Verdichtungen zweiter Ordnung
Die Internationalisierung des Staates aus einer neopoulantzianischen Perspektive(1)

von Ulrich Brand, Christoph Görg, Markus Wissen
09/07

trend
onlinezeitung
Die aktuelle klima und energiepolitische Debatte zeigt, wie tief fossilistische Produktionsund Konsumnormen sowie Orientierungen an Wachstum und Lohnarbeit in die Gesellschaften eingelassen sind. Umweltpolitische Initiativen können sich auch weiterhin nur begrenzt gegen diese hegemonialen Orientierungen durchsetzen. Gleichzeitig wird an den Konflikten zwischen umweltpolitischen und stärker wirtschaftsnahen Staatsapparaten deutlich, dass (national) staatliche Politik nicht einheitlich ist, sondern die gesellschaftlichen Konflikte in sich abbildet. Schließlich zeigen die aktuellen Auseinandersetzungen, dass sich gesellschaftliche Machtverhältnisse und hegemoniale Orientierungen in staatlichen Apparaten auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen institutionell verdichten. In jüngerer Zeit wurde versucht, ähnlichen Entwicklungen mit dem Konzept der „Internationalisierung des Staates“ gerecht zu werden. Wir wollen im Folgenden versuchen, diese Überlegungen weiter zu entwickeln. Dabei gehen wir der Frage nach, mit welchen neuen Ansätzen sich die Internationalisierung des Staates als Form der Institutionalisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Machtverhältnisse angemessen begreifen lässt. Unser Ausgangspunkt ist Nicos Poulantzas’ Bestimmung des Staates als materielle Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse, die für die Untersuchung des internationalisierten Staates fruchtbar gemacht werden soll und dafür mit hegemonie, regulationssowie raumtheoretischen Einsichten verknüpft wird. Als zentrale Kategorie wird die der „Verdichtungen zweiter Ordnung“ eingeführt. Mit dieser, so soll gezeigt werden, geraten sowohl sozioökonomische Entwicklungen, (nicht)hegemoniale Konstellationen, soziale Kräfteverhältnisse und Kämpfe wie auch die Strukturen und Modi institutioneller Politik in den Blick. Gleichzeitig ist die Kategorie offen für die Spezifika und Kontingenzen der jeweiligen Konfliktfelder.

Im ersten Teil des Beitrags erörtern wir die staatstheoretischen Leerstellen wichtiger kritischsozialwissenschaftlicher Zugänge zur Globalisierung. Hiervon ausgehend wird im zweiten Teil die Kategorie der „Verdichtungen zweiter Ordnung“ als Weiterentwicklung des Konzepts der Internationalisierung des Staates eingeführt. Im dritten und letzten Teil soll die politische Relevanz dieser theoretischen Überlegungen anhand einiger Beispiele aus der internationalen Ressourcen und Umweltpolitik verdeutlicht werden. Dabei greifen wir auf empirische Untersuchungen zur Biodiversitätspolitik zurück, konzentrieren uns in diesem Beitrag aber auf die Frage, wie sich soziale Kräfteverhältnisse und hegemoniale Orientierungen im Zuge der neoliberalimperialen Globalisierung in die Strukturen und Prozesse staatlicher Politik einschreiben und was dies für emanzipative Kämpfe bedeutet.

Anmerkungen

1) Wichtige Hinweise und produktive Kritik verdanken wir Bob Jessop und Daniela Tepe (die eine Vorversion im Rahmen eines Workshop der International Studies Association (ISA) in Chicago Ende Februar 2007 kommentiert haben) sowie den TeilnehmerInnen der Frühjahrstagung „Staatstheorie vor neuen Herausforderungen“ der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AKG) in Frankfurt/M.

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Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in der Zeitschrift:
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 147, 37. Jg., 2007, Nr. 2, 217234
 

Wir spiegelten von  http://www.prokla.de/Volltexte/147BrandEtAl.pdf

PROKLA
Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft

In der Zeitschrift Prokla werden seit 1971 Themen aus den Bereichen der Politischen Ökonomie, der Politik, Sozialgeschichte und Soziologie bearbeitet. Im Zentrum stehen dabei gesellschaftliche Machtverhältnisse, Polarisierungen im internationalen System, das gesellschaftliche Naturverhältnis und die Transformation der osteuropäischen Gesellschaften.