Der französische Rechtsextremismus
Eine aufschlussreiche Materialsammlung von Bernhard Schmid

von Georg Polikeit

09/07

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Wer sich detailliert über die Entwicklung des französischen Rechtsextremismus in den letzten 20 Jahren und besonders dessen Hauptformation, die Le-Pen-Partei "Front National" (FN) informieren will, ist mit der Schrift "Das Frankreich der Reaktion - Neofaschismus und modernisierter Konservatismus" gut bedient. Sie erschien kürzlich im Pahl-Rugenstein-Verlag und war ganz neu schon auf dem UZ-Pressefest zu erwerben. Autor ist der 36-jährige Journalist Bernhard Schmid, der seit 1995 in Paris lebt und für die Schweizer linke "Wochenzeitung" sowie diverse andere Medien arbeitet.

Die mit vielen Zitaten, Zahlen und Quellenangaben versehene Darstellung bietet einen Überblick über die politischen und ideologischen Wechselfälle, die den Aufstieg der 1972 gegründeten "FN" von einer Splitterpartei ehemaliger Mittäter und Mitläufer des Vichy-Regimes, Ex-Kolonialfranzosen aus Algerien und autoritärer katholischer Fundamentalisten bis zu ihrem sensationellen Wahlerfolg von 17,7 Prozent im zweiten Wahlgang der Präsidentenwahl 2002 wie auch die anschließende Phase der Stagnation und des Rückgangs begleiteten. Wir erfahren von den inneren Auseinandersetzungen der verschiedenen Strömungen in diesem Lager, von den verschiedenen politischen Kurswechseln der "FN", vor allem aber von den Taktiken und Themen, mit denen es ihr gelang, nicht nur in den durch die kapitalistischen Krisenprozesse verunsicherten und bedrohten kleinbürgerlichen Mittelschichten, sondern auch in Teilen der Arbeiterklasse Einfluß zu gewinnen und eine gewisse Basis aufzubauen. Das ermöglicht einen Vergleich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit ähnlichen Entwicklungsprozessen in Deutschland und anderen EU-Staaten. Zu den Gemeinsamkeiten gehört sicher, dass der Rechtsextremismus auch in Frankreich neben seinem ideologischen Gebräu aus Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Autoritätspropaganda vor allem auch das Thema der "inneren Sicherheit" und Kriminalitätsbekämpfung instrumentalisiert und sich den Anstrich einer Partei des sozialen Protests gegen "das System" zu verschaffen versucht.

Das Spektrum der etablierten konservativen Rechtskräfte, also der im Untertitel erwähnte "modernisierte Konservatismus" wird in dem Buch allerdings weniger ausführlich behandelt. Das lässt die Frage aufkommen, ob der Buchtitel nicht mehr verspricht, als der Text dann halten kann. Denn das Frankreich der Reaktion ist wohl nicht auf den "Front National" und seine Konkurrenz vom "Mouvement pour la France" (MPF) um den konservativ-nationalistischen Grafen de Villiers plus die politische Rechtsentwicklung im bürgerlich-konservativen Lager unter Chirac und nun Sarkozy zu begrenzen. Diese Rechtsentwicklung mag zwar mit der Durchdringung eines Teils der französischen Gesellschaft durch die rassistische, nationalistische und autoritäre Ideologie der Rechtsextremisten mit vorbereitet worden sein - sie ist aber damit nicht zu erklären. Das "Frankreich der Reaktion" in Gestalt des "modernisierten Konservatismus" à la Sarkozy hat tiefer liegende Wurzeln und mehr Aspekte, die eine eigenständige Analyse bräuchten. Sie dürften vor allem in den heutigen Bedürfnissen der herrschenden Klassen Frankreichs, in dem Bestreben des französischen Großkapitals und der ihm dienenden Beamten-, Militär- und Politikerkaste zu suchen sein, die in Frage gestellte Rolle Frankreichs in der Weltpolitik zu erhalten und wenn möglich wieder auszubauen. Das verlangt auch innenpolitisch den Sturmangriff auf jahrzehntealte soziale Errungenschaften und eine "straffere Führung" des Landes, also eine repressivere Handhabung der Staatsgewalt. Auf diese gesellschaftspolitischen Zusammenhänge geht das vorliegende Buch aber bestenfalls am Rande ein. Auch die Darstellung der "FN" selbst leidet meines Erachtens unter einer Konzentration allein auf die politisch-ideologischen Entwicklungen, ohne auf umfassendere gesellschaftspolitische Hintergründe einzugehen. Welche Rolle spielt der Rechtsextremismus in Frankreich heute aus der Sicht der herrschenden Klasse? Welche Querverbindungen gibt es? Wer finanziert ihn und aus welchen Gründen?

Unbeschadet dessen bleibt das Buch aber eine aufschlussreiche Materialsammlung für alle, die sich mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen müssen - und das nicht nur in Frankreich.

Bernhard Schmid: Das Frankreich der Reaktion - Neofaschismus und modernisierter Konservatismus, Pahl-Rugenstein-Verlag Nf., Bonn 2007, 194 S., 14,90 Euro

Ed. Anmerkung: Die Rezension erschien in: unsere zeit - Zeitung der DKP 27. Juli 2007. Wir spiegelten von http://www.kominform.at