Angekommen im historisch geläuterten Vaterland: « Antideutsch » begründet, für aktive Bundeswehr in Nahost

von Bernard Schmid

09/06

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Nicht überall, wo «antideutsch» drauf steht, ist auch Kritik «an Deutschland», beispielsweise an deutschem Nationalismus oder dem Einsatz deutschen Militärs, drinnen. Manchmal verhält es sich inzwischen sogar fast genau umgekehrt: Die lautesten Schreier unter denen, die sich selbst (noch) «antideutsch»  nennen und schon längst dem ideologischen Werdegang der US-Neokonservativen (die ja auch oft ehemalige Linke sind) nacheifern, hätten es ganz gern, wenn auch deutsches Militär im Nahen und Mittleren Osten mitmischen würde. Natürlich, um die Bösen in Zaum zu zwingen.

Vorausgesetzt wird dabei natürlich, dass die Waffen keinsfalls zum Beispiel gegen israelische Soldaten gerichtet werden dürfen, auch falls Israel sich mal wieder weit innerhalb seines Nachbarlands verteidigen sollte ; dieses potenziell denkbare Szenario diente ja vielen bürgerlichen Opponenten (wie FDP-Chef Guido Westerwelle) gegen eine Entsendung deutscher Bundeswehrsoldaten als Argument, um ihre Ablehnung eines solchen Einsatzes zu begründen. Dass keinesfalls auf israelische Soldaten geschossen werden darf, dagegen ein paar tote Araber schon mindestens drin sein müssen, ist für diese Variante von «Antideutschen»  - umgekehrt - Minimalbedingung für ihre Befürwortung. Auf diese Weise können sie ihre zum Teil unverhüllten Gewaltwünsche dann «historische korrekt» und «lupenrein antifaschistisch» ausleben.    

Nun soll hier nicht die Rede von sämtlichen Erscheinungsformen der anfänglich so genannten «Antinationalen» und jetzigen «Antideutschen» sein. Gerade diese Szene ist heutzutage extrem aufgesplittert und zerklüftet. Im Grunde besteht sie aus unzähligen rivalisierenden Gruppen mit unterschiedlich intensivem ideologischem Anspruch. Einigen jüngeren Anhängern ihrer Ideologie dient das plakativ demonstrierte «Antideutschtum»  nach wie vor als vermeintliche ultimative Provokation und als Platzhalter für eine fundierte, radikale Gesellschaftskritik. Dagegen betreiben viele der Altvorderen und führenden Propgandisten längst Realpolitik im neokonservativen Fahrwasser,  sprechen auf Kundgebungen mit CDU-Dominanz im Rednerprogramm (wie Thomas von der Osten-Sacken in Berlin am 28. Juli 2006, dessen Rede jene des aubenpolitischen Sprechers der CDU/CSU Eckart von Klaeden unmittelbar voraus ging) oder absolvieren gemeinsame Auftritte mit CSU-Innenminister Günter Beckstein wie am 17. Juni dieses Jahres in Frankfurt/Main. Im ersteren Falle ging es darum, die propagandistische Trommel zur Unterstützung des militärischen Vorgehens der israelischen Armee im Libanon zu rühren. Beim zweiten Male ging es darum, gegen einen (nicht eingetretenen) Besuch des iranischen Präsidenten Ahmud Ahmedinejdad am Rande der Fubball-WM in Deutschland zu demonstrieren. Gemeinsam mit einem Abschiebepolitiker wie Beckstein, dem so einige Iraner/innen ihre erzwungene Rückkehr in die «Islamische Republik» zu verdanken haben dürften.     

Wenn eine halbe Million Soldaten (aus der BRD und anderswo) im besetzten Iraq stünde... würde alles gut

Ein Justus Wertmüller, der - an der Spitze der Bahamas-Sekte – immerhin der mit Abstand dienstältesten Jüngerschar im « antideutschen » Spektrum vorsteht, weib sehr genau, was er sagt und tut. Auch wenn man ihm ideologische Verblendung nachsagen mag: Ihm kann man nicht unterstellen, in jugendlichem pseudo-radikalem Überschwang zu handeln. Wertmüller weib hinlänglich genau, für welchen (unerklärten) ideologischen Kurswechsel er plädiert, wenn er sich nunmehr für eine massive europäische und darunter auch deutsche Truppenpräsenz beispielsweise im besetzten Irak ausspricht. Von der Bundeswehr spricht er dabei nicht explizit, das überlässt er naiveren Plappermäulern.

In der Ausgabe 48/2005  der Sektenzeitschrift Bahamas malte Wertmüller aus, wie eine seiner positiven Utopien aussähe: « Stünden zusätzlich zu den Truppen der Koalition der Willigen weitere 300.000 Soldaten, Techniker und Fachleute aus Europa im Irak, und stünde den Islamisten weltweit anstelle des interessierten Mißverständnisses europäischen Appeasements und kulturrelativistischer Doktrin eine geschlossene antifaschistische Front entgegen, wäre binnen kurzer Zeit Schluß mit sunnitischem Terror und schiitischem Klerikalfaschismus im Irak (...) » (Höchstwahrscheinlich stünde dort ohnehin kein Stein mehr auf dem anderen, wenn man Leute wie den zitierten Autor nur machen liebe. Dass eine härtere Besatzungspolitik, so wie er sie sich ausmalt, die islamistische Ideologie bestimmt nicht schwächen, sondern im Gegenteil die reaktionären Djihad-Anhänger noch mehr zu « Widerstandskämpfern » adeln würde, liegt auf der Hand. Und dass Letztere sich dabei eine Niederlage einhandeln würden, ist überhaupt nicht sicherer: In den späten 50er Jahren standen eine halbe Million französische Soldaten auf einmal in Algerien, das hat die Niederlage Frankreichs dort nicht verhindert. Und dabei hat der Iraq heute eine drei mal höhere Einwohnerzahl, als Algerien damals. Unterschiedlich ist indes die politische und soziale Natur der nationalen Befreiungsfront in Algerien einerseits, des Gemischs aus Nationalisten, Islamisten und internationalen Djihadisten im Iraq andererseits.)

Dabei spricht Wertmüller noch allgemein von Europa, nicht von Deutschland. Aber auch das Verhältnis zu jenem Deutschland, als dessen angebliche «radikalste Opponenten» die Jüngerschar dereinst auftrat, hat sich unmerklich gewandelt. Wenn, ja wenn es nur ein Frontstaat sein wollte, so wie Wertmüller und von der Osten-Sacken und einige Andere ihn sich ausmalen, und nicht so elend pazifistisch daher käme, dann wäre dieses Deutschland doch eigentlich ganz in Ordnung. Dass dies heute nicht der Fall ist, liegt einzig und allein am mangelnden Kriegswillen. Wertmüller in seiner Rede, die er für die Frankfurter Kundgebung vom 17. Juni 2006 (die dort von einem Mitglieder der «Prozionistischen Linken» Frankfurt für ihn verlesen wurde) abfasste: « Meine Damen und Herren, ich lebe wie jeder vernünftige Mensch auch lieber ohne Angst vor Terroranschlägen. Aber bevor ich mich von Nazis – seien sie nun deutsch und braun oder islamistisch und grün – nötigen lasse, jüdische, amerikanische oder religionskritische Menschen ihrem mörderischen Zugriff auszuliefern, wage ich lieber etwas.  Die Verteidigung der westlichen Zivilisation (...) vor solchen Zumutungen, wäre es mir schon wert, mit einem mulmigen Gefühl in die U-Bahn einzusteigen. Würde das eine Mehrheit im Land und die Regierung genauso sehen,  dann – und keinen Moment früher – mag in einem Meer von israelischen Fahnen von mir aus auch die ein oder andere deutsche wehen! »  Kurz zuvor hatte Wertmüller sich zwar gegen die aktuelle Präsenz von Deutschlandflaggen ausgesprochen – freilich nur wegen des bösen deutschen Nationalpazifismus -, aber als Klarstellung hinzugefügt: « Ich bin mir zwar fast sicher, daß solche Patrioten weit verbindlichere Freunde Israels sind als sogenannte Kritiker, die nur darauf gelauert haben, unsere Kundgebungen wegen zwei Fahnen und einem bayerischen Innenminister als nationalistisch, rassistisch (...) zu verunglimpfen.» (Vgl. http://www.kritiknetz.de)  Das Hauptproblem sind also, wie inzwischen fast immer bei Wertmüller, die bösen Linken.    

Über die Bundeswehr im Nahen Osten spricht Wertmüller nicht. Andere tun es, und fordern zum Beispiel:  « Deutschland (muss) klar machen, auf welcher Seite es steht – und den Kopf hinhalten: nicht ein Lazarettschiff vor Beirut ankern lassen, sondern Kampftruppen mit ordentlicher Bewaffnung stationieren, die im Bedarfsfall den Konflikt mit der Hizbollah aufnehmen, wenn die sich ihrer Demilitarisierung verweigert. » Denn, so liest man am selben Ort, « dabei ist Deutschland längst ganz normal. Das nicht zu begreifen, wird langsam auch zu einem Problem der antideutschen Linken. Die Normalität nicht anzuerkennen, führt letztlich dazu, Deutschland seine Neutralität im Konflikt mit dem Jihadismus zuzugestehen. (...) Nun mag man sagen, dass, wenn der erste Soldat bei der Verteidigung Israels das Leben lässt, in Deutschland endgültig der Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden würde, dagegen ist einzuwenden: Vielleicht wäre das der zulässige Moment. » Das meinten übrigens auch beispielsweise grüne Politiker, die selbst ehemalige radikale Linke waren und die 1995 o. 1999 einem Bundeswehreinsatz auf dem Balkan zustimmten, « um ein zweites Auschwitz zu verhindern »... Und konnte man (als unbelehrbarer Gegner deutscher Militärpolitik und/oder NATO-Politik) dem wirklich widersprechen, dass die Verhinderung eines Völkermords dafür « der zulässige Moment » war... ?

Der das oben Zitierte schreibt, heibt Ivo Bozic und ist Redakteur bei der Jungle World (Ausgabe vom 23. August 2006). Seinen Beitrag, so erfährt man an anderer Stelle, wollte er ursprünglich unter den kämpferischen Titel stellen: « OK, Mullah, Mann gegen Mann! » (Vgl. http://planethop.blogspot.com/2006_08_01_planethop_archive.html ) Dass der Journalist sich schon im Kampfanzug und mit einem Gewehr über der Schulter auf dem Weg in den Nahen Osten befinde, « um diesen Fundamentalistenschweinen mal so richtig klar zu machen, was ‘ne deutsche Harke is’ », ist aber von gewöhnlich gut unterrichteter Seite dementiert worden.  

Deutschland ist normalisiert, aber die Araber sind viel böse

Ein anderer (unregelmäbiger) Autor derselben Wochenzeitung -- in der zum Glück auch noch völlig andere Orientierungen zu Wort kommen -- hatte im Juni dieses Jahres ebenfalls dafür plädiert, endgültig die alarmistische Kritik am seit 1990 «erwachenden»  Deutschland (welche die Antideutschen seit den Tagen der Wiedervereinigung zunächst ausgezeichnet hatte) fahren zu lassen. Unter der Überschrift « Falscher Alarm »  schrieb Markus Ströhlein in Jungle World vom 21. Juni 2006, anlässlich der linken Debatte über die Vermehrung  schwarz-rot-goldener  Fahnen während der jüngsten Fubball-WM: « Die Aufregung über den Nationalismus ist daher überflüssig. Auch deshalb, weil Nationalismus insgesamt ein alter Hut ist. In einer Welt der globalisierten Wirtschaft hat das Kapital kein Interesse mehr an nationalen Lösungen. » Eine derart platte Ableitung der Existenz oder Nichtexistenz politisch-ideologischer Gefahrenpotenziale aus vermeintlichem Kapitalinteresse hätte noch vor wenigen Jahren jeden Antinationalen oder Antideutschen alias « Ideologiekritiker » in Nullkommanix auf die Palme gebracht. Und man muss wohl schon Ströhlein heiben oder aber Ähnliches im Oberstübchen haben, um derart flach die Virulenz oder Ungefährlichkeit von Ideologie aus dem Kapital und seiner Globalisierung herzuleiten. (Dem Autor Markus Ströhlein widersprachen allerdings die ebenso scharfsinnigen wie differenzierten Debattenbeiträge von Rainer Trampert und vom Jungle World-Redakteur Jörn Schulz in derselben Zeitung. Puh, noch mal die Kurve gekriegt!)

Nicht, dass jeder Alarmismus anlässlich des Fahnenmeers vom Frühsommer notwendig richtig gewesen wäre – nur, offenkundig ist, dass der genuin «antideutsche» Anspruch damit, pardon, im Orkus ist. Das hinderte denselben Ströhlein nicht daran, vier Wochen später zu den fanatischsten «Antideutschen»  aufzuschlieben. Gemeinsam mit einer Riege von Kadern und Ideologen aus diesem Sektenspektrum steht Markus Ströhlein unter dem ursprünglichen Aufruf zu der Demo vom 28. Juli in Berlin, die aus diesem Spektrum lanciert worden war, bevor sich die offizielle Jüdische Gemeinde sowie konservative Kräfte ebenfalls an die Initiative dranhängten. Und in Jungle World vom 26. Juli 2006 beschwerte sich Ströhlein auf einer ganzen Zeitungsseite darüber, dass deutsche Medien – wie er vermerkt:  abgesehen von positiven Ausnahmen wie BILD, Die Welt und Die Zeit – zu viel, zu apokalyptisch und zu Anteil nehmend über die Zerstörungen im Libanon berichteten. 

Die antideutsche Pose, im ursprünglichen Wortsinne aufgefasst als: Kritik an Vorgängen in Deutschland, oder an von diesem Land tatsächlich oder vermeintlich ausgehenden Gefahren – ist also dahin. Jedenfalls für viele ihrer Protagonisten ist dieser kritische Anspruch in alle Winde zerstoben. « Antideutsch »,  das bedeutet heute in dieser Variante: Die Kriege des Staates Israel unterstützen, und die baldige Bombardierung Syriens und des Iran durch die USA lautstark herbei wünschen. Und ab da wird es nun wirklich Springer-kompatibel!     

1991: Die Geburtsstunde der antideutschen Ideologie. Am Ausgang steht eine historische Projektion

Dass es so und nicht anders kam, ist auf eine politisch-ideologische Auseinandersetzung mit historischen Schatten zurückzuführen, die vor allem während des Luftkriegs im Irak im Januar/Februar 1991in Teilen der deutschen Restlinken ausgetragen wurde. Damals waren auf der einen Seite Teile dieser Restlinken, vor dem Hintergrund alarmistischer Warnungen vor den historischen Konsequenzen der Wiedervereinigung, frisch über das drohende «Vierte Reich» verängstigt. Der Vollzug des staatlichen Zusammenschlusses von BRD und DDR, im Oktober 1990, hatte just drei Monate vor Ausbruch des damaligen «Zweiten Golfkriegs» stattgefunden. Auf der anderen Seite aber benutzten bürgerliche Kräfte in Deutschland, die (mit der frisch wiedergewonnenen, vollen staatlichen Souveränität der BRD im Rücken) Anschluss an die militärischen Konflikt suchten und die Bundeswehr über «NATO-Bündnisverpflichtungen» in den Golfkonfliktschicken wollten, die Gelegenheit zur Inszenierung einer ideologischen Kampagne.

In den ersten Kriegstagen, am 18. und 19. Januar 1991, hatte der irakische Diktator Saddam Hussein auf die Bombardierung durch die USA und ihre Verbündeten geantwortet, indem er Scud-Raketen (sowjetischer Bauarbeit, aber vom deutschen Thyssen-Konzern modernisiert) auf militärische Basen in Saudi-Arabien sowie auf das Staatsgebiet Israels feuern lieb. Militärisch hatten diese Angriffe kaum reale Bedeutung. Auch verglichen mit dem Raketenbeschuss der nördlichen Grenzregion Israels durch die Hizbollah, im jüngsten Konflikt, waren sie weitgehend bedeutungslos. Aber politisch mab das irakische Regime ihnen eine relativ hohe Bedeutung zu: Die in Teilen der arabischen Öffentlichkeit als «endlich aufkommende Gegenwehr» verstandenen Raketenabschüsse sollten die öffentliche Meinung in der Region für eine Unterstützung seines Regimes gewinnen. Bis dahin war Saddam Hussein für die allermeisten Menschen im Grobraum rund um das Mittelmeer «ein übler Diktator unter vielen anderen» gewesen. Jetzt aber sollte er als «Held und Anführer einer Widerstandskoalition» betrachtet werden, eine Rechnung, die aber nur zum geringeren Teil aufging. 

Nach einigen Tagen des Konflikts drohte Saddam Hussein – verbal – damit, die nächsten Raketen in Richtung Israel mit chemischen Sprengköpfen zu bestücken. Militärisch war er dazu real wohl gar nicht in der Lage: Die Scud-Raketen, deren (ursprünglich sehr viel kürzere) Reichweite durch deutsche Techniker «frisiert» worden war, konnten gar keine solche Sprengkopflast tragen. Und bei den US-Luftangriffen waren die meisten Abschussrampen längst aufgespürt und zerstört worden. Aber viele Menschen in Israel hatten sehr real Angst, und die traumatisierendsten Bilder in der jüdischen Geschichte – vom Tod durch Gasmord – kehrten wieder zurück.

In dieser Situation kam es zu einer doppelten Bewegung. Staatstragende Kräfte in Deutschland nutzten dieses Thema, um Stimmung für eine Kriegsbeteiligung Deutschlands – als endlich erfolgende Abtragung deutscher Schuld, da ein Beitritt zum Konflikt Israel nutze – zu machen. Ihnen ging es faktisch vor allem darum, den Aktionsradius der Bundeswehr (nach dem Wegfall der bis 1990 geltenden Souveränitätsbeschränkungen) rapide auszuweiten. Ihre westlichen Verbündeten bremsten die BRD dabei aber zunächst aus. Seitens der CDU entdeckte man die «historische Verantwortung  für Israel». Andere Kräfte inszenierten in der Öffentlichkeit ihren Wunsch nach stärkerer Beteiligung am Konfliktgeschehen als moralisches Dilemma. Ähnlich wie später die Grünen ihre hochmoralischen Begründungen für die Teilnahme am Krieg Jugoslawien 1999 (damals musste dringlich im Kosovo ein «zweites Auschwitz» verhindert werden) lieferten und ihre «innere  Zerrissenheit» zelebrierten. Denn ist der Pazifismus  - jetzt, wo die Einschränkungen der Souveränität historisch überkommen sind – nicht hinfällig, wenn Auschwitz sich soeben zu wiederholen droht? Unter diesem Blickwinkel diskutierten beispielsweise die hessischen Grünen schon im Februar 1991 die politisch-militärische Haltung gegenüber Israel in dem laufenden Konflikt. Da es sich damals um den allerersten Einstieg in eine Debatte handelte, die 1999 die grüne Regierungspartei in den Kosovo-Krieg manövrieren sollte, fing man klein an: Durfte man als Pazifist und Gutmensch nicht wenigstens für die Lieferung von Abwehrraketen (vom Typ ‘Patriot’) der Bundeswehr an Israel – das diese Raketen aber gar nicht abforderte - eintreten?

Innerhalb der frisch vom historischen Alarmismus aufgescheuchten Teile der Restlinken aber stieb diese Kampagne auf ein heftiges Echo. Denn dort fühlte man sich auf die schlimmste Weise in seinen Vorhersagen bestätigt. Nun wurde es just zum Indiz für hinter der sichtbaren Entwicklung verborgenes «Noch Schimmeres»,  dass die BRD (wie man doch konstatieren konnte) eben nicht real mit Truppen am Golf vertreten war. Und hatten nicht deutsche Firmen an der Ausrüstung  des Irak mit Anlagen zur Giftgasproduktion teilgenommen? Na also.

Dieser Hinweis stimmte natürlich im Übrigen. Nur hingen in Wirklichkeit die Dinge nicht ganz genauso miteinander zusammen, wie man es gemäb einer suggestiven Verkettung der Geschehnisse wahrhaben mochte. Tatsächlich hatten deutsche Firmen (neben französischen, britischen und US-amerikanischen Unternehmen oder staatlichen Institutionen) in den 80er Jahren an der Aufrüstung des Iraq, auch im ABC-Waffensektor, mitgewirkt. Aber diese Aufrüstung hatte nicht zum Zweck, einen Angriff auf Israel zu ermöglichen, sondern erfolgte im Rahmen des Krieges zwischen dem Iraq und dem Iran. Dieser mörderische Krieg, der von 1980 bis 88 dauerte, wurde durch fast alle führenden Industrieländer mit massiven Waffenlieferungen (oft an beide Seiten, wie im Falle der Bundesrepublik, während Frankreich «einseitig» den Iraq ausrüstete) unterhalten. Trug er doch dazu bei, die eigene Konjunktur zu unterstützen, aber auch zwei Regionalmächte zu schwächen, die OPEC zu spalten und den Ölpreis (der 1985/86  sein historisches Rekordtief erreichte) damals in den Keller rutschen zu lassen. Ferner diente der Kriegsschauplatz Iran/Iraq den führenden Grobmächten auch als Testfeld für moderne Waffensysteme, da ein gröberer «heiber» Krieg zwischen den Militärblöcken damals kurzfristig ausgeschlossen blieb. Eine Kriegsführung des Iraq gegen Israel lag zu jener Zeit nicht im Bereich des Denkbaren, und es hätte auch nicht im Interesse der US-Administration  gelegen, die ihrerseits ebenfalls massiv an der damaligen Aufrüstung des Iraq beteiligt war.

Doch eine historisch-ideologische Assoziationskette war schnell gesponnen: Deutschland findet zu seiner Vergangenheit zurück; Deutschland hat dem Iraq Giftgas geliefert; das iraqische Regime möchte Israel auslöschen und bereitet sich darauf vor; zugleich gehen in Deutschland Hunderttausende Menschen gegen die Bombardierung des Iraq auf die Strabe. Klar war damit scheinbar folgendes, so die antideutsche Sichtweise: Hitlers langer Arm macht nun seine Pläne zur Ausrottung der Juden mittels Gasmord wahr. Ähnlich, wie viele Deutsche nach 1945 nur an die Opfer der Bombardierung Dresdens dachten und daher sich selbst und ihre Nation zum angeblichen Opfer des Zweiten Weltkriegs stilisierten, ist auch dieses Mal die Empörung über die Bombenteppiche nur die Ablenkung vom wahren Verbrechen (wie damals vom Holocaust). (Vgl. dazu den damaligen Jungle World-Redakteur Anton Landgraf im Jahr 2001, im Rückblick auf den Golfkrieg zehn Jahre zuvor: «Für einige Wochen bedrohten irakische Scud-Raketen das Land und zum ersten Mal seit dem Ende des Nationalsozialismus schien ein Szenario wieder möglich, in dem Juden mittels Gas ermordet werden. Schon damals stieß diese Gefahr in Deutschland und Europa auf erstaunliche Ignoranz. Tausende gingen auf die Straße, um gegen den Krieg zu protestieren - nicht jedoch gegen die Vernichtungspläne Husseins, sondern gegen den Feldzug der USA.» Vgl. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/40/15a.htm) Die deutschen Massen sind aus diesem Blickwinkel, einmal mehr, Komplizen eines schnauzbärtigen Diktators, der vom Ende der Juden träumt (So quasi wörtlich Thomas von der Osten-Sacken im Jahr 2002 im Vorausblick auf den nächsten Krieg gegen den Iraq, dem er damals von Ausgabe zu Ausgabe der Jungle World in zittriger Vorfreude entgegen fieberte: « ...dass vor dem Sturz eines schnauzbärtigen Diktators mit Vorliebe für Giftgas und Angriffskriege - eines echten Führers also, der zudem die Vernichtung von Juden zum Staatsziel erklärt - der Geist ihrer Vorfahren in die Deutschen gefahren sei..» Vulgärpsychologischer und abgeschmackter ging’s nun wirklich nimmer... Vgl.. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/40/18a.htm)  Saddam Hussein erschien also als der neue Hitler, nachdem bereits Gamal Abdul Nasser 1956 – dem Jahr des französisch/britisch/israelischen Angriffs auf Ägypten – in Frankreich und Israel explizit als «der neue Hitler» bezeichnet worden war, was später zeitweise auch Yassir Arafat widerfuhr. (Anlässlich der Bombardierung von Beirut 1982 war der dortige Bunker von PLO-Chef Yassor Arafat in Israel als «Hitlerbunker» tituliert worden. Dies trug sicherlich dazu bei, Hemmungen bei den brutalen Bombardements der libanesischen Hauptstadt abzubauen oder zu überwinden. Der Historiker Georges Crom beziffert die Zahl der Toten im Libanon, die durch israelisches Eingreifen verursacht wurden, während der Dauer des Bürgerkriegs auf 50.000 bis 60.000 ; vgl. http://www.humanite.fr/journal/2006-08-07/2006-08-07-834626 )

Auf den im 1991er Golfkrieg von manchen Linken, etwa in der u.a. durch Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth herausgegebenen Flugschrift der Radikalen Linken vom März 1991, gezogenen historischen Vergleich (die verbreitete Befürwortung  des damaligen Krieges « der Zivilisierten gegen die Barbarei » durch Linke oder ehemalige Linke stelle einen neuen August 1914 dar) antwortete von bürgerlicher und früh-antideutscher Seite eine andere historische Parallele: Wer diesen Krieg gegen den neuen Hitler jetzt nicht befürwortete, betrieb «Appeasement». So, wie die französische und britische Regierung mit dem Münchner Abkommen von 1938, und im Bevorstehen eines (neuen) Auschwitz. Diese Bemühung des « Appeasements »-Begriffs und der Erinnerung an die zeitweise Komplizenschaft bürgerlicher Staat mit Hitler (« Solange sein Expansionsdrang nur nach Osten gerichtet ist... ») wurde in der jüngerer Geschichte allerdings auch schon überstrapaziert. So bezeichnete der damalige US-Präsident Llyndon B. Johnson seine Politik der Ausweitung des Krieges gegen (Nord-)Vietnam damals explizit als « Anti-Appeasement-Politik ». Gemeint war damit: die Verweigerung von « Appeasement » gegenüber dem angeblichen Expansionsstreben des sowjetischen Kommunismus. So lassen sich eben alle angeblichen historischen Parallelen bequem zu aktuellen Zwecken, auch unschönen, instrumentalisieren. Die « Antideutschen » beherrschen diese Kunst meisterhaft, aber sie sind eben nicht die Einzigen, die darin darin geübt sind.

Das oben Dargestellte ist bis heute, übertragen auf andere Konflikte (im gesamten Nahen und Mittleren Osten), der harte Kern der antideutschen Ideologie. Nur ist das, was damals eine blobe Assoziationskette mit kaum vorhandener theoretischer Begründung war, inzwischen zur Sockel einer veritablen ideologischen Konstruktion geworden. Und frühere Widersprüche sind dabei längst begradigt worden. So setzten sich viele der frühesten Antinationalen oder Antideutschen 1991 noch für ein Ende des Bombenkriegs auf den Irak und gleichzeitig für eine scharfe Kritik an deutschen Rüstungslieferungen an den Iraq, für eine Unterstützung der Israelis in ihrem Protest gegen «deutsche Gaslieferanten» und für eine «Entwaffnung Deutschlands» (statt Auslandseinsätzen der Bundeswehr) ein. Darunter damals der Autor dieser Zeilen... Aber spätestens im Iraqkrieg von 2003 wurde diese unterschiedlichen Aspekte von Kritik, die allesamt « an und für sich » richtig sind (Kritik am Überfall auf den Iraq oder an Auslandseinsätzen deutschen Militärs, ebenso wie Kritik an der früheren Aufrüstung des Iraq durch deutsche und andere Firmenà), längst gegeneinander ausgespielt. Ging es unter anderem nach den « Antideutschen », dann konnte man nur das Eine kritisieren, um das Andere zu befürworten, oder umgekehrt. Aus dieser historischen Falle sollte sich die übriggebliebene Linke von nun ab befreien. 

Götz Aly und die 1991er Debatte: Aly Baba und die vierzig Bomber

Auch der heute hinlänglich bekannte Historiker und politische Propagandist Götz Aly trug damals erheblich zur Aufladung der Debatte bei, und hatte einen nicht geringen Anteil am Zustandekommen der historischen Übersprungshandlung der Befürwortung eines « Anti-Nazi-Krieges » an der fernen Front. Beispielsweise durch seinen Artikel in der taz vom 16. Februar 1991: « Szenen der deutsch-arabischen Freundschaft », Untertitel: « 1937 begann ein Flirt zwischen der deutschen Regierung und dem Grobmufti von Jerusalem / Grundlage war das gemeinsame Interesse an der «Regelung der Judenfrage»/ Waffenlieferungen, Öl und arabischer Nationalismus bildeten schon damals ein brisantes Gemisch/ Eine Dokumentation. » Dieser doppelseitige Text erschien auf dem Höhepunkt der innerlinken Auseinandersetzung zum Golfkrieg. Auch der Verfasser dieser Zeilen lieb sich zum damaligen Zeitpunkt von diesem Artikel, der zumindest implizit eine Kontinuitätslinie zwischen den damaligen und den aktuellen Ereignissen behauptete, intensiv beeinflussen. Das einzige Problem besteht darin, dass das in der Dokumentation Dargestellte mit dem Kriegsgeschehen von 1991 schlichtweg nichts zu tun hatte. Aber hinsichtlich der Wahrnehmung des Luftkriegs in jenen Wochen entfaltete dieser Artikel dennoch eine mächtige suggestive Wirkung: Wer nicht auf Seiten der US-Alliierten stehen möchte, steht auf derselben Seite wie die Nationalsozialisten... 

Dass diese Zurechtbiegung historischer Parallelen in Ansätzen glaubwürdig erschien, hing übrigens auch mit den Positionen von gröberen Teilen der klassisch rechtsextremen Parteien zusammen, die (wie der französische Rechtsaubenpolitiker Jean-Marie Le Pen) in der damaligen Situation den irakischen Präsidenten Saddam Hussein unterstützten. Im Falle des Vorsitzenden des französischen Front National ging es damals u.a. darum, kurz nach der Beendigung des Kalten Kriegs - während dessen er, aufgrund des Primats des Antikommunismus, pro-amerikanische Positionen eingenommen hatte – nunmehr den Bruch mit den liberalen Varianten des Kapitalismus und dem Atlantizismus zu vollziehen, um die extreme Rechte als neue «Anti-System-Opposition» (nach dem «definitiven Ende des Kommunismus») zu präsentieren. Die Mehrheit der bisherigen Wähler Le Pens - 52 Prozent - war allerdings mit dieser Positionierung nicht einverstanden bzw. antworteten in Umfragen auf die Frage, ob der FN-Chef damit «französische nationale Interessen» vertrete, mit Nein. Auch die vor allem in Süddeutschland starken Republikaner (REPs) bübten wegen ähnlicher Positionen manche ihrer Mitglieder ein; in Konstanz zum Beispiel verloren sie im Januar 1991 ihren Direktkandidaten bei der Bundestagswahl vom Dezember 1990. Er wollte lieber den damaligen US-Präsidenten Bush (senior) unterstützen.

Kurz darauf tobte die innerlinke Debatte um die richtige Positionierung zu dem Krieg auf das Heftigste. Öl ins Feuer goss die Empörung über eine Äuberung des damaligen grünen Bundesvorstandssprechers Hans-Christian Ströbele (Berlin), der in einem Interview – das in der Jerusalem Post und der Süddeutschen Zeitung und einige Tage später in der taz vom 20. Februar 1991 abgedruckt wurde - bezüglich des Scud-Abschusses durch den Iraq erklärte hatte, es handele sich bei diesen Angriffen um  «die logische, fast zwingende Konsequenz aus der israelischen Politik». Damit hatte er nur anders formuliert, was bereits zuvor in einem (von ihm verfassten)  Schreiben des grünen Bundesvorstands an die israelische Friedensbewegung formuliert worden war: «Schon die bisherigen Raketen auf Israel waren die Konsequenz des Setzens auf die kriegerische Lösung», in dem Sinne, dass die israelische Führung von Anfang an die Kriegspläne der USA gegenüber dem Iraq unterstützt hatte.

Diese Aussage war tatsächlich kritikwürdig: Selbstverständlich beschränkte sich die iraqische Diktatur nicht darauf, blob auf die israelische Politik zu reagieren, sondern es handelte sich vielmehr um ein Agieren in ihrem eigenen Interesse: um mit den (in ihrer konkreten Form eher symbolischen, denn militärisch bedeutsamen) Scud-Angriffen die Sympathien der Massen in den arabischen Ländern zu seinen Gunsten zu erwecken. Einen Zusammenhang mit der Politik der israelischen Führung gab es dennoch: Saddam Husseins schon vor Eröffnung des Golfkriegs ausgesprochene Drohungen, im Falle eines Angriffs auf den Iraq seinerseits Israel zu attackieren, fanden in der arabischen Welt besonderes Gehör, nachdem am 8. Oktober 1990 das «Massaker auf dem Tempelberg» stattgefunden hatte. Eine Sekte von jüdischen Religionsfanatikern hatte an diesem Ort in Jerusalem, wo heute die Al Aqsa-Moschee steht und früher einmal der wichtigste jüdische Tempel stand, Auseinandersetzungen provoziert, indem sie eine «Grundsteinlegung für den Bau des dritten Tempels» (der die Moschee «ersetzen» solle) vornehmen wollte. Bei den folgenden Zwischenfällen erschoss die israelische Polizei 17 Araber, während rund 300 zum Teil schwer verletzt und zahlreiche Verhaftungen unter Palästinensern vorgenommen wurden. Dieses Massaker wurde vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verurteilt. In diesem Kontext stieb der iraqische Diktator Saddam Hussein viel beachtete Angriffsdrohungen gegen Israel im Falle eines Krieges am Golf aus (vgl. die Titelschlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. 10. 1990: « Nach dem Blutbad auf dem Tempelberg richtet Saddam Hussein Drohungen gegen Israel »). Doch gab es auch dabei keinen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen israelischer Aktion und blober iraqischer Reaktion, denn bereits am 21. September 1990 hatte Saddam Hussein im iraqischen Fernsehen propagandistisch ausgerufen: «Der nächste Krieg wird ein Kampf um die Befreiung Jerusalems sein».

Hans-Christian Ströbele musste infolge seiner Äuberungen, die er wenig später bedauerte und zurücknahm, von seinem Amt als Bundesvorstandssprecher der Grünen zurücktreten. Kritik an ihnen war, wie ausgeführt, tatsächlich berechtigt. Allerdings gaben sie gleichzeitig Anlass zu einer Kampagne, die mit dem tatsächlichen Gegenstand der Kritik nur noch sehr entfernt zu tun hatte. Der pro-israelische Berliner Journalist Henryk M. Broder, der das Interview mit Ströbele geführt hatte, nutzte die Polemik, um die Gegner der Bombardierung des Iraq in einem Aufwasch zu attackieren (vgl. dazu seine nachträgliche Abrechnung - mit Ströbele, den Golfkriegsgegnern und dem "kommunistischen Antiimperialismus". Vgl. dazu: http://www.henryk-broder.de/html/fr_wunder.html, vor allem im unteren Drittel des Artikels).

Ein 33jähriger Mitarbeiter der Grünen in Baden-Württemberg (der dortige Landesverband war schon damals eher CDU-nahe) namens Christian Vogt-Moykopf behauptete seinerseits im Spiegel Nr. 18/1991, der Parteilinke Ströbele habe ihm gegenüber erklärt, für eine Beendigung des Krieges nehme er auch bewusst «den Tod einer Million Juden in Kauf». Ströbele klagte dagegen als Falschaussage und gewann; die Verbreitung der Behauptung wurde Vogt-Moykopf durch ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 1991 verboten. (Was den antideutschen Ideologen Thomas von der Osten-Sacken nicht daran hinderte, die Verleumdung in der Jungle World Nr. 22/2001 zu wiederholen, was in der Nr. 25/01 den Abdruck einer Gegendarstellung nach sich zog.) Dagegen unterlag Ströbele um dieselbe Zeit vor Gericht mit seinem Vorwurf, Broder habe das Interview mit ihm manipuliert, wenngleich er es umformuliert hatte. Höchst fragwürdig waren Auslassungen von Ströbeles Rechtsanwalt Klaus Eschen in einem Leserbrief an die taz vom 22. März 1991, worin es hieb: «Broder hat seine Kampagne anfangs so geschickt eingefädelt, daß ich ursprünglich fast gedacht hatte, er wäre ein Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad mit dem Auftrag, die Grünen (...) zu spalten und einen der bekanntesten Kritiker der Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu 'neutralisieren'.» Kritik am offenkundig gezielten und politisch bewussten Agieren Henryk M. Broder lieb sich auch ohne dümmliche Agenten- oder Verschwörungstheorien vortragen.

Götz Aly seinerseits legte kräftig Zunder nach und schrieb in der taz vom 26. Februar 1991 über Ströbele und seine grüne  Vorstandskollegin Renate Damus, die Henryk M. Broder (der das umstrittene Interview geführt hatte und dem eine suggestive Interviewführung vorgeworfen wurde) als «Schmierenjournalist» qualifiziert hatte: «Sprachlich knüpften beide Vorsitzende der Grünen völlig unverhohlen an den Stürmer und die Nationalzeitung an.»  Es handele sich um einen «untergründigen, in normalen Zeiten offensichtlich nur knapp verkniffenen Antisemitismus», und in der Logik der Grünen seien «plötzlich wieder die schuld, die in Deutschland schon immer schuld waren: die ‘perfiden’ und ‘schmierigen’ Juden». Diese Vorwürfe waren nicht nur überzogen, sondern grundfalsch.   

Götz Aly, der 1991 noch regelmäbiger Mitarbeiter der taz war, machte später noch als so genannter Historiker von sich reden. Nicht zum letzten Mal sollte er, in propagandistischer Absicht und auf  verquere pseudo-historische Art und Weise, angebliche geschichtliche Analogien neuerer historischer Ereignisse zum NS-Staat bemüht haben. In der taz vom 17. April 1999 schrieb er (unter dem Titel: « Das Deutsche in Serbien. Ein Volk, ein Führer - gemeinsame Verbrechen ») über das damals noch von Slobodan Milosevic regierte Serbien, das zur selben Zeit durch die NATO bombardiert wurde, dass es Analogien zwischen NS-Deutschland und diesem südosteuropäischen Land gebe: « Ein Volk, ein Grobserbien, ein Führer. Unter dem Eindruck der Nato-Angriffe findet die serbische Volksgemeinschaft endgültig zu sich selbst.» Und in seinem höchst umstrittenen Buch Hitlers Volksstaat behauptete er 2005, das so genannte Dritte Reich sei  eine «Gefälligkeits-Diktatur», gar eine «Wohlfühl-Diktatur» gewesen, die sich die Zustimmung der Bevölkerung durch soziale Wohltaten erkauft habe. Daraus zog der Historiker auch kaum verhüllte Konsequenzen für die aktuellen Debatten um den Abbau des Sozialstaats, da er den modernen Sozialstaat in eine direkte Kontinuitätslinie mit dem nationalsozialistischen Volksgemeinschaftskonzept stellte – eine Konzeption, die etwa in den Spalten der Bahamas ausdrücklich geteilt wird, und die ihr Co-Chefideologe Uli Krug auch propagiert. (Vgl. zur Kritik an Götz Alys Thesen: http://www.zeit.de/2005/19/P-Aly  und http://www.jungle-world.com/seiten/2005/12/5160.php ; http://www.jungle-world.com/seiten/2005/15/5300.php ).

(Vorläufiges) Fazit

Angesichts der Interventionen dieses Autors in entscheidenden historischen Momenten (1991 beim Golfkrieg, 1999 beim Krieg gegen Serbien, 2005 bei der Debatte über Sozialabbau) lässt sich ohne gröberes Irrtumsrisiko feststellen: Die Instrumentalisierung von Geschichte (vor allem jener des NS-Staats) oder ihrer Darstellung zu Zwecken aktueller politischer Propaganda ist dem Journalisten bzw. Historiker Götz Aly, schon seit längerem, nicht fremd.

Die so genannten « Antideutschen » sind unterdessen auf einer von ihm mit ausgelegten Leimrute unterwegs. Seither kämpfen Justus (der Gerechte) und sein Sören Pansa, pardon, Sancho Pünjer eifrig gegen welthistorische Windmühlen an. Die hochgradig unseriösen « historischen Parallelenziehungen », die in diesem Spektrum handelsüblich sind, braucht man oftmals nur mit dem Finger anzutippen, dass sie platzen wie eine überreife Frucht. Denn die suggestive Verkettung von Ereignissen (aktuellen und geschichtlichen), die da vorgenommen wird, hält oft keinem kritischen Blick stand. Aber immanent betrachtet, « stimmt alles », sofern man nur an den behaupteten Gesamtzusammenhang glaubt - weshalb es auch wenig Sinn haben dürfte, ausgewachsene antideutsche Kader für rationalen Argumenten zugänglich zu halten. Ein Stück in der Kette reiht sich scheinbar logisch auf das andere, und eine Schlussfolgerung folgt scheinbar logisch auf die vorausgehende Annahme; nur darf man (aus diesem Blickwinkel) tunlichst nicht beachten, dass vielleicht das ganze Verkettungsprinzip einem falschen Grundmuster folgt.

Es ist ähnlich wie bei einer maoistischen Sekte, nehmen wir als Beispiel für eine solche die KPD/AO anno 1974. Nur, dass diese Leute – so politische irre sie an manchen Punkten auch gewesen sein mögen -- damals wenigstens noch eine historische Umwälzung jenseits des Kapitalismus im Sinne hatten... In ihrer Logik sah die damalige Weltsituation ungefähr so aus: Wenn man (erstens) mit der Annahme richtig liegt, dass das Herz der Weltrevolution in Peking pocht; und (zweitens) daraus richtigerweise die Annahme folgt, dass die dortigen Führungsgenossen bestimmt keinen wichtigen Fehler begehen können; dann muss es (drittens) auch richtig sein, dass - getreut den neuesten Parolen, die aus Peking ausgegeben wurden - der sowjetische « Sozialimperialismus und Sozialfaschismus » den weltweiten Hauptfeind bildet, gegen den die nationale Bourgeoisie dringend zur « Wachsamkeit » aufgerufen und gegen den, noch dringender, die Bundeswehr militärisch gestärkt werden muss. Ähnlich, wie es heute die US-Army und die Bundeswehr gegen die tausendarmige Krake des Islamfaschismus zu stärken gilt...

Erst wenn man die Annahme aufgibt, dass ein tieferer (und dem nicht genügend gestählten Kader vielleicht blob noch unerschlossener) Zusammenhang das ganze wahnsinnige Gedankengebäude zusammenhält, wird der ideologisch konstruierte Charakter dieses oder jenen Elements, wird die falsche Grundlage dieser oder jener Behauptung sichtbar. Dann aber gibt es kein Halten mehr, « alles ist dahin », und das ganze schöne Gebäude der ideologischen Konstruktion fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Übrig bleibt ein klägliches Häuflein Elend, jeglichen Sinnes beraubt.

Vielleicht, weil sie dies ahnen, müssen manche Kader auch so laut im dunklen Keller herumbrüllen, um sich « vor der Geschichte » nicht so nackt zu fühlen. Der antideutsche Schreihals Sören Pünjer etwa verkündet lautstark und mit martialischer Pose über Leute, die anderer Auffassung sind als er selbst: « Wer nichts zu sagen hat, soll auch nicht sprechen. » (So die Überschrift eines Artikels aus der Feder des nunmehrigen Bahamas-Redakeurs aus der Zeit, die er in Leipzig verbrachte. Vgl. http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/102/17.html. Den Mund verbieten wollte er übrigens mittels dieses Beitrags solchen Personen in Leipzig, die ebenfalls zur selben antideutschen Szene gehören oder gehörten, aber am einen oder anderen Punkt anderer Auffassung zu sein wagten. Und die etwa für eine weniger scharfe Abgrenzung zur Noch-Linken eintraten.) Damit dürfte unser kleiner Diktator-Lehrling allerdings nicht selbst gemeint haben. Solche Leute gucken eben nie in den Spiegel.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel schickte uns der Autor am 24.9.2006 zur Veröffentlichung.