Am 2. September feiert Helmut Hirsch in seiner
neuen Heimatstadt Düsseldorf seinen
Geburtstag und er wird auf ein bewegtes
Leben zurückblicken. Helmut Hirsch ist
einem breiten Publikum durch seine
Monographien in der bekannten Reinbek Reihe bekannt.
Sein Buch über Rosa Luxemburg wurde über 100.000 Mal
verkauft und ein internationaler Bestseller. Er
portraitierte u.a. Friedrich Engels, August Bebel,
aber auch die Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation
Bettine von Arnim und Sophie von Hatzfeld. Nur wenig
bekannt hingegen ist Helmut Hirschs
Engagement in der französischen Emigration für die
Volksfront: u.a. seine Mitarbeit im „Lutetia-Kreis"
und im „Aktionsausschuss für die Freiheit in
Deutschland."
Helmut Hirsch stammt aus einer jüdischen
Kaufmannsfamilie aus Wuppertal Barmen. Seine Mutter
war die Elberfelder Damenputzmacherin Hedwig Hirsch,
geborene Fleischhacker. Sein Vater
war der Kaufmann und vor allem
linkssozialdemokratische Aktivist Emil Hirsch,
vielfältig engagiert u.a. als Mitglied des Arbeiter
Soldatenrates, während des Kapp-Putsches war er
Zahlmeister des Aktionsausschusses der
Arbeiterbewegung. Er war Stadtverordneter der USPD
und SPD und einer der Mitbegründer der Volksbühne in
Wuppertal.
Helmut Hirsch engagierte sich zunächst im jüdischen
Wanderbund Blau-Weiss in Elberfeld. Von 1928 studierte
er Theaterwissenschaft, Zeitungskunde, Philosophie und
Kunstgeschichte. Seine Promotion über den engen
Weggefährten von Karl Marx, Karl Friedrich Köppen,
kann Hirsch 1933 aus politischen Gründen in Leipzig
nicht mehr einreichen. Sie kann
erst 1936 in den Niederlanden
veröffentlicht werden.
Nach dem Reichstagsbrand beginnt auch in Wuppertal ein
beispielloser SA-Terror: über 30 Menschen aus der
Arbeiterbewegung werden auf offener Strasse
erschossen oder in Waldstücken getötet aufgefunden.
Anfang April wird auch Emil Hirsch in Schutzhaft
genommen. Er wird später im KZ Kemna bestialisch
gefoltert und kann sich erst 1937 mit seiner Frau ins
englische Exil retten.
Nach der Verhaftung seines Vaters fällt Helmut Hirsch
eine schnelle und schließlich lebensrettende
Entscheidung. Er und seine Verlobte Eva Buntenbroich
entscheiden sich zur Flucht. In einer Art Nothochzeit
auf dem Kölner Standesamt heiratet das Paar. Die
Hochzeitsreise führt die beiden ins noch Nazifreie
Saarland. Im Saarland wie auch später in Frankreich
lebt das junge Paar das armseelige „Exil der kleinen
Leute". Nur mit Not können sie sich mit
Gelegenheitsjobs als Sprachlehrer und Hilfsarbeiter
über Wasser halten. Helmut Hirsch knüpft rasch
Kontakte zu Exilkreisen um den Düsseldorfer
Publizisten Siegfried Thalheimer. Er wird Mitarbeiter
von „Westland", einer wichtigen Exilzeitung im
Saarland. In dieser Wochenzeitung des Liberalen
Demokraten Thalheimer schreiben auch Autoren wie der
Sozialdemokrat Konrad Heiden oder Bernard von
Brentano, der der KPD nahe steht. Hirsch beginnt mit
eigenen Publikationen. Er recherchiert u.a. für das
"Braunbuch", einer der wichtigsten
publizistischen Waffen gegen den
„Reichstagsbrandprozess".
Nach der verheerenden Niederlage für die Hitler-Gegner
bei der Saarabstimmung am 13. Januar 1933 fliehen
Helmut und Eva Hirsch nach Frankreich. In Paris ist
Helmut Hirsch als Beauftragter von „Westland"
akkreditiert und schreibt in der Zeitschrift L'Europe
Nouvelle. Ab September 1935 wird er Mitarbeiter von
Rudolf Leonard und Maximilian Scheer, die den
„Aktionsausschuss für die Freiheit in Deutschland"
aufbauen. Dieser Ausschuss ist der Vorläufer des
berühmten „Ausschusses zur Vorbereitung einer
deutschen Volksfront", dessen Bemühungen in den
großen Versammlungen im Hotel Lutetia ihren Höhepunkt
finden. Helmut Hirsch nimmt als Vertreter der
Westland-Gruppe an beiden Lutetia-Konferenzen teil.
In dieser Zeit beginnt Helmut Hirsch auch unter seinem
Pseudonym H. Bichette, zu deutsch „Hirschkälbchen"
Beiträge für verschiedene Exilzeitungen zu verfassen.
Die Bemühungen um Einheit- und Volksfront aller
Nazigegner scheitern. Die SPD- Führung ist nicht
bereit mit der KPD zusammen zu arbeiten. Die
Hoffnungen auf den Sieg der Spanischen Republik im
Bürgerkrieg erfüllen sich nicht. Mit den ersten
Moskauer Prozessen im August 1936 beginnen die
Liquidierungen der Antistalinisten und es setzt eine
(weltweite) Hatz auf vermeintliche Trotzkisten ein. In
dieser Situation verlieren die meisten Exilanten ihre
politischen Hoffnungen. Die Nachgiebigkeit der
Westmächte, die Apeasement-Politik und als
Schlusspunkt das Münchner Abkommen auf der einen Seite
und der Hitler-Stalin Pakt auf der anderen Seite
zerstören aller Hoffnungen auf Widerstand.
Auch Helmut Hirsch muss sich umorientieren. Seine
Artikel werden nach einer vorsichtigen Kritik an der
„Trotzkistenhatz" in der kommunistischen DVZ nicht
mehr gedruckt. In einem „privaten Verhör" ließ er sich
gegenüber Hermann Duncker zur Äußerung hinreißen, Karl
Marx wäre nach 1848/49 Trotzkist geworden. Ab 1938
ist er einziges Redaktionsmitglied der durch Siegfried
Thalheimer gegründeten und geleiteten
Halbmonatszeitschrift Ordo und Sekretär des damit
verbundenen „Comité Juif d'Etudes Politiques". Das
Comité hatte sich zum Ziel gemacht,
den Willen zur Selbstbehauptung und
Selbstbefreiung zu stärken.
Bei Kriegsausbruch 1939 werden Helmut und Eva Hirsch
– wie alle deutschen und
österreichischen Exilanten von den
französischen Behörden interniert. Nur mit
größter Mühe kommen sie aus den Lagern frei und
schlagen sich nach Marseille in die unbesetzte Zone
durch. Mit Hilfe von Hubertus Prinz zu Löwenstein
erhalten sie in letzter Minute ein Notvisum für die
USA. Löwenstein, Aktivist der katholischen
Zentrumspartei, war selbst aus Deutschland geflüchtet
und war der Generalsekretär der „American Guild for
German Cultural Freedom", einer Organisation, die
versuchte für emigrierten Intellektuelle Geldmittel
und Visa für die USA oder für Mexiko zu besorgen. Am
21. Juni 1941 verlassen die Hirschs das von
Nazi-Deutschland besetzte Europa.
In den USA leben sie das schwere und prekäre Leben
der Exilanten. Helmut Hirsch wird Lagerarbeiter in
einem Warenhaus, Eva Hirsch hat Glück und bekommt
einen Job als Gymnastiklehrerin. Die beiden Exilanten
sind aber nicht allein, sie finden Freunde, die ihnen
auf ihrem weiteren Lebensweg behilflich sind. Helmut
Hirsch kann schließlich sein Studium an der
Universität in Chicago mit einer Arbeit zum Saarland
vollenden und wird Professor für Europäische
Geschichte in Chicago. Als Professor engagiert er sich
für die Gleichbehandlung von Schwarzen an den
Universitäten, gegen die Repression der McCarthy-Ära
und bleibt in Kontakt mit anderen fortschrittlichen
Exilanten.
Wie viele Exilanten zieht es auch Helmut Hirsch und
Eva Hirsch zurück nach Deutschland. Sie kehren 1957
in ihre alte Heimat zurück Als Remigrant muss er
erste bittere Erfahrungen mit dem „neuen Deutschland"
machen. Der Bundesgerichtshof verweigert Helmut und
Eva Hirsch einen Teil der Entschädigung mit einer
skandalösen Begründung:
"Der Antragsteller hat fluchtartig Deutschland
verlassen. Dabei wird er zunächst kaum ein
Auswanderungsziel, sondern nur den Gedanken gehabt
haben, durch Auswanderung sein Leben in Sicherheit zu
bringen. In Frankreich hat er sich jedoch von 1933 bis
1941 aufgehalten. Er hat in Paris eine Wohnung gehabt
und sich von Deutschland einen Teil seiner
Wohnungseinrichtung schicken lassen. Bis zum Einmarsch
der deutschen Truppen in Frankreich im Jahre 1940 hat
er rund sieben Jahre Zeit gehabt zu einer
Weiterwanderung in die USA. (…) Eine Entschädigung für
die Weiterwanderung von Frankreich nach USA im Jahre
1941 kann daher nicht erfolgen, denn die
Weiterwanderung ist aufgrund eines neuen Beschlusses
erfolgt, der offensichtlich durch die deutsche
Besetzung Frankreichs veranlasst wurde."
Der Entschädigungsbescheid wird Helmut Hirsch
insgesamt 29,28 DM zubilligen. Die Behörde hatte den
Gegenwert einer Fahrkarte Wuppertal-Paris errechnet.
Auch ein Lehrstuhl in Deutschland bleibt ihm versagt.
Von 1958-1971 lehrt Hirsch lediglich an der
Düsseldorfer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie und
erst 1972 wird er durch Fürsprache von Johannes Rau
Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der
Gesamthochschule Duisburg.
Eine weitere, vielleicht für ihn wichtigste Ehrung ist
die späte Verleihung seines Doktor-Titels für seine
1933 in Leipzig abgeschlossene Dissertation. Im Januar
1989 verleiht ihm die Karl Marx Universität in
Leipzig in einer viel beachteten Veranstaltung den
Doktor-Titel. Helmut Hirsch sind
zahlreiche weitere Ehrungen zuteil
geworden, darunter 1978 das
Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1980
der Saarländische Verdienstorden und 1988
der Verdienstorden des Landes NRW. Über den
Eduard von der Heydt Preis der Stadt Wuppertal wird
er sich wohl nicht mehr freuen, seit bekannt ist, das
der Namengeber von der Heydt persönlich bekannt war
mit Göbbels, Hitler und Göring, bei Bedarf
antisemitisch hetzte und in der Schweiz für die
Nazi-Abwehr Bankkonten verwaltete und Agenten des
NS-Staates mit Geld ausstattete.
Deshalb setzt sich der jetzt 100 jährige Antifaschist,
Historiker und „Eduard von der Heydt
Preisträger" Helmut Hirsch zusammen mit
anderen bekannten namhaften Intellektuellen für die
Umbenennung des Kulturpreises ein. Es ist zu hoffen,
dass wir das noch erleben dürfen. Deswegen wünschen
wir uns und natürlich besonders Helmut Hirsch noch
ein langes Leben!