Kraushaars Enthüllungen
Die Verschwörung des Blocks der Haschrebellen und anderen Antisemiten gegen Israel (Teil 1)

von Karl-Heinz Schubert

09/05

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Im Juni 1986 erscheint das 600 Seiten starke Buch „Hoch die internationale Solidarität“. Wie die Herausgeber, Werner Basel und Karl Rössel, in der Einleitung schreiben, soll es ein „Lesebuch“ zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik sein. Dieses Buch will keine „Rezepte für eine bessere Dritte-Welt-Arbeit“ liefern, sondern die „Hauptströmungen“ vorstellen, die in der Geschichte der BRD bisher vorherrschend waren. Für die Herausgeber sind es die Initiativen der „Algerien-, Vietnam,- Chile- und Mittelamerika-Solidarität“.  Dagegen: Nahostfrage und Palästina-Solidarität = Fehlanzeige. Zu erfahren ist lediglich (S.381f) , dass der PLO-Vertreter, der ursprünglich auf der ersten großen Friedensdemo am 10.10.1981 in Bonn reden sollte, wegen der von ihm vertretenen Politik, wieder ausgeladen wurde.  

1980 hatte sich der ehemalige SDS-Funktionär Peter Tautfest  mit einem langen Artikel in der Nr.17/18 der im Umkreis der maoistischen KPD erscheinenden Zeitschrift „Befreiung“ nach mehr als 10 Jahren engagierter Mitarbeit aus der Palästina-Solidarität verabschiedet. Dabei spielten für Tautfests Entscheidung zwei Erwägungen eine tragende Rolle: Zum einen habe ihn die Haltung der PLO in der Holocaust-Diskussion zu einer scharfen Kritik an ihrer „Gefühlkälte und Gefühlsverdrängung“ bewogen, zum andern sei die Palästina-Solibewegung in „10 Jahren nicht aus ihrer Isolierung herausgekommen“. Für die marginale Rolle der Palästina-Solidarität in der antiimperialistischen Bewegung der westdeutschen und westberliner Linken der 60er und 70er Jahre gibt Insider Peter Tautfest folgende Erklärung ab: 

„…In den frühen 60er Jahren spielte Israel für die fortschrittliche bzw. demokratische Bewegung in Deutschland ungefähr die Rolle, die in den späten 60er Jahren China spielte: Israel galt als besonders demokratisches Land, als sozialisti­sches Ideal mit seinen Kibbuzim und als Bastion des Antifaschismus. Viele junge Deutsche sind aus antifaschistischer Einstellung heraus nach Israel gegangen, haben in den Kibbuzim gearbeitet und dies als einen Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus verstanden. Die Positionen der arabischen Staaten gegenüber Israel wurden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder für Relikte des Antisemitismus gehalten, das Schicksal des palästinensischen Volkes war vollkommen unbe­kannt, und auch der Befreiungskampf der Algerier hat an dem blinden Fleck im Auge der demokratischen Jugend in Deutschland gegenüber den Problemen der arabischen Welt nichts geändert. Unter den Demokraten und Linken fand in Deutschland die Entführung Eichmanns ungeteilten Beifall, Kritik daran blieb der Rechten vorbehalten. In keinem Land Europas war die Identifikation von Antifa­schismus und pro-israelischer Haltung derart stark. Das begann sich erst 1967 während und nach dem Krieg zu ändern, wobei die Berichterstattung der Springer­presse eine gewisse Rolle spielte, vor allem ihr Versuch, pro-israelische Sympa­thien in Deutschland gegen die schon ziemlich entfaltete antiimperialistische Be­wegung zu mobilisieren. Dieser Prozeß des Umdenkens ging aber sehr langsam vor sich. Die Nachricht vom Ausbruch des 67er Krieges erreichte die damalige linke Bewegung in Deutschland in einer besonderen Situation. Am 5.6.1967 befanden sich Tausende von Studenten auf dem Campus der Freien Universität Berlin. Sie protestierten gegen die Erschießung Benno Ohnesorgs, der bei einer Demonstra­tion am 2. Juni gegen den Schah in Berlin den Tod gefunden hatte. Als die Nach­richt vom Ausbruch des Krieges eintraf, bildeten sich um die wenigen arabischen Studenten Diskussionstrauben. Die arabischen Studenten fanden weder Gehör noch Verständnis, sondern ertranken fast in einem Meer an Feindseligkeit. Noch 1968, auf dem Berliner Vietnamkongreß, wurde ein schwarzer Amerikaner, der das Problem des besetzten Palästinas zur Sprache bringen wollte, am Reden ge­hindert. Der bürgerlichen Presse, etwa der ZEIT, blieb es vorbehalten, auf das Schicksal der Palästinenser aufmerksam zu machen, auf die Menschen aus den Flüchtlingslagern in der Westbank, die abermals zum Aufbruch und zur Flucht ge­zwungen wurden. In anderen europäischen Ländern war es ähnlich, so erklärte Sartre bei Ausbruch des Krieges, daß ihn die Ereignisse noch zwingen werden, eine pro-amerikanische Position einzunehmen.
Das besondere Verhältnis der europäischen Öffentlichkeit hängt mit der faschistischen Besetzung, der Vernichtung des europäischen Judentums und dem antifaschistischen Kampf zusammen. Nirgends aber war die Identifikation mit Israel so ausgeprägt wie in Deutschland. Das hatte seine Rückwirkungen auf die sich dann allmählich herausbildende Palästinasolidarität in Deutschland. Die deutsche Linke hatte gegenüber der europäischen in dieser Frage einen Vorsprung aufzuholen und übernahm ziemlich schematisch antiimperialistische Positionen, ohne die Phase der Betroffenheit über geschehenes Unrecht und der Empörung gegen Unterdrückung und Entrechtung durchlaufen zu haben. Diese schematische Anwendung antiimperialistischer Kategorien auf das Palästina/Israel-Problem wirkt bis heute fort und ist die Ursache einiger Schwächen der Palästinasolidaritätsbewegung. Zum einen setzt sie in ihrer Argumentation auf einem relativ hohen theoretischen Niveau an, argumentiert in erster Linie historisch, völkerrechtlich und imperialismustheoretisch. Erst in letzter Zeit findet sie eine von der An­schauung motivierte Sprache und argumentiert vom Schicksal der betroffenen Menschen her. Die Solidaritätsbewegung mit Vietnam und die Empörung gegen den Rassismus in Südafrika erfaßt breiteste Kreise unter Einschluß rechtsliberaler und liberalkonservativer Kreise bis hin zur antiimperialistischen Linken, und zwar weil sie das Schicksal der Betroffenen anspricht und vor Augen führt. Anders die Palästinasolidaritätsbewegung. Sie wendet sich gleichsam an ein Fachpublikum und ist bis heute auf die Linke beschränkt und hat nicht einmal eine besonders breite Basis in den linken Organisationen selbst.“
(Befreiung 17/18, Frühjahr 1980, S. 130f)

Tautfest hat Recht, wenn er die Isoliertheit der Palästina-Solidariät innerhalb der Linken zwischen 1967 und 1968 aus den Besonderheiten der deutschen Geschichte ableitet, die wie ein Sperriegel gegen eine historisch-materialistische Aufarbeitung des Nahost-Problems wirkten. Seine theoretische Sicht der Dinge deckt sich mit der Empirie der Verhältnisse. In der akribisch aufbereiteten Chronologie der FU Berlin „Hochschule im Umbruch“ Teil V, Gewalt und Gegengewalt 1967-1969 finden sich lediglich folgende Pro-Palästina-Aktivitäten. 

  • 11. Juni 1967, ein Flugblatt des „Komitees zur Hilfe der Palästina-Vertriebenen“ ruft zur Sach- und Geldspenden auf.
  • 29. Januar 1968, der Vortrag des israelischen Botschafters Asher Ben Nathaan wird durch Zischen und Buhrufe gestört

In der theoretischen Diskussion bildet das Nahost-Problem – trotz des 7-Tagekrieges – keinen Gegenstand der kritischen Reflexion. In diesem Zeitraum widmet „Das Argument“, die wichtigste Theoriezeitschrift der außerparlamentarischen Linken, dem arabisch-israelischen Konflikt ganze sechs(!) Druckseiten, die zwei Buchbesprechungen beinhalten (Nr. 45, vom Dezember 1967). „Das Kursbuch“ behandelt das Thema überhaupt nicht. Schließlich wird es die am Ottto-Suhr-Institut ab 1969 erscheinende „Sozialistische Politik“ sein, die dann 1969 drei kurze theoretische Artikel zur Nahost-Frage publiziert (Nr. 2 und 3/69).  

Stattdessen überwiegen im Israel-Palästina-Konflikt bis 1969 eindeutig die pro-israelischen Aktivitäten. So sind es der Extra-Dienst und ab 1969 in Westberlin vor allem die 883, die solche Veranstaltungen propagieren. Die westberliner sozialistischen Kinderläden diskutieren 1969 ihr politisch-pädogisches Selbstverständnis anhand der Erziehung im Kibbuz. 

Ein wirklicher Mangel bei Tautfests Rückblick auf 10 Jahre Palästina-Soliarbeit ist die Nichtbehandlung des politisch-ideologischen Rahmens für die Herausbildung antiimperialistischer Positionen ab dem Vietnam-Kongress Februar 1968 bis 1970, dem Zeitpunkt der Gründung kommunistischer Organisationen (wie z.B. KPD/ML, KPD, KB usw.) und die zunehmende Unterordnung der Soliarbeit unter die Programmatik des jeweiligen Zirkels. 

Die Jahre 1968-1970  sind geprägt von einer sich zunehmend stärker fragmentierten Suchbewegung hin zum Proletariat als dem historischen Subjekt. Alle damit zusammenhängenden theoretischen und praktischen Fragen bilden die zentralen Bezugspunkte der damaligen Debatten (siehe auch: Karl-Heinz Schubert, Aufbruch zum Proletariat. Besagte FU-Chronologie vermerkt dazu, dass die am 8. April 1969 stattfindende viertägige Arbeitskonferenz des SDS in Frankfurt/M folgende strategisch-wichtige Punkte diskutiert: Betriebs- und Lehrlingsarbeit, Syndikalisierung im Ausbildungssektor, Kinderläden, Schülerarbeit, Bundeswehr, Justizkampagne und schließlich den Internationalismus unter dem Gesichtspunkt der Technologie. 

Eine neue Rezeptionsperspektive

Gegen diese Tatsachen schreibt Wolfgang Kraushaar in seinem im Juli 2005 erschienenen Buch „Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus“ bewußt an. Ganz gezielt  wird von ihm eine Handlungskulisse konstruiert, die bei den Leserinnen den Schluss aufdrängt, dass in diesem mißglückten Brandanschlag vom 9.11.1969 der latent vorhandene Antisemitismus der Jugend- und Studentenbewegung gleichsam als die Spitze eines Eisberges sichtbar wurde.

Das Buch ist methodisch eine schlichte Kampfansage an das wissenschaftliche Denken. Hier wird nicht nach den Gesetzen der Logik untersucht, abgeleitet und bewiesen und die Befunde zur Diskussion gestellt. Nein. Die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, wird durch narratives Fabulieren ersetzt. Erzählung und Realität werden so abstrus miteinander verwoben, dass Kraushaar in seiner Einleitung einräumen muss, dass er statt einer klaren Struktur nur „ein vielschichtiges Netzwerk“ von „unterschiedlichen Linienführungen“ anzubieten habe. Daher bedarf es eines „gewissen Durchhaltevermögens“, um beim Lesen nicht den „roten Faden“ zu verlieren. 

Kraushaars wiederholter Versuch auch mit diesem Buch für die Geschichte der 68er Bewegung mithilfe eines narrativ-obskuren Verfahrens eine neue Rezeptionsperspektive zu konstruieren, machte sofort nach seinem Erscheinen mächtig Furore in der bürgerlichen Medienwelt. Warum?

Die politischen Eliten der BRD verfügen nämlich seit 1990 nicht mehr über eine kohärente Vision von der Zukunft der Nation. Vielmehr ist es seitdem zwingend notwendig geworden, historische Sachverhalte um- oder neu zuschreiben, damit die so genannten neuen nationalen Interessen der Deutschen unter den veränderten imperialistischen Bedingungen konsensfähig reformulierbar werden. In groben Zügen betrachtet, fokussierte in den letzten Jahren die Debatte über den neuen ideologische Nationalkitt drei historische Ereignisse:  der 20. Juli 1944, der 17. Juni 1953 und der 9.November 1989. Gleichzeitig wurden damit andere, zeitweilig die deutsche Geschichte prägende  bzw. noch nachwirkende Ereignisse diffamiert und abgesondert. Zu nennen wären hier u. a.: Der Buchenwald-Schwur, das Potsdamer Abkommen, der DDR-Sozialismus und schließlich auch die 68er APO.

Die Geschichte der Jugend- und Studentenbewegung war in der BRD bereits in den späten 70ern und während der 80er Jahre einer ersten Umdeutung unterzogen worden. Sowohl jene Kräfte der APO, die massenhaft in die SPD geströmt waren, wie auch diejenigen, die die Grünen gründeten, verschoben die ideologischen Koordinaten hin zum politischen Reformismus und feierten sich als die wahren Vollender der Ideen der 68er. Dazu wurden revolutionäre und sozialistische Position, die die Hauptseite der APO zwischen 1967 und 1970 gebildet hatten, zu Seitenlinien erklärt - die Vorstellung von 68 als kulturevolutionäre Umwälzung  zur Vervollkommnung der spätbürgerlichen Zivilgesellschaft ward geboren.

Für die nach 1989 hinzukommenden "Ossies" musste die westdeutsche Nachkrieggeschichte zunächst so aufbereitet werden, dass sie sich bereitfanden, ihre spezifische DDR-Vergangenheit als von außen - von "den Russen" - aufgezwungenes Schicksal zu begreifen, wo es in diesem Stasi-Gefängnis für individuelle Entfaltung keinen Raum gegeben hatte. In diesem Kontext wurde die Jugend- und Studentenbewegung zum medialen Spektakel umgedeutet, die somit die Folie für individuelle Eskapaden abgab. An die Stelle der sozio-historischen Beschreibung von Gruppeninteressen, trat die biografische Methode. Bekannten Einzelpersonen von Rudi Dutschke bis Joschka Fischer wurden Eigenschaften angedichtet und die reale Geschichte darin zum Verschwinden gebracht. Gleichzeitig verschwanden auch die positiven Inhalte und Ziele der 68er Jugend- und Studentenbewegung aus den öffentlichen Diskursen: Nämlich ihr Antifaschismus und ihr Eintreten für den revolutionären Sozialismus an der Seite des Proletariats für die weltweite klassenlose freie Assoziation der ProduzentInnen!

Ende der 90er Jahre zeichnete sich ab, dass es zu tief greifenden Veränderungen der  Akkumulationsbedingungen des Kapitals kommen musste. Die bis dahin entwickelten Konzepte, die Profitraten durch die Steigerung des relativen Mehrwerts - gestützt auf die neuen Technologien der elektronischen Datenverarbeitung -  voranzutreiben, brachten aufgrund einer Vielzahl von endogenen und exogenen Bedingungen nicht den gewünschten Erfolg. Eine günstige Profitratenentwicklung schien nur noch möglich zu sein, wenn der Normalarbeitstag gelöchert und die absolute Mehrwertrate entweder durch die Verlängerung des Arbeitstages oder durch die Kürzung der Löhne bei gleicher Arbeitszeit gesteigert werden konnte. Hier war mit erheblichen Widerstand auf Seiten der Lohnabhängigen zu rechnen, in deren Bewusstsein die kollektiven Kampferfahrungen und -erfolge sowie die kulturevolutionären Umwälzungen der letzten 40 Jahre verankert waren.

Mithilfe der Parole vom Neoliberalismus wurde die Debatte auf den bürgerlichen Staat, weg von diesen unmittelbaren Erfordernissen des kapitalistischen Akkumulationsregimes, gelenkt. Kompatibel dazu konstruierten die Medien jene Alltagsfigur, welche sich des Wohlfahrtsstaates entledigt und als Höhepunkt der Perversion zur Ich-AG mutiert. 

Der bisher erreichte Stand der Rezeptionsgeschichte der APO erweist sich zu diesem Bild der bürgerlichen Monade jedoch als nicht mehr ausreichend. Gefragt ist jetzt nicht mehr der individuelle Ausbruch aus dem sozialen Gehäuse, sondern das sich fürs Volk, Vaterland und Unternehmer aufopfernde Individuum. Genau an dieser thematischen Schnittstelle dockt sich Kraushaar mit seinem "Bombenbuch" an. Er schafft darin die egomanische Figur des bindungs- und haltlosen Sozialschweins. In seiner Schreibe werden aus dem Kommune-Kasper Dieter Kunzelmann und seinen dealenden Haschrebellen politische Monster, die sich durch ihre Eskapaden ("Ich habe 1969/70 insgesamt wohl über 230 Trips geworfen", Albert Fichter, der Bombenleger) für das Böse - den Antisemitismus - aufschließen und hinterhältige Verbrechen nicht scheuen.

...wird fortgesetzt 

 Editorische Anmerkungen

Der Autor wird in der Nr. 10-05 den zweiten Teil veröffentlichen. Darin wird es darum gehen aufzuzeigen, welche Quellen Kraushaar benutzt und wie er sie interpretiert.

Dieser Artikel wird ergänzt durch die Aufsatzsammlung:


High sein, frei sein,
Terror muss dabei sein!!