Im Käfig der italienischen Justiz
Ein Bericht aus Perugia über EU-Türkei-Zusammenarbeit gegen Linke

Von Peter Nowak
09/05

trend
onlinezeitung

Wer etwas über die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei lernen will, sollte sich einen Prozess gegen türkische Linke in Perugia (Italien) ansehen. Die Angeklagten müssen dem Prozess im Eisen-Käfig verbringen. Da kann der hohe Polizeioffizier aus Istanbul, der beim nächsten Prozesstermin aussagen soll, sicher etwas lernen.


Die Altstadt von Perugia ist alljährlich das Ziele vieler Touristen aus aller Welt. Doch mitten in diesem Touristenviertel befindet sich auch das Gericht. Tribunale steht gross am Eingang. Wer es betreten will, braucht viel Zeit und Geduld. Die Namen aller Eintretenden samt Adresse und Geburtsdatum werden sorgsam aufgeschrieben. Dann werden alle Gegenstände, die man mitnimmt durchleuchtet. Wenige Minuten später werden noch einmal
die Personalien aufgenommen.

Vorher war es die Polizei, jetzt sind es die Carabineri, die haben eine eigene Hierarchie und arbeiten in der Regel gegen- statt miteinander. So kommt es auch, dass man die Personalien eben gleich zweimal aufnehmen lassen muss, zumindest, wenn man einen politischen Prozess besuchen will. Am 17.09. ging es um ein hochpolitisches Verfahren. Zwei türkische Linke sind der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation angeklagt. Obwohl sie völlig legal gearbeitet haben, werden sie beschuldigt, die DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front unterstützt zu haben Seit dem 1.April 2004 sind die beiden schon in Untersuchungshaft. Sie wurden als Teil einer grossen Polizeioperation verhaftet, bei in der Türkei, in Holland und in Italien insgesamt fast 60 Menschen festgenommen worden sind. Ziel dieser Aktion war die Zerschlagung der DHKP/C und ihrers vermeintlichen Umfelds. Dazu zählen für die türkischen und europäischen Behörden sowohl legale Menschenrechtsvereine, linke Zeitungen und Rechtsanwaltsbüros. Diese Einrichtungen waren am 1.April 2004 Ziel der Polizeioperation sowohl in der Türkei als auch in Italien und den Niederlanden. Auch in Deutschland gab es Hausdurchsuchungen, aber keine Festnahmen. Bei dieser grenzübergreifenden Razzia on lief die Zusammenarbeit der
Sicherheitsbehörden der EU-Staaten und der Türkei blendend. Mag es auf anderen Gebieten noch Vorbehalte geben, die Türkei in die EU aufzunehmen, auf dem Gebiet der  Sicherheitszusammenarbeit gibt es diese Vorbehalte jedenfalls in der Praxis nicht.

Das wurde am vergangenen Samstag beim Prozess in Perugia auch wieder deutlich. Es wurde ein hoher Beamter der Carabinerie als Zeuge befragt. Er erwies sich als grosser Verteidiger der türkisch-italienischen Sicherheitspartnerschaft. Nachfragen der Anwälte der Angeklagten zur Situation der Menschenrechte in der Türkei wehrte er ab. Das sei Politik und gehöre hier nicht hin,meinte er kurz. Ansonsten hat er sich alle Wertungen des türkischen Regimes gegenüber linken Oppositionellen zu eigen gemacht Für ihn handelt sich sowohl bei der DHKP/C als auch bei der DHKC um terroristische Organisationen und die Gefangenenhilfsorganisation Tayad gehört zu diesem Umfeld.  Der nächste Prozesstermin ist am 1.Oktober. Beginn ist wieder 9 Uhr vor Gericht in Perugia. Dann soll der Sicherheitschef in Istanbul als Zeuge vor Gericht aussagen. Der wird sicher die Ausführungen des italienischen Carabinerie nur bestätigen. Ausserdem kann der Istanbuler Sicherheitschef
noch etwas in Italien lernen. Wie man Untersuchungshäftlinge, die eigentlich noch als unschuldig zu gelten haben, in einen kleien Eisenkäfig sperrt und sie so im wahrsten Sinne während des ganzen Prozesses ausstellt. Wenn die RechtsanwältInnen etwas mit ihren Mandanten zu besprechen hatten, mussten sie aufstehen und am Gitter reden. So ist die Vertrauichkeit zwischen Anwalt und Mandantne bestimmt nicht gewahrt. Doch das Verfahren in Perugia zeigt wieder einmal, wie fruchtbar die Zusammenarbeit zwischen einem EU-Staat und der Türkei sein kann, wenn man gemeinsam gegen Linke vorgehen kann.

Nächster Termin. 1.10.05 - Tribunale - Centro von Perugia

 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 17.9. 2005 zur Verfügung gestellt.