Gruppe Internationaler SozialistInnen im September 2002

Die Qual der Wahl:
Seien wir realistisch - ohne Revolution läuft nix!
 
09/02
 

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„Die Utopie der ‚Gesellschaft der Freien und Gleichen’ (Marx) kann nicht als Gesetzesvorlage weder oppositioneller noch regierender Fraktionen in den Bundestag eingebracht werden“
(Johannes Agnoli)

Es ist mal wieder soweit: Von Plakatwänden grinsen die Konterfeis der Kandidaten, in Talkshows wird in den üblichen demokratischen Zankritualen über die weitere Standortsicherung gestritten und auf der Strasse werben die Fußtruppen der parlamentarischen Zweckverbände um „Vertrauen“. „Vertrauen“ in „Poli­tikentwürfe“, die sich allesamt der Ausgestaltung objek­tiver Sachzwänge verpflichtet sehen und sich gerade deshalb an sozialer Grausamkeit und technokratischen Sachverstand allenfalls in Nuancen unterscheiden. Die sog. „politische Kompetenz“ um die in Wahlkämp­fen so heftig gerungen wird, definiert sich in einer par­lamentarischen Demokratie zunächst einmal durch die Akzeptanz kapitalistischer Sachzwänge. Und genau das ist es, was diese alle vier Jahre immer wieder von neuem uraufgeführten Rituale so langweilig macht. Kein Wunder also, dass mittlerweile die Krawatten, Frisuren oder gar das Eheleben der kandidierenden Hampelmänner im Mittelpunkt des medialen Interesses stehen. Gleichzeitig wird so ziemlich alles aufgeboten was die sog. Zivilgesellschaft“ so zu bieten hat, um uns von der Wichtigkeit des ganzen Events zu überzeugen. Ge­werkschaften, Berufsverbände, Kirchen und der Groß­teil dessen, was sich hierzulande die „Linke“ nennt, alle fühlen sich berufen, uns klar zu machen wie wichtig es sei sein Kreuzchen zu machen und „Einfluss auf die Politik“ zu nehmen. Doch gibt es wirklich eine Wahl bei den Wahlen?

Erinnern wir uns. „Deine Stimme für mehr Arbeit“ lau­tete 1998 das Motto einer vom DGB initiierten Kam­pagne mit für den sog. „Politikwechsel“ mobilisiert wurde. Die Ansätze einer entstehenden Erwerbslosen­bewegung, von der zwar bescheidene aber reale Im­pulse für einen selbstorganisierten Widerstand von unten ausgehen, blieben dabei entweder auf der Strecke oder wurden mit allen Mitteln der Bürokraten-kunst abge­würgt. Ein Manöver, bei dem große Teile der „Linken“ selbst­verständlich nicht fehlen durften. In den einschlägigen Vereinsgazetten wurde nichts unversucht gelassen, um alle Übel des Kapitalismus auf den nicht gerade sympathischen Helmut Kohl zu projizieren. Mit der Abwahl Kohls schien ein Hauptziel dieser „Linken“ erreicht. Einige versteiften sich sogar darauf „von ei­nem „erdrutschartigen Linksschwenk“ zu sprechen. Bezeichnenderweise war es gerade der so gefeierte Hoffnungsträger Gerhard Schröder höchstpersönlich, der allen gestreuten Illusionen in einen „Politikwechsel“ eine harsche Absage erteilte: „Ich werde nicht vieles anders machen aber vieles besser“ In der Tat! „Rot-Grün“ machte wahrlich Nägel mit Köpfen: Massive Steuergeschenke für die Konzerne und Kapitaleigner, Verschärfung der Sicherheitsgesetze im Rahmen des sog. „Otto-Katalogs“, Zementierung der rassistischen Ausnahmeregelungen gegen ImmigrantInnnen, Teilpri-vatisierung der Rentenversicherung, Hinausschieben des Atomausstiegs um weitere 30 Jahre im Einver-nehmen mit der Atommafia, Einbindung der Gewerk-schaften in die Regierungspolitik im Rahmen des Bündnis für Ar­beit, bzw. Sicherung des „sozialen Friedens“ bei an­haltenden Reallohnverlust und weiteren Deregulierun­gen der Beschäftigungsverhält-nisse etc. etc.. Wahrlich eine Bilanz kapitalistischer Krisenverwaltung, die sich sehen lassen kann. Den größten Coup landete „Rot - Grün“ jedoch im Bereich der Außenpolitik. Mit der Durchsetzung und innenpolitischen Legitimierung von drei Kriegseinsät­zen vollzog sich für den deutschen Imperialismus endgültig die „Abkehr vom politischen Zwergentum“ (FAZ) Statt wie noch im Golfkrieg 1991 mit dem Scheckbuch zu agieren, kann nun je nach politischen Kalkül und Interessenslage an den Fronten des „An­titerrorkrieges“ mitgemischt werden. Der deutsche Imperialismus ist heute gestärkt wie noch nie und auf dem besten Wege sich zu einem der wichtigsten Kon­kurrenten der USA zu entwickeln. Eine verhängnisvolle Entwicklung die maßgeblich durch das kapitalistische Regierungsprojekt „Rot-Grün“ forciert wurde, und an der die extreme Linke des Kapitals, die dieses Projekt so leidenschaftlich unterstützt hat, nicht ganz unschul­dig ist.

Die Logik des kleineren Übels - ein ziemlich erbärmliches Denken

Schröder oder Stoiber? Das ist die alles beherr­schende „Kanzlerfrage“ um die sich der derzeitige Wahlkampfrummel schwerpunktmäßig dreht. Eine Frage, auf die es nach genauer Betrachtung der Konzepte beider Kandidaten nur eine Antwort geben kann: Die Wahl zwischen zwei Übeln, zwischen Pest und Cholera, zwischen sich allenfalls punktuell unter­scheidenden Konzepten kapitalistischer Krisenverwal­tung ist immer eine schlechte Wahl! Diejenigen, die nicht in den Kategorien sozialer Emanzipation denken, sondern ihre Berufung lediglich darin sehen, in den ausgelatschten Trampelpfaden bürgerlicher Realpolitik zu agieren, sehen das freilich anders. Und so dürfen auch im diesjährigen Wahlkampfspektakel die Fraktio­nen der staatstreuen Linken nicht fehlen, wenn es darum geht für das kleinere Übel und „taktische Aus­nutzung“ der bürgerlichen Demokratie zu agitieren. War es vor vier Jahren Kohl, der unbedingt abgewählt werden sollte, um eine „fortschrittliche Politik“ durchzu­setzen, soll heute Stoiber auf parlamentarischen Wege verhindert werden, um einen angeblichen „ge­sellschaftlichen roll back“ zu verhindern. Indem die Wurzel allen Übels im ohne Zweifel reaktionären Pro­gramm der CDU/CSU verortet wird, soll uns das nicht minder reaktionäre Programm der SPD als annehmba­rere Version der Ausbeutung, des Rassismus und der Kriegstreiberei verkauft werden. Mit dem immer wieder herbeigebeteten Vorsatz das „Schlimmste“ verhindern zu wollen, lässt sich bekanntlich so ziemlich jeder Schwachsinn rechtfertigen. Warum dann nicht auch eine weitere „kritische“ Wahlunterstützung der SPD? Insbesondere einigen Gruppen „trotzkistischer“ Prove­nienz scheint die Rolle des unbezahlten Wahlkampf­helfers zur zweiten Natur geworden zu sein. „Stoibers Kandidatur ist eine Kampfansage an die Arbeiter­klasse! Es unser Ziel, einen Wahlsieg Stoibers zu verhindern. Deswegen wählen wir gemeinsam mit dem fortschrittlichsten Teil der Arbeiterklasse SPD oder PDS“ gibt die Gruppe „Links“ruck als Marsch­route aus. Warum nur die Kandidatur Stoibers eine Kampfansage an die ArbeiterInnenklasse sein soll, bleibt dabei ihr Geheimnis. Bestenfalls wird es unfreiwillig komisch. Insbesondere dann, wenn Schröder der ernst gemeinte Ratschlag auf den Weg gegeben wird, die Hoffnungen der WählerInnen nicht zu enttäuschen, und seinen „Worten auch Taten“ (o-Ton „Links“ruck )folgen zu lassen. Taten hat Schröder seinen Worten jedenfalls zur Genüge folgen lassen. Das haben die letzten vier Jahre gezeigt. Wer derart unverblümt Illusionen in bürgerliche Par­teien schürt, die Abgabe von Stimmzetteln als Kampf­mittel propagiert, und sich dabei auch noch im Einklang mit den „fortschrittlichsten Teil der Arbeiterklasse“ wähnt, verdient mit Fug und Recht von Kommunisten als nützlicher Idiot der Bourgeoisie beschimpft zu wer­den.

Die PDS eine linke Alternative?

Die mehr oder weniger kritische Wahl der PDS ist ein besonderes Steckenpferd all derjenigen, die sich von der bisherigen Politik von Rot-Grün aus welchen Gründen auch immer unangenehm berührt sehen. Zugegeben, ihre Rolle als ewiges schlechtes „lin­kes“ Gewissen des deutschen Kapitalismus hat die PDS bisher ganz gut gespielt. So z.B. als sie die „sozi­ale Verantwortung“ von Unternehmern für sich ent­deckte, Kriegseinsätze lieber unter dem Arbeitstitel „Polizeieinsätze“ laufen lassen wollte, höchst unkon­ventionelle Vorschläge für die Etablierung eines Nied­riglohnsektors zum Besten gab, oder dafür argumen­tierte rassistische Einwanderungspolitik zukünftig „to­leranter“ zu gestalten. Ansonsten gab man sich im Bundestag redlich Mühe, die für „berechtigt“ erachteten Anliegen außerparlamentarischer Bewegungen auf­zugreifen und in allerlei kleinen Anfragen zu verwurs­ten bzw. systemkompatibel zu machen. Kurzum alles was man von einer parlamentarischen „linken“ Opposi­tion so erwarten kann. Was man von einer PDS in der Regierung halten kann, lässt sich unschwer in Mecklenburg Vorpommern und Berlin ersehen, wo sie sich alle Mühe gibt sozialen Kahlschlag und rassistischen Staatsterror mitzutragen. Ein Umstand, der einige ganz schlaue „Linke“ dazu führte, sich komplett der Lächerlichkeit preiszugeben und der PDS den „Verrat an ihren Idealen“ vorzu­werfen. Wir hingegen sehen in dieser Politik keine Abweichung von irgendeiner Norm, sondern die logi­sche Folge ihrer parlamentarischen Orientierung, die nur dazu führen kann im Einklang mit der öffentlichen Meinung“ die Geschicke des Kapitalismus mitverwalten zu wollen. Ein reaktionärer Anspruch also, der sich in der perversen Wahlkampflosung „Arbeit soll das Land regieren“ nur all zu deutlich manifestiert.

Wahlboykott?

In der autonomen und anarchistischen Szene erfreut sich der Aufruf zum Wahlboykott derzeit großer Be­liebtheit. Eine durchaus verständliche Reaktion auf die Verlogenheiten des parlamentarischen Systems. Durch ein bloßes „Boykottieren“ der Wahl kann mensch sich sicher im Einklang mit der amorphen Masse all derje­nigen fühlen, die sich aus unterschiedlichen Motiven nicht an den bürgerlichen Wahlen beteiligen. Aus dem Anteil der sog. Nichtwähler lässt sich jedoch mitnichten ein politisches Votum oder gar eine grundlegende Ab­lehnung des parlamentarischen Systems ableiten. Letztendlich schimmern zwischen den Zeilen diverser Wahlboykottaufrufen höchst naive Mitbestimmungs-illusionen durch, die dem zwanghaften Streben vieler Linker geschuldet sind, zum Wahltag irgendwelche Verhaltenmaßregelen zu geben. Ob man jedoch nun den Aufrufen folgt seine „Stimme ab­zugeben“ oder seine „Stimme behält“ - beides sind isolierte passive Akte, die keinesfalls geeignet sind Bewusstsein für wirklich gesellschaftliche Veränderung zu schaffen.

Wir haben keine Wahl - außer den Klassenkampf

Es bleibt abzuwarten, welche Fraktion der Bourgeoisie am 22. September das Rennen machen und uns dann mit ihren Reformkonzepten beglücken wird. Die Frage, ob dies dann „schlimmer oder „besser“ sei, ob Wahl­kampfversprechen gebrochen werden oder nicht, überlassen wir getrost den Moralaposteln der bürgerli­chen Linken. Fest steht nur, dass ihr Katzenjammer irgendwann vorprogrammiert ist. Fest steht auch, dass sich durch den Ausgang bürgerlicher Wahlen nichts an Gewalt- und Herrschaftsverhältnissen ändern wird, die der Kapitalismus tagtäglich reproduziert und die unser Leben bestimmen. Angesichts der sich ver­schärfenden Krise wird immer deutlicher, dass dieses immer wahnwitzigere System uns nichts zu bieten hat als noch mehr Arbeitszwang, noch mehr Elend und noch mehr Kriege. Wirkliche Veränderungen lassen sich nicht im - sondern nur gegen dieses System, nicht im Rahmen, sondern nur gegen Verkehrsformen und Vermittlungsinstanzen dieser Gesellschaft erkämpfen. Die mehr oder weniger freundliche Einladung oder gar Ermahnung der Verteidiger der Warengesellschaft uns doch bitte schön sachlich und konstruktiv an der Lö­sung politischer und sozialer Probleme zu beteiligen und dabei im Endeffekt doch nur ihre Spielregeln zu akzeptieren, lehnen wir daher dankend ab. Stattdessen setzen wir auf den selbstorganisierten und solidari­schen Widerstand all derjenigen, die in diesem System nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren haben. An dieser Perspektive gilt es über den 22. September hinaus zu arbeiten. Denn - letztendlich hängt die Ver­wirklichung der Utopie einer „Gesellschaft der Freien und Gleichen“ davon ab, ob es gelingt, in den alltägli­chen Kämpfen gegen Staat, Nation und Kapital eine neue revolutionäre Kraft aufzubauen, die einzig und allein nach der Maxime handelt:„alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes Wesen ist“ (Karl Marx)

Her mit dem schönen Leben!
Für den Kommunismus!

„Demokratie ist - und so schätze ich alle Regierungsformen ein - ein Widerspruch in sich, eine Unwahr­heit, im Grunde nichts als Heuchelei (Theologie wie es die Deutschen nennen) politische Freiheit ist Scheinfreiheit, die schlimmste Art von Sklaverei, der Schein der Freiheit und deshalb die schlimmste Knechtschaft. Ebenso verhält es sich mit der politischen Gleichheit, deshalb muss die Demokratie so gut wie jede andere Regierungsform schließlich in Scherben gehen: Heuchelei kann keinen Bestand haben, der in ihr verborgene Widerspruch muss zu Tage treten; entweder richtige Sklaverei, dass heißt unver­hüllter Despotismus, oder echte Freiheit und echte Gleichheit, das heißt Kommunismus.“
Friedrich Engels

Editorische Anmerkung:

Die Gruppe Internationaler SozialistInnen schickte uns ihre Stellungnahme im September 2002 mit der Bitte um Veröffentlichung. Weitere INfos gibt es auf ihrer Homepage: http://mitglied.lycos.de/gruppeintersoz/index.htm