Antiimp-Buch zum „Nahen und Mittleren Osten“: Geschichtsblinder Schrott zwischen zwei Buchdeckeln
Rezension, und Kritik einer Rezension, gefolgt von einigen „Perlen“

von Bernard Schmid
09/07

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Autoritär ist der Gestus, mit dem man angeherrscht wird, dass man dieses Erzeugnis der Druckindustrie gut und wichtig zu finden hat. „Im Klartext: Wer dieses Buch nicht gelesen hat“, schreibt Jürgen Elsässer in der Tageszeitung ‚junge Welt’ (Ausgabe vom 27. August 2007), „soll künftig die Klappe halten, wenn über den Nahen Osten, nein: über Imperialismus generell diskutiert wird.“ Sososo: Unverzichtbare Pflichtlektüre, kurz, eine neue Bibel ist hier aus den Druckerpressen gekommen. Niemand darf auch nur auf die Idee kommen, an ihrer Bedeutung zu zweifeln. Soweit unser Rezensent, Jürgen Elsässer. Oder sind dessen laute und harsche Töne („Dummschwätzer“, „Klappe halten“) etwa nur wie das Pfeifen im dunklen Keller, das eigene Bedenken, Selbstzweifel gar übertönen soll? 

Nun möchte der Autor dieser Zeilen sich auch künftig gern das Recht herausnehmen, „über den Nahen Osten (oder) über Imperialismus generell“ zu diskutieren. Nicht aber so, wie der Rezensent Jürgen Elsässer es uns gerne vorschreiben möchte, denn bei ihm steckt offenkundig der Wurm im Konzept. Das wird schon in den ersten beiden Absätzen deutlich erkennbar, wenn er in seiner Besprechung schreibt: „In den guten alten Zeiten der Bipolarität wußte jeder halbwegs Linke mit Abkürzungen wie PLO, ANC, MPLA oder FSLN etwas anzufangen. Klar, das waren die Befreiungsbewegungen in Palästina, Südafrika, Angola und Nicaragua. Ihre Auslandsvertreter reisten kreuz und quer durch Europa, gaben Pressekonferenzen oder traten bei linken Veranstaltungen auf. Für den bewaffneten Kampf wurde munter Geld gesammelt -- selbst der SPD-Arabienexperte Hans-Jürgen Wischnewski (»Ben Wisch«) soll einst höchstpersönlich Bares im Köfferchen an die algerischen Rebellen von der FLN überbracht haben. Die kauften damit Waffen und schossen den französischen Kolonialherren samt ihren einheimischen Helfern die Köpfe weg. Heute würde man Gruppen wie die FLN ohne viel Federlesen Al Qaida zurechnen, und Ben Wisch würde in Guantánamo landen. Die Gruppierungen, die heutzutage die Hauptlast im Kampf gegen den neuen Kolonialismus tragen, haben keine Möglichkeit, ihre Positionen in den Metropolen darzustellen. Vertretern von Hamas und Hisbollah wird rregelmäßig die Einreise nach Deutschland verweigert.“ 

Einige grundsätzliche Anmerkungen 

Und hier fängt auch schon der Irrtum, oder die Lüge, an. Welch ein Irrsinn, so zu tun, als seien beide Erscheinungsformen identisch, als seien die Nationalbewegungen in der „Dritten Welt“ von vor 1989 und die aus der Periode danach ein- und dasselbe Phänomen. Und als sei der algerische FLN der Jahre des Befreiungskriegs gegen die französische Kolonialmacht (dessen Nachfolgepartei übrigens heute noch Algerien regiert, wo die Staatsmacht derzeit dabei ist, die bewaffnete Combo „Al-Quaïda im Land des islamischen Maghreb“ gründlich auseinander zu nehmen) wirklich politisch mit dem Netzwerk Al-Qaïda vergleichbar.  

Als ob der Zusammenbruch der Sowjetunion, der Wegfall der bipolaren Weltordnung (zwischen NATO und sowjetischem Block) -– das, was Elsässer „die gute alte Bipolarität“ nennt -– keine Auswirkungen gehabt hätten. Als würde nicht jedes Konzept von Antiimperialismus, „autozentrierter Entwicklung“, Abkoppelung vom kapitalistischen Weltmarkt, von „nationaler Befreiung“ durch den globalen Umbruch von 1989 notwendig zur Überarbeitung gezwungen. Vor 1989 konnte ein Land in Afrika oder Asien, das beispielsweise soeben seine Kolonialherren losgeworden war, zwischen den Blöcken wählen und ihre Rivalitäten gegeneinander ausspielen, um eigene Spielräume zu gewinnen. Es hatte die Wahl zwischen zwei bzw. drei Entwicklungsmodellen (neben dem sowjetischen war noch dasjenige er VR China vor 1975 von einer gewissen Attraktivität für afrikanische oder asiatische Nationalbewegungen), für die diese Blöcke jeweils standen. Eventuell konnten diese Modelle –- kapitalistisch oder staatszentriert, unter Einbindung in den Weltmarkt oder über die stärker politisch denn ökonomisch überdeterminierte Integration in die „sozialistischen“ Wirtschaftsblöcke RGW und Comecon –- durch eigene lokale Besonderheiten ergänzt werden, die manchmal Spielräume für Sozialismusexperimente „von unten“ lieferten. Man denke an den algerischen „Selbstverwaltungssozialismus“, der während einer kurzen Phase von 1962 bis 65 durch eine spontane Bewegung ausprobiert wurde.  

Der Widerspruch zwischen zwei Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen in Europa, die unterschiedlich funktionierten (was immer man von der real existierenden „Systemalternative“ zum Kapitalismus, die im Inneren oft repressiv ausfiel, konkret auch halten mochte), lieferte dabei objektiv politische Handlungsspielräume. Insbesondere im Zeitalter der Entkolonialisierung, als zahlreiche neue Staaten entstanden. All das ist vorüber! Heute gibt es keinen Systemantagonismus mehr, sondern auf planetarer Ebene nur noch die Rivalität zwischen konkurrierenden kapitalistischen Nationalstaaten bzw. regionalen Zusammenschlüssen (USA, EU, Japan..). Entsprechend gibt es auch nicht mehr die Option für eine Nationalbewegung, sich in ein globales „Gegensystem“ zum kapitalistischen Weltmarkt einzugliedern und dabei ein „alternatives“ Entwicklungsmodell zu übernehmen bzw. auf eigene Bedingungen zu adaptieren. „Damals“ konnte nationale Befreiung, im Sinne von Entkolonialisierung oder Zudrückdrängung des politischen/ökonomischer Einflusses kapitalistischer Grobmächte, vor dem Hintergrund einer planetaren Systemkonkurrenz durchstabiert worden. Das war vor 1989. Heute dagegen bleiben Bewegungen in der „Dritten Welt“, die auf mehr nationale Selbstbestimmung ausgerichtet sind, grundsätzlich drei Alternativen: 

Sie werden Bestandteil der „normalen“ Konkurrenz rivalisierender kapitalistische Nationalstaaten und versuchen, in diesem Rahmen ihre Voraussetzungen als „Standort“ zu verbessern. In diesem Falle wird jede Bewegung oder jedes Regime über kurz oder lang selbst den „stummen Zwang der Ökonomie“ in eigenes Handeln übersetzen, und (unter welchen ideologischen Vorzeichen es auch angetreten sein mag) das Elend im Land ganz „selbstbestimmt“ verwalten.  

Von der Erkenntnis ausgehend, dass (a.) die Generaltendenz an die politische Macht gekommener Nationalbewegungen beschreibt, begreift man sich mehr als Bewegung zur „Befreiung“ durch Staatsgründung bzw. durch die Begründung „eigener“ nationaler Herrschaft. Sondern man definiert sich vielmehr als Bestand einer planetaren Bewegung für die sozialen Belange der Unterdrückten, die (heute, anders als in der Phase der unmittelbaren Entkolonialisierung) nicht durch die Errichtung neuer staatlicher Souveränitäte zum Ziel kommen wird – deren Kampf vielmehr in allen bestehenden Staaten gegen jeweils andere Interessen ausgefochten wird. Das bedeutet den Übergang vom Staatsgründungs-Antiimperialismus zur globalen Anti-Ausbeutungs-Bewegung. Selbstverständlich in dem Bewusstsein, dass die Ausbeutung von Mensch und Umwelt in den Ländern der „Dritten Welt“ um ein Vielfaches härter und nackter, ungeschminkter auftritt als in den früheren Kolonialmetropolen. 

c.) Sie definieren ihr Engagement für „nationale Selbstbestimmung“ nicht mehr zuvörderst (wie es zu Zeiten der Entkolonialisierung noch dominierend war) als Eintreten für ein anderes Wirtschaftssystem – sondern als Kampf für das „Eigene“ und gegen das „Fremde“ in Begrifflichkeiten von Nation, ‚Rasse’ oder Religion. Spätestens an dieser Stelle aber verliert ihr Kampf jegliches progressive Element. Reaktionäre „Ausrutscher“ in diesem Sinne gab es zwar auch schon in den 1970er Jahren, als der (oft pro-sowjetisch oder pro-chinesich deformierte, im Interesse der jeweiligen Staatsinteressen Moskaus oder Pekings interpretierte) Marxismus noch weite Teilen der Nationalbewegungen im Trikont prägte. Man denke nur an das Regime der „Khmer Rouges“ in Kambodscha von 1975 bis 79, oder an die Durchsetzung der reaktionären Khomenei-Fraktion in den Folgejahren nach der iranischen Revolution von 1978/79. Aber dort, wo Ethnie oder Konfession (statt die Suche nach einer ökonomischen Systemalternative) im Vordergrund des Kampfs um „nationale Selbstbestimmung“ zu stehen kommen, wird dieser von Natur aus reaktionär. In diesem Falle handelt es sich eben nicht mehr um „Ausrutscher“, wenn solche Bewegungen entweder Massaker oder (zumindest) autoritäre, hässliche Regimes hervorbringen.  

Damit sind wir auch schon bei der Natur des radikalen politischen Islam angelangt. Dort, wo dieser sich als rebellische, kämpferische Bewegung gegen die etablierte Ordnung betrachtet (und nicht als Bewegung des konservativen Bürgertums für mehr Tugend, wie es im Kern die türkische wirtschaftsliberale Regierungspartei AKP oder den marokkanischen PJD – den wahrscheinlichen Gewinner der Parlamentswahlen im Marokko vom 7. September 2007 – charakterisiert) können seine Anhänger zwar oftmals viel Oppositions- und Widerstandspotenzial rund um sich herum bündeln. In ihrer Kampf- und Oppositionsphase gelingt es ihnen, viele soziale Frustrationen und Benachteiligungen zu thematisieren und für ihre Mobilisierung zu nutzen. Aber die dahinter stehende Frage, die man sich stellen muss, lautet: Was für Staaten, was für Regime könnten sie errichten, wenn sie denn an die politische Macht gelangen und diese ungehindert ausüben könnten? 

Sammelband zum nahöstlichen „Widerstand“ 

Nicht solche Fragen stellen möchten sich die Autoren, deren Beiträge in dem Sammelband „Naher und Mittlerer Osten. Krieg, Besatzung, Widerstand“ (Pahl Rugenstein Verlag, 2007) zusammengetragen sind. Einige von ihnen sind deutsche oder jedenfalls deutschsprachige Publizisten, meist aus einer manichäisch-antiimperialistisch auftretenden bzw. poststalinistisch-realsozialistisch geprägten Politiktradition (Rainer Rupp, Klaus von Raussendorff..). Andere wiederum gehören sozialen und politischen Kräften im Nahen/Mittleren Osten an, im einem Spektrum, das von der „Irakischen Patriotischen Allianz“ über Angehörige der schiitischen Geistlichkeit im Irak und einen libanesischen „Hochschuldozent(en) für politischen Islam“ (S. 179) –- sic!, so als handele es sich beim politischen Islam um ein wissenschaftliches Lehrfach und nicht um eine Ideologie -– bis hin zu einer  „revolutionären antiimperialistischen Bewegung Afghanistans“ reicht. Nicht alle Autoren von Beiträgen sind, was ihre ideologische Ausrichtung betrifft, auf einen Nenner zu bringen. Mehrheitlich zählen sie jedoch in den Bereich der nationalreligiösen Bewegungen und/oder des politischen Islam im weiteren Sinne. 

Apologetik und nationalreligiöser Müll 

Ihr Herangehen an die Frage des „Widerstands“ und des Antiimperialismus (wobei die wenigsten von ihnen einen Begriff von „Imperialismus“ haben, der im Entferntesten etwas mit der gleichnamigen Kategorie der marxistischen bzw. lenistischen Denktradition - also einer kritischen politisch-ökonomischen Kategorie - zu tun hat) ist in der Regel ethnisierend bzw. konfessionalisierend. Entsprechend ist in vielen Beiträgen gebütsmühlenartig die Rede von einem „Krieg gegen die Muslime“, einem „Feldzug gegen den Islam“ – ganz so, als ob die USA jemals am Wahhabismus des ultrareaktionären saudi-arabischen Königshauses etwas auszusetzen gehabt hätten. Politische, ökonomische und materialistische Kategorien oder Analysen verschwinden bei den meisten Verfassern unter einem Wust aus nationalreligiösem Schrott. Häufig mit einem Hang zu ethno-affirmativen Freund/Feind-Schemata. Der Bezug auf Bewegungen, die zwar in rebellischem Gewand auftreten (und deren Aktivisten sich häufig auch subjektiv als Rebellen definieren), deren Inhalt und politisches Projekt aber oft reaktionär ist, fällt fast ausschlieblich apologetisch aus. 

Im Kern beinhaltet die Überschrift, unter die der unkritisch lobhudelnde Artikel Jürgen Elsässers in der jW erschienen ist, schon alles Wesentliche: „Mit Hisbollah und Hamas gegen das Empire – unersetzliches Grundlagenwerk über Imperialismus und Widerstand im Nahen und Mittleren Osten“. Damit ist auch schon nahezu alles Wichtige zum Inhalt des Buches gesagt. Man könnte es dabei getrost bewenden lassen, auch wenn man dem Verfasser dieser Rezension dann Faulheit ankreiden könnte. Dennoch lohnt es sich zumindest, eine Blick auf einige „Perlen“ dieses, nun ja, (in der Gesamtbewertung, trotz mancher Differenzierungen:) üblen Machwerks zu werfen. 

Einige ausgewählte „Perlen“ 

Es folgen nun ein paar ausgewählte „Prachstücke“. Sie repräsentieren zwar nicht den gesamten Inhalt des Buches. Aber wer als Autor - selbst als wohlmeinender – seine eigenen Gedanken neben einem solchen gefährlichen Schrott stehend publiziert, droht sich dadurch selbst zu diskredieren. 

Auch wenn man nicht den gesamten Nahen Osten (und die soziale Dynamik in den dortigen Ländern) durch die Pro-Israel-Brille sieht wie die verrückten „Antideutschen”, dann liegen Passagen wie die folgende weit jenseits von allem, was hinnehmbar wäre. Man bekommt nur noch das Kotzen, wenn man beispielsweise lesen muss:  (S. 192, Text von Abdul Jabbar al Kubaysi, vorgestellt als „Generalsekretär der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA)”:)

„Aber der Imperialismus und die neokonservative Bande in Washington haben sich geweigert, auf die Stimme der Menschen zu hören. Sie beteiligen sich stattdessen am Schüren von Hass und folgen zionistischen Mythen. Diee Bande hat die Aggression gegen den Irak und dessen Besatzung geplant und durchgeführt. Rumsfeld, Wolfowitz, Pearl, Faith, Lewis Scooter Libby, Bolton, David Wurmser und andere: Sie sind der zionistischen Ideologie des Likud und dem Dogma des Theoretikers Levi Strauss sowie anderer seinesgleichen, wie z.B. Sharansky, verpflichtet. Die meisten von ihnen haben Verwandte ersten Grades in den Städten und Dörfern des zionistischen Staatskonstrukts, was belegt, wo sich ihre Identität und Loyalität verortet.“ 

Das bedeutet wohl ziemlich genau so viel wie: „Alles Juden“. Und die Begriffe  „Identität und Loyalität” bezeichnen hier wohl so was wie eine „natürliche“ Kodierung qua Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die man im Laufe der Geschichte wahlweise als Religionsgruppe, als Volk oder (im schlimmsten Falle) als ‚Rasse’ begriffen hat. Von einer Kritik der politischen Ökonomie des US-Imperialismus sind wir ebenso weit enfernt, wie von jedem anderen vernünftigen Gedanken.  

Nur noch zum Brüllen komisch ist eine Passage wie die folgende, wo wirklich Alles mit Allem durcheinander geworfen wird, um unserem Hobbybastler zu erlauben, aus Nichtzusammengehörendem eine internationale Verschwörung zu konstruieren: (S. 198, von demselben Autor wie vorher:)

„Es ist auch kein Geheimnis, dass viele der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die für die europäische Linke Heimat geworden sind, und die liberale Strömung, die im WSF (Anm.: World Social Forum) dominiert, grobzügige finanzielle Unterstützung bekommen, und zwar von imperialistischen Ländern und kapitalistischen Institutionen wie der Weltbank, der Ford-Foundation, der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Americain-Jewish-Congress und dem Büro der Partnership-Initiative im amerikanischen Aubenministerium. Aus diesem Grund war es für uns auch nicht verwunderlich zu hören, was Kannan Makiya, der Verantwortliche der Vierten Internationalen für den Nahen Osten (sic!!), erklärte: Er sagte, die amerikanische Bombardierung irakischer Städte gleiche einer wundervollen Symphonie.” 

Das ist ja schon fast wieder lustig.. ;) Jetzt mal ganz langsam zum Mitschreiben: Die „Vierte Internationale” ist ein Zusammenschluss von marxistischen, trotzkistisch geprägten Parteien bzw. Gruppen, zu deren wichtigsten die französische LCR wie auch eine Fraktion innerhalb der italienischen Partei Rifondazione Comunista zählt. Man kann von ihrer Politik halten, was man möchte (FUSSNOTE [1]), aber es handelt sich um eine traditionsreiche und seriöse LINKE Organisation – die absolut GEGEN den Überfall auf den Iraq unter Anführung der US-Administration war. Kanan Makiya ist dagegen ein Exiliraqer und in den USA lebender Akademiker, der 2002 zeitweise zu einem hochrangigen Berater der US-Regierung wurde: Er ist, im wörtlichen Sinne, ein „Kollaborateur” Bushs (von ‚collaborer’, für „mit-“ oder „zusammenarbeiten“). Im Auftrag der US-Administration entwarf Makiya, der in den 1970er Jahren einmal vorübergehend Marxist war (FUSSNOTE [2]), vor der Invasion von 2003 an der Harvard-Universität eine „Verfassung“ für den Nachkriegsiraq.  

Aber auch Kanan Makiya hat sich nicht, oder jedenfalls nicht öffentlich, über die „Bombardierung iraqischer Städte” gefreut. Er ist tatsächlich für den Krieg von 2003 politisch mit verantwortlich. Aber er hat sich selbstverständlich nicht öffentlich über Tote und über Schäden im Iraq gefreut, sondern hat behauptet, dieser Krieg sei ein „notwendiges Übel”, um „die Iraqer von der Diktatur zu befreien”. Den Satz, so wie der Autor das behauptet (natürlich ohne die leisteste Quellenangabe!), kann er so jedenfalls nicht gesagt haben. Es wäre auch politisch widersinnig. Besser wird seine Rolle dadurch freilich nicht: Ja, Kanan Makiya trägt politische Mitverantwortung am Krieg. Mit Trotzkisten hat er dagegen (in der Welt von 2002 oder 2007) weder von nahe noch von ferne irgendwas zu tun; mit dem ‚World Social Forum’ ebenfalls nicht.

3.) Auch ziemlich amüsant, freilich nicht wirklich unerwartet, auch der österreichische Operetten-Antiimp Willi Langthaler:
S. 140 des Buches: 

„Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden, wo der Islamismus nicht nur eine antiimperialistische, sondern auch sozial fortschrittliche Rolle spielt, wie bei der libanesischen Hisbollah oder beim palästinensischen Islamischen Dschihad. Hier seien nur zwei sehr bekannte Bewegungen genannt, doch fast in jedem Land findet man kleinere krypto-linke (sic!) islamische oder islamistische Gruppierungen (..) “ 

Auf den folgenden Seiten versucht der österreichische Komiker dann doch noch, zumindest die Anzeichen für Aspekte der Frauenunterdrückung in der Ideologie der Hizbollah ein wenig zu diskutieren. Dabei kommt er übrigens zu einem abwägenden, ja sogar ziemlich herum eiernden Ergebnis: „Was die Beschränkung der Sexualität auf die Ehe und deren weitreichende Folge für die Alltagskultur betrifft, kann man grundsätzliche, aber auch sehr pragmatische Einwände äubern, nämlich, dass sie selbst unter den strengsten Verboten in beträchtlichem Ausmab nicht eingehalten werden. Die Verbannung der Sexualität aus dem öffentlichen Raum ist aber nicht automatisch mit Prüderie gleichzusetzen, wie man es vom Katholizismus kennt. So versucht die Bewegung die ökonomischen Hindernisse für eine frühe Eheschliebung zu beseitigen (...)“  (S. 147) Nun, unter Emanzipation könnte man sich freilich dennoch etwas Anderes vorstellen. Was den an diesem Ort zitierten Autor aber nicht daran hindert, die libanesische Hizbollah (wörtlich „Partei Gottes“) explizit als „links“ zu bezeichnen; vgl. auch auf S. 149: „Abschliebend muss eingeräumt werden, dass die Hisbollah von den groben Bewegungen des politischen Islam die am weisten links stehende ist. (...) Die Hamas ist mit Sicherheit konservativer als die Hisbollah.“  

Nun ist nicht alles falsch, was der Autor an Einzelinformationen über die libanesisch-schiitische Bewegung zusammenträgt, und es der in vielen westlichen Medien gezeichneten Karikatur dieser Bewegung gegenüber stellt. Es darf nicht vergessen werden, dass letztere unter den Bedingungen einer auf allen Seiten konfessionalisierten Politik im Libanon, und in unmittelbarer zeitlicher Verbindung mit dem brutalen israelischen Einmarsch in Beirut von 1982 sowie als Reaktion auf Besatzungsterror und den Terror christlicher Milizen im Südlibanon entstanden ist. Unter den bewaffneten konfessionnellen Verbänden, die am libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 beteiligt waren, dürfte die Hizbollah sogar mit Abstand am wenigsten Blut von Zivilisten an ihren Händen kleben  haben – weil sie sich auf den Kampf gegen die Besatzungstruppen im Süden konzentrierte. Deswegen wird die Hizbollah von vielen Libanesen über Konfessionsgrenzen hinweg als „Widerstandsorganisation“ für legitim erachtet. Dies darf man tatsächlich nicht verkennen. Aber „links“? Emanzipatorisch? „Befreiungstheologie“, wie Langthaler auch schreibt? Dafür gibt es nun wirklich verdammt wenig Anzeichen, auch wenn tatsächliche Linke im Libanon (die libanesische KP) unter den sehr spezifischen Bedingungen dieses Landes zeitweise Zweckbündnisse im Kampf gegen den äuberen Feind mit ihr eingingen.  

Auch bedeutet die Tatsache, dass die Hizbollah als ein Produkt der brutalen israelischen Invasion im Libanon 1982 (Höhepunkt der Ereignisse, die zugleich einen interkonfessionnellen Bürgerkrieg und eine ebenfalls brutale Einmischung durch die Syrer beinhalteten) entstand, keineswegs, dass man die hässlichen Aspekte ihrer nationalreligiösen Ideologie verkennen muss. Der Fernsehsender der Hizbollah, ‚Al-Manar TV’, wurde im Dezember 2004 die Ausstrahlung auf französischem Staatsgebiet verboten. Anlass dafür war, dass in Sendungen u.a. suggeriert worden war, Juden verübten Ritualmorde an christlichen Kindern, und Israel verbreite durch Warenexporte in arabische Länder dort das AIDS-Virus. Nachvollziehbare Gegnerschaft zur israelischen Politik (die quer durch die libanesische Gesellschaft geteilt wird) hin oder hier: Dies ist üble reaktionäre Propaganda. Auch darüber lässt Willi Langthaler sich in seiner pseudo-dialektischen Abwägung aber nicht in einem Sterbenswörtchen aus.  

Der unter Palästinensern verankerte „Islamische Jihad“ ist nocjmals eine völlig andere Nummer als die libanesische Hizbollah. Letztere stellt im Libanon eine reale Bewegung mit Massenbasis dar, und muss sich insofern auch in gewissen Grenzen um soziale Belange kümmern (wobei ihre Almosen häufig auch mit dem Verlangen von Loyalität und der Einhaltung von „Moralgeboten“ erkauft werden). Der „Palästinesische Islamische Jihad“ (PIJ) ist hingegen – anders auch als die Hamas, als Partei mit Massenverankerung – eine rein bewaffnet aktive, hochgradig ideologisierte Eliteorganisation ohne erkennbare „soziale Aktivitäten“. Sein Profil ist ebenso kaderartig-elitär wie militaristisch. Wo Willi Langthaler hier Anzeichen für eine „sozial fortschrittliche Rolle“ entdeckt haben will – die Lüftung dieses Geheimnisses bleibt er seinen Lesern schuldig. 

Ansonsten hat Langthaler zwar durchaus Recht mit der Feststellung, dass die Hizbollah als Bewegung (in einem multikonfessionnellen Land, das sie niemals alleine regieren oder beherrschen KÖNNEN wird und wo sie daher notwendig Abstriche an ihrem Programm machen musste) nicht mit der iranischen Staatsmacht und ihren Praktiken gleichgesetzt werden könne. Das stimmt: Die Hizbollah hat im Libanon in den frühen 1990er Jahren vom vormals proklamierten Ziel der Errichtung einer „Islamischen Republik“ (nach iranischem Vorbild) programmatisch Abstand genommen. Aber welcher Teufel hat Langthaler geritten, dass er kurz darauf auch gleich noch das iranische „Vorbild“ verteidigen zu müssen glaubt? Auf S. 147 heibt es im Originalton: „Jedenfalls ist die Islamische Republik jenes muslimische Land, in der die Frauen die mit Abstand gröbte Rolle im öffentlichen Leben spielen, in einigen Bereichen sogar mehr als im Westen. So übersteigt die Zahl der zum Studium neu zugelassenen Frauen seit einiger Zeit jene der Männer.“ Ja, das stimmt sogar, ihr Anteil unter den (neu) Studierenden beträgt derzeit gar 60 Prozent. Dies aber nicht AUFGRUND des Regimes, sondern TROTZ des Regimes, dessen „moralischen“ Zwangsvorschriften und dessen Tugendterror ein wachsender Teil der iranischen Gesellschaft seit Jahren aktiv und passiv trotzt. Hingegen liest man kein Sterbenswörtchen über die Jagd auf nicht oder „schlecht verschleierte“ Frauen (bi-hedjab oder bad-hedjab) in den Straben von Teheran durch Pasdaran („Revolutionswächter“), über öffentliche Auspeitschungen von „Tugendbrechern“ und über Hinrichtungen von Homosexuellen im Iran. All dies ist aber fester Bestandteil der Realität dieses Regimes. 

Propagandaquatsch  

Unter den deutschen Autoren des Sammelbandes befinden sich namentlich solche manichäischen Propagandapublizisten wie Rainer Rupp, der ehemalige „Agent Topas“ der DDR im NATO-Hauptquartier, und Klaus von Raussendorff als Herausgeber der ‚Antiimperialitischen Korrespondenz’ und früherer Saddam-Fan. Beide sind in die Rubrik „Propagandadeppen“ einzuordnen. Rupp schreibt hauptsächlich über die Strategien der USA gegen den Iraq unter Saddam Hussein und für die Zukunft gegen den Iran, wobei er zwar durchaus Richtiges zu den Hintergründen der US-Strategie schreibt, aber wenig bis nichts zur Charakterisierung ihrer jeweiligen Gegner. Wodurch die politische Einschätzung natürlich notwendig ein bisschen in der Luft hängen bleibt. Aber für ihn dürfte ohnehin die gute alte, und seit langem falsche, Devise gelten: „Der Feind meines Feindes ist immer mein Freund! (Am besten sage ich gar nichts Näheres über ihn.)“ 

Rupp und Konsorten sind nicht unbedingt für ihren ungetrübten Bezug zur Wahrheit bzw. Wirklichkeit bekannt. Es genügt, an die zum Schreien komische Syrienreportage von Rainer Rupp zu erinnern, die dieser am 28. Mai 2007 von Damaskus aus in der Tageszeitung ‚junge Welt’ veröffentlichte. Monsieur Gibt-sich-gerne-Ahnungslos beschreibt die „Wahl“ – eine Präsidentschaftswahl mit nur einem Bewerber, dem Amtsinhaber, ohne Gegenkandidat - unter einer Diktatur folgendermaben: „Ganz Syrien wird derzeit von einem Phänomen beherrscht, das sich wohl am besten als kollektiver »Baschar-Freudentaumel« beschreiben läßt. Die Straßen und Häuser in der Innenstadt von Damaskus scheinen sich mit Plakaten von Dr. Baschar Al Assad, dem jungen Präsidenten Syriens, übertreffen zu wollen. Überall ist die rot-weiß-schwarze Nationalflagge zu sehen, geradeso, wie in Deutschland während der Fußballweltmeisterschaft Schwarz-Rot-Gold auf einmal omnipräsent war. Doch die in ganz Syrien herrschende Partystimmung hat nichts mit Sport zu tun, sondern mit Politik. Am Sonntag gilt es, den 41jährigen Staatschef per Referendum für weitere sieben Jahre im Amt zu bestätigen. Und darauf freuen sich die Syrer in einem bis dahin nie gesehenen Ausmaß. Abends wuselt es auf den Straßen von Damaskus.  (…) “ (Vgl. http://www.kominform.at/ Bei einem Blick in den Bericht einer Menschenrechtsorganisation unter dem Stichwort „Syrien“ hätte der Autor feststellen können, dass es dort unter den Rubriken „Politische Gefangene“ oder „Folter“ auch nur so wuselt. Als Schlussfolgerung bleibt nur eine Alternative übrig: Wer solches veröffentlicht, ist entweder abgrundtief dumm, oder ein hemmungsloser Propagandalügner. Oder aber beides auf einmal.  

Positive Ausnahmen? 

Neben einem solchen Krétin in ein und demselben Buch als Autor in Erscheinung zu treten, ist schon fast eine Beleidigung an und für sich. Dennoch sei hier die Frage aufgeworfen: Gibt es nicht auch vernünftige Autoren, wenigstens einen, in diesem Sammelband? Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip schon... Aber...  

Da wäre insbesondere der Fall des ägyptischen Marxisten Samir Amin. Er hat in seinem Leben schon hochvernünftige Sachen verfasst. Allerdings gehört sein Text in dem vorliegenden Sammelband, höflich ausgedrückt, nicht eben zu seinen stärksten. Auf S. 151 ff. unter der Überschrift „An vordester Front im Kampf für die Destabilisierung der USA, Israels und ihrer Verbündeten: Palästina, Libanon, Afghanistan, Irak, Iran“ (hm, dieser Titel lässt ein bisschen ratlos zurück: Geht es nun darum, wie die USA destabilisiert werden sollen? Oder darum, wie dieselben and der Destabilisierung anderer Staaten arbeiten?) veröffentlicht, ist auch dieser Beitrag vielfach einem ziemlich manichäischen Schwarz-Weib-Schema verbunden. Immerhin: Anders als andere Autoren des Sammelbandes widmet er in seinem Unterkapitel über den Iraq auch den Hinterlassenschaften der früheren Diktatur der Baath-Partei -– die mit dazu beigetragen habe, eine einstmals blühende KP in einem arabischen Land zu massakrieren, und ein allgemeines politisches Vakuum hinterlassen habe -- einigen Raum. Zu Recht weist Samir Ain auch darauf hin, dass die imperialistischen Staaten zu jener Zeit, als es seine gröbten Verbrechen beging (etwa die Kurden), das Baath-Regime unterstützt und aufgerüstet hätten. So weit, so gut. Ansonsten wird es aber relativ schnell manichäisch. Im Falle des Iran verteidigt Samir Amin das Recht dessen Regimes auf die A-Bombe – wovon die Bevölkerung dort nicht unbedingt etwas wissen möchte, so überklebten die Teilnehmer an der (vom Regime anberaumten) 1. Mai-Parade in Teheran 2006 vielfach die Propagadaplakate für das iranische Atomprogramm mit der Silhouette eines Brotes. Ein einfacher, aber umso klarerer Hinweis darauf, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Iran andere Sorgen haben als das Regime. Samir Amin wählt zwar ein dialektisch erscheindes Herangehen: Einerseits sei die politische Natur von dessen Regime nicht inkompatibel mit einer Integration in die kapitalistische Weltordnung, da es nicht antikapitalistisch sei (ja, das stimmt!). Andererseits aber sei das iranische Nationalbewusstsein -  von „Volksmassen und Führer(n)“ – ein Hindernis gegen eine Eingliederung des Iran in die herrschende Weltordnung in einer subalternen Position. Dabei bescheinigt Amin dem iranisch-persischen Nationalismus, dass er „historisch eine positive Rolle spielt“ – wo das Regime jetzt wie schon unter dem Schah doch nur als unumgängliche Regionalmacht anerkannt werden will, und dessen reaktionäre Natur zugleich nicht zu leugnen ist. Schlussendlich landet Amin dann aber bei der Frage; „Sollte dieses Land nicht wie alle anderen das Recht haben, eine militärische Nuklearmacht zu werden?“ („Wie alle anderen“? Wäre eine Welt mit 180 Nuklearmächten erstrebenswert?) Hier landet Samir Amin bei einer Verteidigung der Interessen des Regimes, denen man jene der iranischen Bevölkerung entgegen setzten könnte – ohne notwendig, wie die irren „Antideutschen“, bei einer Apologetik der westlichen Grobmächte (die selbst längst die Atomwaffe besitzen) zu landen.    

Da ist ferner auch, und vielleicht ein wenig überraschend, der nicht gar so schlechte Beitrag von Joachim Guilliard aus Heidelberg. Dieser ist seit langem in der Solidaritätsarbeit für den Iraq tätig, und fiel vor dem Krieg von 2003 eher durch Apologetik für die Interessen des damals noch herrschenden Regimes in Baghdad auf. Aber sein Beitrag in diesem Buch ist stellenweise nicht so schlecht wie manche umstehenden Kapitel. Immerhin lehnt er es ab, ausschlieblich die militärisch aktiven bzw. militaristisch agierenden Gruppen als „Widerstand“ aufzufassen. Vielmehr redet er einem Widerstandsbegriff das Wort, unter den u.a. auch „Gewerkschaften“ sowie „Frauen-, Studenten-, Arbeitslosenorganisationen“ (S. 48) fallen. Also solche Kräfte, die durch Warlords oder konfessionnelle Milizen ebenso bedroht sind wie oftmals durch die Besatzungstruppen. Im Folgenden allerdings kommt Guilliard dann wieder eher auf solche Milizen als auf die Akteure des „zivilen Widerstands“ positiv zurück. Ferner ist relativ positiv zu vermerken, dass Guilliard auch einräumt, dass inneriraqische Konflikte (und nicht allein und ausschlieblich das Wirken der Besatzungsmächte) eine wichtige, negative Rolle spielen: „Da diese Kräfte (Anm.: Schiiten- und Kurdenparteien) eine völkische bzw. religiös-sektiererische Agenda verfolgen, schürt deren Politik tatsächlich die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen (...). Mörderische Anschläge auf schiitische Zivilisten mit z.T. Hunderten von Toten, für die Al-Qaeda nahe stehende, sunnistische Extremisten verantwortlich gemacht werden, trugen ihren Teil dazu bei.“ (S. 38/39) Dies alles ist durchaus richtig.  

Negativ zu Buche schlägt aber, dass Guilliard glaubt, tendenziell leugnen zu müssen, dass auch das Erbe der früheren Baath-Diktatur dabei ebenfalls eine Rolle spielt. So schreibt er: „Nach der Machtübernahme der säkularen Baath-Partei spielte die Konfession generell keine gravierende Rolle mehr...“ (S. 38) Und später: „Nicht weil es einen traditionellen Konflikt gibt, eskaliert heute die sektierische Gewalt, sondern weil es schiitische, sunnitische und kurdische Organisationen gibt, die eine solche Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen.“ (S. 39) Letzterer Satz stimmt natürlich. Auf diesem Wege streitet der Autor aber weitgehend ab bzw. spielt herunter, dass es schon vor der Invasion von 2003 schwelende Konflikte unter iraqischen Bevölkerungsgruppen gab – als noch die autoritär-nationalistische „säkulare Baath-Partei“ herrschte. Was war mit Zwangsumsiedlungen zwecks „Arabisierung“ im Nordiraq und der mörderischen „Anfal-Kampagne“ zur Entvölkerung kurdischer Städte und Dörfer (1987/88)? Wer hat 1990 das Glaubensbekenntnis ‚Allah Akbar’ auf die iraqische Staatsflagge aufnähen lassen, um religiöse Gefühle zwecks Verteidigung des sich bedroht fühlenden Regimes zu instrumentalisieren? Was war mit den Massakern an Kurden und Schiiten im März/April 1991, nach dem verlorenen Krieg und den nachfolgend ausbrechenden Aufständen? 

Keinen Gefallen erwiesen haben sich letzlich die beiden Co-Herausgeber Nikolaus Brauns und Dimitri Tsalos. Nick Brauns zählt ansonsten oft zu den eher klügeren Autoren der Tageszeitung ‚junge Welt’, und hat durchaus interessante Texte verfasst (etwa seine Hintergrundartikel zur Geschichte der Arbeiterbewegung, dazu einen guten Artikel zur Konferenz der Komintern in Baku 1920, wo die Lenin’sche Antiimperialismuskonzeption realpolitisch konkretisiert und die Agitationsparole von den „unterdrückten Völkern“ ausgegeben wurde). Solch einen Sammelband herauszugeben, der zwar nicht ausschlieblich, aber doch über längere Strecken hinweg nationalreligiös gefärbten oder sonst reaktionären Schrott enthält, war keine gute Idee. 

Auch die ‚junge Welt’ hat übrigens schon bessere Bücher besprochen als das hier vorliegende, und dabei in ihrer Rezension durchaus brauchbare Informationen vermittelt. Zum Beispiel hier: http://www.jungewelt.de/2007/08-27/065.php Auch die Kritik an der Hizbollah, und der hinter ihr stehenden schiitischen Bourgeoisie, kommt dabei nicht zu kurz. Gilbert Achcar und Michel Warschawski haben den Beweis angetreten, dass man etwa zum Libanon(krieg) auch Anderes als Schrott publizieren kann – und dabei u.U. sogar in der jW Gehör findet. 


Fussnoten

[1] Man könnte  etwa das Abgleiten in den Reformismus mancher ihrer nationalen Sektionen insbesondere im Trikont kritisieren; ihre brasilianische und ihre senegalesische Sektion war  bzw.  ist an Regierungsbündnissen beteiligt. Im ersten Falle hält die Regierungsbeteiligung eines Teils der brasilianischen Sektion, die darüber freilich gespalten ist, unter Präsident Lula  noch immer an. Im zweiteren Falle hat die Regierungsteilnahme  während der Phase der  „demokratischen Transition“ von 1999/2000 vom „sozialistischen“, autokratischen Altpräsidenten Diouf zum jetzigen wirtschaftsliberalen Präsidenten des Senegals – Aboulaye Wade – zu heftiger Kritik innerhalb der Linken geführt. Dieses Abgleiten in den Reformismus lässt sich jedoch nicht auf die Sektionen der Vierten Internationalen in Europa  übertragen.

[2] Für jene Zeit werden ihm trotzkistische Sympathien sowie eine Nähe zur PLO-Linken, besonders der palästinensischen PFLP, attestiert. Das ist aber lange Jahre her...

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 3.9.07 vom Autor zur Veröffentlichung.