Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen
Ein seltsamer etablierter "Antifaschismus"

von Max Brym
09/04

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Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik landete die SPD bei einer Landtagswahl im einstelligen Bereich. Dies widerfuhr ihr erstmals in Sachsen am vergangenen Sonntag, mit 9.8%. Knapp lag die SPD vor der nazistischen NPD, die 9,2% erreichte. In Brandenburg verlor die SPD mehr als 7% der Stimmen auch die CDU verlor rund 7%. Fast 16% der Stimmen büßte die CDU in Sachsen ein, die Gewinner beider Wahlen waren einerseits die PDS mit 28% in Brandenburg und mit 23,6% der Stimmen in Sachsen. Zulegen konnte andererseits in beiden Bundesländern der organisierte faschistische Mob in Gestalt der DVU mit 6,2% in Brandenburg, die NPD mit sensationellen 9,2% in Sachsen.


Reaktionen auf die eigenen Verluste und den Wahlerfolg der Nazis

Am Wahlabend zeigte sich der SPD Vorsitzende Franz Müntefering mit dem Wahlergebnis zufrieden. Auch der Kanzler sah am Montag den 20 September, "eine Trendwende zugunsten der SPD". Zusammenfassend kann festgestellt werden, die SPD feierte eine hervorragende Niederlage. Es gibt in bestimmten Regionen Fußballfans die das müde Gekicke ihrer Truppe und die damit verbundene Niederlage nicht mit Gejohle quittieren, sondern sich selbst auf der Tribüne abfeiern. Zu dieser Kategorie von Fußballbetrachtern gehört offensichtlich die SPD Führung. Statt ihr Wahldesaster beim Namen zu nennen wird aus einer neuerlichen Niederlage ein Sieg gemacht. Die Regierung will Kurs halten weil es angeblich zu ihrer Konzeption des radikalen Sozialabbaus keine Alternative gibt. Nebenbei rufen die etablierten Parteiführer der Koalition der sozialen Kälte aus SPD,CDU/CSU, Grünen und FDP zu einem "Aufstand" gegen die Rechtsradikalen auf. Ihre Begründung für diesen "Aufstand der Anständigen" ist mehr als verdächtig. Hauptsächlich wird davor gewarnt, dass das Ansehen Deutschlands im Ausland abnimmt. Es geht den Herrschaften augenscheinlich nicht darum den Faschismus aus innerer Überzeugung zu bekämpfen, sondern es geht um internationale Investitionen und Exportchancen. Das Argument ein Wahlerfolg der Braunen käme in den USA nicht gut an, wird keinen Nazi und auch keinen latenten Faschisten beeindrucken. Das unbedingte Festhalten an Hartz IV, die weitere Absenkung des Rentenniveaus die weitere Strangulierung des Gesundheitssystems ermöglicht wie noch nie nazistische Demagogie. Auch Heinrich Brüning nannte 1930 seinen Kurs, der den Menschen das Blut aus den Zehen trieb, weil sie sich keine neuen Schuhe kaufen konnten, unumgänglich. Die NSDAP als Partei der "konterrevolutionären Verzweiflung" verstand dies auszunützen. Der in der deutschen Gesellschaft weitverbreitete Antisemitismus wurde damals in der Nazipartei gebündelt sowie mit sozialer Demagogie und wüstem Antikommunismus kombiniert. Den damaligen Erfolg der Nazis ermöglichte die bürgerliche Mitte. Sie lieferte die Steilvorlage für die soziale Demagogie der Nazis mit ihren kanibalistischen Notverordnungen. Anknüpfen konnte die NSDAP an den Grundsatz der Weimarer Republik, den Hauptfeind im organisierten Kommunismus zu sehen. Ähnlich ist die Lage heute. Die NPD klebte in Sachsen Plakate mit dem Slogan "Grenzen dicht". In CDU Wahlmaterialien stand zu lesen, "dass es für kriminelle Ausländer in Sachsen keine Chance gibt" oder "bei uns werden Geiselgangster erschossen". Seit Jahren erklärt Otto Schilly und der bayerische Innenminister Beckstein den "Asylbewerber" sowie andere Emigranten zum "Problem". Das Asylrecht wurde faktisch abgeschafft und das "Ausländergesetz" laufend verschärft. Diesen Gedankenstrang muß der organisierte Faschismus nur radikalisieren und flugs ist er respektierlich mit der Gedankenwelt in der Mitte der Gesellschaft verbunden. Der Nazikandidat gilt am Wahltag als Original und nicht als Kopie. Zudem erklärt die offizielle Parteienlandschaft die Naziparteien zu ernsthaften Gegnern von Hartz IV. Mit dieser Lüge wird dem Nazismus ein Bärendienst erwiesen.


Die Nazis lehnen nicht Hartz IV sondern die Emigranten ab.


In sämtlichen nazistischen Publikationen wird nicht sie soziale Umverteilung von unten nach oben kritisiert, sondern der "Ausländer" der angeblich in der "deutschen sozialen Hängematte" hängt. Die Nazis lehnen Hartz IV ab, weil es ihrer Meinung nach zuwenig den ""Nichtarier" trifft. Mit der Tatsache, dass es in Deutschland seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr gibt und in vielen Kommunen die Hundesteuer eine größere Einnahmequelle abgibt als die Gewerbesteuer, setzt sich kein Nazi auseinander. Auch nicht mit der Tatsache, dass das private Geldvermögen der Deutschen vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden mit 3,9 Billionen Euro angegeben wird. Davon besitzen 775.000 Personen rund zwei Drittel. Die Schicht der Kapitalbesitzer wird immer reicher und ihre Steuerlast nahm in den letzten Jahren dramatisch ab. Mehr als 80% des Gesamtsteueraufkommens wird von den Lohnabhängigen und Konsumenten erbracht. Der Beitrag der Kapitalbesitzer liegt nur noch bei knapp 11%. Für den nazistischen Demagogen ist hingegen der Arbeiter Ali oder der Gemüsehändler Mehmed das Problem. Die Unzufriedenheit mit der Hartz IV Regelung wird von den etablierten Parteien auf die Agitation der Faschisten zurückgeführt. Das ist eine paradoxe Veranstaltung die nur den Nazis nützt. Natürlich ist es gerechtfertigt wenn ein Langzeitarbeitsloser sich die Frage stellt, warum es im zugemutet wird mit einem Jahreseinkommen auszukommen, welches mit den Preis einer einzigen Damenhandtasche auf der Insel Sylt vergleichbar ist. Andererseits soll ihm zugemutet werden jede gesetzlich legale Arbeit anzunehmen, um den Billiglohnsektor zu erweitern was alle abhängig Beschäftigten unter Druck setzt. Oder er hat " Zwangsarbeit" für 1 Euro in der Stunde zu verrichten. Die Nazis sind für schärfere Zumutbarkeitsregelungen und erinnern ( in vielen Publikationen) an ihr großes Ideal den "Reichsarbeitsdienst" unter Hitler. Die Regierung und die Opposition bedient die Nazis in dreierlei Hinsicht: 1. Den Nazis wird ernsthaft unterstellt gegen Hartz IV und den sozialen Kahlschlag zu sein. Diese glatte Lüge nützt den Nazis. 2. Durch eine Politik ala Brüning wird die nazistische Demagogie befördert. 3 Die offizielle Staatsideologie setzt Antifaschismus mit einer Zustimmung zu Hartz IV gleich. Dadurch soll tatsächlicher Antifaschismus verunmöglicht werden.


Der soziale Widerstand wird denunziert

Seit August gibt es in Deutschland Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und den Sozialabbau. Normalerweise haben Nazis auf diesen Veranstaltungen keine Chance und in der Masse der Städte gibt es klare Distanzierungen von faschistischen Kräften. Die Kundgebungen welche die Nazis alleine durchführten waren was die Teilnehmerzahl betrifft, ein absoluter Flop. Seit einiger Zeit versuchen organisierte Faschisten bei den offiziellen Montagsdemonstrationen mitzumischen. Meist wurden sie aus den Demonstrationen gedrängt und vertrieben. Am vergangenen Montag ermöglichte die Polizei in Magdeburg, unter Knüppeleinsatz gegen Nazigegner, die Teilnahme von Nazis an der Montagsdemonstration. Seit einige Wochen erzwingt die Polizei unter Drohungen, die Teilnahme von wenigen Nazis an verschiedenen Montagsdemonstrationen. Dabei beruft sich die Polizei auf das Versammlungsrecht und bedroht mit diversen Paragraphen die Nazigegner. Auch am Münchner Marienplatz sollte am Montag den 20. September, eine Gruppe aus dem Umfeld des inhaftierten Naziterroristen Martin Wiese ( Er sitzt wegen einem geplanten Bombenanschlag auf das neue jüdische Kulturzentrum) nach Aussagen der polizeilichen Einsatzleitung die Möglichkeit erhalten, sich an der Kundgebung auf der Montagsdemonstration zu beteiligen. Dennoch wurde die Nazigruppe abgedrängt. Der Einsatzleiter der Polizei bedrohte mehrmals den Versammlungsleiter der Montagsdemonstration mit dem Argument: "Halten Sie ihre Leute im Zaum sonst muß ich ihre angemeldete Kundgebung auflösen". Die Kundgebung konnte abgehalten werden und die Nazis wurden an den Rand gedrängt. Am Rand des Marienplatzes wurden die "braunen Helden" von Polizeikräften beschützt. Das Ganze war allerdings ein Lehrstück über die gegebene politische Kultur im Land. Augenscheinlich will ein Teil des Staatsapparates die Faschisten auf den Montagsdemonstrationen sehen, um sozialen Widerstand gegen Hartz IV mit den Nazis in Verbindung zu bringen. Damit werden die Faschisten aufgewertet und sozialer Protest in die rechte Ecke gestellt. Der offizielle "Antifaschismus" ist keiner, sondern die Nazis werden instrumentalisiert, damit eine umstrittene Sozialpolitik durchgeboxt werden kann. Gerne hätte man Sozialisten und Faschisten vereint auf Demonstrationen, um die alte perfide Ungeheuerlichkeit, "Links ist gleich Rechts" abzubilden. Das liegt auf der Linie von Frau Merkel die am Wahlabend meinte: "Ich bin erschrocken über die Stärke der linken und rechten Extremisten". Auch das ist ein Bärendienst für die Nazis, denn wer die PDS ( sowie die Linke insgesamt) mit der NPD gleichsetzt verharmlost und entsorgt den Nazismus. Zudem ist es eine Ungeheuerlichkeit, die linken Opfer des Faschismus mit den nazistischen Tätern gleichzustellen.

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 21.09.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.