There Is No Alternative  oder
Keine Emanzipation ohne Aufhebung der Lohnarbeit

von
Horst Selisch
 
09/04

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„Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.“
(Marx/Engels: Deutsche Ideologie)

 In der deutschen Volksmärchenwelt wissen sich die „kleinen Leute“, die tagtäglich Ausgebeuteten, umgeben von guten und bösen Geistern. Manch einer entkorkt da aus Versehen oder Neugier die Flasche und sieht sich urplötzlich mit einem Dämon oder gutmütigen Riesen konfrontiert und ist mehr als verängstigt, denn wen man genau sich durch eine solche nicht überdachte Handlung ans Tageslicht holte, wird zumeist ja auch erst am Ende der Geschichte offenbart.

Dummheit wird zumindest in solchen Fabeln bestraft; im wirklichen Leben amalgamiert sie jedoch zumeist mit der herrschenden gesellschaftlichen Macht und feiert ihren fortwährenden menschenfeindlichen Triumph. 

Als die Deutschen vor knapp zwei Jahren wiederum gegen sich selbst stimmten und die SPD zusammen mit den Grünen nochmals auf die Regierungsbänke hoben, war ihnen immer noch nicht bewußt geworden, welche Flaschen sie bereits 1998 geöffnet hatten – trotz des inzwischen erfolgten Kriegseinsatzes der Bundeswehr in Jugoslawien ohne UN-Mandat und der ausgebliebenen versprochenen Reduktion der Arbeitslosigkeit in Deutschland um die Hälfte. Vorrangig mit sich selbst beschäftigt und in erster Linie um das eigene Wohlergehen besorgt, hielten sich die deutschen Kleingeister an das Ähnlichkeitsgesetz und halluzinierten in den regierenden Angestelltenmetalitäten weiterhin unverdrossen eine ihre Interessen vertretende Alternative zu den sogenannten Bürgerlichen von CDU und FDP.

Noch immer wollte es ihnen nicht einleuchten, daß die gewählten Oberlehrer aus der absteigenden Mittelschicht das rote und grüne Emblem nur chamäleonhaft übergeworfen hatten und den eigenen Aufstieg mitsamt ihrer Altersabsicherung selbstzweckhaft und machtverliebt auf Kosten der in Lohnarbeit Vernutzten betrieben. Dabei hätten es ihnen schon ihre Kinder sagen können, daß eher eine Schule niederbrennt, als daß eine dort unterrichtende kleinbürgerliche und verbeamtete  Lehrerschaft dieselbe mit Sachverstand oder überhaupt Verstand füllt und in einen wirklichen menschlichen Lebens- und Lernraum umwandelt.

Es muß also eigentlich nicht verwundern, daß sich heutzutage, um beim angeführten Beispiel zu bleiben, Schulen in Zeiten einer Rückführung in annähernd frühkapitalistische Zustände zu erneuerten Disziplinaranstalten und Lernfabriken entwickeln, worin das menschliche Subjekt seine grundlegende Prägung als vereinzeltes, konkurrierendes und ohnmächtiges erfährt, während auf der oberen Verwaltungsebene die über derart zugerichteten Menschen verhängte Regierungsmacht sich immer deutlicher als ein von der Gesellschaft nicht mehr zu kontrollierender „Wohlfahrtsausschuß“ im Auftrag der Kapitalismus-Kommanditgesellschaft entpuppt.

Ein Begreifen der Wirklichkeit wird unter solchen Bedingungen zur unendlichen Mühe, die sich wenig zu rentieren scheint. Die Austreibung des Widerständigen im Denken durch die Gewalt eindimensionaler Institutionen wirft den eh schon gesonderten Verstand auf die ausgeblendete Widersprüchlichkeit zurück, die ihn verdeckt nun und immer wieder um die Erkenntnis betrügt, der ein Mensch bedarf, um seine Geschicke letztendlich als seine eigenen zu bestimmen. Rät man sich dieser Mühe zum Denken auf Dauer ab, bringt man sich also um den eigenen Verstand, wird der eingezogene Ungeist, unser innerer Flaschendämon, die menschlichen Möglichkeiten auf der Höhe unserer Zeit regressiv einer trostlosen und fremden „Weltmaschine“ ausliefern. Deren nutznießende Verwalter gibt es nicht wenige, und sie betören ihr Volk ohne Unterlaß mit den Sirenentönen falscher Ratgebung, die sie absichtlich und aus struktureller Bedingung zu verbreiten gezwungen sind.  

Hartz IV, der vereinte Meistergesang aller politischen Fehlfarben, der Abgesang insbesondere einer neoliberal gewendeten SPD und von sozial gewissenlos agierenden Grünen auf den Sozialstaatskompromiß in neuer großdeutscher und volksnationaler Tradition, verspricht den Deutschen hinter dem Nebel der derzeit noch etwas verhaltenen Marschmusik bei aber unüberhörbaren und überdeutlichen „Ruck-Ermahnungen“ vor allem eines: die Verbilligung ihrer Arbeitskraft – was aber nun nichts anderes heißt, als daß sich ihr menschliches Wesen verbilligt, der Mensch insgesamt an Wert verliert! 

Unter den  Schlagworten ideologischer Aufbruch- und Reformdirektiven, etwa eines Programms für „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, werden die neuen Verzichtgebote unter das Volk gebracht und alle Lohnabhängigen mit oder ohne Arbeit mitsamt ihren Interessenvertretern in den Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsinstitutionen fest vor den Karren geschirrt, um ihnen dort das Neusprech-ABC solidarischer Grundbegrifflichkeiten beizubiegen.

So deklamiert etwa ein Klaus Brandner, ein wahrer „Held der Arbeit“ unserer Tage, im realentlohnten Leben aber überzeugter Gewerkschafter und wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Bundesfraktion, der sich diese Ideologieverbreitung bei keinem Interview entgehen läßt und seiner SPD- und Gewerkschaftsklientel vor Augen führt, was er und seine Genossen auf dem Hochparterre von Gewerkschaft und Partei unter Gerechtigkeit verstehen wollen: „Gerechtigkeit heißt vor allem, den Menschen wieder Arbeit zu geben – das ist unsere Überzeugung.“[i]

Was er als Traditionslinker inzwischen selbstverständlich vergessen hat (oder inzwischen nicht mehr wissen will) und seinesgleichen durch die Bank auszeichnet, ist  natürlich, daß im Kapitalismus Lohnarbeit (und darum geht es nur, wenn heutzutage allgemein verklärend von Arbeit wie einem heiligen Gut gesäuselt wird) nur als gleichzeitige Klassenausbeutung daherkommt, als aufgeherrschtes Verhältnis, das den einen Vertragspartner als Unmenschen bestätigt und den von ihm abhängigen in seinem menschlichen Wesen negiert. Bewußt verschwiegen aber hat Herr Brandner dennoch und mit Absicht, daß er und seine Genossen ihre „Gerechtigkeit“ unter den herrschenden Bedingungen dem Volk zu Dumpingpreisen zu verordnen gewillt sind und derzeit die Meßlatte für Gerechtigkeit auf die Marke von einem Euro pro Arbeitsstunde gelegt haben – Tendenz ins Bodenlose fallend.

SPD und Grüne (man übersieht in der allgemeinen Farbblindheit leider Gottes, daß diese zu allen neoliberalen Schandaktionen bereitenTrittbrettfahrer sich inzwischen zu einem  noch größeren Übel für eine menschenwürdige Gesellschaft gerieren als manch konservative Ethiker) agieren hier als unbelehrbare Überzeugungstäter, denen ihre billige Gerechtigkeit als eine Zwangsarbeit für alle, die nichts weiter besitzen als ihre Arbeitskraft, am Herzen liegt und das verschärfte Lohnarbeitsdiktat uns auf ewig überzustülpen gedenken gleich einer ausweglosen Gegen-Utopie. Hinter ihrer gebetsmühlenhaften Beschwörung eines unausweichlichen gesellschaftlichen Reformbedarfs steht das strikte Festhalten und weitergehende Durchsetzen ungerechter Verhältnisse im Kapitalismus, den man gern als alles überlegene Marktgesellschaft adelt, da man als politische Elite inzwischen selbst davon so üppig profitiert.  

Wenn demgegenüber eine nur halbherzig radikale Linke, deren Standbein weiterhin unverdrossen in den abgelegten und ausgeblichenen sozialdemokratischen Hosen zu stecken scheint, nun endlich die ihnen immer unheimlicher werdenden gesellschaftlichen Entwicklungen sich zu kritisieren anschickt, ist, wie der bisherige Diskurs und die Praxis in den sich ausbildenden Formationen von Gegenwehr zeigen, ein Signal der Entwarnung noch längst nicht zu geben. Eher ist noch immer zu beobachten, daß jene sich „radikalisierenden“ Bewegungen den sozialdemokratischen Müll noch weiterhin im Kopfe tragen und ihre Kritik und Praxis am Gegebenen mehr eingebildet als dialektisch denkend, also wenn auch ohne viel Kopf, so doch mit großer Pose und aus dem Bauch heraus bewerkstelligen.

Jahrzehnte auf partnerschaftliche Verhältnisse eingeschworen, hat in diesen überlebten linken Kreisen die bürgerliche Ideologie nicht minder als unter den übrigen Ausgebeuteten wie eine Seuche um sich gegriffen und das Bewußtsein mitsamt allem psychischen Substrat bis in die Tiefenschichten hinein zur Unkenntlichkeit deformiert. 

So richten auch die Verständigeren unter ihnen, was die grundlegenden Gegenstände und Strukturmerkmale des gesellschaftlichen Status quo betrifft, die Gedanken vorerst noch immer unverdrossen gegen sich selbst. 

Spitzte sich, um eine Illustration beispielhaft zu geben, auf einem unerheblichen Nebenschauplatz gerade kürzlich noch das Denken wenigstens von einigen Bewegungslinken emanzipativ zu in der heimlichen Freude, daß Großkotz Deutschland während der Fußball-Europameisterschaft bereits nach der ersten Runde die gesponserten Sachen einpacken mußte, versagt es jedoch im unverzichtbaren nächsten Gedankenschritt, wo es notwendig den Bewußtseinsschleier wegzuwischen gilt, damit sich hinter den ablenkenden Spielen der wirkliche „Sport“ offenbart und die entscheidenden und tatsächlichen Herrschaftsebenen in ihrer bestimmenden Brutalität kenntlich machen: die permanente europäische Antimeisterschaft der Lohnarbeit, an der sich zu beteiligen die europäische arbeitsfähige Bevölkerung unter Kuratel gestellt wird und ihre tagtägliche Pflichtkür abzutragen hat. 

Nur hier dürfen und müssen denn auch alle Beteiligten Verlierer sein und sich, falls die „gutgemeinten Ermahnungen“ ihrer Eliten sowieso nicht bereits restlos verinnerlicht sind, unter fortschreitender Strafandrohung einem Zwang beugen, der ihnen die Reste ihrer Menschlichkeit auszutreiben anträgt und wie im Schamanismus bei der Vertreibung der bösen Geister die Verzweifelten in Demut erstarren läßt. 

Daß ein gewöhnlicher Mensch unter einer umfassenden Einschließung von Körper und Geist vermittels solcher Verhältnisse sich sein menschliches Wesen denn auch nur als „Arbeits-Wesen“ vorzustellen vermag und seine gewöhnliche und normale Einkerkerung in Büro oder Fabrik als natürliche und menschengerechte Umgebung vorstellt, wird auf Anhieb einleuchten, denn solche, sich selbst negierende Einsicht ist doch nur eine in ihren Widersprüchen doppelt gebrochene Folge einer sich zur Normalität und Nichthintergehbarkeit aufschwingenden unmenschlichen Wirklichkeit.

Wo die allgemeingültige Kälte der Gesellschaft das Leben zum Erstarren bringt, schickt sich auch aufklärendes und widersprüchliches Denken in seinen Dornröschenschlaf. 

Und somit erklärt sich auch, daß ein individuelles und besonderes Leben, das eben nur und ausschließlich in solcher antagonistischen Allgemeinheit sich zu identifizieren versteht, für den lebendigen Träger, für das Individuum fern möglicher Subjektivität zum verzweifelten Leben wird, sieht es sich ausgeschlossen aus dem allgemeinen und normierten Zwangszusammenhang, dem Verkauf und Ankauf seiner Arbeitskraft.

Entlastet werden die „kleinen Leute“ durch ihren selbstverordneten Irrsinn dennoch nicht, und weniger noch ihre vermeintlichen Aufklärer.

Denn was so für die verängstigten Subalternen zur unverständigen Einwilligung in den gesellschaftlichen Wahn gerinnt und sie in die sich vervollkommnende und interessengeleitete verwaltungstechnische Sachlichkeit wie in ein „Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber)  voller Ohnmacht einschließt, wird hingegen, von einer selbstgefälligen Linken einseitig verkürzt und ausschließlich auf der Verteilungsebene vorgetragen, zum sich verfestigenden Aufklärungsskandal. 

Die von diesem linken Personal jetzt konstatierte Erschöpfung utopischer Energien in Theorie und Praxis eines fundierten und zukunftszugewandten Widerstandes gegen, wie man heute gerne schreibt: „neoliberale Zumutungen eines enthemmten Bereicherungskapitalismus“, der ihnen eins sein soll mit sogenannten „amerikanischen Verhältnissen“, verfehlt ihre Adressaten und weist einmal mehr auf die Absender zurück und den eigenen unverdauten linken Antiamerikanismus als fortdauernde deutsche Ranküne.

Jenseits der allgemeinen „sozialen Amnesie“ wird man sich nämlich erinnern, daß es eben gerade diese saturierte und sozialdemokratisierte Linke selbst gewesen war, wie wortradikal sie immer sich auch gebärdete, die früh ihren Frieden mit dem nationalen kapitalistischen Gegner gemacht hatte und die oktroyierten Tugenden einer leistungswilligen und nationalen Arbeitsbereitschaft dem auszubeutenden Volk, das bei ihnen Mitglied geworden war, als die einzige und lebensrettende Medizin verschrieb. 

Es ist somit auch nur stimmig, daß diese linken Traditionalisten auf dem Zenit ihrer Wirksamkeit ihre utopischen Energien in eine Rückführung der Arbeiterschaft in das Unterdeck der gesellschaftlichen nationalen Galeere einzusetzen wußten, wo die Parteigenossen denn auch den ihnen zugeworfenen Sozialstaatshappen mit Freudentränen schluckten und nach getaner Arbeit mit ihren Gewerkschafts- und Parteiführern gemeinsam das bekannte chauvinismusträchtige Ruderlied in den späten Abendhimmel hineinsangen wie in den sprichwörtlichen Wald: „Brüder zur Sonne zur Freiheit!“

Nur zeigte sich diese Sonne nach einer prosperierenden Nachkriegsphase in der Folge immer seltener, was die Genossen nun langsam verstummen und sie in nur noch rückwärtsgewandte Erinnerungen abgleiten ließ.

Doch wie dem auch war, jene glorreichen Zeiten scheinen heute endgültig vorbei, die Galeere ist mit ihrem alten utopischen Vortrieb wohl endgültig aufgelaufen und der traditionslinke Klüngel selbst krankt mit der gesamten Mannschaft im Dauerregen an einer urdeutschen Malaria, unserer unheilbaren „German-disease“.  Wohingegen auf den immer luxuriöser ausgestatteten Oberdecks derartige Krankheitssymptome man eher still belächelt und ein Grund zur Panik die Besitzenden kaum umtreibt, mehr aber eine zunehmende Sorge, daß die erreichte Profitrate auf Dauer sich nicht hält. Ein deshalb ständig erhöhter Rudertakt läßt zwar nun langsam das Volk murren, dem das Wasser mehr und mehr die Beine hoch steigt, doch bleibt das Gemurre durch und durch deutsch, d.h. unterwürfig und einer kritischen Überführung in befreiendes Denken verschlossen, da die Deutschen zum Denken schon immer ihre Führer brauchten, die, wenn auch von ihnen selbst gewählt, das Geschäft des Denkens ausschließlich für die eigene Tasche und die eingebildete Größe betrieben. Den in einer Obrigkeitshörigkeit Erzogenen bleibt dagegen die befreiende Erkenntnis immer nur eine äußerliche, deren auf sie selbst verweisender und auf ihr Tun zurückführender Wesenskern ihnen so verborgen bleibt wie das Mysterium der Jungfrauengeburt. 

Und wohl auch deshalb wurde hier analog dem Großmachtsgebaren ihrer Herrenkaste von den Arbeitern das Symbol ihrer allgemeinen Unterdrückung, ihr „Made in Germany“, nicht erkannt, sondern voll nationalen Stolzes an die Brust geheftet und die eigene „ehrliche Arbeit“ bis in die Schützengräben und Konzentrationslager hinein vergötzt. Davon blieb auch die Linke nie ausgenommen, wurde vielmehr selbst zur treibenden Kraft.

Daß sich wahre menschliche Freiheit nur jenseits der Arbeitsfron realisieren kann, wie es Marx bereits 1857 anmerkte, will von seinen sozialistischen Nachfahren heute keiner mehr wissen.[ii]  Unter der heutigen unsäglichen Insistenz einer Verteidigung des durch „raffgierige Konzerne und egoistische und vaterlandsvergessene Manager bedrohten Sozialstaates“, wie man so gern volksnah vorträgt, verbirgt sich vor Peinlichkeit nur so triefend die alte Arbeitsvergottung der Gothaer[iii], die damals bereits nach einem gerechten Lohn für eine gerechte Arbeit aller Deutschen verlangte und die Ehre der Arbeit zum ewigen Ziel ihres utopischen Menschheitstraumes bestimmte und damit die grundlegenden Tonformen für die rechten Volksgenossen schon früh lieferte, worin jene dann später ihre allseits verbindlichen Losungen gossen: „Jedem das Seine“![iv]

Eine derartige Stimmung findet heute in den Zeiten von Hartz IV ihren ureigenen Drive. Die Linke steigt geschlossen mit dem „betrogenen Volk“ in den Abwehrring und fordert in der alten Brüdertradition von „denen da oben“ die Rücknahme der Kontosperrung und den Anteil an der Auszahlung der Beute. Immerhin ist diese Forderung so simpel, so urdeutsch und volksnah, daß sie jeder versteht. Mit seinen Skrupeln stellt sich der Kritiker mit Sicherheit ins Abseits; aber dennoch sei die Frage erlaubt, wie hoch denn die Dividende für das Volk steigen sollte, mit welcher Zahl ließe er sich beziffern, der gerechte Lohn für eine ehrliche, von allen gewollte Ausbeutung? 

Gleicht die entschlossene linke Gegenwehr gegen den Abbau des Sozialstaats denn nicht eher einem Gang nach Canossa, wenn sie nicht mehr auf ihre Fahnen zu schreiben hat als den ewigen Bettelsack, den die Arbeiter und Ausgesonderten ihren Arbeitsherren und staatlichen Geldgebern vor die Nase halten sollen, damit ihnen vom Vaterland nun „das Ihrige“ gerecht und national und sozial und deshalb „national-sozial-gerecht“ auch zugestanden wird?

Lohnt es sich dafür hier in Bielefeld wie an anderen Orten „zu demonstrieren, demonstrieren, demonstrieren“ und den öffentlichen Raum durch ein linkes Aufbegehren zu besetzen, das die Stadträte um eine angemessene Kaltmietenberechnung angeht und um die pünktliche Auszahlung des Arbeitslosengeldes II im Januar 2005 bittet, „damit Bielefeld sozial bleibt“?[v] 

Die Lohnarbeit ist der fortdauernde Unsegen einer „vormenschlichen Welt“, der tatsächliche böse Ungeist einer destruktiven Menschheitsgeschichte. Ihre Aufhebung, Rückführung und Abschaffung bleibt die unhintergehbare Primär-Forderung emanzipativen Handelns. Eine Linke, die in erster Linie um ihre finanziellen Anteile kämpft, lohnt der Bemühung kaum, so hoch die ertrotzten Arbeitslöhne und Staatsalimentierungen auch steigen sollten. Denn ein jeglicher Arbeitslohn ist nur Ausdruck für das sich darin immer wieder neu konstituierende blinde Verhängnis aller Menschen unter dem von ihnen selbst gesetzten Herrschaftszwang. 

Anmerkungen

[i] Klaus Brandner in einem Interview mit der „jungen welt“ am 2.07.04
[ii] Dazu MEW, Bd. 25, Das Kapital, Band 3, S.828
[iii] Zur Kritik des Gothaer Programms siehe: MEW, Bd.19
[iv] Spruch am Eingang des Konzentrationslagers in Buchenwald
[v] Forderungen auf einer Kundgebung der Sozialforums-Initiative am Rathaus in Bielefeld am 15.07.04 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von der praxis-bestimmte-negation -Redaktion zur Veröffentlichung empfohlen. Wir spiegelten ihn von
http://praxis-bestimmte-negation.com/fb/pbn8-2.html