Aus Betrieb & Gewerkschaft 
Süßwarenhersteller Nappo wollte 60-Stunden-Woche einführen


Von Dietmar Henning
09/04

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Die Erpressung der Belegschaften in deutschen Unternehmen treibt derzeit maßlose Blüten. Nachdem die beiden Großkonzerne Siemens und DaimlerChrysler unter Androhung von Massenentlassungen massive Lohnsenkungen gefordert und von IG Metall und Betriebsrat zugestanden bekommen haben, fühlen sich auch kleinere Betriebe ermutigt, längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne und eine gesteigerte Arbeitshetze durchzusetzen.
Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung verzeichnet die Stadt Krefeld. Dort hat die Nappo Dr. Helle GmbH versucht, die 60-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich einzuführen. Nach einer Intervention der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) wurde schließlich die 50-Stunden-Woche vereinbart.

Am 13. Juli erklärte Nappo-Geschäftsführer Berndt Bleser auf einer Betriebsversammlung, das Unternehmen habe im vergangenen Jahr einen Verlust von 2,19 Millionen Euro eingefahren und habe daher Schwierigkeiten, neue Kredite bei den Banken zu erhalten. Er kündigte an, für die 150 Beschäftigten, überwiegend Frauen aus Osteuropa und Asien, werde demnächst die wöchentliche Arbeitszeit von den tariflich vereinbarten 38 auf 60 Stunden verlängert - ohne Lohnausgleich und befristet auf drei Monate.

Einen Beweis für die Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme blieb der Geschäftsführer schuldig. Der Hersteller der weltweit bekannten Nappo-Raute (Werbeslogan: "Sehr lecker sehr lange") sowie von Müsli-Riegeln für Kellogg's und Aldi befindet sich schon jetzt inmitten der Weihnachtsproduktion. Die Auftragsbücher sind angeblich voll, selbst Aufträge aus Kanada und den USA lägen vor, es würden jedoch ausreichend finanzielle Mittel fehlen, um Rohstoffe zur Herstellung der Süßigkeiten zu kaufen.

Es ist offensichtlich, dass entweder die Geschäftsführung oder die Banken die Gunst der Stunde nutzen wollten, um die Nappo-Beschäftigten zu erpressen. "Wenn Sie nicht mitziehen, müssen wir den Laden schließen", behauptete Bleser vor den versammelten Arbeiterinnen.

Nachdem Anfang August die regionale und überregionale Presse sowie Radiosender über das Vorgehen bei Nappo berichtet hatten, verbreiteten die beiden Geschäftsführer - neben Berndt Bleser auch sein Bruder Arndt - eine Stellungnahme, in der es heißt, die "als so genannte,Einführung der 60-Stunden-Woche bei Nappo‘ betitelte Maßnahme" sei auf der "Betriebsversammlung nicht nur besprochen, sondern mit allen Mitarbeitern einvernehmlich beschlossen" worden. "Diese kurzfristige Maßnahme wurde vor dem Hintergrund der neuen Kreditvergabepolitik der Banken ergriffen, da ohne Absenkung der Arbeitskosten keine weiteren Finanzierungsmittel zur Verfügung gestellt werden können."

Der Vorschlag zur Einführung der 60-Stunden-Woche sei sogar aus der Belegschaft selbst gekommen, schrieben unter anderem die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung.

Doch offensichtlich handelte es sich um ein abgekartetes Spiel zwischen Geschäftsführung und Schichtleitung. Denn nicht die Belegschaft, sondern die Schichtleiterin hatte die 60-Stunden-Woche vorgeschlagen. Die eingeschüchterten Frauen hatten daraufhin kein Wort gesagt. So kam es zur angeblich "freiwilligen" und "einvernehmlichen Vereinbarung". Dass die Beschäftigten damit nicht einverstanden waren, zeigt allein schon der Umstand, dass sie die Presse informierten.

Mitte Juli, eine Woche nach der ersten Betriebsversammlung, strich Nappo sämtliche Zuschläge für Überstunden und Sonderzahlungen und halbierte das Weihnachtsgeld. Nach einer weiteren Betriebsversammlung am 21. Juli führte die Geschäftsleitung überdies generell die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich ein. Ab 2. August trat dann die 60-Stunden-Woche in Kraft. Die Beschäftigten mussten 12 Stunden am Tag arbeiten.
Die Sekretärin der zuständigen Gewerkschaft, der örtlichen NGG, Brigitte Bresser, rechnete vor, dass die Beschäftigten der Lohngruppe A (der die meisten Nappo-Beschäftigten angehören) durch die dreimonatige 60-Stunden-Woche und die Weihnachtsgeld-Halbierung einen Verlust von 1576 Euro erleiden würden - bei einem Brutto-Monatsverdienst von rund 1400 Euro. Sie hatte an der Betriebsversammlung vom 21. Juli teilgenommen und sich um "eine einvernehmliche Lösung" bemüht, wie es bei der NGG heißt.

Der Betriebsrat hatte die 12-Stunden-Schichten abgelehnt und die Geschäftsführung aufgefordert, sich an das Arbeitszeitgesetz und Tarifverträge zu halten. "50 Stunden pro Woche mit Überstunden-Zuschlägen und ein Arbeitszeitkonto mit Ausgleich in besseren Zeiten haben wir angeboten, vergeblich", sagt der Betriebsratsvorsitzende Silvio Hasemann. "Der Betriebsrat ist praktisch funktionslos."

Nach wenigen Tagen stoppte schließlich das von der Gewerkschaft eingeschaltete Mönchengladbacher Amt für Arbeitsschutz die 60-Stunden-Woche. Erst jetzt war die Nappo-Geschäftsführung bereit, mit dem Betriebsrat zu verhandeln.

"Der Betriebsrat und die Geschäftsführung haben am 4. August eine betrieblich notwendige interne Betriebsvereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung bewegt sich im gesetzlichen und tariflichen Rahmen," heißt es knapp in einer Pressemitteilung des Unternehmens.
Doch weder der Betriebsratsvorsitzende Silvio Hasemann noch der Geschäftsführer Berndt Bleser wollen Details der Betriebsvereinbarung verraten. Nur soviel ist klar: Es werden an fünf Tagen die Woche jeweils 10 Stunden gearbeitet, von 6 Uhr morgens bis 16.45 Uhr am frühen Abend. Freiwillig kann auch am Samstag von 6 bis 14 Uhr gearbeitet werden.
Mit anderen Worten, das Eingreifen der Gewerkschaft hat eine Reduzierung der 60-Stunden-Woche auf 50 oder sogar nur auf 58-Stunden pro Woche ergeben. Die Vereinbarung bewegt sich damit im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes und der Tarifpolitik der NGG. Ob und wenn ja wann die Überstunden und die Überstundenzuschläge bezahlt werden, ist nicht herauszubekommen. Für die WSWS war Betriebsrat Hasemann nicht zu sprechen.
Auch die Beschäftigten sind offensichtlich eingeschüchtert worden und haben Angst, überhaupt etwas zu sagen. Bei einem Besuch des Werks, traute sich niemand, zu Einzelheiten zu sprechen: "Ich sage dazu nichts", "Kein Kommentar", "Was soll man machen?" war alles, was herauszubekommen war. Auch das Fernsehmagazin Monitor war erfolglos. Eine Arbeiterin sagte den Reportern: "Entweder machst du's oder du gehst." Ein Arbeiter antwortete auf die Frage, warum er nichts sagen wolle: "Ihr Job oder mein Job?"
Für die NGG-Sekretärin Bresser "ist die Sache jetzt erst einmal erledigt." Sie gehe davon aus, dass die gesetzliche Höchstgrenze von zehn Stunden bei Nappo eingehalten werde. Sie werde in den nächsten Wochen ein Auge auf Nappo haben. "Aber vorerst ist jetzt Ruhe."

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 17. August 2004 und ist eine Spieglung von der World Socialist Web Site (www.wsws.org) - www.wsws.org/de/2004/aug2004/napp-a17.shtml