Vivisektion mit dem Fallbeil
Anmerkungen zu einer Dissertation über den Nationalrevolutionär Henning Eichberg


von Jean Cremet

09/07

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Crossing Jordan sei, so die Werbung eines Fernsehsenders, das Beste, was einer Leiche pas­sieren könne. Die „Pathologin mit Herz“ seziert in einer Abendsendung Leichen, die Geheim­nisse bergen. Wie in diesem Format nicht anders zu erwarten, bringt sie jede noch so verbor­gene Einzelheit ans Tageslicht, bedient sich dabei der ausgefeiltesten technischen Methoden, zieht die Verbindungslinien zwischen den ebenso vielfältigen wie verstreuten Fakten und lässt so ein Gesamtbild entstehen, enthüllt immer wieder jedes Geheimnis. Die Kombination aus Wissenschaft und Unterhaltung ist es, die diese Art von Serien zu einem fast sicheren Publi­kumserfolg werden lässt.

Eine gute sozialwissenschaftliche Dissertation sollte zumindest Elemente von „Crossing Jordan“ enthalten. Sie sollte nicht mehr methodologischen Ballast enthalten als unbedingt notwendig um die Lesbarkeit zu gewährleisten. Sie sollte sich nachprüfbarer und zuverlässiger Analyseinstru­mente bedienen sowie klare Definitionen nutzen und diese angeben. Sie sollte das Umfeld des unmittelbaren Untersuchungsgegenstandes genau ausleuchten und in die Diagnose einfließen lassen. Sie sollte die Krankengeschichte berücksichtigen, somit in der Vergangenheit liegende Faktoren nicht ignorieren. Sie sollte schließlich neue Fakten zur Beurteilung des Themas lie­fern, entweder durch eine neue Sicht bekannten Materials und/oder durch Nutzung bisher un­bekannter Quellen. Es muss auch kein Nachteil sein, wenn Geschichten abseits des Haupt­erzählstranges eingeflochten werden. Dies kann den Unterhaltungswert steigern, wenn durch sie nicht die eigentliche Story erdrückt wird.

Clemens Heni hat unter dem langen Titel „Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Iden­tität’, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970 – 2005: Henning Eichberg als Exempel“ eine lange Dissertation vorgelegt. So denn einem Buchtitel Aussagekraft über den Inhalt zukommt, darf ich von dem Band eine Darlegung erwarten, auf welche Weise und in welchem Umfang die Neue Rechte in der politi­schen Kultur der Bundesrepublik salonfähig geworden ist, was diese Neue Rechte ideologisch und organisatorisch charakterisiert und was der Autor unter „Nationaler Identität“, Antisemitis­mus und Antiamerikanismus versteht und warum er diese als Hauptideologien der Neuen Rechten betrachtet. Da er – wiederum laut Titel der Arbeit – Henning Eichberg als Exempel für die Neue Rechte und deren Entwicklung bis hin zur Salonfähigkeit sieht, erwarte ich eine poli­tische Biografie der Person und ihres Umfeldes, eine Wirkungsgeschichte seiner Schriften und seines direkten Agierens sowie die Darstellung der Interaktion Eichbergs mit der politischen Gesamtkultur.

Damit hat sich Heni eine höchst anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Sein Doktorvater, der renom­mierte Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka, bescheinigt der Schrift, sie sei „inter­disziplinär“, es handele sich um eine „anspruchsvolle und mit großem Fleiß erstellte Arbeit“, die von einer „tiefen Kenntnis“ des Verfassers zeuge. Henis Fleiß soll nachfolgend nicht bestritten werden. Er allein wäre allerdings nicht ausreichend für eine Promotionsschrift. Den anderen Wertungen Pelinkas mag sich der Rezensent nicht anschließen. Heni scheitert an den oben benannten Anforderungen an eine Dissertationsschrift.

Heni stützt sich für seine Arbeit ausschließlich auf gedruckte Quellen. Er betont ausdrücklich, dass seine Bibliographie der Schriften Eichbergs keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Aus der Untersuchung schließt er explizit jene Arbeiten aus, die Eichberg im Umfeld der Sozia­listischen Volkspartei geschrieben hat, und implizit jene vorwiegend kulturwissenschaftlichen und sportsoziologischen Schriften, die Eichberg in Dänemark in der Landessprache verfasst hat. Diese Arbeit sei später „von Skandinavisten“ zu leisten (S.345). Eine Begründung für diese Entscheidung liefert er nicht.

Auf schriftliche oder mündliche Interviews mit Eichberg oder anderen politisch-publizistischen Akteuren dessen Umfeldes verzichtet Heni. Er hält diese Form der Annäherung an den Unter­suchungsgegenstand sogar für gefährlich, wenn Selbsteinschätzungen des Interviewten über­nommen würden. Dem ist zuzustimmen. Heni erläutert nicht, weshalb solche Gespräche ein Nachweis für „wissenschaftliche Unredlichkeit“ (S.35) sein sollen. Wer „ein solches Theoriege­bäude“, so Heni, „nicht aus den bekannten Texten – und den Leerstellen heraus -dechiffrieren kann, sollte es vielleicht gar nicht erst versuchen.“ (ebd.) Es wird zu fragen sein, ob diese Ent­scheidung dem Erkenntnisinteresse tatsächlich förderlich ist.

Henis Thema hat zweifellos eine hohe politische und wissenschaftliche Relevanz. Henning Eichberg gilt seit vier Jahrzehnten als einer der produktivsten und innovatorischsten Autoren des nationalrevolutionären Flügels der extremen Rechten. Der Streit darum, ob er sich tatsäch­lich – wie von ihm behauptet – von seinen rechten Ursprüngen gelöst hat, hält ungebrochen an. Der politische Werdegang des 1942 Geborenen führt vom Umfeld der Deutsch-Sozialen Union des NS-Dissidenten Otto Strasser über das Engagement bei den Grünen zu Beginn der achtzi­ger Jahre bis heute und zur linken Sozialistischen Volkspartei Dänemarks. Eichberg selbst hat immer wieder den Bruch mit seinen früheren Positionen und Strukturen der extremen Rechten insgesamt behauptet. Jegliche wissenschaftliche Untersuchung wird also zunächst die Ur­sprünge und Grundlagen seines Denkens unter Einbeziehung des direkten und weiteren politi­schen Umfeldes analysieren müssen, um aufbauend auf diesem Material die Linien möglicher Modifikationen und Brüche nachzuzeichnen.

Heni geht auf die publizistischen Anfänge Eichbergs in der Zeitschrift „Nation Europa“ ein und verweist auf ein „Zeltlager faschistischer Gruppierungen in Frankreich“ im Jahre 1966. Seine Berichte darüber hätten die deutsche Neue Rechte ermutigt, ebenfalls auf die Tradition des revolutionären Linksfaschismus und der europäischen Waffen-SS zurückzugreifen.“ (S.37) Heni stützt sich in diesem Abschnitt ausschließlich auf die sympathisierende Darstellung des Natio­nalrevolutionärs Günter Bartsch bzw. auf Autoren, die diesen ebenfalls als Quelle genutzt haben. Eichbergs politisch-publizistischer Werdegang bis zum Jahr 1972 wird äußerst knapp abgehandelt. Details über Eichbergs Verhältnis zu seinem Förderer Arthur Ehrhardt, einem ehemaligen Offizier der Waffen-SS und damaligem Herausgeber der Zeitschrift „Nation Europa“, fehlen ebenso wie Angaben zum Kreis um die Zeitschrift „Junges Forum“ oder zu den Ideologietreffen namens „Sababurgrunden“, an denen Eichberg jeweils beteiligt war. Über die Entstehung von Eichbergs Denken sowie sein politisch-intellektuelles Umfeld jener Jahre erfah­ren die Leser nichts. Heni selbst wiederum fehlen durch diesen Mangel die Kriterien zur Beur­teilung des weiteren politischen Werdegangs Eichbergs.

Das angesprochene „Zeltlager faschistischer Gruppierungen in Frankreich“ war wesentlich von der „Fédération des étudiants nationalistes“ (FEN; Vereinigung nationalistischer Studenten) ausgerichtet worden, einer Organisation, aus der fast alle späteren Gründungsmitglieder des GRECE, der Hauptorganisation der Neuen Rechten im Nachbarland, entstammen. Aus diesen frühen Kontakten erklärt sich auch Eichbergs Korrespondenten- und spätere Redakteurstätig­keit für die „Nouvelle Ecole“, das publizistische Flaggschiff der französischen Neuen Rechten. Die FEN kann als eine Art Ideenlaboratorium für die damals völlig erfolglose französische extreme Rechte gelten, der die Gruppe neuen Schwung verleihen wollte. Diese Strömung war eine Reaktion auf die essentielle Krise der französischen extremen Rechten, welche durch den Verlust der Kolonie Algerien und dem damit verbundenen Ende einer eigenständigen Rolle als Weltmacht verursacht worden war. Während für die deutsche extreme Rechte die Wiederge­winnung der Integrität der Nation seit dem Ende des II. Weltkrieges der zentrale Diskurs war, reagierte die französische extreme Rechte auf den Verlust mit der Entwicklung eines Europa­diskurses. Der europäische Rahmen sollte, in Äquidistanz zu USA und UdSSR, zur Wahrung bzw. Wiedergewinnung der Weltmachtrolle der eigenen Nation dienen.

War die traditionelle extreme Rechte Frankreichs parlamentsorientiert, so zeigte sich diese Neue Rechte betont diskursorientiert. Auch über die Zeitschrift der FEN, „Europe Action“, wur­den strategische Grundlagenschriften vorgestellt und in den Gruppen diskutiert. So erschien in der Ausgabe vom August 1963 (S.42 – 48) der Aufsatz „Qu’est-ce qu’un militant?“ („Was ist ein Aktivist?“) eines gewissen Fabrice Laroche, hinter dem sich niemand anderes verbarg als Alain de Benoist, bis heute der Cheftheoretiker der Nouvelle Droite. Als schmale Broschüre erfährt der Beitrag bis auf den heutigen Tag ebenso immer neue Auflagen wie die aus dem Jahr 1964 stammende Grundsatzschrift „Pour une critique positive“ von Dominique Venner, der zentralen Figur aus der Generation der Väter des FEN.

Natürlich wird in diesen und anderen Schriften immer wieder direkt und indirekt Bezug genom­men auf die „Vertreter des revolutionären Linksfaschismus“. Da Heni in seiner Arbeit weder einen Faschismusbegriff noch gar eine Faschismustheorie als Bezugspunkt benennt, geht er folgerichtig auf diesen Begriff nicht näher ein. Hätte er sich mit dieser Erscheinung beschäftigt, wären ihm mehrere in Deutschland bis dahin höchst ungewöhnliche Theorieansätze Eichbergs leicht erklärlich geworden. Doch Heni zeigt sich national borniert, beschränkt sich in seinen historischen Rückgriffen ausschließlich auf das Beispiel des deutschen Faschismus. Als Kon­sequenz taucht im Literaturverzeichnis der Name des israelischen Faschismusforschers Zeev Sternhell, der mehrere umfangreiche Bände zu dieser faschistischen (Haupt-)Strömung in Frankreich und Italien vorgelegt hat, gar nicht auf. Dies gilt auch für andere maßgebliche Unter­suchungen, die die „Linke(n) Leute von rechts“, so ein Titel eines Bandes von Otto-Ernst Schüddekopf über die nationalrevolutionären Minderheiten in der Weimarer Republik, zum Thema haben.

Heni beschreibt in seiner Dissertation immer wieder die Andockversuche Eichbergs bei der poli­tischen Linken und deren Publikationsorganen. Er sieht darin allerdings fälschlich lediglich ein taktisches Manöver. Da er gar nicht erst den Versuch unternimmt, das Phänomen der Strömung der Nationalrevolutionäre – oder eben des „revolutionären Linksfaschismus“ – historisch einzu­ordnen, sieht er auch nicht, dass es sich bei diesen Annäherungsversuchen nicht um Taktik handelt, sondern vielmehr um eine grundsätzliche ideologische Ausrichtung, die zurückgeht auf die „antimaterialistische Revision des Marxismus“ (Zeev Sternhell) durch Teile der revolutionä­ren Syndikalisten, die auf diese Weise neben den antidemokratischen Nationalisten und der kulturellen Avantgarde der Futuristen zum integralen Bestandteil der faschistischen Synthese wurden. In der entstehenden Nouvelle Droite Frankreichs, in deren Umfeld sich Eichberg seit spätestens 1966 bewegte, wurden genau diese Theoretiker, Politiker und Schriftsteller wie Georges Sorel, Georges Valois, Édouard Berth, Marcel Déat, Hendrik de Man, Jacques Doriot oder Pierre Drieu La Rochelle sehr intensiv rezipiert, um das Schwergewicht des eigenen Wir­kens künftig auf den kulturellen Bereich, den der „Metapolitik“, legen zu können. Gerade gegenwärtig erfolgt eine zweite Welle der rechten Rezeption dieser Personen, jedoch mit einerveränderten Stoßrichtung. Diesmal werden die Neuauflagen von Édouard Berths Band „Les méfaits des intellectuels“ (versehen mit einer langen Einleitung von Alain de Benoist) oder der vollständige Reprint der „Cahiers du Cercle Proudhon“ (wiederum eingeleitet von Benoist) herangezogen, um als ideologische Munition für den „Antikapitalismus mit rechts“ in Verbindung mit rechter Globalisierungskritik zu dienen. Da Heni eine Kontinuität der Denklinien und grund­sätzlichen Denkansätze Eichbergs behauptet, bei diesem tatsächlich auch die Globalisierungs­kritik eine Rolle spielt, hätte er durch Heranziehung der Autoren des „revolutionären Links­faschismus“ seine These überprüfen können.

Diese Untersuchungslücken der Arbeit, die sich beim Ignorieren von Zirkeln wie dem um das „Junge Forum“ oder die Sababurgrunden ähnlich gravierend auswirken, haben zwangsläufig Fehlurteile im weiteren Verlauf der Dissertation zur Folge. Genau jener Ideologietransfer von Frankreich nach Deutschland war zweifellos eine der bleibenden Leistungen Eichbergs für die deutsche extreme Rechte. Er ermöglichte damit der Neuen Rechten, den Nationalrevolutionä­ren der damaligen Zeit, historische Bezüge jenseits des NS-Erbes oder auch des damals noch lagerintern weitgehend verschütteten Erbes der Konservativen Revolution herzustellen. Mit die­ser Arbeit verschaffte sich Eichberg Anerkennung auch bei seinen französischen Freunden. Als einer von nur wenigen Deutschen – neben Sigrid Hunke, Ernst Topitsch, dem damaligen „Welt“­Redakteur Günther Deschner (Nachfolger Eichbergs als Redakteur der „Nouvelle Ecole“), Armin Mohler und Hans Wagner, auch er Redakteur der „Welt“ – referierte er im September 1974 in Nizza beim „2. Internationalen Kongress zur Verteidigung der Kultur“, der einerseits Ausdruck einer Umorientierung der Nouvelle Droite vom bisherigen biologistischen hin zu einem kultura­listischen und differenzialistischen Rassismus war und andererseits durch das teilweise re­nommierte internationale Referentenumfeld zur intellektuellen Aufwertung der eigenen Gruppe dienen sollte. Eichberg sprach bei diesem Kongress „Connaissance pour la liberté“ zum zen­tralen Thema „Verteidigung der Kultur oder Befreiung der Kulturen?“ Diesen Beitrag veröffent­lichte Eichberg anschließend noch mehrfach. Das unterstreicht die Bedeutung, die er ihm bei­maß. Heni hätte hier einen treffenden Beleg für den Kulturrelativismus gefunden, den er der Neuen Rechten vorwirft, und gleichzeitig feststellen können, dass Eichberg zu diesem Zeitpunkt die Ideologie der Nouvelle Droite vollständig adaptiert hatte.

Genau an dieser Stelle, beim Kongress in Nizza, erfolgte durch Eichberg zugleich eine Kritik an wesentlichen Aspekten der bisherigen ideologischen Arbeit der Nouvelle Droite wie auch deren Weiterentwicklung, indem dieser betonte, es gehe ganz und gar nicht um die „Verteidigung der Kultur“, da dies eine homogene Kultur des Abendlandes voraussetzen würde, sondern um die „Befreiung der Kulturen“. Der Nominalismus der Nouvelle Droite hätte eigentlich Eichbergs Be­grifflichkeit zwingend erfordert. Dies unterblieb jedoch aus taktischen Rücksichten auf die Bündnispartner beim Kongress, die wie Thomas Molnar aus dem ultrakonservativen Spektrum stammten oder wie Armando Plebe aus dem neofaschistischen MSI kamen. Bei diesem Vortrag werden wesentliche Stränge von Eichbergs Denken entwickelt. Clemens Heni jedoch ignoriert auch diese zentrale Entwicklungsstufe in Eichbergs politischer Biografie.

Eichbergs Beteiligung an der Gründung der Grünen in Baden-Württemberg begründet zweifel­los die Notwendigkeit einer genaueren Beschäftigung mit der Vor- und Frühphase dieser Partei. Auch wenn Eichberg nicht deren Mitglied wurde, bleibt festzuhalten, dass gerade die National­revolutionäre und Anhänger der Konservativen Revolution oftmals „konvergente Tendenzen“ (Heni) konstatierten, die Heni von einer „subkutanen Beziehung von Neuer Rechter und den GRÜNEN“ (S.348) sprechen lassen. Bei einer „subkutanen Beziehung“ ist sorgfältiges Sezieren angebracht, um die Trennschärfe zwischen – um im Sprachbild zu bleiben – „gesunden“ und „kranken“ Teilen zu gewährleisten. Clemens Heni jedoch nutzt statt des geschärften Skalpells auch an dieser Stelle das Fallbeil. Ihm scheint es weniger darum zu gehen, „konvergente Ten­denzen“ aufzuzeigen, als (hin-)zurichten. Die organisatorischen und ideologischen Traditions­linien der „Ökologie von rechts“ ignoriert er. Den Grund für Eichbergs Annäherung an die Grü­nen sieht er im beiderseitigen Antiamerikanismus. Für den Fall, dass das zur Verurteilung nochnicht ausreichen sollte, konstruiert er eine Kontinuität vom historischen NS zur Ökologiebewe­gung, exemplarisch vorgeführt am frühen Sprecher der Grünen August Haußleiter mit seinem Weg „vom Hitler-Putschisten zum völkischen Lebensschützer“ (S.351). Zweifellos musste man solche Biografien von Funktionären in der Frühphase der Partei nicht mit der Lupe suchen. Waren sie auch der – mehrheitlich jungen – Mitgliedschaft bewusst, teilte diese gar die „konver­genten Tendenzen“ zur NS-Ideologie? Heni beantwortet diese Frage nicht, er stellt sie erst gar nicht.

Er arbeitet stattdessen mit Unterstellungen. So wirft er Richard Stöss, der die bis heute maß­gebliche Untersuchung zur Deutschen Gemeinschaft bzw. Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher vorgelegt hat, vor, dieser scheine die „Überwindung des Klassenkampfes gut zu fin­den“ (S.356). Stöss hatte – von Heni zitiert - in seiner Arbeit Kontinuität und Ausmaß des Volksgemeinschaftsdenkens in der von ihm analysierten Gruppe dargestellt. Seine Sünde be­stand in Henis Augen darin, weder explizit darauf verwiesen zu haben, dass dieses Volksge­meinschaftsdenken antisemitisch sei, noch dieses Denken an dieser Stelle ausdrücklich verur­teilt zu haben. Ähnlich wie mit  Stöss – und schlimmer – geht Heni mit allen Wissenschaftler­kollegen um, die seinen politischen Ansatz nicht teilen.

Während Heni dem ehemaligen Bundestagskandidaten der Grünen Werner Vogel, der 1983 sein Bundestagsmandat nach dem Bekanntwerden seiner Mitgliedschaft in NSDAP und SA zu­rückgegeben hatte, sechs Druckseiten widmet (S.359 – 365), unterbleibt eine ähnlich intensive Auseinandersetzung mit dem Agieren von Eichbergs direkten nationalrevolutionären Umfeld innerhalb der Grünen. So bleibt es bei einer - teilweise durchaus berechtigten - Schelte der Partei, anstatt dass ein Beitrag zur Ideologieanalyse der Nationalrevolutionäre geliefert würde. Erst diese könnte es jedoch ermöglichen, Berührungspunkte zur Ideologie des grün-alternativen Spektrums der damaligen Zeit im Gefolge der 68er-Rebellion zu erkennen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Eichberg lediglich als Vorwand genutzt wird, um die Nut­zung des Fallbeils gegenüber einer ganzen Partei zu rechtfertigen. Es ist unbestritten, dass die Grünen zur Verdrängung von Einflüssen der extremen Rechten in ihren Reihen neigten, dass zahlreiche Aktivisten und Funktionäre aus diesem Spektrum in der Partei zu Einfluss gelangten, dass zeitweise gar eine innerparteiliche Vorherrschaft der Rechten drohte und in einigen Lan­desverbänden bestand, doch verharmlost Heni dies letztlich, indem er sich bei seinen Beispie­len auf solche mit NS-Kontinuitäten konzentriert. Auch hier hätte man dem Autor mehr Fakten­wissen und Liebe zum Detail statt seines missionarischen Eifers gewünscht.

Eine Rezension sollte sich auf Darstellung und Kritik dessen beschränken, was der bespro­chene Autor tatsächlich geschrieben hat. Das wäre in Henis Fall schlimm genug. Wenn hier trotzdem relativ ausführlich auf seine Leerstellen eingegangen wird, dann weil er selbst dies als wissenschaftliche Methode fordert. Heni verlangt ausdrücklich (S.35), Leerstellen in die Analyse einzubeziehen. Es wäre demnach also die Frage zu beantworten, warum Heni bestimmte Kom­plexe gar nicht behandelt oder nur anreißt. Der Verdacht drängt sich in weiten Teilen des Buches auf, dass Heni die Neue Rechte lediglich als Vorwand nutzt, um Strömungen der Linken – historisch der Grünen, aktuell der Linkspartei/PDS – als ebenfalls rechts denunzieren zu kön­nen. Kriterium für den Urteilsspruch, rechts zu sein, ist antisemitisches Denken oder auch unzu­reichende Distanzierung von Antisemitismus. Antisemitisch wiederum ist Heni alles, was anti­amerikanisch ist. Da er auch diesen Begriff nicht definiert oder inhaltlich mit Leben füllt, wird er zum Totschlagargument. Antiamerikanisch ist das, was Heni so bezeichnet. Das ist natürlich eine mögliche Verfahrensweise, wissenschaftlich redlich ist sie nicht. Es ist die Methode des Verdachts, gegen den man sich nicht wehren kann.

Henis Untersuchung der Leerstellen bei Eichberg verfolgt die Absicht, dessen sekundären Anti­semitismus aufzuspüren. Dieser lasse sich aus den Lücken mittels der Frage, warum von Juden nicht die Rede ist, „dechiffrieren“. Eichberg hat einen Namen als Sportwissenschaftler, was bei ihm untrennbar mit der Untersuchung kultursoziologischer Fragestellungen verbunden ist. Seit der frühen Arbeit „Der Weg des Sports in die industrielle Zivilisation“ (Baden-Baden: Nomos, 1973, 2. Aufl. 1979) publiziert er immer wieder zu den Bereichen Spiel, Sport und Tanz. Dies immer wieder auch eingebettet in eine nationalrevolutionäre Gesamtideologie. Dieses Erkennt­nisinteresse insgesamt charakterisiert Heni als „Körperfaschismus“ (S.218). Seine Leerstellen­methode führt ihn zu der Schlussfolgerung, dass wer positiv vom Körper spreche, damit zugleich die Feindschaft gegen den Geist – also gegen den Juden – zum Ausdruck bringe, also einen sekundären Antisemitismus pflege. Clemens Heni stellt die Verbindung zu Joseph Goeb­bels her, der von „jüdischen Asphaltliteraten“ gesprochen und den „jüdischen Intellektualismus“ verurteilt hatte. Berechtigt wäre die Frage nach den Traditionslinien des Anti-Intellektualismus in der Rechten zu stellen, wobei die Verknüpfung mit antisemitischen Topoi durch die Nazis nur eine Variante darstellt. Zu fragen wäre auch nach Einflüssen dieses rechten Anti-Intellektualis­mus – nicht zuletzt im Anschluss an Friedrich-Ludwig Jahn – auf die Sportwissenschaft. Folgen wir jedoch Henis verkürzter Logik, könnten wir Antisemitismus bei den Anthroposophen aus­schließen, denn deren extreme Leibfeindlichkeit und gleichzeitige Fetischisierung des „Geistes“ müsste eigentlich jeglichen Antisemitismus wirksam verhindern.

Ein weiteres Beispiel für diese Methode Henis sei angeführt. In dem als Schulbuch konzipierten Band „Minderheit und Mehrheit“ (Braunschweig: Westermann 1979) behandelt Eichberg auch die Rolle, die die rassistische Unterdrückung der Ureinwohner Nordamerikas und Sklaverei in der Geschichte der USA gespielt haben. Für Heni bedeutet das Antiamerikanismus. Es stelle zudem eine „Entlastung für die deutsche Tat“ (S.264) des industriellen Völkermordes an den europäischen Juden dar, da die USA als „Vorwegnehmer der Konzentrationslager und des Völ­kermords“ „herbeihalluziniert“ (ebd.) würden. Eichberg, so Heni, erwähne die Todesmärsche von KZ-Insassen zu Kriegsende nicht. In der Tat ist der Verweis auf angebliche oder tatsäch­liche Gräueltaten der späteren Kriegsgegner Deutschlands in der Vergangenheit, z.B. die Inter­nierung der Buren durch die Briten in „Konzentrationslagern“ in Südafrika, eine beliebte Me­thode der extremen Rechten zur historischen Entlastung Deutschlands. Allerdings stößt Henis Leerstellenanalyse an dieser Stelle in Leere. Nur wenige Seiten vor der angeführten Passage hatte Eichberg in jenem Schulbuch ausführlich die nazistische Judenvernichtung ebenso darge­stellt wie den jüdischen Widerstand dagegen, z.B. den Aufstand im Warschauer Ghetto. Das mag ein Grund dafür sein, dass Eichbergs Buch in einer Analyse von Chaim Schatzker über „Die Juden in den deutschen Geschichtsbüchern“, veröffentlicht 1981 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, positiv hervorgehoben wurde.

Einen zentralen Platz (S.184 – 240) in Henis Arbeit nimmt Henning Eichbergs Buch „Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft“ ein, eine Sammlung von weitgehend bereits disparat veröffentlichten Aufsätzen und Reden. Heni verweist darauf, dass der Terminus „Nationale Identität“ damals in Deutschland nahezu unbekannt war, 2005 jedoch im Katalog der Deutschen Bibliothek 1048 Monografien ausgewiesen seien, die diesen Begriff in Titel oder Untertitel enthalten. Heni spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von einer „steile(n) Karriere“. Eingangs des Kapitels zitiert Heni Detlef Claussens Urteil, dass im Deutschland von heute „Nationale Identität“ der schamhafte Ausdruck für Volksgemeinschaft sei. In der Tat war die Arbeit an Begriffen und deren Bedeutungsverschiebung ein wesentlicher Aspekt der Ideologieentwicklung Eichbergs. Der Band aus dem Jahr 1978 ist zweifellos eine zentrale Schrift der deutschen Neuen Rechten. Gleichzeitig war mit der Veröffentlichung im Verlag Langen-Müller ein Ausbruch aus dem Ghetto der Verlagslandschaft der extremen Rechten gelungen, quasi ein Schritt in die Seriosität getan.

Allein die „steile Karriere“ der „Nationalen Identität“ würde bereits eine eingehende Analyse jenes Bandes rechtfertigen, der am Anfang stand. Zu erwarten wären dann allerdings zumin­dest auch Hinweise darauf, dass dieses Buch tatsächlich eine Art Initialzündung für die spätere Publikationsflut zum Thema darstellt. Indizien dafür bleibt Heni schuldig. Stattdessen erklärt er in einer Fußnote (S.184, Anm. 726): „Eichbers (sic!) Texte für die nationalrevolutionäre Neue Rechte erinnern von der Intention her z.B. an folgenden Band: Joseph Goebbels (1925): Das kleine ABC des Nationalsozialisten, Greifswald (Vorpomm. Buch- u. Kunstdr.). Bis 1930 hatte diese dünne Kampfschrift eine Auflage von 110.000 Exemplaren.“ Es erfolgt keinerlei weitere Erläuterung, weshalb Eichbergs Buch von der Intention her an Goebbels’ Kampfschrift erinnert. Beabsichtigt war wohl auch eher, nochmals die Parallele zwischen den damaligen National­revolutionären und den historischen Nazis herzustellen. Vermittelt werden soll durch den Ver­gleich zugleich der Eindruck einer besonderen Wirkungsmacht, hergestellt über die Nennung der Auflagenhöhe des Bändchens von Goebbels. Angaben über die Auflagenhöhe von „Natio­nale Entfremdung“ werden dagegen nicht gemacht. Sie hätte leicht beim noch existierenden Verlag erfragt werden können. Eine derartig hohe Auflage ist zwar heute eine absolute Aus­nahme, im hoch politisierten Klima der Weimarer Republik war sie dagegen keine Seltenheit. Eine ganze Reihe von Bänden aus diesem politischen Spektrum hätte als Beispiel gewählt wer­den können. Dies gilt z.B. für den heute weitgehend unbekannten Adolf Halfeld, einen frühen Vertreter des rechten Antiamerikanismus. Heni hat jedoch Joseph Goebbels gewählt. Warum wohl?

Auch bei diesem Band löst Clemens Heni Eichberg aus dem historischen Diskurs. Es erfolgt keinerlei Darstellung der Themenschwerpunkte der extremen Rechten der damaligen Zeit. Ge­rade nach dem Untergang des NS-Regimes durch die militärische Befreiung Deutschlands durch die Alliierten waren die Nation und die Wiedergewinnung ihrer Integrität hegemonial im Diskurs der deutschen extremen Rechten. Trotz des Titels beschäftigte sich „Nationale Identität“ jedoch höchstens peripher mit Deutschland. Behandelt wurden vielmehr im Diskurs der deut­schen extremen Rechten eher randständige Themen wie Kultur, Entwicklungshilfe, Sport oder Kelten. Trotzdem befruchtete das Büchlein die Debatten dieses politischen Lagers. Es vermit­telte nämlich über diese ungewohnten Zugänge wesentliche Elemente der Ideologie der franzö­sischen Nouvelle Droite. Keine von deren wichtigeren Schriften war bis zu diesem Zeitpunkt übersetzt und in Deutschland veröffentlicht worden. Genauere Kenntnisse der Szene in Frank­reich und deren Ideologiearbeit waren in der deutschen extremen Rechten die absolute Aus­nahme. Gleichzeitig war zum damaligen Zeitpunkt die parlamentsorientierte extreme Rechte in Deutschland in eine tiefe Krise, sogar auf einen Tiefststand, gerutscht. Ideen waren gefragt, weil sie Mangelware waren. Die Neigung zum Blick über die Grenzen wuchs sogar bei deut­schen Nationalisten.

Heni ignoriert diesen Kontext bei seiner Darstellung. Da er zuvor auch die ideologische Prägung Eichbergs im Rahmen der entstehenden Nouvelle Droite nicht untersucht hat, sieht er folgerich­tig auch nicht, dass der Titelbegriff „Nationale Identität“ dem Diskurs dieser Strömung entnom­men ist. Für die Begriffsgeschichte interessant, für Henis anti-antiamerikanische Zielsetzung hingegen höchst peinlich, ist der Ursprung des kritisierten Terminus ausgerechnet in den USA der fünfziger Jahre. Weitere Verbreitung fand er, so der französische Sozialwissenschaftler und Verfasser eines Standardwerkes über „Immigration, Antisemitismus und Rassismus in Frank­reich“ (Paris: Fayard, 2007) Gérard Noiriel, im Gefolge der französischen Studierendenrevolte von 1968 bei multikulturell ausgerichteten Aktivisten (Interview in „Libération“ v. 16.07.07). Für sie stellte die „Nationale Identität“ ein Mittel zur  Abgrenzung vom jakobinischen Staatsver­ständnis dar, das für den französischen Diskurs prägend ist. Ihnen ging es um die Verteidigung des Kleinen gegen das Große, des Besonderen gegen das Allgemeine, der innerstaatlichen Minderheiten (Bretonen, Normannen, Basken, Occitanier etc.) gegen den Allmachtsanspruch des Zentralstaates. Es handelte sich um die Einforderung von Demokratie gegen die Techno­kratie der Administration. Zugleich spielten antikoloniale Aspekte eine Rolle.

Freilich bot dieser Diskurs von links Andockpunkte für einen rechten Diskurs. Dazu bedurfte es lediglich noch einiger ideologischer Transformationen. Dies ermöglichte dann z.B. den Nomina­lismus positiv gegen den Universalismus, somit letztlich gegen den Gleichheitsgedanken, zu setzen. Dies wiederum ließ sich hervorragend mit dem Europagedanken der Neuen Rechten verknüpfen, der entgegen Henis Urteil weniger auf der Ideologie der Waffen-SS als auf Theore­tikern wie Oswald Mosley, Jean Thiriart, Francis Parker Yockey oder Julius Evola fußt. Zielstel­lung des regionalistischen Europaansatzes war in ideologischer Nachfolge des bretonischen Autonomisten Yann Fouéré ein „Europa der hundert Fahnen“, das noch heute das Leitbild für nationalrevolutionäre Zeitschriften wie das „Junge Forum“ ist. Ein Charakteristikum der Nouvelle Droite besteht noch heute darin, das, was jenseits der Grenzen des eigenen Lagers diskutiert wird, genau zu beobachten und auf die Nutzbarkeit hin zu überprüfen. Im Fall „Nationale Iden­tität“ griff die Nouvelle Droite den Begriff auf, deutete ihn neu, errang dann die Deutungshoheit selbst und besetzte ihn damit. In einer zweiten Stufe fang der Begriff den Weg von der diskurs­orientierten zur parlamentsorientierten Rechten, indem er vom Front National aufgegriffen wurde. Inzwischen hat er in Frankreich den Weg in die „Mitte der Gesellschaft“ gefunden. Der konservative, Israel- und USA-freundliche Präsident Nikolaus Sarkozy hat in seiner Regierung ein „Ministerium für Einwanderung, Integration, nationale Identität und Entwicklungszusammen­arbeit“ eingerichtet. Solche Zusammenhänge blendet Clemens Heni konsequent aus, da sie nicht das gewünschte Feindbild, die Linke, bedienen.

Statt des scharfen Skalpells nutzt Clemens Heni unterschiedslos das Fallbeil. Er sucht Belege für Nationalismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus und findet sie natürlich – immer und bei jedem, besonders auf der politischen Linken. Jenseits von intellektueller Redlichkeit werden Aussagen entkontextualisiert und enthistorisiert. Ist dies geschehen, kann das Fallbeil in Aktion treten. Die betreffende Person oder Gruppierung ist „entlarvt“. Henis Band erarbeitet leider kaum brauchbare Befunde über die Entwicklung der politischen Kultur der Bundesrepublik, be­züglich der Neuen Rechten bleibt er teilweise weit hinter dem Erkenntnisstand der bisherigen Sekundärliteratur zurück und bietet kaum neue Aspekte. An der Analyse der komplexen Person und Entwicklung des Ideologen Henning Eichberg scheitert er vollends. Für alle Unter­suchungsgegenstände ist der Erkenntnisgewinn also ausgesprochen gering. Mit einer Aus­nahme, die kaum Henis Intention entsprechen dürfte: er bietet Einblicke in Denk- und Arbeits­weise von Teilen der Strömung der Antideutschen.

Clemens Heni: Salonfähigkeit der Neuen Rechten. „Nationale Identität“, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970 – 2005: Henning Eichberg als Exempel; Marburg: Tectum-Verlag, 2007, 509 S., 24,90 € [bei Verlag auch als pdf-Datei für 19,90 € verfügbar]

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Editorische Anmerkungen

Den Text bekamen wir vom Autor am 7.9.07 zur Veröffentlichung.