Betrieb & Gewerkschaft
Niederlage bei der Telekom: Eine Schlappe für alle!

von W. Walrave
09/07

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Wut und Enttäuschung direkt nach dem Abschluss bei Telekom war an allen Streikstandorten groß. Es hagelte Drohungen seitens der KollegInnen aus ver.di auszutreten, wenn dieses Ergebnis angenommen würde. Die Ansicht, von der Streik- bzw. ver.di-Führung verraten und verkauft worden zu sein, war allgegenwärtig.

Diese Stimmung kam dann aber im Ergebnis der Urabstimmung nicht zum Ausdruck, als 73 % dem Verhandlungsergebnis zustimmten. Es lohnt sich, auf diesen scheinbaren Widerspruch genauer einzugehen.

Nach dem Abschluss hatten die Streikleitungen der jeweiligen Streikorte alle Hände voll zu tun, um den KollegInnen das Ergebnis „schmackhaft“ zu machen. In München wurde die Streikleitung erst einmal kräftig ausgepfiffen (s. Kasten). Und dennoch wurde das Verhandlungsergebnis mit großer Mehrheit angenommen.

Warum die Streikenden trotzdem zustimmten

Mehrere Gründe begünstigten die Annahme des Verhandlungsergebnisses.
Trotz schlechten Abschlusses hatten viele TelekomkollegInnen zum ersten Mal an einem Streik teilgenommen und die Möglichkeiten eines solidarischen Abwehrkampfs gespürt. Dabei entstand ein gewisses Bewusstsein für die potentielle eigene Kraft. Vor diesem Hintergrund sahen viele KollegInnen das Ergebnis der Verhandlungen als Ergebnis ihrer Streikbewegung an. Die Enttäuschung über das Ergebnis schlug in die Stimmung um „ohne den Streik hätte es noch viel schlechter ausgesehen“.

Der Angriff von Telekom war ein Angriff auf die gesamte Gewerkschaftsbewegung. Doch trotz massiver Beteiligung in den Streikbetrieben war der Streik innerhalb des Telekomkonzerns isoliert. Die ver.di-Führung hatte nicht einmal andere Bereiche des Konzerns zu Solidaritätsstreiks aufgerufen, obwohl diese rechtlich zulässig gewesen wären. Die KollegInnen wurden also im Regen stehen gelassen! Und die Einbeziehung der verbeamteten Telekom-KollegInnen in den Kampf war der ver.di-Führung zu heiß!

Eine Neuaufnahme des schon abgebrochenen Streiks hätte unter den Voraussetzungen des ab 1. Juli ausgegliederten Bereichs in eine neue Gesellschaft ver.di und die betroffenen Telekom-KollegInnen vor arbeitsrechtliche Schwierigkeiten gestellt, auf die die ver.di-Führung nicht vorbereitet war und auch nicht vorbereitet sein wollte.

Um die starke Ablehnung des Ergebnisses durch viele Streikende z.B. durch eine Unterschriftensammlung für ein „Nein“ zusammenzufassen, hätte es an irgendeinem Streikort einer Initiative von ein paar Telekom-KollegInnen bedurft. Solche „linken“ oder auch „aktivistischen“ Strukturen existieren aber nicht. Von „außen“ z.B. von den Gewerkschaftslinken hätte eine solche Initiative nicht zum Erfolg geführt. So konnte die ablehnende Stimmung nur verpuffen, in Resignation umschlagen und in einem Abstimmungsverhalten münden in der Art „nun ist alles zu spät, wir können dem Ergebnis nur noch zustimmen“.

Bedeutung für andere Branchen

Das Ausmaß des Angriffes des Telekom-Managements war bisher ohne Beispiel. 50 000 KollegInnen auszugliedern ist kein Pappenstiel. Dass dies nun gelungen ist, wird große Auswirkungen auf anderen Branchen haben. Die Niederlage von ver.di bei Telekom ist eine Niederlage der gesamten Gewerkschaftsbewegung!

Die ver.di-Führung, die anderen Einzelgewerkschaften und die DGB-Bürokratie sind sich sehr wohl der bundesweiten und branchenübergreifenden Bedeutung des Angriffes des Telekom-Managements bewusst. Dennoch ist wie gegen Hartz IV oder die Rente mit 67 keine Strategie entwickelt worden, um diesen Angriff gemeinsam zurückzuschlagen! Der DGB und die IG Metall Führung haben außer ein paar verbalen Unterstützungserklärungen nichts getan, um den Streik tatsächlich zu unterstützen.

Ebenso wenig wagte es die ver.di-Führung, den Kampf politisch zu führen. Viel stärker hätte die politische Verantwortung des größten Anteilhalters der Telekomaktien, des Bundes, thematisiert werden müssen. Die Regierung hätte öffentlichkeitswirksam in die Pflicht genommen werden müssen und die zunächst groß angekündigte Möglichkeit, die Fernmeldeinfrastruktur des G8-Treffens zu bestreiken, hätte in die Tat umgesetzt werden müssen! Auch da hat die ver.di-Führung versagt!

Wir mussten nicht lange warten, bis die UnternehmerInnen ähnlich massive Angriffe starteten. So plant EON-Bayern die Ausgliederung von 30 000 KollegInnen.

ver.di in München: Kritiker = Spalter

In München konnte sich die örtliche Streikleitung auf der zentralen Streikversammlung nach der Einigung zunächst nicht gegen ein zwanzigminütiges Pfeifkonzert der ca. 800 anwesenden Telekom-KollegInnen durchsetzen. Danach wurde von der Streikleitung jegliche Kritik an dem Verhandlungsergebnis heruntergebügelt. Dabei ging die Streikleitung äußerst geschickt vor. In einer klar abgesprochenen Arbeitsteilung wurde einerseits Kritik mit Verständnis aufgenommen in der Art „KollegInnen, wir können eure Enttäuschung verstehen, aber es war eben nicht mehr drin“. Fundamentalkritik wurde von ver.di-FunktionärInnen im Schreiton begegnet, wonach „jegliche Kritik eine Schwächung der gewerkschaftlichen Front bedeute“, „wir uns jetzt durch Kritik nicht spalten lassen dürften“ und alle, die sich nicht daran hielten, Spalter seien.
KollegInnen waren regelrecht erschüttert über die verbale Brutalität, mit der die ver.di-FunktionärenInnen das verheerende Verhandlungsergebnis als unabänderlich und nicht zu kritisieren darstellten und in die Köpfe einzuhämmern versuchten. Viele KollegInnen verließen nach geraumer Zeit die Versammlung: aus Frust, Enttäuschung und Wut darüber, wie sie von den ver.di-FunktionärInnen behandelt wurden.

Korrespondent München

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 01. 09. 2007 bei www.rsb4.de Website von
Revolutionär Sozialistischer Bund
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