Eine Bilanz
Das 1.Sozialforum in Deutschland

von Angela Klein
09/05

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Das Sozialforum in Erfurt »war keine Veranstaltung der Superlative, der großen Zahlen oder gar fertigen Lösungen. Und gerade darin lag auch seine Chance. Erfurt, wo sich so etwas wie eine neue außerparlamentarische Opposition in Deutschland zum ersten Mal traf, setzte einen deutlichen Kontrapunkt zur Berliner Politik. Dass sich das Treffen nicht von der neuen Linkspartei vereinnahmen ließ, war dafür eine wichtige Voraussetzung. Und sicher auch der Ort. Denn der sorgte dafür, dass sich die Basisbewegung Ost mit der traditionsreichen Protestbewegung West traf.«

Gedrängter als in diesem Ausschnitt aus dem Bericht in Publik-Forum (5.August 2005) könnte man die Bedeutung des 1.Sozialforums in Deutschland kaum ausdrücken. Dessen Bedeutung kann und konnte nicht darin liegen, in einer Phase, wo die sozialen Proteste der letzten Jahre eine Niederlage erlitten haben und ein Neuanfang für gesellschaftliche Opposition gegen kapitalistische Politik gesucht werden muss, ein Massenevent aus dem Hut zu zaubern.

Das Sozialforum konnte auch kein fertiges Programm der sozialen Bewegungen präsentieren, wenn die erste Hürde, nämlich überhaupt eine Dialogbereitschaft zwischen deren verschiedenen Bestandteilen herzustellen, noch nicht genommen ist. Das Sozialforum hat aber, in seiner Vorbereitung wie in seiner Durchführung, eine Zusammenarbeit zwischen sehr verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und politischen Richtungen geschaffen, die es bisher in dieser Form nicht gegeben hat.

Bei allen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten, die beim ersten Mal nicht ausbleiben konnten, sehen alle Beteiligten diese Zusammenarbeit als einen Erfolg an. Alle wollen diese Erfahrung wiederholen und orientieren auf ein 2.Sozialforum im Herbst 2007. Dies ist ein Erfolg an sich und eine hervorragende Grundlage, Spaltungen, Isoliertheit und Sektierertum, die die Entfaltung einer starken Massenbewegung in Deutschland hemmen, zu überwinden. Eine Bilanz muss die Stärken wie die Schwächen hervorkehren, um einen Lernprozess zu ermöglichen.X2 2XDie Zahl der Teilnehmenden blieb mit 2500 Dauergästen und über 1000 Teilbesuchern hinter den Erwartungen zurück. Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen, solche die man beeinflussen kann und solche, die man nicht beeinflussen kann.

  • Der Vorbereitungskreis hatte sich dafür entschieden, das Sozialforum in die Sommerpause zu legen, um die Schulen als Veranstaltungs- und Übernachtungsräume nutzen zu können. Ohne die wäre es auch nicht gegangen, trotzdem wird man sich das nächste Mal überlegen, ob man nicht besser die Herbstferien nimmt. Wir mussten doch auf viele verzichten, die gern gekommen wären.
  • Die bevorstehenden Bundestagswahlen haben die neue Linkspartei in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der linken Öffentlichkeit gerückt. Unter dieser Interessenverschiebung ist das Sozialforum aber nicht untergegangen. Es hat sich der kritische Geist behauptet, dass die sozialen Bewegungen selbständig und dauerhaft handlungsfähig werden müssen — diese Aufgabe kann ihnen keine Partei abnehmen.
  • Die Erfurter Bevölkerung war längst nicht in dem Umfang einbezogen, wie dies möglich gewesen wäre, das Sozialforum ist zum Teil an ihr vorbeigegangen. Die Ursachen dafür sind teils organisatorischer, teils politischer Art. Schon im Thüringer Vorbereitungskreis waren eher Einzelpersonen involviert als die Organisationen und Strukturen, die hinter ihnen standen. Das Thüringer Sozialforum war als solches nicht beteiligt, so ging es auch mit anderen Initiativen. Hätten der DGB Thüringen und die PDS nicht beschlossen, ihre organisatorische Kraft in das Projekt zu stecken, hätte es sich nicht realisieren lassen.
    Dasselbe Phänomen war auf Bundesebene zu beobachten. Die Personen im Vorbereitungskreis konnten oft nicht die Kraft der Organisation, der sie angehören, in die Waagschale werfen, obgleich die Organisationen die Unterstützung und aktive Beteiligung am SF beschlossen hatten. So ging es mit Attac, so ging es mit einigen Gewerkschaften, so ging es mit den lokalen Sozialforen. Anfänglich hat dies die Arbeit der Vorbereitungsgruppe stark gehemmt, weil nicht klar war, auf welche finanzielle und personelle Grundlage man sich würde stützen können. Erst spät, nämlich mit der Einrichtung eines Organisationsbüros und der Verfügbarkeit einer hauptamtlichen Kraft Anfang April kam Zug in die Sache. In der Endphase hat Ver.di massiv ausgeholfen und wesentlich dazu beigetragen, dass das Programmheft erscheinen konnte.
  • Auch die lokalen Sozialforen waren kaum einbezogen. Viele konnten mit der Idee nichts anfangen, sind zu sehr beansprucht mit den Anforderungen vor Ort. Viele sind auch immer noch in einem Findungsprozess, was denn die Rolle eines lokalen Sozialforums sein kann. Untereinander haben sie kaum Kontakt. Darunter hat aber die örtliche Mobilisierung für Erfurt gelitten. Beim nächsten Sozialforum wird es wichtig sein dafür zu sorgen, dass jedes einzelne Sozialforum einen Beitrag zur Gestaltung des bundesweiten SF liefern kann.

Die einzelnen Organisationen hatten jeweils sehr unterschiedliche Gründe für ihr zögerliches Sich-Einlassen auf das Sozialforum in Erfurt. Im allgemeinen aber stellt sich ein politisches Problem. Die Durchführung eines Weltsozialforums oder auch Europäischen Sozialforums ist etwas anderes als die eines landesweiten oder gar örtlichen/regionalen Sozialforums. Je mehr das Sozialforum an die Realität der Menschen vor Ort herangebracht wird, desto breiter werden seine Grundgedanken gestreut, desto stärker kann es sich im bestehenden gesellschaftlichen und politischen Leben verankern. Desto schärfer wird die Frage formuliert: Wozu brauche ich ein Sozialforum? Was bringt es mir, was ich nicht anderweitig durch Bündnisarbeit, Kongresse und Sommeruniversitäten abdecken kann?

Die Antwort fällt unterschiedlich aus. Einige betonen, es müsste mehr Großveranstaltungen geben, damit man mehr in die Medien kommt und die Botschaften des Sozialforums stärker gehört werden. Dem steht gegenüber, dass gerade die Arbeit in den über 250 Workshops und Seminaren am fruchtbarsten und perspektivreichsten empfunden wurden. Andere fordern eine stärkere politische Zuspitzung, programmatische Antworten, die die Bewegungen vereinheitlichen. Dies birgt das Problem, dass die Breite des Sozialforums und die mangelhafte Entwicklung des gesellschaftlichen Protestes in vielen brennenden politischen Fragen eine Vereinheitlichung noch gar nicht ermöglichen.

Für größere Organisationen stellt sich darüber hinaus das Problem, dass sie meistens darauf orientiert sind, wie sie selber vorankommen, und weniger darauf, an welchen Punkten und mit wem ein gemeinsamer Nenner für gemeinsame Aktionen gefunden werden kann.
Der Sinn des Sozialforums liegt im letzten Punkt, im Vorantreiben der Zusammenarbeit. Dies ist in Erfurt nur ansatzweise gelungen. So hat der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen, dessen Weiterexistenz in den letzten Monaten in Frage gestellt war, neuen Auftrieb erhalten. Die lokalen Sozialforen konnten ein erstes bundesweites Treffen vereinbaren. Vorher bereits eingefädelte Initiativen wie die für eine Aktions- und Strategiekonferenz im November, zur Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr oder zum G8-Gipfel 2007 erhielten durch das Sozialforum einen erheblichen Verstärker und überschritten die Schwelle ihres bisherigen Vorbereitungskreises.

Viele andere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit wurden jedoch nur unzureichend ergriffen, weil die Zeit auf dem Sozialforum selbst zu kurz war, um tragfähige Grundlagen zu erarbeiten. Das gilt z.B. für den bundesweiten Aktionstag am 5.September, der sich eher durch Zufall durchgesetzt hat als durch ein anhaltendes Bemühen, mindestens einen Teil der Spaltungen, die sich in den Montagsdemonstrationen ergeben haben, wieder zu überbrücken. Es gilt aber auch für die Frage der EU. Die zahlreichen Veranstaltungen, die es dazu gegeben hat, sind nicht in die Konzeption einer gemeinsamen Kampagne gemündet. An all diesen Stellen muss nachgebessert werden, und nicht immer ist klar, in welchem Rahmen dies passieren kann. Die Strategiekonferenz im November sollte Antworten darauf geben.

Daran wird deutlich, dass die Vorbereitung des Sozialforums für sein Ergebnis mindestens ebenso wichtig ist wie das Forum selbst. Es wären mehr Ergebnisse möglich gewesen, wenn die Vernetzungsphase nach Abschluss der Anmeldung von Veranstaltungen mehr Zeit hätte beanspruchen können. In der Praxis ist aus Zeitdruck diese Phase fast ausgefallen. Sie wäre aber der geeignete Zeitpunkt gewesen, wo die Programm AG politische Ergebnisse des Forums hätte vorbereiten können, ohne deswegen im engeren Sinne inhaltliche Vorgaben zu machen.

Die Schwächen der Vernetzung haben sich am Ende auch in der Erklärung der Versammlung sozialer Bewegungen niedergeschlagen. Immerhin ist es gelungen, die Teilnehmenden am Sozialforum von Anfang an in die Debatte über diese Erklärung mit einzubeziehen, indem ein Entwurf dafür bei der Anmeldung auslag, durch viele Debatten gegangen ist und eine Endfassung auf einer öffentlichen Redaktionssitzung erstellt werden konnte.

Dieser Prozess hat aber nicht alle Beteiligten einbezogen, so dass auf der Versammlung selbst noch textliche Änderungen vorgeschlagen wurden, denen in Ermangelung der Möglichkeit, sie in einem Saal mit 1000 Menschen zu debattieren, etwas Willkürliches anhaftete. An dem Verfahren muss weiter gearbeitet werden, aber der eingeschlagene Weg kann dennoch als erfolgreich bezeichnet werden.

Im Gegensatz zu allen anderen Sozialforen, die überregional stattgefunden haben, kann man sagen, dass die Erfurter Erklärung nicht in einer Hinterstube, sondern von den Teilnehmenden auf dem SF selbst erarbeitet wurde. Gäste aus Frankreich und Belgien nötigte dies die Anerkennung ab, es sei »das demokratischste Sozialforum« gewesen, das sie bislang erlebt hätten.

Die Bedeutung der Erklärung liegt im Übrigen nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie, im Wortlaut ihres ersten, politischen Teils, sondern mehr noch in den Vorschlägen für die gemeinsame Praxis. Eine noch mangelhafte Koordination hat bewirkt, dass nicht alle Ergebnisse in sie eingeflossen sind, die es tatsächlich gegeben hat.

Während die bürgerliche Presse krampfhaft versuchte, das Sozialforum in die Ecke der Linkspartei zu stellen, beklagten einige linke Journalisten, dass die Debatte darum nur am Rande eine Rolle spielte. Fakt ist, dass das Auftreten profilierter Politiker auf zentralen Veranstaltungen nur für Spaltungen und Zerwürfnisse gesorgt hätte, ohne das Anliegen des Sozialforums im Mindesten weiter zu bringen.

Das Sozialforum hat gut daran getan, den Parteien keine Plattform zu bieten, und hat es dennoch verstanden, eine Diskussion über die brennende Frage nach dem Verhältnis sozialer Bewegungen zur Linkspartei zu ermöglichen. In der allgemeineren Form: Verhältnis Parteien—Bewegungen, wird diese Frage noch zu wenig diskutiert, das gilt insgesamt für Fragen der Demokratie, der Machtstrukturen und ihren Veränderungen. Die Kunst besteht darin, sie so zu diskutieren, dass keine parteipolitische Vereinnahmung daraus erfolgen kann.

Einige haben das Spektrum der Teilnehmenden am Sozialforum als zu breit kritisiert. Insbesondere ist einigen die aktive Teilnahme von Christen aufgestoßen, andere gefielen sich darin, das SF als Manipulationsobjekt von Attac oder Gewerkschaften zu diffamieren. Wenn man das Sozialforum jedoch als Forum einer Gegengesellschaft konzipiert und nicht als Bündnis linker Gruppen, dann muss es jeden umfassen, der oder die sich auf einer fortschrittlichen und internationalistischen Grundlage gegen neoliberale Politik organisieren will.

Durch die Arbeit am Sozialforum hat sich ein Kreis von Menschen, Initiativen und Organisationen herausgebildet, der zu einer längerfristigen Zusammenarbeit bereit ist. Die Zusammenarbeit zwischen kleinen Initiativen und Großorganisationen wie Ver.di und dem DGB Thüringen verlief ohne Bevormundungen, in beachtenswert solidarischer und kooperativer Form.

Diesen Kreis zu stabilisieren und zu erweitern mit dem Ziel, die gesellschaftlichen Kräfte der Gegenwehr über Tagesaktionen hinaus zu stärken und zu bündeln und auf diese Weise letzten Endes eine gemeinsame gesellschaftliche Perspektive zu entwickeln — das bleibt das Anliegen des Sozialforum. In Erfurt haben wir nur geübt.

Editorische Anmerkungen

 Der Artikel erschien in der SoZ und ist eine Spiegelung von
http://members.aol.com/sozrst/050908.htm

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