interim 509 v. 7.9.2000

Antifaschismus in der Diskussion
Deutschland goes Antifa
 09/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Was für ein Sommer! Vor allem: was für ein Sommertheater! Ein Ruck geht plötzlich durch die BRD. Es ist ein antfaschistischer Ruck, alle betonen plötzlich und für die Linke unvermutet den Kampf gegen Rechts: von der PDS bis zur CSU, von der Jungen Welt bis zur Springer-Presse. Die Nazis, ihre Weltanschauung, ihre Strukturen, Parteien, Treffpunkte, Aktionen, Propaganda, Aufmärsche, Waffenlager, Wehrsportcamps und ihre schwarzen Listen werden endlich als das gesehen, was sie sind: als Gefahr. Wo aber sind jene geblieben, die schon vor Jahren davor gewarnt, die sich bemüht haben, die Strukturen aufzuzeigen und sie nach Möglichkeit zu behindern? Wo ist die Antifa-Bewegung in diesen Tagen? Sie scheint verschwunden, nur noch ihre Parolen sind zu vernehmen: Nazi-Strukturen zerschlagen statt verbieten, Glatzen-Aufmärsche verhindern, klein Fußbreit den Faschisten - Nie wieder! All das ist in den letzten Wochen aus den Mündern von (Regierungs- gleichermaßen wie Oppositions-) Politikern zu hören gewesen.

Die Antifa aber bleibt ruhig, die Erklärungen dafür sind vielfältig, aber wenig einleuchtend: Die öffentliche Diskussion ist aufgesetzt, unehrlich und kommt viel zu spät, früher hat es immer keinen interessiert als die Antifa als erste auf die Gefährlichkeit der Nazis hingewiesen hat und letztlich geht es nur um die Wahrung des deutschen Ansehens in der Welt, heißt es zur Begründung. Das alles mag stimmen, rechtfertigt aber noch lange keinen Rückzug in beleidigte Untätigkeit. Die Warnung vor der organisierten Fascho-Gewalt wird nicht deswegen plötzlich falsch, weil andere, die die Warnung stets ignorierten, sie nun einfach übernehmen. Auch nützt es Flüchtlingen und Migrantinnen herzlich wenig, wenn die mediale Thematisierung ihrer Bedrohung und ihrer Lebenssituation ausgerechnet in der radikalen Linken mit der Bemerkung „Ich verstehe diese plötzliche Aufregung gar nicht, vor zwei Jahren war deren Situation doch auch nicht viel besser" abgetan werden.

Natürlich ist es sehr frustrierend, sich jahrelang mit dem Thema Neonazis zu beschäftigen und dabei selbst bei der sogenannten liberalen Öffentlichkeit auf taube Ohren zu stoßen, natürlich ist es aufreibend, nahezu ungehörte Pressearbeit zu den Angriffen auf Ausländer/innen zu machen, und jetzt festzustellen, daß antifaschistische und antirassistische Bekenntnise zur politischen Sommermode in der BRD geworden sind - ohne daß trau/man selbst einen Einfluß darauf hatte oder hat. Menschlich mögen diese Enttäuschungen angebracht sein, politisch sind sie es nicht. Nicht die aufgeregte Darstellung in den Medien, nicht die öffentliche Diskussion über einen drohenden Nazi-Terrorismus, nicht die Thematisierung von national befreiten Zonen oder die Berichterstattung über alltägliche rassistische Angriffe von Faschos sind das Problem. Die eigentliche Gefahr geht von den Nazis selbst, ihren Strukturen und den Angriffen aus.

Daß plötzlich das öffentliche Interesse an diesem Thema erwacht ist, ist also keineswegs schlecht. Denn so kommt endlich mal ins Gespräch, was Linke schon seit Jahren erfolglos ins öffentliche Bewußtsein zu bringen versuchen. Daß Law-and-Order-Hardliner wie Beckstein und Schönbohm bei der Diskussion über die staatliche Bekämpfung der Nazi-Bewegung bestimmt nichts Gutes im Sinne führen, ändert daran erstmal nichts.

Die kulturelle Hegemonie, die die Rechten vielerorts - aufbauend auf eine rassistische Grundstimmung - unangefochten für sich beanspruchen können, sie steht nun im Mittelpunkt des Interesses und damit zur Disposition. Empörung über die rechte Hegemonie macht sich breit, die liberale Öffentlichkeit, die viele schon verschwunden glaubten, sie ist plötzlich wieder da. Ob sie das Sommertheater überleben wird, ist freilich noch lange nicht klar. Aber genau deswegen gilt es derzeit, sich nicht selbstbeweihräuchernd auf die eigene ehemalige Vorreiterrolle zurückzuziehen, sondern den Versuch zu wagen, das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu beeinflussen, zumindest Teile der längst verloren geglaubten Hegemonie wiederzuerlangen. Wir wollen hier keine Mythen stricken oder in Zweckoptimismus verfallen. Aber für die radikale Linke ist die gegenwärtige Entwicklung eigentlich das beste, was passieren kann. Ohne die Debatte der letzten Wochen eingeleitet zu haben - was aufgrund eigener Schwäche gar nicht möglich gewesen wäre - kann sie davon profitieren und versuchen, Einfluß zu gewinnen: Staatlichen wie gesellschaftlichen Rassismus stärker thematisieren. Problembewußtsein schaffen, Bündnispartner gewinnen.

Denn was beobachten wir zur Zeit: Die Angriffe auf Migrant/inn/en - vor Wochen noch für die Öffentlichkeit unspektakulär - finden nun in sämtlichen Medien Erwähnung und nötigen viele Politiker zu Lippenbekenntnissen. Einerseits schafft das zwar Publicity für die Nazis, aber auch Schutz für ihre potentiellen Opfer. Die Faschos können eben nicht mehr hinter den Kulissen agieren. Sie sehen, daß sie schnell ins Kreuzfeuer geraten. Das mag sie in gewisser Weise bestätigen, anderseits baut es aber auch Druck auf. Natürlich sehen wir auch die Probleme: Autoritäre Politiker versuchen die gegenwärtige Situation für sich zu nutzen. Unter dem Label des Kampfes gegen die Neonazi-Bewegung wollen sie Organisations- und Versammlungsfreiheit einschränken - und ähnlich wie nach den Pogromen von Hoyerswerda, Rostock und Quedlinburg Anfang der 90er Jahre könnte uns auch diesmal aufbauend auf die vielen rassistischen Angriffe eine neue Asyl- und Migrationsdebatte ins Haus stehen. Diese Entwicklungen müssen aber getrennt voneinander betrachtet werden. Die autoritären Tendenzen einiger Politiker und die Tendenz zur Änderung der Asyl- und Ausländer/innen-Gesetzgebung gibt es unabhängig von der Thematisierung der erstarkenden Fascho-Bewegung. Ja, vielleicht bekommt genau diese Strömung innerhalb der politischen Klasse einen kleinen - wirklich nur kleinen, aber immerhin - Dämpfer, sieht ihren Spielraum eingeschränkt aufgrund der öffentlichen Anti-Nazi-Stimmung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - weiß Gott keine besonders kritische Institution -, nach dem das Asylrecht künftig großzügiger ausgelegt werden muß, könnte hierfür ein Beispiel sein.

Die Frage ist also letztlich, was wir daraus machen: Genauso wie für Beckstein, Schönbohm oder Schily böte sich auch für die radikale Linke die theoretische Möglichkeit, die Situation zur Stärkung ihrer Position zu stärken: repressive Angriffe auf antifaschistische und linke Strukturen zu dramatisieren und damit zu verhindern oder zumindest zu erschweren, staatlichen Rassismus entblößen oder einfach nur die entstandenen Räume in der öffentlichen Diskussion zu nutzen, um gesellschaftlich wieder diskursfähiger zu werden. Die Entwicklungen zeigen, daß sich derzeit Räume öffnen: Die akzeptierende Jugendarbeit, lange als offizielles Konzept gepriesen und von linker Seite harsch kritisiert, ist derzeit nicht mehr relevant und scheint zumindest fraglich geworden, bürgerliche Medien wie Stern und taz outen nach schwedischem Vorbild bekannte Neonazis, Bündnisse zwischen bürgerlichen und autonomen Antifaschisten scheinen zur Ver- oder Behinderung von Naziaufmärschen wieder möglich - ohne die übliche Distanzierungshysterie. In den Zeitungen der gesamten BRD finden s auf einmal wohlwollende Kommentare über türkische Jugendliche, die Faschisten attackieren oder Berichte über weit verbreiteten Rassismus im Staatsapparat - etwa bei der Berliner Polizei. Genau diese Stimmung müssen wir auszunutzen versuchen. Es geht für uns darum mehr Einfluß zu nehmen, ein Stückchen kulturelle Hegemonie zurückzuerobern, und die Empörung über die Stärke der Nazis und den verbreil ten Rassismus zu radikalisieren! Es geht eben darum, mögliche Handlungsspielräume für die Linke auszuloten un sie vor allem zu nutzen. Darüber, wie dies erreicht werden kann, gibt es sicher etliche Möglichkeiten. Antifa war nicht immer gleich Antifa, ist nicht immer gleich Antifa und wird auch nicht immer gleich Antifa bleiben. Der Begriff allein hat sich über die Jahre hinweg verändert, wurde angepaßt an die jeweiligen Notwendigkeiten und Stimmungen. Das ist auch gut so. Zeigt uns diese Entwicklung doch, daß die radikale Linke doch in der Lage ist, auf gewisse Situationen zu reagieren und sich auf gewisse gesellschaftliche Kostellationen einzustellen. Es zeigt d Möglichkeit, der Veränderung. Immerhin ist das was, was sich viele Linke heute schon gar nicht mehr vorstellen können und es vermutlich noch nicht einmal versuchen.

Wichtig ist dabei eines: Daß die Antifa sich längst nicht mehr auf ihr Feindbild fixieren darf. Sie darf nicht nur gegen Nazis sein - gerade nicht angesichts der aktuellen Entwicklung, wo eigentlich alle in Deutschland gegen Na sind. Gegen Nazis, das ist eine wunderbare Grundlage für antifaschistische Bündnispolitik bis hin zum bürgerliche Lager, aber es geht darum, auch Alternativen aufzuzeigen und vorzuleben - Alternativen zu dieser Gesellschaft, d Rassismus und Faschos hervorbringt. Das ist für die Antifa wichtiger denn je, weil die radikale Linke in den vergangenen Jahren ja nicht gerade stärker geworden ist, die Antifa aber einer jenen wenigen Teilbereiche ist, die überhaupt noch existent, aktionsfähig und aktiv sind. Über die Gegnerschaft zum Vorschmarsch der Faschos kann eini Politisierung erfolgen, vorausgesetzt natürlich es gibt alternative Konzepte oder zumindest einige Vorstellungen darüber, wie solche Konzepte grob aussehen könnten. Den von vielen Antifas so sehr betonten Unterschied zwische dem zivilgesellschaftlichen Ansatz und dem Konzepte des revolutionären Antifaschismus können wir aber nicht unbedingt erkennen. Mehr noch: Wir halten eine solche Unterscheidung teilweise auch für ziemlich unsinnig. Dem die Betonung vom Konzept Antifa als Selbstschutz und der Anspruch, eine revolutionäre Bewegung aufbauen zu wollen, schließen sich keineswegs aus. Im Gegenteil, bietet die Verteidigung eigener von den Faschos bedrohter Räume, der Kampf um die kulturelle Hegemonie, einen guten Ansatzpunkt, darauf aufbauend Ideen und Alternati von für eine gesellschaftliche Veränderung zu entwickeln, die dann wiederum zum Beispiel zu revolutionären Forderungen weiterentwickelt werden können. Antifa heißt eben nicht nur Angriff. Aber Antifa heißt auch Angriff Wir dürfen aber dabei nicht vergessen, daß die radikale Linke in der Krise steckt, es kaum noch Raum und Ansät für Utopien und gesellschaftliche Alternativen gibt. Perspektivlosigkeit ist leider weit verbreitet. Die Antifa ist hiervon im Verhältnis immer noch weniger betroffen als andere sogenannt „Teilbereiche". Das liegt natürlich an d offenkundigen Notwendigkeit eines Kampfes gegen die stärker werdende Neonazi-Szene. All das spricht aber keineswegs gegen die Aufrechterhaltung eines revolutionären Anspruchs auch in der Antifa- Und um geseflschafti an Bedeutuung zu gewinnen, bedarf es nicht nur einer geschickten Bündnispolitik, sondern genauso eines politisch Konzepts, innerhalb dessen alle denkbaren Aktionsformen Raum finden und darüber hinaus auch noch einer gewissen Attraktivität und einer offensiven Plakativität der eigenen Vorstellungen.

In diesem Sinne: Den antifaschistischen Selbstschutz organsieren! Eine revolutionäre Antifa-Bewegung aufbauen!

einige Antifaschist/inn/en