Von den kleineren Übeln
Zur Diskussion über eine neue Partei

von der
Gruppe gewerkschaftlicher SozialistInnen, Würzburg
09/04

trend

onlinezeitung
In der öffentlichen Diskussion hat die Idee einer neuen Parteigründung längst Gestalt angenommen. Über mangelnde mediale Präsenz kann sich die Wahlalternative 2006 sicher nicht beklagen. Die aktuellen Meinungsumfragen sehen ein Potential, das rein rechnerisch den Einzug in die Parlamente nicht als unmöglich erscheinen lässt. Und trotzdem stellen sich ein paar Fragen, die unseren Erachtens noch nicht ansatzweise diskutiert worden sind.

Was will die Wahlalternative?

Was, zunächst, will die neue Partei eigentlich? Will sie die Regierung stürzen? Wenn sie mit 5 oder 10 Prozent in den Bundestag einzieht, wird sie das wahrscheinlich. Oder aber sie koaliert mit der SPD. Aber will sie überhaupt regieren?

Was wird aus der oppositionellen Partei, wenn die SPD auch der nächsten Wahl in auch in die Opposition kommt? Steht nicht zu befürchten, dass die Wahlalternative als Organisation sich dann schneller wieder auflösen könnte, als sie aufgestiegen war?

Und was, bitte, will die Partei eigentlich im Parlament? Die gesamte Richtung der deutschen Politik verändern wird man mit 10 Prozent nicht können. Oder will man die grossen Parteien dazu zwingen, „sich wieder verstärkt sozialen Themen zuzuwenden“, wie irgendwo zu lesen war? So wie die Grünen angeblich die anderen Parteien gezwungen hätten, „sich ökologischen Themen zuzuwenden“, wie etwa dem Dosenpfand?

Das wäre wohl keine sonderlich vorwärtsgerichtete Strategie. Noch wissen wir also nichts über die neue Partei ausser das, was in ihrem Programm steht: dass sie gegen eine ganze Reihe Dinge ist, gegen die wir auch sind. Aber ist die Parteigründung deshalb ein sinnvoller, ein erfolgversprechender Ansatz? Das ist Frage Nummer eins.

Kleineres Übel neuen Typs

Wir für unseren Teil, wir geben es zu, unterstützen diese Partei nicht. Sie ist, auf eine ganz eigentümliche Art, auch ein kleineres Übel. Sie ist nur ein schlechter Ersatz für soziale Mobilisierung. Zur Erinnerung: anderswo, in Frankreich und Italien, gab es Massenstreiks gegen viel weniger extreme Angriffe der Regierung auf die Rechte der Arbeiter. Hier kaum.

Nach der Regierungserklärung vom März 2003, in der Schröder die später so genannte Agenda 2010 verkündete, haben wir zu recht grosse Hoffnungen auf Schweinfurt gesetzt. In der Tat gab es hier Arbeitsniederlegungen. Wir hatten gehofft, das könnte eine Initialzündung werden für eine Wiederauferstehung der Arbeiterschaft als eines politischen Faktors. Wir alle wissen, dass daraus nichts wurde.

Die Schweinfurter IG Metall blieb relativ allein mit ihrer entschiedenen Linie. Bundesweit geriet die IG Metall nach dem Desaster des Streiks im Osten in die Defensive, gespalten und bis zur Handlungsunfähigkeit geschwächt.

Wir haben auch die persönliche Geradlinigkeit des 1. Bevollmächtigten Klaus Ernst begrüsst. Er und einige andere haben später dem immensen Druck von Seiten der SPD standgehalten und die SPD-Führung tatsächlich herausgefordert in einer Weise, wie dies sicher lange vorher nicht mehr geschehen war.

Früher galt es als bekannt, dass neue Bewegungen sich neue Führungsfiguren erschaffen. Jetzt müssen wir mitansehen, wie die Wahlalternative dabei ist, sich Oskar Lafontaine ins Boot zu holen. Zur Begründung wird vorgetragen, eine bekannte Galionsfigur sei unentbehrlich, um in der „Mediendemokratie“ gehört zu werden.

Wie lange ist es her, dass der „Spiegel“ Klaus Ernst zum neuen charismatischen Führer der Arbeiterbewegung ausgerufen hat? Es mag sein, dass man sich vom „Spiegel“ nicht seine politischen Entscheidungen diktieren lassen sollte. Aber wirklich albern ist es, Politrentner wie Lafontaine von ausserhalb anzuwerben für einen Job, den man selber besser könnte. Ganz offenbar unterschätzt die Wahlalternative ausserdem die Gefahr, die davon ausgeht, sich von einem Menschen wie Lafontaine abhängig zu machen. Wer ist dieser Oskar Lafontaine? Frage Nummer zwei.

Aus dem Leben eines Taugenichts

Oskar Lafontaine, den irgendjemand mal zum Linken ernannt hat, begann seine politische Karriere als „Modernisierer“. Er hat 1988 schon den Weg für Gerhard Schröders Politik gebahnt. Wer damals schon dabei war, sollte es wissen. Der Weg der SPD zu Schröder führte über Saarbrücken.

Von seiner damaligen Idee der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zu dem Konzept eines Niedriglohnsektors, das er als Finanzminister verfocht, führt ein gerader Weg. Man sollte nicht vergessen, dass er schon 1998 gefordert hat, die Arbeitslosenversicherung auf das Bedürftigkeitsprinzip der Sozialhilfe umzustellen. Das ist heute der Grundgedanke von Hartz IV. Mit Lafontaine gegen Hartz IV: Herzlichen Glückwunsch.

Lafontaine hat in den 1990ern massgeblich den Rechtsrutsch der SPD betrieben. Die Abschaffung grosser Teile des Asylrechts, die Durchlöcherung von Grundrechten im Zuge des „Lauschangriffs“: er war immer vorne dabei. Die nationalistische Färbung seines Populismus ist nie etwas gewesen, was der Linken genützt hat. Sie ging immer auf Kosten der Ärmsten der Armen, auf Kosten der freiheitlichen Errungenschaften, auf Kosten der Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften.

Leider ist es allerdings mit der programmatischen Eindeutigkeit der Wahlalternative auch nicht weit her. Im Programm steht kein Wort von den Rechten der MigrantInnen, kein Wort vom Asylrecht, kein Wort von Abschiebungen. Nichts erfahren interessierte LeserInnen über die Haltung der Partei zu Verschärfungen des Strafrechts, nichts zu den Grundrechten, zum Staatsbürgerschaftsrecht. Die SPD August Bebels war auch eine Arbeiterpartei (mit auch nur 2 Mandaten am Anfang) und hatte zu vergleichbaren Themen sehr genaue Ansichten.

Man bekommt nicht den Eindruck, als sei diese Wahlalternative ein machtvoller neuer Aufbruch, sondern ein hilfloses Rückzugsgefecht unter vielen. Die Initiatoren verzichten auf ein Profil mit Kanten zu Gunsten einer Linie, hinter der sich viele sammeln können. Und weiter? Wir können das alles immer nur noch einmal mit Bebels SPD vergleichen. Und finden statt der Klarheit und der Entschiedenheit einer Partei, die sich die Sache einer Klasse auf die Fahnen geschrieben hatte, nur ein Schwanken zwischen Protest und Populismus. Warum? Frage Nummer drei.

Wieviele Divisionen hat der Papst?

Die Wahlalternative steht damit nicht allein. Das Geschäft der Verunklarung wird mittlerweile überall mit besonderer Vorliebe getrieben. Von ATTAC hat man gelernt, dass eine Albernheit wie die künstliche Empörung über Managergehälter hervorragend vom Desaster bei Daimler in Stuttgart ablenken kann – so, als ob es uns irgendwie interessieren müsste, wie die KapitalistInnen untereinander ihre Geschäfte regeln. In der Friedensbewegung glaubt man gelernt zu haben, dass es möglich ist, Massen auf die Strasse zu kriegen, wenn die Forderungen nur vage genug sind. Vage und populistisch: nicht um Arbeiterinteressen geht es da, sondern um höheres: um die Moral, um „das Land“, ums Prinzip meinetwegen. Mit der so eingelernten falschen Empörung ist aber die Arbeiterbewegung nicht zu ersetzen.

Die Gewerkschaften setzten in der Fläche auf breite soziale Bündnisse: aber ihre eigene Kerntruppe bleibt ruhig. Wieviele Divisionen hat der Papst? Und wie viele die Wohlfahrtsverbände? Viele haben Grund, gegen die Offensive des Kapitals zu sein. Aber nur die Arbeiterklasse selbst hätte die Macht, sie herauszufordern. Wer wissen will, warum, soll es bei Marx nachlesen. Alles wartet auf das Wiedererwachen der Arbeiterklasse: ihre Vertreter vertrödeln ihre Zeit bei Gesprächen mit ATTAC, den Kirchen und der Caritas. Aber da ist nichts zu holen. Nicht mal kostenlose Empörung.

Soziale Bündnisse, Wahlalternative, Montagsdemonstrationen: manchen mag das nach Bewegung aussehen, so als ob sich etwas täte. Uns nicht. Denn alles das gibt es aus einem einzigen Grund: weil die Arbeiterbewegung kein politischer Faktor mehr ist. Solange das so bleibt, wird der Widerstand gegen die Kapitaloffensive wahlweise an „Deutschland einig Vaterland“ appellieren oder an die Divisionen des Papstes. Und das ist für Linke, die das Wort „Würde“ nicht nur als Konjunktiv kennen, nur noch erniedrigend.

Es käme darauf an, die Politik der breiten Bündnisse, die Politik des gemeinsamen Nenners, der Linie, hinter der sich alle sammeln können, aufzugeben. Man wird von der Kirche ebenso wenig erwarten können, die Politik der Arbeiterklasse zu machen, wie von den Mittelklassen. Bisher ist der Protestbewegung die Zeit immer davongelaufen: Hartz IV ist erst zum Thema geworden, als es schon lange zu spät war. Wer glaubt, mit den vagen Stimmungen, Ressentiments oder unscharfen Profilen in „breiten Bündnissen“ (weil man mit der „reinen Lehre“ angeblich nicht weit käme) Politik machen zu können, wird feststellen, dass etwas vages selten beständig genug ist. Ein Protest im Osten, dem sich CDU-Ministerpräsident Milbradt anschliessen mag (oder, für den anderen Teil, die PDS), ist zuletzt so schnell an den Rand gedrängt wie eine Partei, die um den politischen Bankrotteur Lafontaine werben muss. „Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein“ (Marx/Engels).

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von den AutorInnen  am 13.9.2004 zur Veröffentlichung überlassen.