An mal mehr, mal weniger
kuriosen Bekenntnissen und Forderungen besteht kein
Mangel, seitdem am 20. August im Irak die beiden französischen Journalisten
Christian Chesnot und Georges Malbrunot sowie ihr syrischer Fahrer Mohammed
al-Joundi entführt wurden. Chesnot arbeitete vor allem für Radio France
international, während Malbrunot mehrere französische Tageszeitungen,
darunter den Pariser Figaro, mit Artikeln belieferte. Beide haben
darüberhinaus im vorigen Jahr eine materialreiche und sehr kritische
Biographie von Saddam Hussein publiziert.
Seit nunmehr einem Monat sind
die drei in der Gewalt ihrer Entführer oder
anderer Gruppen, an die sie "weitergegeben" wurden. Die letzte Information
über ihren Verbleib vom Samstag lautet, die "Islamische Armee im Irak", in
deren Gewalt die Entführten sich befinden sollen, werde die Franzosen in
naher Zukunft freilassen; bis dahin würden die beiden Journalisten "die
Guerilla im Irak begleiten, um der Weltöffentlichkeit ein wahrgetreues Bild
von ihren Aktivitäten zu geben". Die Dauer dieser Tätigkeit werde "aus
Sicherheitsgründen geheim gehalten". Ihrem syrischen Chauffeur dagegen werde
"vor einem Islamischen Gericht der Prozess gemacht". Die französischen
Behörden und Medien reagierten mit erheblicher Skepsis auf diese jüngste
Verlautbarung, nachdem bereits zuvor eine Reihe widersprüchlicher Bekenner-
und Forderungsschreiben im Internet aufgetaucht waren.
Die Geiselaffäre wurde
dadurch politisch aufgeladen, dass nach einer Woche Funkstille - die
Entführergruppe, in deren Gewalt sich die beiden Journalisten befand, am
28. August ein Ultimatum an Frankreich richtete mit der Forderung nach
Abschaffung des Gesetzes zum Kopftuchverbot für Schülerinnen, das im
März 2004 vom französischen Parlament verabschiedet worden war. |
Aktivistinnen von "Reporter ohne Grenzen"
mit Portraits der beiden entführten Journalisten,
Christian Chesnot und Georges Malbrunot. (Nicht
unästhetisch)
Eine Immigrantenfamilie fordert (mit
ein paar Rechtschreibfehlern): "Im Namen Gottes,
im Namen aller Moslems Frankreichs: Mischt Euch, damit
unsere Landsleute, die Journalisten, freigelassen werden."
|
Die beiden Geiseln mussten vor einer Leinwand mit dem Schriftzug Djeïsch el-islami fi-l Eraq (Islamische Armee im Iraq) posieren. Diese
bewaffnete, mutmaßlich nicht sehr große Gruppe hat sich im Irak zu 163
Entführungen und 16 Mordanschlägen bekannt. Wahrscheinlich hat die so
genannte "Islamische Armee" Malbrunot und Chesnot nicht direkt entführt,
sondern hat die Geiseln - vor dem Hintergrund eines in zahlreiche Gruppen
und Grüppchen zersplitterten Untergrunds als meistbietende Organisation
erst nachträglich "eingekauft".
Kein Bürgerkrieg um's
Kopftuch
"Der Kopftuchkrieg blieb
aus": So lautet der einhellige Tenor der
französischen Medienberichterstattung, nachdem am 2. und 3. September
landesweit der Unterrichtsbeginn nach den zweimonatigen Schulferien
stattgefunden hatte.
Unter zwölf Millionen
Schülerinnen und Schülern waren letztendlich etwa 250
Mädchen, die am Donnerstag mit bedecktem Kopfhaar am Schultor erschienen.
Eine deutliche Mehrheit unter ihnen akzeptierte dann aber, ihre
Kopfbedeckung im Klassenraum abzulegen. So die 19jährige Immigrantentochter
Leila in Villeneuv-d¹Ascq bei Lille, die ihr Tuch mit dem Kommentar "Ich
habe keine Wahl, ich kann es mir nicht leisten, meine Schulausbildung
abzubrechen" am Schultor auszog. Auf die Schule dieser Stadt im ehemaligen
Industrierevier an der belgischen Grenze waren zahlreiche Kameras gerichtet,
nachdem dort im vorigen Jahr 52 Kopftuchträgerinnen registriert worden
waren.
Lediglich in der
ostfranzösischen Region Elsass sahen die Verhältnisse
örtlich anders aus, insgesamt wurden in der Region an die 100
"widerspenstige" Kopftuchträgerinnen registriert. Allein in Strasbourg waren
es am ersten Schultag 57, die von den übrigen SchülerInnen abgetrennt
wurden. Die dortige Situation hängt aber eng mit einigen Besonderheiten der
Region zusammen. So besteht im Elsass keine Trennung zwischen dem Staat und
den christlichen Kirchen wie im übrigen Frankreich, da dort nach der
Wiederangliederung an die République française 1918/19 das Konkordat aus der
Zeit seiner Zugehörigkeit zu Deutschland beibehalten wurde. Insofern kann
die, ursprünglich aus dem republikanisch-universalistischen
Staatsverständnis resultierende, französische laïcité hier nicht als
Begründung für Ansprüche gegenüber den muslimischen Jugendlichen herhalten.
Hinzu kommt, dass die
Einwanderer im Elsass vorwiegend türkischer und
marokkanischer Herkunft sind und damit oft besonders traditionell
orientierten, in ihren Herkunftsländern vom Land kommenden
Bevölkerungsgruppen angehören. Dort ist die Bindung an die Religion noch
besonders hoch. Das ist bei den Algeriern, die im übrigen Frankreich die
größte Einwanderergruppe bilden, so nicht der Fall; bei ihnen hatte die
vorübergehende "islamistische Welle" in den frühen 90er Jahren vor allem
politische und soziale Beweggründe. Und schließlich ist zu berücksichtigen,
dass das Elsass von allen französischen Regionen neben der Côte d¹Azur
jene mit dem höchsten rechtsextremen Wähleranteil ist. Deswegen sehen sich
viele Einwanderer hier in einer gesellschaftlichen Defensivposition und
ziehen sich auf ihre "Identität" zurück.
Frankreich bereits früher im Visier islamistischer Terroristen
Nicht zum ersten Mal gerät
Frankreich in das Visier arabischer und/oder
islamistischer Geiselnehmer und bewaffneter Kampfgruppen; der jeweilige
Kontext ebenso wie die Reaktionen darauf ähneln sich jedoch nicht. So
explodierten 1985 und 1986 in Paris eine Reihe von Bomben in Kaufhäusern
oder auf öffentlichen Plätzen, während sich im damaligen Bürgerkriegsland
Libanon mehrere französische Geiseln teilweise drei Jahre lang in Gewalt von
Gruppen befanden, die der schiitischen Hezbollah nahe standen. Damals
handelte es sich freilich um einen noch überwiegend parastaatlichen
Terrorismus, im konkreten Falle im Interesse des Iran.
Die Anschläge und das
Festhalten der Geiseln zielten auf Frankreich, weil
Paris damals recht einseitig das irakische Regime unter Saddam Hussein
aufrüstete, während andere westliche Großmächte wie die USA und die
Bundesrepublik sowohl den Irak als auch den Iran mit Waffen belieferten.
De Anschläge in Frankreich selbst wurden von palästinensischen und
libanesischen Splittergruppen mit Verbindung zum Iran durchgeführt. Paris
gab am Ende gegenüber den Forderungen nach: Vier Tage, bevor der damalige
Premierminister Jacques Chirac sich im Mai 1988 zum Präsidenten wählen
lassen wollte er sollte jedoch gegenüber dem Amtsinhaber François
Mitterrand unterliegen kamen die Geiseln im Libanon frei. Paris hatte
Millionensummen bezahlt und zugesichert, dem Waffenfluss an den Irak ein
Ende zu setzen; der achtjährige Krieg zwischen Iran und Irak stand damals
freilich ohnehin kurz vor dem Ende. Ferner wurden die Köpfe der iranischen
"Volksmojjahedin" aus Frankreich ausgewiesen und mussten sich ein neues Exil
in Bagdad suchen. Arabische Untergrundgruppen haben diese Episode nicht
vergessen.
Im Zeitraum von Juli 1995 bis
Dezember 1996 explodierten erneut Bomben in
Pariser Vorortzügen und Métrostationen, ein weiterer Sprengsatz wurde in
einem Hochgeschwindigkeitszug (TGV) zwischen Paris und Lyon entschärft.
Hinter der Attentatswelle, die insgesamt zwei Dutzend Todesopfer und rund
300 Verletzte forderte, standen die "Bewaffneten islamischen Gruppen" GIA
aus Algerien, die in Europa vor allem in London, weil die dortigen
Behörden damals kaum gegen radikale Islamisten vorgingen ein Netzwerk
aufgebaut hatten. Die GIA machten Frankreich als ehemalige Kolonialmacht für
zahlreiche Probleme Algeriens verantwortlich. Das ist noch nachvollziehbar,
reichlich "irre" waren jedoch ihre Forderungen: Verlangt wurde unter anderem
nichts weniger, als dass Staatspräsident Jacques Chirac zum Islam
konvertieren solle. Entsprechend nahm auch niemand den Inhalt der
Forderungen ernst, und die gewählte Aktionsform konnte nur zu einer
allgemeinen Verurteilung führen.
In die Aktionen der GIA waren
jedoch auch Kleinstgruppen verwickelt, die
innerhalb Frankreichs in den Banlieues den Trabantenstädten der
großstädtischen Zentren Paris und Lyon entstanden waren. Sie waren vor dem
Hintergrund der Segregation ganzer Bevölkerungsgruppen als eine Art "Rächer"
angetreten und dienten den GIA-Kadern als Handlanger. Ihr mutmaßlicher
Anführer, der 25jährige Khaled Kelkal, wurde Ende September 1995 in der Nähe
von Lyon durch die Polizei angeschossen. Erst seine nachträgliche
Hinrichtung die Beamten erschossen ihn kaltbültig, als er ausgestreckt am
Boden lag machten ihn in manchen Kreisen nachträglich zum "Helden".
Kurz darauf tauchte ein
langes Interview auf, in dem Kelkal drei Jahre zuvor
einem deutschen Soziologen Dietmar Loch, der im Lyoner Umland über die
Krise der Banlieues forschte seinen damaligen Werdegang bis 1991/92, vom
guten und hoffnungsvollen Schüler über den ausgegrenzten "Araber" zum
Kleinkriminellen und Gefängnisinsassen, geschildert hatte. Deswegen begann
sich die bürgerliche Öffentlichkeit Frankreichs zur gleichen Zeit, einige
kritische Fragen darüber zu stellen, inwiefern der Umgang mit ausgegrenzten
Bevölkerungsteilen dazu beitragen konnte, Nachwuchs für den Terror
heranzuziehen. Die führende französische Tageszeitung, Le Monde vom 7.
Oktober 1995), publizierte das Kelkal-Interview nachträglich unter dem Titel
"Ein Opfer des täglichen Rassismus".
Politische Reaktionen damals und heute
So gleichen sich die
Reaktionen auf die unterschiedlichen Herausforderungen,
denen Frankreich seitens von Terroristen oder Geiselnehmen gegenüber
gestellt wird, von Mal zu Mal nicht. In den Jahren von 1986 bis 88 überwog
noch eine von politischen Kräften der Rechten offen angeheizte "Kopf ab!"
sowie "Araber Raus"-Stimmung, wobei der Front National und der damalige
nationalkonservative Innenminister Charles Pasqua miteinander wetteiferten.
Ein Jahrzehnt später dominierte dagegen eine Kombination aus scharfer
Ablehnung des GIA-Terrors mit der selbstkritischen Nachfrage nach einigen
"hausgemachten" Ursachen des Terrors in der französischen Gesellschaft.
Heute dagegen überwiegt die
Einbindung der arabischen Einwanderer in
Frankreich, auch ihrer religiösen Elemente. Vom ersten Tag stellte diese
Immigrationsbevölkerung einen beträchtlichen Teil der Teilnehmer an den
Pariser Kundgebungen für die Freilassung der beiden französischen Geiseln,
die ab dem 30. August auf dem Platz der Menschenrechte am Trocadéro
begannen. Ein Teil der Immigranten distanzierte sich ganz spontan von den
Entführern und ihren Forderungen, um nicht mit ihnen identifiziert zu
werden, da Geiselnahme und Mord auch von den meisten Einwanderern in
Frankreich als Verbrechen begriffen werden. Aber ein Teil von ihnen kam auch
auf Aufforderung religiöser moslemischer Vereinigen hin. "Auch wir sind in
gewisser Weise (in dieser Sache) als Geiseln genommen", indem die Entführer
sich zu vermeintlichen Fürsprechern der französischen Muslime aufschwingen,
betonte etwa der Präsident der UOIF (Union des organisations islamiques de
France, Laj Thami Breze, in einem Interview mit der französischen
Boulevardzeitung Le Parisien.
Die UOIF ist eine
konservativ-reaktionäre moslemische Organisation, die in
den letzten zwei Jahren durch einen Teil der regierenden französischen
Rechten zum Ansprechpartner innerhalb der Einwandererbevölkerung aufgebaut
wurde. Beispielsweise vom ehemaligen Innen- und jetzigen Wirtschaftsminister
Nicolas Sarkozy, der außenpolitisch zum pro-atlantischen und
pro-israelischen Flügel der Konservativ-Liberalen zählt, zugleich aber
innenpolitisch in diese Richtung um eine Verbreiterung seiner sozialen Basis
bemüht ist. Das entsprechende Wirken Sarkozys führte aber zu Widersprüchen
innerhalb des Staatsapparats, und aus genau diesem Grunde wurde vor einem
Jahr von anderen konservativen Politikern die Initiative für das spätere
Kopftuchverbotsgesetz lanciert, der Sarkozy sich nach anfänglichem
Widerspruch dann anzuschließen gezwungen war.
Die Rolle des
Repräsentativrats französischer Moslems
Der Bedeutungszuwachs der
UOIF äußert sich darin, dass ihr durch die
Regierung ein Platz als zweitstärkste Organisation in dem 2003 neu
eingerichteten Repräsentativrat der französischen Muslime (CFCM) gesichert
wurde. Die Pläne zur Gründung des CFCM, die bereits einige Jahre alt sind,
dienten ursprünglich dazu, erstmals über einen anerkannten Ansprechpartner
unter den Moslems zu verfügen, ähnlich den christlichen Kirchen und dem
jüdischen Consistoire israélite. Da die sunnitischen Moslems keinen
hauptamtlichen Klerus (sondern nur Laienprediger) kennen, war es schwierig,
etwa für die Berücksichtigung von Speise- oder Beerdigungsvorschriften im
öffentliche Raum auf einen Ansprechpartner zurückzugreifen. Die konkrete
Gründung des CFDM wurde aber zur politischen Operation. Die einzelnen
Organisationen wurden abhängig von der Größe ihres Gebetsraums, und damit
ihrer Finanzkraft, berücksichtigt und nicht nach ihrem realen Einfluss in
der moslemischen Wohnbevölkerung. Deswegen wurden konservativ-reaktionäre
Kräfte überproportional berücksichtigt, auch wenn den Vorsitz im Rat der aus
Algerien stammende Dalil Boubakeur ein erwiesener Gegner der Islamisten
innehat. Laut einer Erhebung von Le Monde aus dem Herbst 2003 bezeichnen
sich nur 36 Prozent der etwa vier Millionen Moslems in Frankreich als
"praktizierend", knapp die Hälfte dagegen als "gläubig aber nicht
praktizierend" - und über 20 Prozent sehen den Islam lediglich als Religion
ihrer Eltern an.
Nunmehr hat der, bisher
umstrittene, CMCF in der aktuellen Krise jedoch
seine definitive Anerkennung erfahren. Über Gebete für die Freilassung von
Geiseln, die unter Vorsitz Boubakeurs in der Pariser Moschee stattfanden,
wurden in allen Medien breit berücksichtigt. Am 1. September entsandte der
Repräsentativrat der Moslems eine eigene Delegation in den Irak, die dort
mit den unterschiedlichen politischen und religiösen Strömungen in Kontakt
treten und für die Freilassung der beiden französischen Geiseln plädieren
sollte. Ihr Vorgehen stimmte die Delegation dabei mit dem französischen
Außenminister Michel Barnier ab, der am Abend des 29. August zu einer
Rundreise durch die Region aufgebrochen war, die ihn nach Kairo, Amman und
in die qatarische Hauptstadt Doha führte. In der jordanischen Hauptstadt
Amman waren Michel Barnier und die drei CFCM-Gesandten vor ihrem Aufbruch
nach Baghdad zusammengetroffen. Bei ihrer Rückkehr nach Amman sandten die
drei optimistische Signale aus.
Die Freilassung der Geiseln
durch ihre Entführer, mit denen ein Kontakt nur
indirekt über mehrere Vermittlerstrukturen hergestellt werden konnte,
verzögerte sich jedoch entgegen ursprünglicher allgemeiner Erwartungen
weiter.
Die Ungewissheit dauert
fort
Reichlich stereotyp fallen
die offiziellen Erklärungen der Pariser Regierung
seitdem aus: Die französischen Geiseln im Irak, die beiden Journalisten
Christian Chesnot und Georges Malbrunot, sowie der mit ihnen festgehaltene
syrische Chauffeur Mohammed al-Joundi seien "gesund, in Sicherheit und
werden gut behandelt". Das äußerte zuletzt die französische
Verteidigungsministerin, Michèle Alliot-Marie, am vorigen Freitag (17.
September). Dabei schien das tatsächliche Schicksal der Geiseln in
Wirklichkeit ungewisser denn je. Die ebenso gleichbleibenden wie
unüberprüfbaren Informationen über den Verbleib der Entführten stammen in
der Regel nicht von den Entführern selbst, sondern von den zahlreichen
Mittelsmännern darunter Religiöse und Stammesführer -, die im Irak
eingeschaltet wurden.
Dazu, dass die Freilassung
der Geiseln nicht - wie zunächst erwartet - am 3.
September zustande kam, hieß es, die Offensive der US-Armee und der
verbündeten irakischen Streitkräfte in Latifiya (25 Kilometer von Bagdad
entfernt) habe ihre geplante Übergabe der Geiseln verhindert. Später
tauchten neue Schreiben im Internet auf, die angeblich von der Gruppierung
Djeich el-islami fi-il Eraq (Islamische Armee im Irak) stammen, in deren
Gewalt sich die beiden Franzosen und der Syrer sich mutmaßlich noch
befinden; freilich gibt es auch darüber mittlerweile ins Kraut schießende
Spekulationen.
Die Echtheit der Bekenner-
oder Forderungsschreiben bleibt jedoch
ausnahsmlos umstritten. Zunächst wurde vorletzte Woche an den französischen
Staat in einem Text, der in schlechtem Arabisch abgefasst war die
alternative Forderung gerichtet, er solle entweder 5 Millionen Dollar
Lösegeld bezahlen oder das so genannte Waffenstillstandsangebot annehmen,
das Ossama Bin Laden im April an die europäischen Staaten richtete. Wie
ernst die Aufforderung zu nehmen war, ist schwer zu beurteilen. Am vorigen
Donnerstag (16. 09.) verlautete, man wolle ein "islamisches Gericht" über
die beiden französischen Geiseln abhalten.
24 Stunden zuvor war -
angeblich im Namen von Djeich el-islami verkündet
worden, man respektiere Journalisten und Ärzte, wolle jedoch Spionen und
Saboteuren auf die Schliche kommen, die sich unter ihnen befinden könnten.
Dasselbe Schreiben enthielt scharfe Angriffe auf die französische Politik,
die etwa beschuldigt wurde, daran Schuld zu tragen, dass die Islamisten in
Algerien nicht die Macht übernehmen konnten. Dieser Ursachenzusammenhang ist
zwar historisch falsch der damalige Präsident François Mitterrand hatte
bei den algerischen Wahlen 1992 für Nichteinmischung plädiert, während die
USA damals eine Machtübernahme der Islamischen Rettungsfront (des FIS, Front
islamique du salut) befürworteten. Aber bei nordafrikanischen Islamisten
erfreut der Vorwurf sich großer Beliebtheit.
Algerischer Islamistenchef
im Hungerstreik für französische Geiseln
Die französische Politik und
die Vorgänge in den ehemaligen Kolonien
Frankreichs bleiben auch im Kontext der irakischen Geiselaffäre ineinander
verwickelt. Vor einer guten Woche trat der ehemalige Parteichef des
algerischen FIS, Abassi Madani, der seit Ende 2003 in Qatar lebt, dort für
die Freilassung der französischen Geiseln in den Hungerstreik.
Wahrscheinlich ist, dass Abassi Madani - der bis im Juli 2003 in algerischer
Haft saß - durch seine Aktion vor allem auch Druck innerhalb des
islamistischen Spektrums entfalten will: Das Ausufern der Gewalt bewaffneter
Splittergruppen, deren Kontrolle dem FIS rasch entglitten war, hatte die
Islamisten im algerischen Bürgerkrieg (1992 - 1998) um jegliche
Siegeschancen gebracht. Nunmehr will er vermutlich verhindern, dass die
Explosion unkontrollierter Gewalt im Irak zu ähnlichen Ergebnissen führt.
Einer der Vertreter des
französischen moslemischen Zentralrats (CFCM), der
marokkanischstämmige Mohammed Bechari, der sich zum Anknüpfen von Gesprächen
mit allen möglichen Akteuren im Mittleren Osten derzeit in der Region
aufhält, traf Abassi Madani am vorigen Dienstag in seinem Hotelzimmer. Das
führte aber zu heftigen Reaktionen in der französischen moslemischen
Gemeinde: Den Vorsitz des CFCM hat der aus Algerien stammende Rektor der
Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubakeur, inne. Dessen Gefolgsleute sind, vor
dem Hintergrund der algerischen Erfahrung, strikte Gegner der politischen
Islamisten. In einem Kommuniqué der Pariser Zentralmoschee wurde das
"verantwortungslose Vorgehen" von Mohammed Bechari verurteilt.
Politische Reaktionen in
Frankreich, von rechts bis links
Während der Mainstream der
französischen Politik auf eine Einbindung der im
Lande lebenden Moslems in den Konsens gegen die Geiselnehmer setzte, wurde
rechtsaußen das Bedrohungsszenario von der weltweiten Kolonne und ihrer
"fünften Kolonne" gemalt. Namentlich in der, weit rechts stehenden und durch
die Rüstungsindustrie gesponserten, Wochenzeitschrift Valeurs actuelles (sie
steht im Eigentum des Flugzeugbauers Serge Dassault), die sich vor allem
militär- und wirtschaftspolitischen Themen widmet. Sie behauptet in ihrer
Ausgabe vom 3. September, ohne Beweis, auch französische Dijhad-Aktivisten
müssten an der Entführung von Chesnot/Malbrunot im Irak beteiligt sind.
Dagegen spricht freilich vieles, nicht zuletzt die Tatsache, dass Malbrunot
und Chesnot in ihrer letzten veröffentlichten Videoaufnahme in der sie die
Franzosen dazu auffordern, gegen das Gesetz zu demonstrieren, das Kopftücher
an öffentlichen Schulen verbietet Englisch und nicht Französisch sprechen,
obwohl sie sich an "das französische Volk" richten. Sicherlich wollten die
Geiselnehmer sich des Inhalts ihrer Videobotschaft versichern; hätten sich
Französisch sprechende Aktivisten unter ihnen befunden, dann hätten die
beiden Journalisten auch ihre eigene Sprache benutzen dürfen.
Der Chef der französischen
extremen Rechten, Jean-Marie Le Pen, hatte sich
in der Frage der Geiselaffäre zunächt bedeckt gehalten und das Handeln der
Regierung überlassen, der er verbal den Rücken stärkte. Im Laufe der ersten
Septemberwoche ging er jedoch allmählich auf Distanz und kritisierte, ebenso
wie die Parteizeitung der Rechtsextremen National Hebdo (vom 9. September:
"Ein Sieg des Islam"), dass Frankreich im Irak den moslemischen Zentralrat
CFCM in seinem Namen sprechen lasse. Sinngemäß warnte die rechtsextreme
Presse davor, wenn man diesen Leuten den kleinen Finger gewähre, dann nähmen
sie alsbald die ganze Hand.
Und die französische Linke
sowie die Antikriegsbewegung? Demonstrationen in
dem Sinne, wie die (angeblichen) Geiselnehmer es gefordert hatten, gab es
keine. Auch auf der Linken überwiegt die klare Verurteilung der Geiselnehmer
wie ihrer ideologischen Ziele. So gab die linke Antikriegsgruppe Solidarité
Irak bereits kurz nach Bekanntwerden der Geiselnahme eine
Solidaritätserklärung für die drei Geiseln ab, in denen ihre Freilassung
sowie das Ende der Angriffe auf irakische Frauen durch Djihad-Aktivisten
gefordert wird. Auch die trotzkistisch-undogmatische LCR verurteilte in
ihrer Wochenzeitung Rouge (vom 2. September) das "totalitäre
Gesellschaftsprojekt" der bewaffneten Islamisten, "wo es keinerlei
Pressefreiheit gäbe, wo die Scharia an die Stelle jedweder demokratisch
beschlossener Regel treten würde, wo die Frauen sich einem Statut
dauerhafter Minderwertigkeit unterworfen würden". Das Agieren dieser Gruppe
werde jedoch durch das Chaos, das die US-Strategie im Irak hinterlasse,
erleichert. Nicht zu der Frage verhalten hat sich dagegen bisher die vom
französischen Linksruck-Pendant beherrschte Aktionsplattform Agir contre la
guerre (ACG, Handeln gegen den Krieg).
Die französische
Kommunistische Partei unter Marie-George Buffet (bis 2002
Ministerin für Jugend und Sport) unterstützt ebenso wie die Sozialdemokraten
in der Geiselaffäre die Position der Pariser Regierung.
Schadenfreude beim
irakischen Interims-Regierungschef
Keinerlei Bedauern über die
Entführung kam dem derzeitigen Chef des
US-Marionettenregimes im Irak, Iyad Allawi, über die Lippen. In einem
Interview in Le Monde vom 31. August übt das frühere Mitglied der
Baath-Partei, Allawi, der später - in seinem goldenen Londoner Exil -
Mitarbeiter der US-amerikanischen und britischen Nachrichtendienste CIA und
MI5 war, sich in unverhohlener Schadenfreude ("Frankreich wird, trotz all
seines Lärmens gegen den Krieg im Irak, bald die Terroristen bekämpfen
müssen") und im Erteilen von Lehren: "Die Regierungen, die auf der Defensive
bleiben (statt sich im Irak militärisch zu engagieren), sind die nächsten
Ziele der Terroristen. Attentate werden in Paris, in Nizza, in Cannes und
anderswo stattfinden. Die Zeit ist gekommen, genau so gegen den Terrorismus
zu agieren, wie Europa einst gegen Hitler agierte."
Daraufhin kam es zu einer
Abkühlung des Klimas zwischen Paris und der neuen
irakischen Regierung, nachdem Frankreich im Juli dieses Jahres erstmals seit
1991 damals waren die Beziehungen zu Saddam Hussein abgebrochen worden
wieder diplomatische Kontakt zwischen Paris und Bagdad aufgenommen wurde.
Editorische Anmerkungen
Der Autor schickte uns am
19
September 2004 seinen Artikel in der vorliegenden Fassung
zur Veröffentlichung. Die Fotos wurden uns auch B. Schmid zur Verfügung
gestellt.
|