben. Eine Lohn- und Arbeitsplatzkonkurrenz spüren also vor allem junge, ungelernte Arbeiter, sowie ältere oder kränkliche Lohnarbeiter, die ihre volle Leistungsfähigkeit für das Kapital verbraucht haben und entweder schon arbeitslos oder nur noch eine Art "Gnadenbrot" auf Billigarbeitsplätzen fristen, z.B. als Lagerarbeiter, Pförtner, Wachpersonal oder Werkboten. Diese Arbeiterschichten sind also für ausländerfeindliche und rassistische Propaganda ansprechbar.

3. Resümee

Zunächst zeigte sich, daß die wirtschaftlichen Wirkungen der Immigration gemischt sind. Etliche Wirkungen verlaufen mehr oder minder quer durch die sozialen Klassen der BRD. Zu den nicht klassenspezifischen Immigrationsgewinnern zählen z.B. die Kunden von ausländischen Gemüsegeschäften wie die Besucher von ausländischen Kneipen, die ein größeres und preiswerteres Angebot vorfinden. Zu den nicht klassenspezifischen Verlierern zählen die Steuerzahler durch erhöhte Staatsausgaben. Aber man muß einige Verlierer und Gewinner auch klassenmäßig zuordnen: Zu Immigrationsgewinnern zählen sicherlich die (Groß)Kapitalisten, die mit der Zufuhr von billigster Arbeitskraft ihre Gesamtlohnkosten senken und so ihre Ausbeutungsrate steigern können, ob sie nun Ausländer einstellen oder nur damit drohen. Das (große) Kapital in Deutschland ist "ausländerfreundlich" und es wurde auch schon mal ein Manager gefeuert, der seine rechten Neigungen mit der Reichskriegsflagge zur Schau stellte.

Zu den (scheinbaren) Immigrationsverlierern gehören kleine selbständige Gewerbetreibende, die zwar vom großen Kapital in den Bankrott getrieben werden, aber anschließend erleben, daß Ausländer ihre Geschäfte mit niedrigerer Gewinnspanne weiter führen. Solche vom Ruin bedrohten Gewerbetreibende neigen zum Ausländerhass.

Zu den Immigrationsverlierern gehört auch die oberste Staatsbürokratie und herrschende Politikerkaste des Bundes, der Länder und in jeder einzelnen Stadt. In erster Linie fürchten sie einen Loyalitätsverlust. Je bunter gemischt ihre Untertanen sind, desto schwerer haben es diese Leute, sich Respekt und Gehorsam zu verschaffen. Hinzu kommt noch der finanzielle Aspekt: Denn ein Zustrom von Immigranten erzwingt sofortige zusätzliche staatliche Ausgaben und schränkt damit den finanziellen Entscheidungsraum dieser herrschenden Bürokratie ein. Das erklärt, warum in Zeiten hoher Staatsverschuldung, wo ein wachsender Teil der Steuereinnahmen von vornherein vom Bankkapital für den Schuldendienst in Beschlag genommen wird, die Ausländerfeindlichkeit von der Staatsbürokratie ignoriert, bagatellisiert oder sogar gefördert wird. Neben diesen "aufgeklärten" Politikern und Staatsbürokraten gibt es aber auch noch kühl kalkulierende Politiker, die einerseits den Untertanengeist (sprich: Loyalität) damit fördern wollen, dass sie "deutsche Identität" fördern wollen, indem sie Ausländerhass schüren. Weit vorausblickende Politiker der herrschenden Klasse werden auch wissen, dass in Zeiten revolutionärer Krisen wie 1918 der Staatsapparat wie Heer oder Polizei gelähmt und unverwendbar ist. Dann bauen solche Leute auf extremistische Schlägerbanden und paramilitärische Organisationen - alles natürlich nur zum Schutz unserer verfassungsmäßigen Grundordnung!

Zu den klassenmäßigen Verlierern gehört schließlich die unqualifizierte oder gesundheitlich angeschlagene Arbeitskraft in den unteren Lohngruppen und schließlich solche, die aus der Lohnarbeit dauerhaft verdrängt wurden.

Bei all diesen Immigrationsverlierern ist die soziale Basis der Ausländerfeindlichkeit zu suchen, wobei der intellektuelle "harte Kern" dieser Ausländerfeindlichkeit wohl in der Spitze der Staatsbürokratie liegt. Die Staatsbürokratie trifft auch alle Entscheidungen über und für die Immigranten, wobei sie ihre Rücksichtslosigkeit gegen die Immigranten als Rücksicht auf die Deutschen darstellen kann. Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit ist daher objektiv ein politischer, ein demokratischer Kampf der großen lohnabhängigen Mehrheit gegen staatliche Bevormundung.

Aber die Sache hat auch eine soziale Seite. Von der Immigration ist nicht nur das Kleinkapital und das kriminelle Milieu betroffen, auf deren Empfindlichkeiten die Arbeiterbewegung und die Linke wohl wenig Einfluß nehmen kann - höchstens dadurch, daß man den kleinen Gewerbetreibenden die Zusammenhänge erklärt, die zu ihrem Bankrott führen. Es sind auch Teile der Arbeiterklasse betroffen, und zwar fast nur die schwächsten Teile der Arbeiterklasse, die in der Konkurrenz um Arbeitsplätze und ausreichenden Lohn am meisten auf die Solidarität der besser Qualifizierten und besser Bezahlten angewiesen sind.

3.1 Praktische Folgerung

Daraus ist zu folgern, daß die Steuerung der Immigration für die Arbeiterbewegung und die Linke in erster Linie eine Frage der Demokratie und andererseits eine Frage der Steuerung der Arbeitskonkurrenz in den unteren Lohngruppen ist. Im Moment ist es so, daß die Gewerkschaften dabei nur den sozialen Aspekt betonen und viele Linke nur den politischen Aspekt.

Die Gewerkschaften wollen zwar aus guten Gründen eine Steuerung der Zufuhr von billigster Arbeitskraft, sie überlassen aber dann alle konkreten Entscheidung ausgerechnet der Staatsbürokratie.

Viele Linke fordern im Gegensatz zu den Gewerkschaften einen freien Zuzug aller Immigranten, um zu verhindern, daß die Politikerkaste in dieser Frage die Entscheidungsmacht behält, aber sie drücken sich damit vor jeder konkreten Entscheidung in dieser Frage und wollen den Zuzug von Immigranten den kapitalistischen Marktgesetzen überlassen. Im besten Fall ist das eine neoliberale Politik, im schlimmsten Fall ist das eine Chaospolitik, die möglichst viel kaputt machen will, um damit eine "revolutionäre Situation" herbeizuzwingen. Daher kann diese Forderung nie mehrheitsfähig werden.

Eine praktikable und mehrheitsfähige Methode, die Frage des Immigrantenzuzugs in einem demokratisch legitimierten Rahmen zu diskutieren und zu entscheiden, vwäre es, wenn z. B. ein gemeinsamer Gewerkschaftstag der großen Gewerkschaften jährlich über die Auswahlkriterien und die Anzahl der Immigranten des Folgejahres beraten und entscheiden würde.

24.08. 2000