Warum es sich gehört, gegen Hartz IV zu demonstrieren! 09/04

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Sie werden es sicher schon mitbekommen haben: auch in Hamburg wird jetzt jeden Montag gegen Hartz IV demonstriert.

Hartz IV – das ist ein Teil der berüchtigten „Agenda 2010“ mit dem erklärten Ziel der massenhaften Verarmung der Bevölkerung. Hartz IV sieht die Einrichtung „moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vor - Dienstleistungen, die darin bestehen, durch „Fordern und Fördern“ Menschen, die den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt verloren haben, ihren Lebensunterhalt zusammenzustreichen und sie – bei Strafe weiterer Kürzungen – zu „zumutbarer“ Arbeit anzuhalten, zu denen besonders die berüchtigten „Ein-Euro-Jobs“ zählen.

Wahrscheinlich werden Sie bisher gedacht haben, das betrifft Sie alles nicht. Natürlich: solange Sie sich noch auf dem Arbeitsmarkt bewähren, die Praxisgebühr beim Arzt noch aus eigener Tasche zahlen können und nicht zum Arbeits- oder Sozialamt müssen, sind Sie zumindest von den direkten Auswirkungen der anstehenden Reformen erst einmal verschont.

„Wir sind das Volk!“ – ein Argument gegen Hartz IV?

Auf den Demonstrationen gegen die Hartz-Reformen hört man immer wieder Parolen wie „Wir sind das Volk“ oder „Weg mit Hartz IV – das Volk sind wir“. Damit soll zum Teil wohl an die Tradition der „Montagsdemos“ angeknüpft werden, die sich damals gegen das Regime der DDR richteten.

Ob die Parole „Wir sind das Volk“ damals tatsächlich den Untergang der DDR herbeigeführt hat oder ob der nicht an ganz anderer Stelle beschlossen wurde, lassen wir mal dahingestellt. Aber - was haben solche Parolen auf einer Anti-Hartz-Demo zu suchen?

Vielleicht sollte sich mal jeder, bevor er leichtfertig in den Chor der Massen einstimmt, kurz daran erinnern, was es eigentlich heißt, „Volk“ zu sein: in einer Zwangsgemeinschaft von Untertanen für Deutschlands „Platz an der Weltspitze“ (Schröder) in die Pflicht genommen zu werden, dem Staat schon gar nicht auf der Tasche liegen zu dürfen und dafür alle vier Jahre eure Herrscher zu wählen   – wollt Ihr euch wirklich dazu auch noch bekennen? Wenn ja, was habt Ihr dann eigentlich noch gegen die Hartz-Reformen? – Also, da müsst Ihr euch  schon entscheiden!

Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, wie lange Sie Ihren Arbeitsplatz noch behalten werden? Und wenn ja, wie lange werden Sie davon noch leben können? Und glauben Sie wirklich, das hängt von Ihrem persönlichen Einsatz ab? Wo auch immer Sie arbeiten – ob in Bank, Versicherung, öffentlicher Verwaltung, Krankenhaus oder Produktion - wie lange wird es dauern, bis man auch Ihnen eröffnet, dass wegen dringender Kosteneinsparungen, etwa im Rahmen der Privatisierung öffentlicher Betriebe, diesmal leider auch Ihr Arbeitsplatz wegfallen muss? Oder dass das Einzelhandelsgeschäft, in dem Sie jahrelang gearbeitet haben, nun leider seine Pforten schließen muss, weil die Leute kein Geld mehr zum Einkaufen haben? Oder dass sich die Auslagerung Ihres Arbeitsplatzes in Billiglohnländer für Ihren Arbeitgeber lohnt und daher selbstverständlich unvermeidbar ist, wenn Sie nicht zu unbezahlter Mehrarbeit bereit sind und auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten? – Sie glauben, der DGB hätte Ihren Job durch einen "Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen" sicher gemacht? Dann warten Sie mal, wie schnell Sie demnächst "rausfluktuiert" werden, z.B. wenn der Betrieb an der Leistungsschraube dreht, massenweise Überstunden anordnet und Sie einfach nicht mehr mithalten können.

Und wenn Hartz IV erst einmal in Kraft ist, werden in etlichen Bereichen genügend Arbeitskräfte bereitstehen, die Ihre Arbeit für einen oder zwei Euro pro Stunde erledigen – sonst wird denen nämlich das Arbeitslosengeld II gestrichen. - Machen Sie sich nichts vor: von der Neuregelung ist jeder betroffen.

Es wird immer gesagt, die Einschnitte ins soziale Netz wären aus verschiedenen Gründen notwendig:

·         „Die Kassen sind leer.“ Die Kassen sind  leer – wofür? Weltweite Militäreinsätze können doch offenbar bezahlt werden! Und großzügige Abschreibungsmöglichkeiten für die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer – auch kein Problem! Die Einkommen der Besserverdienenden sind oberhalb einer moderaten Bemessungsgrenze von Sozialabgaben freigestellt! Die Prunkbauten der geplanten Hamburger „Hafencity“ scheinen am Geld ebenfalls nicht zu scheitern – das Taschengeld für Altersheimbewohner offenbar schon eher. Wovon die dann beispielsweise Arztfahrten, Zeitschriften oder gar ab und zu einen Ausflug bezahlen sollen, ist  ja nicht das Problem des Senats. – Die Wahrheit ist: Nicht das Geld fehlt, sondern es ist für die Versorgung der Menschen offenbar nicht vorgesehen. Und dafür sollen Sie Verständnis haben?

·         „Harz IV schafft Wachstum und Beschäftigung.“  Das Erstere mag ja stimmen: Je mehr ein Arbeitsplatzverlust die Existenz des Einzelnen bedroht, desto besser können die Arbeitgeber ihre Beschäftigten dazu erpressen, immer länger für immer weniger Lohn zu arbeiten. Dadurch steigt natürlich ihr Gewinn – aber seit wann kommen dabei mehr Arbeitsplätze heraus? Seit wann ist es Zweck der Unternehmer, für Beschäftigung zu sorgen? Löhne sind schließlich Kosten, die nach Möglichkeit gesenkt werden. Und so haben es die Unternehmer auch immer gehalten: ihre Gewinne haben sie dazu genutzt, um ihre Lohnkosten zu senken – einerseits durch Rationalisierung und Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer, andererseits durch Drohung mit eben diesen Maßnahmen, um die verbliebenen Arbeitskräfte zum Lohnverzicht zu erpressen. - Wenn „Beschäftigung“ nur um den Preis fortwährender Verarmung zu haben ist – wäre es dann nicht vernünftiger, sich einmal dafür einzusetzen, was Lohn- und Sozialleistungsabhängigen am allermeisten fehlt: mehr Geld? Oder sehnen Sie sich etwa nach einem „Jobwunder“ wie in den USA, wo die Menschen gleich mehrere Jobs haben und sich trotzdem keine Wohnung leisten können?

·         „Der Sozialstaat muss umgebaut werden, damit er erhalten bleibt.“ An den Sozialsystemen wird schon seit jeher andauernd herumreformiert – mit dem durchschlagenden Erfolg, dass z.B. Obdachlosigkeit, Kinder- und Altersarmut ständig zugenommen haben und Gesundheit mittlerweile zu einem „hohen Gut“ geworden ist, das für mittellose Menschen immer schwerer zu erlangen ist. Und jetzt, da die Politiker den Sozialstaat selber für unzeitgemäß erklären, sollen Sie sich ausgerechnet um dessen Erhalt Sorgen machen – statt sich einmal zu fragen, was von einem Wirtschaftssystem, dass ständig Armut produziert, zu halten ist?

In einem Land, in dem die Arbeitsproduktivität höher ist als jemals zuvor, das es zum Exportweltmeister gebracht hat, sich Militäreinsätze in aller Welt leisten kann und zur Führungsmacht eines ganzen Kontinents geworden ist – und dessen Regierung dann behauptet, noch nicht einmal den elementaren Grundbedarf seiner Bevölkerung sicherstellen zu können – in so einem Land muss sich etwas ganz anderes ändern als das Sozialsystem.

Der Kampf gegen Hartz IV ist nur ein Anfang. Lasst uns damit beginnen!

Montagsdemo „Weg mit Hartz IV!“
Montag, 13.9. 18 Uhr Hachmann Platz (Hbhf./Schauspielhaus)

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von der Redaktion AndersGesehen (redaktion@anders-gesehen.de) am 10.9.2004 zur Veröffentlichung überlassen.