Kommunismus ist machbar!
Zehn Thesen zur emanzipatorischen Transformation nebst Erläuterungen

09/03
 
 
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Unser Ziel ist ein "Verein freier Menschen”. Um ihn wirklich werden zu lassen, bedarf es einer kommunistischen Bewegung. Wir schließen uns Marx und Engels an, die in der "Deutschen Ideologie" klarstellen: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt Bestehenden Voraussetzung." 
(Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 35)

1.  Eine befreite Gesellschaft ist nicht nur keine schöne, sondern überhaupt keine Utopie. Ebenso wenig ist sie das ganz Andere über das sich heute rein gar nichts aussagen ließe. Eine befreite Gesellschaft ist negativ aus der bestehenden Gesellschaft entwickelbar. Diese betrachten wir als Waren produzierende, patriarchale Gesellschaft. In ihr werden alle nützlichen Sachen als Waren hergestellt, um sie gegen Geld zu tauschen. Sie werden produziert durch Arbeit, dem herrschenden männlichen Prinzip der Unterwerfung von Mensch und Natur. Für diese Gesellschaft ist wesentlich, dass sie Menschen weltweit zusammen schmiedet. Dies vollzieht sich aber blind und unabhängig vom Willen der Menschen, d.h. diese Vergesellschaftung ist keine der freien Übereinkunft. Demgegenüber erhoffen wir uns eine postkapitalistische Gesellschaft als einen "Verein freier Individuen”: einen weltweiten freien und freiwilligen Zusammenschluss von Menschen, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse selbst gestalten.

2.  Linke dachten bisher, es bedürfe eines "revolutionären Subjekts”, um den Kapitalismus zu überwinden. Das bedeutet: Bestimmte Menschen oder Menschengruppen müssten oder könnten allein wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung die Revolution durchführen. Die traditionelle Linke hielt die Arbeiterklasse für das revolutionäre Subjekt. Da die "Proletarier" "nichts ... zu verlieren" hätten, "als ihre Ketten" (Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, MEW Bd. 4, S. 493), würden sie eines Tages die bürgerliche Gesellschaft sprengen können. Doch die westliche Arbeiterbewegung passte sich in den kapitalistischen Staat ein und versandete in Reformismus. Die Revolution der russischen Arbeiter führte zu Stalins brutaler Diktatur. So zerstoben die Hoffnungen auf die Arbeiter als Subjekt der Emanzipation. Auch die weitere Suche nach revolutionären Subjekten wurde nicht belohnt: Marcuse wollte in Studenten oder sozialen Randgruppen ein neues Subjekt der Revolution erkennen. Später hielt er Frauen oder zumindest feministische Frauen für jene, die die Gesellschaft umstürzen sollten.
Wir halten dagegen, dass sich eine gesellschaftliche Emanzipation nicht nur ohne ein solches Subjekt vollziehen kann, sondern dass dies nur ohne ein solches Subjekt möglich ist. Ein Subjekt ist vielmehr ein Hindernis auf dem Weg zur Befreiung. Denn: Subjekt sein heißt, für jemand anderen Objekt zu sein. Ein Subjekt ist ein Mensch stets im Verhältnis zu einem Objekt, sei dies ein anderer Mensch oder Natur. Solange es Subjekte und Objekte gibt, gibt es Herrschaft und Unterdrückung. Objektiv ist der Zwangszusammenhang, der abgeschafft werden muss. Mit dem Ende aller Objektivität findet auch das Subjekt sein wohlverdientes Ende. Kommunismus heißt: Überwindung von Subjekt und Objekt als Bruch mit der fetischistischen Herrschaft, der Herrschaft toter Dinge über die Menschen. Das Ende des Subjekts bedeutet genau das Gegenteil vom Ende der Individualität.
Marxens Satz "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.” (Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 9) hat daher nur Gültigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft. Nach deren Überwindung werden Menschen selbst über ihr gesellschaftliches Sein bestimmen.

3.   Gesellschaftliche Befreiung ist das Ergebnis einer sozialen Revolution. Diese ist abzugrenzen von einer politischen Revolution. Letztere verändert nichts als die Herrschafts-, "Macht"- und Verteilungsverhältnisse. Eine soziale bzw. kommunistische Revolution verändert das Leben der Menschen selbst, also die Art wie sie ihr Leben gestalten. Im Gefolge der sozialen Revolution ändern sich die Formen der Reproduktion menschlicher Gesellschaft. Wir fassen jene als schrittweises Ausbrechen aus fetischistischen und patriarchalen Verhältnissen. Zentral bei dieser Umgestaltung, wesentliches Kernmoment der sozialen Revolution, ist die Beseitigung der Arbeit. Menschen haben schon immer Natur umgeformt. Arbeit ist jedoch die fremdbestimmte und selbstzweckhafte Weise dies zu tun. Mit der Arbeit ist außerdem die Zuweisung bestimmter Tätigkeiten wie Kinder-"Aufzucht", Erziehung, Liebe und Sinnlichkeit an bestimmte Menschen (zumeist Frauen) gesetzt; sie begründet damit die patriarchale Sphärentrennung. Mit der Beseitigung der Arbeit ergibt sich die Möglichkeit, ja besteht die Notwendigkeit, auch die Sphärentrennung in "privat” und "öffentlich” und somit das Patriarchat zu überwinden. Das Herauswinden und -wühlen aus der bestehenden Gesellschaft kann sich nur schrittweise vollziehen. Wir sprechen daher von einer emanzipatorischen Transformation jenseits von Reform und politischer Revolution.

4.  Die von Fetischzwang und patriarchalen Verhältnissen befreite Gesellschaft ist nicht "utopisch". Von einer Utopie sprechen wir, wenn ein sich unabhängig wähnender Geist eine Gesellschaft am Reißbrett entwirft und sich anschickt, seine Hirngespinste an "willenlosem Menschenmaterial" (oder solchem, dessen Wille zu brechen ist) umzusetzen. Somit sind Utopien patriarchal und anti-emanzipatorisch. Gerade die bestehende Waren produzierende Gesellschaft stellt eine verwirklichte bürgerliche Utopie dar und diese wollen wir überwinden. Wir sind also explizit anti-utopisch.
Nicht weniger übel als Utopien ist das sich realistisch dünkende, "fest im Leben stehende” Zeitgeist- und Alltagsbewusstsein des mainstream. Wir verabschieden uns sehr wohl von der Utopie, nicht aber von der Emanzipation, die wir als Bruch mit dem Waren produzierenden Patriarchat begreifen. Emanzipation ist nur negativ aus den bestehenden Verhältnissen zu bestimmen; weder ein "Naturgesetz" noch die "historische Mission der Arbeiterklasse" führt zur befreiten Gesellschaft. Emanzipation wird Ergebnis der Handlungen von Menschen sein, die mit der bestehenden Gesellschaft– also mit Wert/Abgespaltenem, Ware, Geld, Arbeit, Staat- brechen wollen.

5.  Gar nichts halten wir von einem so genannten "Bilderverbot”. Seine Verfechter argumentieren, man dürfe und könne heute überhaupt nichts über die Grundzüge einer emanzipierten Gesellschaft aussagen, da alle Vorstellungen so sehr im Bestehenden befangen seien, dass sie nur Verlängerungen des herrschenden falschen Zustandes darstellen könnten. Die befreite Gesellschaft muss im alltäglichen Leben der Menschen ihren Ausgangspunkt finden. Revolution ist kein einmaliger Akt, kein" Schuss aus der 'Aurora'” und auch kein Mausklick.
Marx widmete sich der Analyse und Kritik des Kapitalismus. Alle Entwürfe einer besseren Welt waren ihm zu recht suspekt. Allerdings dachte Marx erst von einem sich durchsetzenden Kapitalismus aus, nicht von einem global voll durchgesetzten. Wir aber leben heute in der Endphase dieser Gesellschaft. Ihre Überwindung wird direkt unsere Aufgabe sein. Denk- und Handlungsverbote bezüglich emanzipatorischer Überwindungen (nach dem falsch verstandenen, oft zum Dogma gemachten Adorno-Satz: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen.") blockieren kommunistische Kritik.

6.  Unsere Gesellschaft, die Warengesellschaft, wird global vermittelt über das Geld. Es drückt vernutzte Arbeitskraft aus und ist Zentrum eines Produktionsverhältnisses, das auf beständigem Wachstum beruht. Beständiges Wachstum? - Geld ist begrenzt und unbegrenzt zugleich. Begrenzt, weil jeder Mensch nur eine bestimmte begrenzte Menge Geld besitzen kann; unbegrenzt weil es unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, weil man sich nahezu alles dafür kaufen kann bzw. angeblich könnte - von Produkten des täglichen Bedarfs bis hin zu "Anerkennung” "Macht” und "Liebe". Eine über Geld vermittelte Produktion bringt daher aus sich heraus die Figur des "Schatzbildners" (Marx) hervor. Dieser verkauft zwar Waren, gibt das dafür erhaltene Geld aber nicht wieder aus, sondern sammelt es, häuft es zu Hause an, um sich in der Zukunft mehr leisten zu können. Doch dieser Schatzbildner ist ein dummer armseliger Tölpel, der seine Geldscheine unter dem Kopfkissen hortet. Weit klüger als er ist ein anderer: Der Kapitalist als Funktionsträger der Verwertungsbewegung. Er hortet sein Geld nicht, sondern gibt es aus. Aber er gibt es nicht aus, um es zu verprassen, sondern er investiert - er kauft mit seinem Geld Produktionsmittel und die Ware Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft wird in der Kombination der Produktionsmittel zur Herstellung von Waren vernutzt, die auf dem Markt gegen Geld getauscht werden. Und zwar gegen mehr Geld, als der Kapitalist zum Ankauf von Arbeitskraft und Produktionsmitteln eingesetzt hat, da die Ware Arbeitskraft als einzige Ware in der Lage ist, einen Mehrwert, d.h. mehr als zu ihrer Reproduktion nötig ist, zu produzieren. Somit erhält der Kapitalist mehr Geld als er vorher hatte, ist also der cleverere Schatzbildner. Einen Großteil seines Gewinns gibt er wiederum aus, um noch mehr Geld einzustreichen und der Kreislauf beginnt von vorn. Als Geldkapitalist schließlich verzichtet er auf die Produktion und begnügt sich damit, sein Geld Anderen, die damit produzieren wollen, zu verleihen. Dafür erhält er als eigenen Gewinn den Zins, der der Preis des Geldes in Kapitalform ist und seinem Wesen nach einen Abzug vom industriell geschaffenen Mehrwert darstellt. Das Geldkapital ist logisches Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, es resultiert aus der strukturellen Teilung des Kapitals.
In der Warengesellschaft ist Bedürfnisbefriedigung bloßes Nebenprodukt der Kapitalverwertung. Produziert wird einerseits nur, was sich zu Geld machen lässt. Bedürfnisse von Menschen ohne Geld bzw. Bedürfnisse, die sich nicht oder nur schwer in Geld ausdrücken lassen (Gefühle bspw.) finden keine Berücksichtigung. Produziert wird andererseits alles, was sich zu Geld machen lässt – selbst wenn diese Waren die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen oder direkt deren Leben zerstören (z. B. Waffen.)
Geld ist also keine nützliche, sinnvolle Angelegenheit, die den notwendigen Austausch der hergestellten Güter erleichtert, sondern ein gefährliches, ja hoch brisantes gesellschaftliches Verhältnis, das Menschen im Kapitalismus über den Weltmarkt zusammenschließt. Sie können damit über ihre Gesellschaft nicht selbst bestimmen – etwas von ihnen selbst geschaffenes herrscht über sie. Wir sprechen daher von einem fetischistischen Verhältnis.

7.  Eine Gesellschaft, die sich über Geld vermittelt, ist explizit patriarchal. Die Verselbständigung einer verwertenden Sphäre der Arbeit, des Geldes und der Ware macht es nötig, dass sich jenseits dieser Sphäre eine andere, ihr scheinbar entgegengesetzte Sphäre etabliert: die "abgespaltene Sphäre” der "Reproduktion", der "Aufzucht" von Kindern, der Erziehung, der Sinnlichkeit. Dieser Bereich wurde historisch Frauen zugewiesen. Die Trennung in die beiden genannten Sphären begründet das patriarchale Geschlechterverhältnis des Kapitalismus. Seine Durchsetzung lässt sich als warengesellschaftliche Reorganisation des Patriarchats beschreiben. Sie knüpft an vorkapitalistische patriarchale Verhältnisse, die tradierte Unterordnung und Unterwerfung der Frau durch bzw. unter den Mann an und gestaltet sie neu als Herrschaft des männlichen Verwertungsprinzips über die als weiblich bestimmte abgespaltene Sphäre.
Der abgespaltene Bereich ist dabei nichts Angenehmes, Positives und liegt nicht außerhalb der Warengesellschaft, sondern ist vielmehr ihr Fundament. Der Kapitalismus lässt sich daher als Waren produzierendes Patriarchat bestimmen.

8.  Eine emanzipierte Gesellschaft ist somit eine, die sich nicht über Geld vermittelt und in der das patriarchale Geschlechterverhältnis überwunden ist. In einer solchen Gesellschaft können Menschen weltweit durch direkte Absprache ihr Leben gestalten. Sie müssen aber nicht auf alles Einfluss nehmen, sondern wirken nur in denjenigen Bereichen der Gesellschaft mit, die sie tatsächlich selbst beeinflussen wollen. Die Art der Produkte und die Weise ihrer Herstellung können sie dabei selbst bestimmen. Produktion und Reproduktion zerfallen hier nicht mehr in zwei sich ausschließende und gleichzeitig gegenseitig bedingende Sphären. Mit der Entkopplung vom Wert und seinem Ausdruck, dem Geld, entfällt die Aufspaltung in Wertsphäre und abgespaltene Sphäre.

9.  Daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte einer möglichen gesellschaftlichen Praxis. Sie muss auf allen Ebenen ansetzen, auf denen das Waren produzierende Patriarchat in seine finale Krise gerät. Diese -nur analytisch voneinander zu trennenden- Ebenen sind: 1.) Krise der gesellschaftlichen Reproduktion, 2.) Krise des Mensch-Natur-Verhältnisses, 3.) Krise der Produktion, Verschwinden der Arbeit. An diesen zentralen gesellschaftlichen Konfliktlinien muss eine Überwindungsbewegung agieren.

9.1  Die Krise der gesellschaftlichen Reproduktion stellt sich wie folgt dar: Systematisch erfasst die geldvermittelte Warenproduktion auch die als "abgespalten” bestimmte Sphäre; die den Frauen zugewiesenen Bereiche werden also zunehmend monetarisiert (= vergeldlicht). Kindererziehung, Partnerschaft, Sexualität und Fürsorge werden dann immer häufiger gegen Geld verrichtet. Diese Tätigkeiten können qualitativ allerdings nicht betriebswirtschaftlicher Zeitsparlogik unterworfen werden; wird dies versucht, ändert sich der Charakter dieser Tätigkeiten grundlegend. In Zeiten allseitiger Flexibilisierung lösen sich traditionelle Institutionen wie die Familie auf. Übrig bleiben bindungsunfähige, paralysierte und deprimierte Single-Monaden. Damit ist folgendes verbunden: Die reproduktiven Tätigkeiten werden dann nicht mehr verrichtet, wenn die Menschen sie sich nicht mehr leisten können; die noch geborenen Kinder verwahrlosen. Wenn aber keine Menschen mehr hervorgebracht werden, die sich für die Zwecke der Verwertung abrackern können und wollen, bricht die Reproduktion der menschlichen Gattung zusammen. Der Ausweg aus dem Verfall der Reproduktionssphäre besteht gerade nicht darin, patriarchal die Erhaltung der Familie oder die Rückkehr der Frau an den Herd zu fordern, wie es einer rechtskonservativen Sichtweise nahe läge. Vielmehr müssen sich antipatriarchale und antisexistische Gruppen, Initiativen und Bewegungen etablieren, die eine nicht-patriarchale Reproduktion, eine Überwindung der Sphärentrennung, verwirklichen wollen. Diese Gruppen müssen gleichzeitig gegen die oben skizzierten konservativen, restaurativen und sexistischen Bestrebungen agieren.

9.2  Die selbstzweckhafte Wertproduktion bringt umfassende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen hervor. Der Grund dafür liegt in der oben beschriebenen entfesselten, blinden Wachstumslogik, die auf menschliche Bedürfnisse und Lebensgrundlagen keinerlei Rücksicht nehmen kann. Diese Zerstörung tritt uns als globale Krise der Ökosphäre entgegen und bringt seit Ende der 70er Jahre auch eine daran orientierte Kritik hervor. Das Bewusstsein von dieser Bedrohung ist keineswegs prinzipiell reaktionär. Vielmehr gilt: "Bleibt es seinem Anliegen treu, so treibt das ökologische Bewußtsein aus seiner eigenen Logik heraus in eine ähnliche Richtung wie der wertkritische Ansatz...” (Ernst Lohoff: Krise und Befreiung - Befreiung in der Krise, in: Krisis 18).
Der Protest gegen die Umweltzerstörung muss wertkritisch radikalisiert und über sich hinausgetrieben werden. Ein möglicher Ansatzpunkt hierfür wäre eine radikale Kritik der automobilen Gesellschaft: "Die destruktiven Tendenzen der warenfetischistisch verfassten Gesellschaft treffen beim Themenkreis Mobilität(-szwang) und Automobil in fast 'idealer' Weise aufeinander. Hier begegnet uns ein hochexplosives Selbstzerstörungspotential - und zwar gleichzeitig unter ökologischen, ökonomischen wie psychologischen Gesichtspunkten”. Daher "bieten sich kaum sonstwo so viele praktische Angriffsmöglichkeiten gegen die schöne Maschine der blinden Wertverwertung als gerade auf diesem Gebiet. Und zwar durchaus mit der Aussicht darauf, 'die Massen zu ergreifen', d.h. zur realen, eingriffsfähigen Bewegung zu werden” (Lothar Galow-Bergemann: Selbst-Bewegung statt Auto-Mobilismus - Zur Perspektive einer Bewegung gegen den Mobilis-Muss als emanzipatorischer Praxis, in: Streifzüge 2/2002).

9.3  Die kapitalistische Produktion lässt zusehends die Arbeit verschwinden. Innovationen im Bereich der Mikroelektronik haben einen riesigen Produktivkraftschub erzeugt. So werden Menschen in der kapitalistischen Produktion immer weniger gebraucht, immer mehr Arbeitsplätze werden abgeschafft, durch nicht-menschliche Produktivkräfte (Maschinen, Software...) ersetzt. Letztes Jahr (2002) wurden in der BRD monatlich 22 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert. Heute (2003) sind es monatlich 62 000 (Wirtschaftswoche Nr. 17). Auch im allseits (bspw. von Thomas Ebermann und Rainer Trampert, den linksradikalen Gesundbetern des Kapitalismus) als Vorbild hingestellten China ist nichts von der Morgenröte eines erneuerten Kapitalismus zu erblicken. Dort steigerte sich die Arbeitslosigkeit von 2,3 % im Jahr 1991 auf 3,6 % im Jahr 2001 (http://laborsta.ilo.org). Die Folge davon ist, dass immer mehr Menschen ohne Arbeit, also ohne Einkommen und somit perspektivisch ohne Überlebensmöglichkeit vegetieren müssen. "… soziale Härte hat es immer gegeben, aber sie stieß immer auf Grenzen, weil die von den Menschen geleistete Arbeit… unentbehrlich war… Zum ersten Mal ist die Masse der Menschen… materiell nicht mehr notwendig und wirtschaftlich erst recht nicht”. Deshalb "brechen die Grenzen zusammen. … Nie zuvor war das Überleben der gesamten Menschheit derart bedroht” (Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie).
Da sich die mikroelektronische Revolution nicht rückgängig machen lässt (und dies ist auch überhaupt nicht wünschenswert, schließlich kann Automatisierung viele lästige Tätigkeiten aus der Welt schaffen), muss heute der Kampf gegen die Arbeit im Zentrum von Gesellschaftskritik stehen. Weder eine technizistische Utopie (in der eine"große Maschine" alle ernährt), noch stetiges Schuften von Kleinproduzenten sollte das Ziel sein. Vielmehr muss eine Form der Produktion gefunden werden, die nicht über Geld und Arbeit vermittelt wird, d. h. eine, die den Menschen eine direkte Form der Befriedigung ihrer Bedürfnisse erlaubt. Materielle Forderungen sind also nicht mehr in monetärer Form zu stellen, sondern direkt zu formulieren. Perspektive wäre eine direkte Aneignung von Wohnraum, Boden und eine selbst organisierte Re-Produktion (vgl. Gaston Valdivia: "Zeit" ist Geld und Geld ist "Zeit", in: Krisis 19).
Die soziale/ kommunistische Revolution ist ein schrittweises Lostrennen der neu geschaffenen "frei assoziierten Reproduktionsgenossenschaften" (Robert Kurz spricht vom"Welt-Kibbuz") von der immer krisenhafter werdenden Warengesellschaft. Die Negation des Waren produzierenden Patriarchats geschieht nicht auf dem Papier, sondern wird von handelnden Menschen in der Wirklichkeit vollzogen. Merkmale derartiger Assoziationen müssten sein:

1) wertfreie, nicht-monetäre Vermittlung im Inneren,
2) monetäre Beziehung nach außen (da viele menschliche Grundbedürfnisse anfangs nicht ohne Geldvermittlung befriedigt werden können),
3) klare, rigide und andauernde Trennung von äußerer Verwertungslogik und innerer Nutzungslogik,
4) Ausrichtung auf Ausweitung des wertfreien Innenbereichs und Reduzierung des monetären Außenbereichs (wobei der "Innenbereich" die gesamte globale wertfreie kommunistische Vernetzung umfassen kann und der"Außenbereich" die ebenfalls globalen Reste der kapitalistischen Produktion),
5) eine Überwindung geschlechtshierarchischer Beziehungen,
6) radikaler Kampf um "Verfügbarmachung" und "Entwertung" des Menschheitswissens (vgl. Stefan Meretz: Die freie Gesellschaft als Selbstentfaltungs-Netzwerk).

Aus diesen Merkmalen ist ersichtlich, dass in diesen Assoziationen kein "richtiges Leben im falschen" gelebt wird, dass sich in ihnen niemand vom "harten Dasein" zurückziehen kann, um seine "heile Welt" zu errichten.

10.  In der finalen Krise ergibt sich also auf den genannten drei Ebenen die Möglichkeit, die das menschliche Leben bestimmenden Verhältnisse (Geschlechterverhältnis, Verhältnis zur Natur, Art der Herstellung von Gütern) dem blinden Fetischzwang zu entreißen und in menschlichere Verhältnisse umzugestalten. Mit der Globalisierungskritik begegnet uns erstmals seit langem eine Form des Protests, die wieder materielle Forderungen stellt, sich nicht mit kultureller Opposition begnügt und die zudem von Anbeginn transnational gestaltet ist, also nicht nachträglich "international” gebündelt werden muss (vgl. Ernst Lohoff: Antikapitalistisches Frühlingserwachen, in Krisis 24).

Gesellschaftskritische Praxis darf nicht länger partikular sein. Sie muss eine Kritik an der selbstzweckhaften Produktionsweise, am Geschlechterverhältnis und an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sein. In der gegenwärtigen historischen Situation muss kommunistische Gesellschaftskritik die oben skizzierten Konflikte theoretisch formulieren und die Gesellschaft entlang dieser Konfliktlinien polarisieren. So treibt sie die soziale Revolution voran – alles andere ist Quark.

Wertkritische Kommunisten Leipzig, 07. August 2003

Editorische Anmerkungen

Die AutorInnen schickten uns diesen als Flyer erschienen Text mit der Bitte um Veröffentlichung in der Nr. 9-03.