Ein Geburtstagsgruß für „Bichette".
Dem Wuppertaler Widerstandskämpfer und Historiker Helmut Hirsch zum 100.Geburtstag.

von
Stephan Stracke
09/07

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Am 2. September feiert Helmut Hirsch in seiner neuen Heimatstadt Düsseldorf seinen Geburtstag und er wird auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Helmut Hirsch ist einem breiten Publikum durch seine Monographien in der bekannten Reinbek Reihe bekannt. Sein Buch über Rosa Luxemburg wurde über 100.000 Mal verkauft und ein internationaler Bestseller. Er portraitierte u.a. Friedrich Engels, August Bebel, aber auch die Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation Bettine von Arnim und Sophie von Hatzfeld. Nur wenig bekannt hingegen ist Helmut Hirschs Engagement in der französischen Emigration für die Volksfront: u.a. seine Mitarbeit im „Lutetia-Kreis" und im „Aktionsausschuss für die Freiheit in Deutschland."

Helmut Hirsch stammt aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Wuppertal Barmen. Seine Mutter war die Elberfelder Damenputzmacherin Hedwig Hirsch, geborene Fleischhacker. Sein Vater war der Kaufmann und vor allem linkssozialdemokratische Aktivist Emil Hirsch, vielfältig engagiert u.a. als Mitglied des Arbeiter Soldatenrates, während des Kapp-Putsches war er Zahlmeister des Aktionsausschusses der Arbeiterbewegung. Er war Stadtverordneter der USPD und SPD und einer der Mitbegründer der Volksbühne in Wuppertal.

Helmut Hirsch engagierte sich zunächst im jüdischen Wanderbund Blau-Weiss in Elberfeld. Von 1928 studierte er Theaterwissenschaft, Zeitungskunde, Philosophie und Kunstgeschichte. Seine Promotion über den engen Weggefährten von Karl Marx, Karl Friedrich Köppen, kann Hirsch 1933 aus politischen Gründen in Leipzig  nicht mehr einreichen. Sie kann erst 1936 in den Niederlanden veröffentlicht werden.

Nach dem Reichstagsbrand beginnt auch in Wuppertal ein beispielloser SA-Terror: über 30 Menschen aus der Arbeiterbewegung werden auf offener Strasse erschossen oder in Waldstücken getötet aufgefunden. Anfang April wird auch Emil Hirsch in Schutzhaft genommen. Er wird später im KZ Kemna bestialisch gefoltert und kann sich erst 1937 mit seiner Frau ins englische Exil retten.

Nach der Verhaftung seines Vaters fällt Helmut Hirsch eine schnelle und schließlich lebensrettende Entscheidung. Er und seine Verlobte Eva Buntenbroich entscheiden sich zur Flucht. In einer Art Nothochzeit auf dem Kölner Standesamt heiratet das Paar. Die Hochzeitsreise führt die beiden ins noch Nazifreie Saarland. Im Saarland wie auch später in Frankreich lebt das junge Paar das armseelige „Exil der kleinen Leute". Nur mit Not können sie sich mit Gelegenheitsjobs als Sprachlehrer und Hilfsarbeiter über Wasser halten. Helmut Hirsch knüpft rasch Kontakte zu Exilkreisen um den Düsseldorfer Publizisten Siegfried Thalheimer. Er wird Mitarbeiter von „Westland", einer wichtigen Exilzeitung im Saarland. In dieser Wochenzeitung des Liberalen Demokraten Thalheimer schreiben auch Autoren wie der Sozialdemokrat Konrad Heiden oder Bernard von Brentano, der der KPD nahe steht. Hirsch beginnt mit eigenen Publikationen. Er recherchiert u.a. für das  "Braunbuch", einer der wichtigsten publizistischen Waffen gegen den „Reichstagsbrandprozess".

Nach der verheerenden Niederlage für die Hitler-Gegner bei der Saarabstimmung am 13. Januar 1933 fliehen Helmut und Eva Hirsch nach Frankreich. In Paris ist Helmut Hirsch als Beauftragter von „Westland" akkreditiert und schreibt in der Zeitschrift L'Europe Nouvelle. Ab September 1935 wird er Mitarbeiter von  Rudolf Leonard und Maximilian Scheer, die den „Aktionsausschuss für die Freiheit in Deutschland" aufbauen. Dieser Ausschuss ist der Vorläufer des berühmten „Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront", dessen Bemühungen in den großen Versammlungen im Hotel Lutetia ihren Höhepunkt finden. Helmut Hirsch nimmt als Vertreter der Westland-Gruppe an beiden Lutetia-Konferenzen teil.

In dieser Zeit beginnt Helmut Hirsch auch unter seinem Pseudonym H. Bichette, zu deutsch „Hirschkälbchen" Beiträge für verschiedene Exilzeitungen zu verfassen.

Die Bemühungen um Einheit- und Volksfront aller Nazigegner scheitern. Die SPD- Führung ist nicht bereit mit der KPD zusammen zu arbeiten. Die Hoffnungen auf den Sieg der Spanischen Republik im Bürgerkrieg erfüllen sich nicht. Mit den ersten Moskauer Prozessen im August 1936 beginnen die Liquidierungen der Antistalinisten und es setzt eine (weltweite) Hatz auf vermeintliche Trotzkisten ein. In dieser Situation verlieren die meisten Exilanten ihre politischen Hoffnungen. Die Nachgiebigkeit der Westmächte, die Apeasement-Politik und als Schlusspunkt das Münchner Abkommen auf der einen Seite und der Hitler-Stalin Pakt auf der anderen Seite zerstören aller Hoffnungen auf Widerstand.

Auch Helmut Hirsch muss sich umorientieren. Seine Artikel werden nach einer vorsichtigen Kritik an der „Trotzkistenhatz" in der kommunistischen DVZ nicht mehr gedruckt. In einem „privaten Verhör" ließ er sich gegenüber Hermann Duncker zur Äußerung hinreißen, Karl Marx wäre nach 1848/49 Trotzkist geworden. Ab 1938 ist er einziges Redaktionsmitglied der durch Siegfried Thalheimer gegründeten und geleiteten Halbmonatszeitschrift Ordo und Sekretär des damit verbundenen „Comité Juif d'Etudes Politiques". Das  Comité hatte sich zum Ziel gemacht, den Willen zur Selbstbehauptung und Selbstbefreiung zu stärken.

Bei Kriegsausbruch 1939 werden Helmut und Eva Hirsch  – wie alle deutschen und österreichischen Exilanten von den französischen Behörden interniert. Nur mit größter Mühe kommen sie aus den Lagern frei und schlagen sich nach Marseille in die unbesetzte Zone durch. Mit Hilfe von Hubertus Prinz zu Löwenstein erhalten sie in letzter Minute ein Notvisum für die USA. Löwenstein, Aktivist der katholischen Zentrumspartei, war selbst aus Deutschland geflüchtet und war der Generalsekretär der „American Guild for German Cultural Freedom", einer Organisation, die versuchte für emigrierten Intellektuelle Geldmittel und Visa für die USA oder für Mexiko zu besorgen. Am 21. Juni 1941 verlassen die Hirschs das von Nazi-Deutschland besetzte Europa. In den USA leben sie das schwere und prekäre Leben der Exilanten. Helmut Hirsch wird Lagerarbeiter in einem Warenhaus, Eva Hirsch hat Glück und bekommt einen Job als Gymnastiklehrerin. Die beiden Exilanten sind aber nicht allein, sie finden Freunde, die ihnen auf ihrem weiteren Lebensweg behilflich sind. Helmut Hirsch kann schließlich sein Studium an der Universität in Chicago mit einer Arbeit zum Saarland vollenden und wird Professor für Europäische Geschichte in Chicago. Als Professor engagiert er sich für die Gleichbehandlung von Schwarzen an den Universitäten, gegen die Repression der McCarthy-Ära und bleibt in Kontakt mit anderen fortschrittlichen Exilanten.

Wie viele Exilanten zieht es auch Helmut Hirsch und Eva Hirsch zurück nach Deutschland. Sie kehren 1957 in ihre alte Heimat zurück Als Remigrant muss er erste bittere Erfahrungen mit dem „neuen Deutschland" machen. Der Bundesgerichtshof verweigert Helmut und Eva Hirsch einen Teil der Entschädigung mit einer skandalösen Begründung:

"Der Antragsteller hat fluchtartig Deutschland verlassen. Dabei wird er zunächst kaum ein Auswanderungsziel, sondern nur den Gedanken gehabt haben, durch Auswanderung sein Leben in Sicherheit zu bringen. In Frankreich hat er sich jedoch von 1933 bis 1941 aufgehalten. Er hat in Paris eine Wohnung gehabt und sich von Deutschland einen Teil seiner Wohnungseinrichtung schicken lassen. Bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich im Jahre 1940 hat er rund sieben Jahre Zeit gehabt zu einer Weiterwanderung in die USA. (…) Eine Entschädigung für die Weiterwanderung von Frankreich nach USA im Jahre 1941 kann daher nicht erfolgen, denn die Weiterwanderung ist aufgrund eines neuen Beschlusses erfolgt, der offensichtlich durch die deutsche Besetzung Frankreichs veranlasst wurde."

Der Entschädigungsbescheid wird Helmut Hirsch insgesamt 29,28 DM zubilligen. Die Behörde hatte den Gegenwert einer Fahrkarte Wuppertal-Paris errechnet. Auch ein Lehrstuhl in Deutschland bleibt ihm versagt. Von 1958-1971 lehrt Hirsch lediglich an der Düsseldorfer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie und erst 1972 wird er durch Fürsprache von Johannes Rau Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Gesamthochschule Duisburg.

Eine weitere, vielleicht für ihn wichtigste Ehrung ist die späte Verleihung seines Doktor-Titels für seine 1933 in Leipzig abgeschlossene Dissertation. Im Januar 1989 verleiht ihm die Karl Marx Universität in Leipzig in einer viel beachteten Veranstaltung den Doktor-Titel. Helmut Hirsch sind zahlreiche weitere Ehrungen zuteil geworden, darunter 1978 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1980 der Saarländische Verdienstorden und 1988 der Verdienstorden des Landes NRW. Über den Eduard von der Heydt Preis der Stadt Wuppertal wird er sich wohl nicht mehr freuen, seit bekannt ist, das der Namengeber von der Heydt persönlich bekannt war mit Göbbels, Hitler und Göring, bei Bedarf antisemitisch hetzte und in der Schweiz für die Nazi-Abwehr Bankkonten verwaltete und Agenten des NS-Staates mit Geld ausstattete.

Deshalb setzt sich der jetzt 100 jährige Antifaschist, Historiker und „Eduard von der Heydt Preisträger" Helmut Hirsch zusammen mit anderen bekannten namhaften Intellektuellen für die Umbenennung des Kulturpreises ein. Es ist zu hoffen, dass wir das noch erleben dürfen. Deswegen wünschen wir uns und natürlich besonders Helmut Hirsch noch ein langes Leben!

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 2.9.07 vom Autor zur Veröffentlichung.