Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Ab heute im im Parlament: Neue Runde bei der Verschärfung der Ausländergesetzgebung
DNA-Untersuchungen und „ethnische Statistiken“ sorgen für Polemik
09/07

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DNA-Tests für Visabewerber, die Zulassung „ethnischer Statistiken“ und eine drastische Erschwerung des Familiennachzugs: Das sind die Eckpunkte der nächsten Runde bei der Verschärfung der französischen Einwanderergesetze. Der Gesetzentwurf dazu wird ab/seit dem heutigen Dienstag Nachmittag im französichen Parlament diskutiert, im Rahmen einer Sondersitzung, während die Abgeordneten im Prinzip noch im Urlaub sind. Nicolas Sarkozy und sein Minister „für Einwanderung und nationale Identität“ Brice Hortefeux suchen den maximalen Schaueffekt für die Öffentlichkeit. Kritiker sprechen bezüglich des Entwurfs, der vergangene Woche im Gesetzesausschuss der Nationalversammlung noch beträchtlich verschärft worden ist, von einer „Logik der Biologisierung“ menschlichen Verhaltens.

Dass die Vorlage angenommen werden wird, über die im Laufe dieser Woche in der Nationalversammlung und vom 2. bis 5. Oktober im Senat – dem parlamentarischen „Oberhaus“ – debattiert wird, daran bestehen aufgrund der dortigen Mehrheitsverhältnisse keine Zweifel. Dennoch ist mit Protesten zu rechnen. Kritische Verbände wie Sozialinitiativen, Migrantenorganisationen und Solidaritätsgruppen halten etwa an diesem Dienstag eine Pressekonferenz eine Pressekonferenz in, sowie eine Kundgebung vor der Nationalversamlung ab.

Die Vorlage war am 13. Juni dieses Jahres vorgestellt, und danach noch überarbeitet worden. Es handelt sich um die dritte grobe Gesetzesänderung im „Ausländerrecht“ in den letzten Jahren, nach 2003 und 2006. Bei den letzten beiden Malen amtierte Nicolas Sarkozy als Innenminister und war federführend an der Ausarbeitung der Veränderungen, die überwiegend Verschärfungen waren, beteiligt. Dieses Mal firmiert er als Präsident, der die Richtlinien der französischen Politik bestimmt. Als Richtschnur für die neue Reformrunde bei den Ausländergesetzen gab Nicolas Sarkozy am 10. Juli dieses Jahres in einem Brief an seinen Minister Hortefeux die Linie aus, dass Zuwanderungskandidaten künftig vor der Einreise stärker nach ökonomischem Nutzen gefiltert werden müssten.

Leitlinie von Sarkozys Einwanderungspolitik: Suche nach raren Qualifikationen

Zur Zeit wird noch der größte Teil der durch die Behörden vergebenen Aufenthaltstitel an Ehegatten (ausländischer Nationalität) sowie minderjährige Kinder von Franzosen bzw. Französinnen, oder von „legal“ in Frankreich lebenden Ausländerinnen und Ausländer vergeben. Die Regierung gibt dafür eine Zahl von 94.000 Aufenthaltstiteln im letzten Jahr an, die allerdings einen grundfalschen Eindruck erweckt – denn nicht alle diese Aufenthaltsdokumente wurden an frisch Eingereiste vergeben. Vielmehr handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um die Erneuerung von befristeten Aufenthaltstitel für bereits in Frankreich lebenden Personen, die etwa eine jährliche Geltungsdauer haben. Real geht es bei der „Familienimmigration“, ob sie nun den Zuzug in ausländischen Familien oder zu französischen Partnern betrifft, 20.000 bis maximal 30.000 Personen jährlich. Eine Gruppe von ähnlichem Umfang bilden die Ayslsuchenden mit rund 30.000 Personen im letzten Jahr, von denen allerdings – vor dem Hintergrund einer sich seit Jahren verschärfenden Anerkennungspolitik – nur rund ein Fünftel den offiziellen Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. 

Nur sieben Prozent der neu erteilten Aufenthaltserlaubnisse hingen im selben Zeitraum mit einer Arbeitsaufnahme zusammen, da offiziell seit 1974 das Prinzip der Schließung der Grenzen für Arbeitsimmigration gilt. Präsident Sarkozy hat nun die Priorität aufgestellt, diese Proportionen müssten umgekehrt werden: Mindestens 50 Prozent der legalen Einreisen müssten an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt sein, wobei ausschließlich für „Mangelberufe“ und besonders gesuchte Qualifikationen Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Im Umkehrschluss sollen sowohl die Aufnahme von Familienangehörigen als auch von Asylsuchenden begrenzt und zu diesem Zweck kontingentiert, d.h. nach einer jährlich vorab festgelegten fixen Quote bemessen werden. (Für Asylsuchende hat der für Zuwanderungsfragen zuständige Minister Brice Hortefeux dieses, von Sarkozy ausdrücklich bekräftigte, Vorhaben freilich Ende vergangener Wochen dementiert.) Die Gesamtzahl der aufgenommenen Zuwanderer soll dabei ausdrücklich nicht wachsen, sondern kontinuierlich bleiben. Nicht so sehr Menschen sollen künftig kommen, sondern vorzugsweise nur Träger rarer Qualifikationen.  

So und nicht anders lautet das Kalkül der konservativen Regierung. Auch wenn die rechtsextreme Opposition – die sich verzweifelt um Profilierung gegenüber einem übermächtigen Sarkozy bemüht – ihrerseits versucht hat, Ängste und Ressentiments gegen die neue Einwanderungspolitik zu schüren, indem Jean-Marie Le Pen fälschlich behauptete, die Anhebung des Anteil der an an eine Arbeitsaufnahme gekoppelten Aufenthaltserlaubnisse werde „eine Verzehnfachung der Zahl der nach Frankreich kommenden Einwanderer“ bedeuten. Auch wenn er dies der französischen Öffentlichkeit weiszumachen suchte, um seinen Konkurrenten auf der politischen Rechten Nicolas Sarkozy auszustechen, beibt dies dennoch eine Lüge. Nicht die Gesamtzahl der Zuwandernden soll Sarkozy und Hortefeux zufolge wachsen, sondern die Zahl der „Unnützen“ unter ihnen soll abgesenkt werden, bei gleichbleibendem Gesamtvolumen der Zuwanderung. 

Dem Fernhalten der Unerwünschten dienen sollen die neuen Regeln bei der Familienzusammenführungs. Demnach soll ein „legal“ in Frankreich wohnender und arbeitender Zuwanderer seine Familienmitglieder (Ehepartner und Kinder) nur dann auf gesetzlichem Wege nach Frankreich holen können, wenn diese bereits im Herkunftsland ausreichende Französischkenntnisse und die Kenntnis sowie den „Respekt der Werte der Republik“ nachweisen können. Zu diesem Zweck sollen bereits in den Herkunftsländern durch die französischen Konsularbehörden Sprachtests abgenommen werden. Wenn eine Person bei diesem Test keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt, wird ihr ein Kurs von zwei Monaten zur Pflicht erhoben; für die Teilnahme daran wird ein Zertifikat ausgestellt werden, das zur Voraussetzung für die Erteilung des Visums wird.  

Hürden und Stolpersteine zur „Illegalisierung“ 

De facto dreht es sich hauptsächlich darum, zusätzliche Hürden zu errichten. Die beschworene Erfordernis der „Integration in die französische Gesellschaft“ wird dazu benutzt, um das Gegenteil zu betreiben - nämlich eine Ausschlussmaßnahme, dergestalt, dass man eine wachsende Zahl von Personen gar nicht erst auf gesetzlichem Wege kommen lässt und ihnen damit freilich auch keine „Integrationschance“ erteilt. Die anvisierten Sprachtests und –kurse stellen eine einzige Farce dar. Denn gesetzt den Fall, dass jemand zu schwache Französischkenntnisse aufweist, wird diese Person sie garantiert nicht innerhalb von zwei Monaten und in einer nicht französischsprachigen Umgebung verbessern – sondern weitaus eher durch „Eintauchen“ in die französische Gesellschaft. Kritiker wie die Juradozentin Nathalié Ferré, Vorsitznde des GISTI (LINK; http://www.gisti.org/index.php ) – einer Rechtsberatungsgruppe für Immigranten in Paris – oder Catherine Teule von der renommierten „Liga für Menschenrechte“ (LDH) (LINK:  http://www.ldh-france.org/ ) sehen denn in Wirklichkeit auch andere Motive hinter dieser Neuregelung stehen. Ihnen zufolge geht es darum, den Zugang zu Visa durch unerklärte ökonomische Hindernisse zu erschweren: Nur wer in den Haupstädten der betroffenen Herkunftsländer lebe oder aber sich einen mehrmonatigen Aufenthalt dort leisten könne, werde – bei fehlender Schulbildung in französischer Sprache – überhaupt eine Chance haben, an einem solchen Kurs teilzunehmen. Denn die Konsularbehörden oder französischen Sprachinstitute finden sich regelmäbig nur in bestimmten städtischen Zentren. „Die anderen aber“, so die oben zitierten Kritikerinnen bei einer Anhörung, welche die grünen und einige sozialistische Abgeordnete am vergangene Dienstag in der Nationalversammlung organisiert haben, „werden höchstwahrscheinlich trotzdem kommen, da auch sie mit ihrer Familie zusammen leben möchten. Auf diesem Wege  wird dann wieder die Illegalisierung des Aufenthalts zahlreicher Einwanderer, oder ihrer Kinder, organisiert – Grundlage, um später über ein Reservoir an rechtlosen und billigen Arbeitskräften zu verfügen.“ 

Das Kriterium des „Respekts für die Werte der Republik“, das zumindest auslegungsfähig und –bedürftig ist, zu dem es innerhalb der französischen Gesellschaft ferner höchst unterschiedliche Auffassungen geben kann, bildet ein weiteres Hindernis. Schlieblich werden auch Wohnraum- und Einkommens-Bedingungen an die in Frankreich lebenden Ausländer, die mit ihren Familienmitgliedern zusammen leben möchten, gestellt. Im Hintergrund steht die historische Realität, dass in früheren Jahrzehnten tatsächlich viele Einwanderer unter menschenunwürdigen Bedingungen am Rande der städtischen Zentren hausten – etwa die portugiesischen und algerischen Zuwanderer der 50er und 60er Jahre in den slumähnlichen ‚Bidonvilles’ (Kanisterstädten) der Pariser Vorstädte wie Nanterre. Dahin zurück möchte sicherlich niemand. Es müsste sich dabei aber um eine Anforderung an die Gesellschaft handeln, dass einfach niemand am Rande der Städte in Blechhütten hausen und niemand von Hungerlöhnen leben müssen „darf“. Dergestalt etwa, dass schlicht keine Hungerlöhne zugelassen werden.  

Stattdessen kehrt die neue Logik die Anforderung gegen die Einwanderer um: Nur wer, als „legal“ in Frankreich Lebender und Arbeitender, einen bestimmten sozialen Mindeststandard überschreitet, soll überhaupt das Recht haben, seinen Partner und etwaige Kinder nach Frankreich kommen zu lassen. Ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen war, dass zwischen 100 Prozent und 120 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns (französisch SMIC, ‚Salaire minimum interprofessionnel de croissance’) verdienen muss, wer die eigene Kernfamilie nachkommen lassen möchte. Dabei dürfen etwaige Sozialleistungen oder auch Kindergeld, auf das die Personen der Familien rechtmäbig – wie alle „legal“ im Lande lebenden – Anspruch haben, nicht mit berücksichtigt werden. Die Gesetzeskommission der Nationalversammlung hat diese Bestimmung nun aber in der vergangenen Woche noch erheblich verschärft: Wer mehrere Kinder nachkommen lassen möchte, muss demnach mindestens 133 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns verdient.  

Der SMIC beträgt zur Zeit 8,44 Euro pro Stunde netto, das entspricht einem Netto-Monatslohn von 1005,37 Euro für eine Vollzeittätigkeit. Im europäischen Vergleich liegt der französische Mindestlohn, der gesetzlich für alle (im gesetzlichen Rahmen ausgeübten) Tätigkeiten vorgeschrieben ist, damit vergleichsweise hoch. Aber die Lohnspreizung ist zugleich relativ gering, d.h. viele abhängig Beschäftigte liegen im Einzugsbereich des 1,2- bis 1,3-fachen des monatlichen Mindestlohns. Um die nunmehr geforderte Mindestgrenze zu überschreiten, muss ein Familienoberhaupt – sofern es Alleinverdiener ist und Ehepartner plus Kinder nach Frankreich kommen lassen möchte – also mindestens rund 1.350 Euro netto im Monat verdienen. Je nach Unternehmensgröbe erreichen viele Facharbeiter diesen Level nicht, ja, in kleinen Strukturen liegen zum Teil auch höhere Angestellte noch (knapp) darunter. Auch hier gilt, dass jene Familien, deren im Ausland befindliche Mitglieder aufgrund ökonomischer Hürden vom gesetzlichen Recht auf Zusammenleben ausgeschlossen bleiben, oftmals dennoch kommen werden. Auch hier wird für Nachschub für das „illegalisierte“, also rechtlose und beliebig auf dem Arbeitsmarkt ausnutz- und ausbeutbare, Arbeitskräftereservoir gesorgt. 

DNA-Tests für Visumsbewerber  

Im Rahmen der Familienzusammenführung soll zukünftig den Visumsbewerbern „angeboten“ werden, einen DNA-Test – ausdrücklich  „auf ihre Kosten“ – durchzuführen, um festzustellen, dass die angegebenen Verwandtschaftsverhältnisse tatsächlich den biologischen Realitäten entsprechen. So lautet der Inhalt eines Zusatzantrags zu dem Gesetzentwurf, den die Gesetzeskommission der Nationalversammlung vor einer Woche angenommen hat. Ihn schlug am vergangenen Dienstag der UMP-Abgeordnete Thierry Mariani vor, der zum rechten Flügel der konservativen Regierungspartei. Mariani hat aber zugleich enge persönliche Verbindungen zu Präsident Nicolas Sarkozy und war als Berichterstatter der Gesetzeskommission für die letzten beiden Novellen im Ausländergesetz eingesetzt. Seine Stimme hat in diesen Fragen also Gewicht. Am vergangenen Freitag hat Mariani jetzt auch ausdrücklich die Unterstützung von Präsident Sarkozy erfahren, der die Idee einer Einführung von DNA-Tests befürwortete und vor Journalisten fragte: „Andere Länder in Europa praktizieren solche Tests. Wo ist ds Problem?“

Gerechtfertigt wird die Einführung solcher genetischer Tests dadurch, dass darauf hingewiesen wird, in einer Reihe von Ländern – etwa im Senegal oder den beiden Kongo-Staaten – seien die offiziellen Standesamtsdokumente nicht zuverlässig. „In 30 bis 80 Prozent der Fälle“ handele es sich in diesen Ländern um „betrügerische“ Dokumente, wird in der Begründung für den zusätzlich aufgenommenen Artikel behauptet. Funktionsstörungen der Staatsapparate in diesen – oft armen – Ländern sowie Korruption werden dafür verantwortlich gemacht. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es zwar grundsätzlich möglich ist, dass eine „legal“ in Frankreich lebende Person neben eigenen Kindern auch die Tochter einer Kusine oder den Sohn eines Vetters einreisen lässt. Allerdings wird der in Frankreich lebende Antragsteller auf Familienzusammenführung in solchen Fällen dieses Kind wie sein eigenes aufnehmen und erziehen müssen. Denn der durch die Dokumente erweckte „Anschein“ familiären Zusammenlebens muss auch weiterhin aufrecht erhalten werden. Ansonsten werden die betroffenen „nachgeholten Familienmitglieder“ spätestens nach einem Jahr ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängern können.  

Zudem können im Falle von „Betrug“ sämtliche später erworbenen Rechte, von der Aufenthaltserlaubnis bis hin zum Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft, von staatlicher Seite nachträglich angefochten werden. Und dies bis zu zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Aufdeckung des „Betrugs“, also ohne dass eine Verjährung einträte, bevor der unechte Charakter der Dokumente aufgedeckt worden ist. Insofern könnte es dem französischen Staat im Prinzip egal sein, ob beispielsweise eines von drei Kindern, das ihr mutmablicher Vater nach Frankreich nachkommen lässt, in Wirklichkeit nicht sein biologischer Nachkomme ist. Im familiären Rahmen zusammenleben müssen die Betroffenen in jedem Falle. Und dass familiäre Beziehungen und „biologische Realität“ auseinanderklaffen, das gibt es bei weitem nicht nur in Einwandererfamilien, sondern war ein zu allen Zeiten und in allen Ländern bekanntes Phänomen – sei es den Betroffenen nun bewusst wie im Falle von „Patchworkfamilien“ oder, bei vermeintlichen bzw. „untergejubelten“ Vaterschaften, unbewusst. Letztere waren im Europa früherer Jahrhunderte zweifellos ebenso verbreitet wie in neuerer Zeit.

In einem Artikel der liberalen Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom vorigen Mittwoch wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Genforscher, die über die Vebreitung von Erbkrankheiten forschen, davon ausgingen, mindestens 5 bis 10 Prozent ihrer in europäischen Familien erhobenen Stichproben seien unbrauchbar – weil Elternschaftsdokumente und „biologische Abstammung“ nicht zusammenpassten. Ob dies den Familien nun bekannt ist oder nicht.

Bei französischen NGOs, Menschenrechtsgruppen und Bürgerinitiativen (vgl. folgenden LINK zu mehreren Stellungnahmen, „Liga für Menschenrechte“, MRAP und andere: http://www.lcr94.org/spip.php?article1601) stöbt die neue Bestimmung unterdessen auf vehemente Kritik. Einerseits wird darauf hingewiesen, dass soziale und juristische Verhältnisse eben – in der bisher vorherrschenden Konzeption – nicht notwendig auf „biologischen Realitäten“ fuben. So sieht der französische Code civil, der vor 200 Jahren angenommen wurde, vor, dass jedes im Rahmen einer Ehe geborene Kind – kraft einer „Unterstellung“ durch das Gesetze – als Sohn oder Tochter des jeweiligen Ehemannes gilt. Ob  wirklich leibliche Verwandtschaftsverhältnisse vorliegen, wurde lange Zeit grundsätzlich nicht überprüft. Heute kann bei begründetem Verdacht und auf ausdrücklichen Antrag hin ein Vaterschaftstest durchgeführt werden, der aber keineswegs von Staats wegen vorgeschrieben ist, sondern im Gegenteil vom Gesetzgeber als Ausnahme von der Regel definiert wird. Insofern, schreiben etwa die französische Liga für Menschenrechte (LDH) und die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) in einer gemeinsamen Stellungnahme (vgl o.g. LINK), gründe Recht eben nicht notwendig auf Biologie. Und weiter: „Die Familie auf das biologische Band zu reduzieren, bedeutet nicht nur, die Ausländer einer diskriminierenden Behandlung zu unterziehen“ – weil selbiges von keiner französischen Familie gefordert wird – „sondern auch zu leugnen, dass eine Familie etwas Anderes auf anderen als nur Blutsbeziehungen beruhen kann.“ 

Die Antirassismusorganisation MRAP fügt in ihrem Kommuniqué sarkastisch hinzu, die französische Regierung könne ja eines Tages dieselben Tests auch für alle Familien – also auch einheimische – vorsehen, die etwa Kindergeld beantragen: „Dies würde zweifellos zu zahlreichen ‚Überraschungen’ führen (...) und die französische Gesellschaft wäre zweifellos empört.“ Sozialdemokratische Opposition, KP, andere Linke wie auch Menschenrechts- und Antirassismusgruppen lehnen die DNA-Tests aus diesem Grunde strikt ab. Amnesty international erklärte am Montag dieser Woche, „ausdrücklichste Vorbehalte“ gegen das Vorhaben zu haben.

Andererseits weisen die Kritiker aber auch darauf hin, dass es sich auch in diesem Falle de facto ferner um eine ökonomische Hürde handele, die vor den Familienmitgliedern eines in Frankreich lebenden Einwanderers errichtet werde. Die Vorlage für die Abgeordnen sieht ausdrücklich vor, dass die Antragsteller für ein Visum einen DNA-Test „auf ihre Kosten“ vornehmen lassen müssten, falls ihnen bis dahin das Visum aufgrund vorgetragener Zweifel an der Echtheit ihrer Familienbande verweigert werde. In vielen Fällen mangelt es aber an Laboratorien - jedenfalls auberhalb der Hauptstädte –, in denen solche Tests überhaupt zuverlässig durchgeführt werden könnten. Auch wenn man sicherlich vermuten darf, dass französische Pharmakonzerne hier eine Marktlücke entdecken und alsbald entsprechende Niederlassungen eröffnen dürften... Zudem kostet die Durchführung eines solches Tests, laut der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, zwischen 200 und 600 Euro. In manchen Ländern entspricht dies dem Mehrfachen eines Monatslohns, und selbst für das in Frankreich installierte Familienmitglied ist dies kein Pappenstiel – kostet doch eine Familienzusammenführung auch ansonsten bereits viel Geld, begonnen bei den Reisekosten. (De Abgeordnete Thierry Mariani behauptete zu Wochenanfang in einer Antwort auf die Kritiker, der Test sei bereits ab 150 Euro zu haben.) 

Ansonsten beruft sich das konservative Regierungslager auf die „Freiwilligkeit“ der Mabnahme. Jedoch ist davon auszugehen, dass zweifellos keine Chance auf ein Visum haben wird, wer einen solchen Test – auf eigene Kosten - „angeboten“ bekommt und ihn ausschlägt. Indirekt wird der Zwang also, sofern diese DNA-Test künftig auf breiter Eben praktiziert werden, doch rasch bemerkbar machen. Dies sehen im übrigen auch die konservativen Abgeordnete, die vorige Woche den Antrag auf Aufnahme dieser Zusatzbestimmung in der Gesetzeskommission zusammen mit Thierry Mariani unterzeichneten, ausdrücklich vor: In ihrer Begründung heibt es, die DNA-Tests sollten vorgenommen werden, „damit der Zweifel über die Standesamtsdokumente nicht systematisch eine Ablehnung ihrer Anträge (auf ein Visum) nach sich zieht“. Die „systematische Ablehnung“, im Falle des Zuwiderhandelns gegen einen „Vorschlag“ zu einem genetischen Test, ist also implizit vorgesehen... 

Ferner macht das konservative Lager geltend, bereits 11 (von 27) Ländern in der EU praktizierten vergleichbare Tests. Dies trifft in der Tat zu, wobei die Praktiken sehr unterschiedlich sind – mal handelt es sich um Blutproben, mal um Speicheltests oder um die Abnahme von Mundgewebe. Wodurch die Sache natürlich nicht zwingend besser wird. Zu den Vorreitern zählen Holland, Belgien und Dänemark. In zwei dieser drei Staaten waren in jüngerer Zeit rechtspopulistische und rassistische Parteien entweder an der Regierung beteiligt – wie die die niederländische „Liste Pim Fortuyn“ – oder sind, im Falle der „Dänischen Volkspartei“ DFP von Pia Kjaersgaard, noch immer notwendige Mehrheitsbeschaffer im Parlament für die bürgerliche Regierung. In Dänemark wurde der DNA-Test allerdings erstmals im Jahre 1994, also noch vor dem Aufstieg der Rassistenpartei DFP, speziell für somalische Flüchtlinge – die auf dem Höhepunkt des damaligen Bürgerkriegs in Somalia in gröberer Zahl nach Dänemark kamen – eingeführt. Später wurde die Praxis systematisiert. Heute wird ein Antrag auf Familienzusammenführung abgelehnt, wenn der Visumsbewerber den DNA-Test nicht durchführen lässt. Aber im Gegensatz zu dem, was heute in Frankreich vorgesehen ist, bezahlen in Dänemark und in anderen Ländern die eigenen Behörden – im dänischen Falle das „Integrationsministerium“ – den genetischen Test. Das Ministerium in Kopenhagen übernimmt so Kosten in Höhe von bis zu 1.000 Euro, erfährt man bei Radio France International ( http://www.rfi.fr/actufr/articles/093/article_56434.asp ). 

Wie ‚Le Monde’ in einer Auflistung Ende vergangener Woche schrieb, wird der DNA-Test auch in Deutschland seit 2004 – „auf freiwilliger Basis“ – durchgeführt. Allerdings gebe es hier keine spezielle gesetzliche Grundlage dafür, sondern sie würden auf der Basis der allgemeinen Ausländergesetzgebung durchgeführt.

"Ethnische Statistiken“

Ein weiterer Zusatzantrag zu dem Gesetzentwurf zur Einwanderung, der am vergangenen Mittwoch – 24 Stunden nach dem über die DNA-Tests – durch die Gesetzeskommission angenommen wurde, sieht vor, Statistiken unter Einbeziehung „ethnischer Merkmale“ zuzulassen. Bisher war es in Frankreich strikt verboten, im Rahmen von Datenerhebungen oder Befragungen Angaben zu Abstammung, Religionszugehörigkeit o.ä. zu sammeln. Vor dem Hintergrund des aus der französischen Geschichte seit 1789 entstandenen „republikanischen Nationalismus“, demzufolge die Zugehörigkeit zur Nation allein durch die Staatsbürgerschaft – unter Abstrahierung von allen herkunftsbezogenen Kriterien – definiert wird, wurde die Erhebung solcher Merkmale strikt abgelehnt. Elemente wie die Konfessionszugehörigkeit gelten als „Privatsache“, die von der öffentlichen Sphäre zu trennen sei. Allein die Nationalität und der Geburtsort, der eine eventuelle ausländische Herkunft bei Eingebürgerten verraten kann (wobei aber auch viele weibe Franzosen aufgrund der früheren Ausdehnung des Kolonialreichs in Nordafrika, in Dakar und anderswo geboren sind), durften erfragt werden. 

Diese Konzeption hat in den letzten Jahren zunehmend Risse bekommen. Denn die erklärte „Farbenblindheit“ des französischen republikanischen Universalismus - so monieren Kritiker, auch fortschrittliche – habe zugleich die Wahrnehmung von real vorhandenen Diskriminierungen erschwert. Tatsächlich wird es ein französischer Staatsbürger mit schwarzer Hautfarbe, trotz seines Passes, im Alltag wesentlich schwerer als ein „Herkunftsfranzose“ haben, eine Wohnung jedenfalls in bestimmten Stadtbezirken oder Gegenden anzumieten. Deshalb wurde auch von manchen Verbänden wie dem vor rund zwei Jahren entstandenen „Zentralrat der Schwarzenorganisationen in Frankreich“ (CRAN) jüngst die Forderung laut, bei bestimmten Datenerhebungen müssten „ethnische“ Merkmale – wie beispielsweise der Hinweis auf eine schwarze oder andere Hautfarbe – erhoben werden dürfen. Ihre damit verbundene Absicht lautet, dass dadurch Diskriminierungen besser aufgezeigt werden könnten: Wenn sich im Flächenvergleich herausstelle, dass unter 10.000 schwarzen und 10.000 weiben Franzosen jeweils dieser und jener Prozent an bestimmten Berufsgruppen, Einwohnern bestimmter Wohngegenden usw. vertreten sei, mache dies eventuell bestehende Diskriminierungen besonders deutlich. 

Kritiker, zu denen die französischen Antirassismusorganisationen wie der MRAP und SOS Racisme oder auch die „Liga für Menschenrechte“, aber auch die verschiedenen Gewerkschaften der Beschäftigten beim Nationalen Statistikamt INSEE (die sich am Montag in einem gemeinsamen Kommuniqué äuberten) zählen, lehnen die Einführung solcher Statistiken mit „ethnischen“ Merkmalen dennoch weiterhin ab. Zum Einen weisen sie darauf hin, dass man im Falle der Einbeziehung entsprechender Fragen und Kriterien in Befragungen riskiere, Personen dazu zu zwingen, sich selbst in eine „ethnisch“, ja de facto (in den Augen von Teilen der öffentlichen Meinung) „rassissche“ Kategorie einzuteilen. Dies werde aber von vielen Menschen, aus guten Gründen, abgelehnt: Entweder weil sie selbst „durchmischer“ Herkunft sind, oder weil in ihrer Selbstbetrachtung Merkmale wie Abstammung nicht wichtig sind, ja weil sie eine Einteilung der Menschheit entlang „ethnischer“ Merkmale aus grundsätzlichen Gründen heraus ablehnen. Die Kritiker verweisen darauf, dass solchen Kategorisierungen immer Gefahren innewohnten, auch wenn das Anliegen derer, die solche „ethnischen Statistiken“ fordern, oft gut gemeint sei.  

In den USA und in Grobbritannien ist es gang und gäbe, eine solche Selbsteinteilung nach dem Merkmal „Race“ – der Begriff ist im angelsächischen Sprachgebrauch nicht derart negativ belastet wie im Französischen oder Deutschen – vorzunehmen, da die Programme zum Minderheitenschutz solche Elemente zur Grundlage haben. In Frankreich dagegen waren insbesondere Mekrmale wie „schwarz“, „moslemisch“ oder „jüdisch“ bislang grundsätzlich aus jeglichen Statistiken verbannt. Der Antrag, der jetzt in der Gesetzeskommission angenommen worden ist, würde also im französischen Falle einen weit tieferen konzeptuellen Bruch verursachen. Dies zu riskieren, sei nicht nötig, meinen die Kritiker: Wie die Antirassismusbewegung MRAP in einem Kommuniqué vom Montag schreibt, sei es heute nicht so sehr nötig, das Phänomen der Existenz von Diskriminierungen zu „erkennen“- da es längst bekannt und nachgewiesen sei -, sondern es zu bekämpfen. Statt Programme für Minderheitenschutz aufzulegen, schlagen die Kritiker vor, lieber generelle soziale Mindeststandards zu gewährleisten, von denen gerade auch die von gesellschaftlicher Marginalisierung besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen de facto profitieren würden. Denn wenn man sich darauf einigt, dass niemand in heruntergekommenen Plattenbausiedlungen am Rande städtischer Ballungsräume ohne hinreichende Verkehrsanbindung und ohne soziale Infrastruktur „geparkt“ - so der französische Ausdruck, der dem deutschen Begriff des „Abstellgleises“ entspricht -  werden darf, dann braucht man den Schutz davor auch nicht Angehörigen von „Minderheiten“ gesondert garantiere. Dies sei einem Zustand, in dem man sich auf Rechte berufen kann, „weil“ man schwarz oder Jude ist, in dem man dieses Merkmal darum aber auch ständig betonen muss,  allemal vorzuziehen. 

Die französische Diskussion um „ethnische Statistiken“ hat sich in den letzten Jahren verkompliziert. In den späten 1990er Jahren war ihre Einführung noch vor allem von rechtsauben stehenden Politikern und Wissenschaftlern – die sich etwa am 17. November 1997 in den Räumen des Instituts für Bevölkerungsstatistik (INED) versammelt hatten, was einen Proteststurm hervorrief – gefordert worden. Aber in den letzten Jahren hat es, unter Berufung auf die erforderliche Verfeinerung der Statistiken zur besseren Diskriminierungsbekämpfung, erstmals auch von linker Seite und von Selbstorganisationen der „Minderheiten“ die Forderung nach solchen Statistiken gegeben. Bei den Präsidentschaftswahlen 2007 erklärten sich auf Nachfrage hin etwa sowohl der rechte Kandidat Nicolas Sarkozy, als auch die KP-Kandidatin Marie-George Buffet und die grüne Bewerberin Dominique Voynet grundsätzlich „offen“ für die Einführung solcher Statistiken im Dienste des Kampfes gegen Diskriminierungen. Allerdings möchten beide Seiten der Auseinandersetzung nicht dasselbe: Rechts strebt man etwa eine genaue Kenntnis über die „Kosten“ der ausländischen Wohnbevölkerung an, indem sie etwa die für ihre Angehörigen getätigten Sozialausgaben getrennt erfassen wollen. Den Anderen, links oder in der Mitte, geht es um das genaue Gegenteil - nämlich darum, die Benachteiligung und Diskriminierung der Angehörigen von „Minderheiten“ auf dem Arbeits-, Wohnungsmarkt, die teilweise ausbleibende Lohngerechtigkeit usw. nachzuweisen. 

Präsident Nicolas Sarkozy, der zu jener Zeit noch Innenminister und erklärter Präsidentschaftskandidat war, hat diese Fronten im vergangenen Jahr 2006 durcheinander gewirbelt. Denn er sprach sich einerseits, am 13. Februar vergangenen Jahres in einem Radiointerview, für eine nach „ethnischer Herkunft“ aufgeschlüsselte Erfassung von Straftätern und Gefängnisinsassen – wie sie in New York im Rahmen der „Zero Tolerance“-Politik praktiziert wurde - aus. Andererseits lieb er sich aber auch explizit von US-amerikanischen Programmen beim Minderheitenschutz inspirieren, und sprach einer „positiven Diskriminierung“ (in Anlehnung an das dortige Vorbild, die „Affirmative Action“) das Wort. So stellte er der moslemischen Minderheit im Jahr 2004 in Aussicht, einige Personen aus ihren Reihen – die sich aber in diesem Falle explizit über ihr Konfessionszugehörigkeit definieren müssten – in hohe Beamtenposten zu bringen.

Dass im aktuellen politischen Kontext die Frage der „ethnischen Statistiken“ wieder aufs Tapet kommt, nimmt vor diesem Hintergrund nicht Wunder. Allerdings möchten die beiden Abgeordneten der konservativen UMP - Michèle Tabarot und Sébastien Huygue - , die am vergangenen Mittwoch als Antragsteller in der Gesetzeskommission diesen Zusatzantrag durchbrachten, ihre Einführung im Prinzip vor allem auf die Diskriminierungsbekämpfung beschränkt wissen. Auch die nationale Datenschutzkommission CNIL, in welcher die beiden Abgeordneten Mitglied sind und die bislang noch die Erhebung „ethnischen“ Merkmale in Datensätzen verweiget hatte, hat ihrem Antrag nun zugestimmt. So lautet ihr Vorschlag, die Sammlung herkunfts-, hautfarbenbezogener und ähnlicher Merkmale solle dann erlaubt sein, wenn es um „Studien zur Messung der herkunftsmäbigen Diversität (Unterschiedlichkeit) der Personen, der Diskriminierung und der Integration“ gehe. Um die „rassische“ Einteilung von Straftätern geht es ihnen dabei also nicht, sondern eher um eine Verbesserung der Integrationschancen. Allerdings kann auch eine Studie zur „Messung der Integration“ eine ausgrenzende Stobrichtung bekommen, wenn man mittels der angelegten Fragestellung etwa nachzuweisen sucht, dass sich diese oder jene Gruppe „schlecht in die Mehrheitsgesellschaft integriert“ – sofern man beabsichtigt, dieser Gruppe selbst dafür die Schuld oder Hauptschuld zu übertragen. 

Das Hauptproblem bei der Sache ist, dass sich eben leicht beides unter Zuhilfenahme „ethnischer Statistiken“ bewerkstelligen lässt. Denn je nach der Fragestellung, die man an solche Statistiken anlegt, lässt sich nahezu alles beweisen. Es liebe sich etwa der Nachweis führen, dass junge Nachfahren von Einwanderern besonders hart durch Polizei und Justiz angefasst werden und besonders in randständige Bereiche der Gesellschaft abgedrängt werden, wo das Straffälligkeitsrisiko höher ist. Genauso lässt sich aber auch „beweisen“, dass bestimmte Einwandergruppen (vermeintlich) „von Natur aus krimineller“ als die Durchschnittsbevölkerung seien. Beide Thesen lassen sich unter Berufung auf die Strafprozess- und Kriminalstatistik im Prinzip abstützen. Je nach der Politik, die man ausführen möchte, wird man die Fragen formulieren, die man an die Statistik stellt. Und je nach der Frage, die man an sie richtet, wird voraussichtlich die Antwort ausfallen. Aber die Tatsache, dass Nicolas Sarkozy im Wahlkampf mit Bermerkungen hervortrat, in denen er durchblicken lieb, dass er etwa an eine genetische Bedingtheit von „Suizidneigung, Pädophilie oder auch Homosexualität“ glaubt – so seine Auslassungen in einem Streitgespräch im ‚Philosophie Magazine’ vom April 2007 dürften in dieser Hinsicht nicht wirklich optimistisch stimmen. Denn vielleicht gibt es ja auch ein besonderes Chromosom für Straftäter... Und was wäre, wenn dieses je nach Herkunft der Personen unterschiedlich verteilt aufträte...?  

Und die öffentliche Meinung? 

Die französische öffentliche Meinung ist angeblich (und wohl auch tatsächlich) zugunsten der wesentlichen Regeln dieser Gesetzesnovelle eingestellt. Laut einer Umfrage, die im Auftrag der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ durchgeführt worden ist – selbstverständlich kommt es bei solchen Umfragen auch immer auf die Formulierung der an das Publikum gerichtet Fragen an, so dass sie zum Teil auch manipulativ wirken – stimmen rund 70 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen den hauptsächlichen Bestimmungen zu. (VGL. DAZU DEN LINK: http://www.lefigaro.fr

Demnach befürworten 74 % der Befragten die Regelung über die künftige Durchührung von französischen Sprachtests in den Herkunftsländern, im Rahmen der Familienzusammenführung. Allerdings ist der Mehrzahl der Befragten wohl auch nicht bewusst, welche ökonomischen Hürden (s.o.) dies de facto beinhaltet, vielmehr sprechen sie sich sicherlich mehrheitlich vor allem für eine Verbesserung der Sprachkenntnisse von Immigrationsanwärtern (als bessere Voraussetzung für „Integration“) aus. So ist die Gesetzesvorlage ja auch vor der Öffentlichkeit begründet worden. Demnach befürworten drei Viertel der Sarkozy-Anhänger, aber auch 65 Prozent der Wähler/innen seiner sozialdemokratischen Gegenkandidatin Ségolène Royal bei der letzten Präsidentschaftswahl diese Neuerung. 

Gespalten(er) ist hingegen das Meinungsbild, fragt man nach den offen benannten ökonomischen Hürden, die im Rahmen der Familienzusammenführung errichtet werden. Die sozialdemokratische Wählerschaft ist demnach in zwei Hälften gespalten, was die einkommensbezogene Bedingung (bis zum 1,33-fachen des gesetzlichen Mindestlohns SMIC für den Nachzug von Kindern aufs französische Staatsgebiet) betrifft. „Nur“ 49 Prozent der sozialdemokratischen Wähler/innen befürworten demnach diese neue Regelung, aber hingegen 81 Prozent der Sarkozy-Wählerschaft. 

Die Wählerschaft des rechtsextremen Front National (FN), so erfährt man am selben Ort, befürwortet „zu nahezu 100 Prozent“ die neuen Verschärfungen im Ausländerrecht. Die Partei selbst allerdings bemüht sich, durch verbales Übertrumpfen des konservativen Lagers an Profil zu gewinnen. So schlug die Partei Jean-Marie Le Pens am heutigen Dienstag (18. september) in einem Kommuniqué vor, die Bestimmungen zum Familiennachzug auf einen einzigen Artikel zu begrenzen: „Ein (Gesetzes-)Artikel genügt: Die Zusammenführung der Familien von Einwanderern findet im Herkunftsland statt.“ Dadurch, dass die rechtsextreme Partei durch lautes Tönespucken gegen einen bereits an und für sich restriktiven Gesetzentwurf anstänkern muss, droht sie sich allerdings in der öffentlichen Meinung eher selbst in eine „extreme Ecke“ zu drängen. 

Abschiebemaschine läuft auf vollen Touren 

Beinahe, aber nur beinahe, könnte der zustandige französische Minister Brice Hortefeux einem leid tun. Der 49jährige bekleidet seit Mai dieses Jahres das Amt des „Ministers für Immigration, Integration, nationale Identität und ‚co-développement’“. Letzterer Begriff, wörtlich „gemeinsame Entwicklung“, bezeichnet die Beziehungen zu den Herkunftsländern von Einwanderern, vor allem sofern es sich um ärmere Staaten handelt. Die Einrichtung dieses neuen Ministeriums, das alle Kompetenzen in Sachen Einwanderungspolitik bündeln und in Verbindung mit einem ominösen Konzept der „nationalen Identität“ bringen sollte, war eines der Wahlversprechen von Präsident Nicolas Sarkozy im Frühjahr 2007 gewesen. 

Hortefeux stöhnt nun unter seiner gar so schweren Last: 125.000 „Aufgriffe von illegalen Zuwanderern“ und 25.000 effektiv durchgefährte Rückführungen auber Landes müsse es im laufenden Jahr geben - so lautet der Auftrag, den Präsident Sarkozy ihm im Juli erteilt hat. Bereits in seiner eigenen Amtszeit als Innenminister (Mai 2002 bis Märrz 2004, und nochmals von Juni 2006 bis März 2007) hatte Nicolas Sarkozy eine solch perverse Form von „Planwirtschaft“ praktiziert. Erstmals hatte er 2002/03 jährliche Sollziffern für durchzuführende Abschiebungen aufgestellt, die bereits in ähnlicher Gröbenordnung (um 25.000 jährlich) lagen.  

Eine solche Logik ist im Prinzip völlig gesetzwidrig, da die geltenden Regeln für alle Fälle eine Prüfung der Einzelsituation auch von „illegalen“ Einwanderern vorsehen, bevor diese eventuell abgeschoben werden können. Darauf wiesen jüngst auch Polizeigewerkschafter wie die UNSA-Police (in einer Stellungnahme von Anfang September: „Keine Quoten für Menschen“), aber an diesem Montag auch Sarkozys eigener Aubenminister Bernard Kouchner – „mir gefällt diese Zahlengeschichte nicht“ – nachdrücklich hin. Im Grunde genommen verstöbt eine solche Praxis gegen innerstaatliche Rechtsstaatsprinzipien wie gegen internationale Konventionen.  Denn je nach individueller Situation können diese, wenn sie bestimmten Kriterien entsprechen (etwa Gefähr für Leib und Leben in ihrem Herkunftsland geltend machen können, oder Beziehungen familiärer Natur in Frankreich begründet haben), ein Recht auf Aufenthalt in Frankreich geltend machen. Zumindest müssen Gerichte ihre je individuelle Situation anhand von Texten (französischen Gesetzen und internationalen Abkommen), die allen Menschen einen Schutz ihrer Grundrechte garantieren, prüfen. Das verträgt sich eigentlich nicht mit der Vorabfestsetzung von „Sollziffern“. Nicolas Sarkozy lieb sich dadurch bislang nicht beirren.

Am Mittwoch, 12. September hat nun Minister Hortefeux seinerseits 19 (von frankreichweit knapp 100) Präfekten – so heiben die juristischen Repräsentanten des Zentralstaats in den französischen Départements, Leiter der Polizei- und Ausländerbehörden – nach Paris vorgeladen. Dort erteilte er diesen 19 hohen Beamten einen Rüffel, weil sie im Gegensatz zu ihren Kollegen hinter den Sollziffern für die Abschiebequoten in ihren jeweiligen Départements hinterher blieben. Die Angelegenheit sorgte vergangene Woche für ziemlich viele Schlagzeilen (vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/ ). Im Anschluss an die Gespräche beim Minister Hortefeux lieben Teilnehmer verlauten, es habe sich nicht um einen Anschiss gehandelt, sondern um eine Unterredung über eine „Verbesserung der Methoden“ bei Aufgriffen und bei den Vorbereitungen für die Abschiebung von „illegalen“ Einwanderer. Der in Clermont-Ferrand ansässige Präfekt des Départements Puy-de-Dôme erklärte etwa, sein speziell geschultes Personal in den Ausländerbehörden beherrsche zwar die Verfahren – aber leider, leider seien viele Polizeibeamte dazu nicht in der Lage. Deswegen würden viele Abschiebungen durch die zuständigen De facto-Haftprüfungsrichter (FUSNOTE[1]) oder JLD (Juge des libertés et de la détention) in den Abschiebehaftanstalten verhindert, indem sie die Verfahren wegen Form- oder Rechtsfehlern oder auch Verstöben gegen die Grundrechte der Betroffenen annullieren. Dies müsse nun verbessert werden, um effizienter sein zu können.  

Hindernisse durch EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 

Aber - so jammerte der Minister Hortefeux nun, als er am 20. August dieses Jahres Präsident Sarkozy unter die Augen trat, um ihm seine Bilanz zu präsentieren – unglücklicherweise sei es heute für ihn schwerer, diese „Sollziffern“ zu erfüllen, als es seinerzeit für den damaligen Innenminister Sarkozy gewesen sei. Mit 11.000 Abschiebungen, die bis dahin durchgeführt worden – das war der damalige offizielle Stand, der von Ende Juli stammte, inzwischen sind die 13.000 überschritten - schien Hortefeux nicht in der Lage, das hoch gesteckte Sollziel im Jahresmabstab (25.000 „Entfernungen“) vollständig zu erreichen. Der Grund für sein „Hinterherhinken“ hinter seinem Vorgesetzten Sarkozy: Zu dessen Amtszeit als Innenminister habe man die Zahlen u.a. erreichen können, indem man Rumänen und Bulgaren festnahm und abschob. Letztere hätten zu Sarkozys Zeiten als Innenminister allein 25 bis 30 Prozent der jährlichen Anzahl der Abgeschobenen ausgemacht. Dies sei nun aber leider nicht mehr möglich, denn Rumänien und Bulgarien sind seit dem 1. Januar 2007 Mitgliedsländer der Europäischen Union. 

Zwar genieben ihre Staatsbürger (ebenso wie die vieler osteuropäischer Neumitglieder der Union) keine Niederlassungsfreiheit in Frankreich und anderen Ländern Westeuropas. Jedoch genieben sie für die Dauer von drei Monaten volle Freizügigkeit in allen Staaten der EU; wollen sie jedoch länger bleiben, müssen sie einen gültigen Aufenthaltsgrund nachweisen. Dazu kann die Aufnahme einer Erwerbsarbeit dienen, aber nur, wenn der anzutretende Job einem „Mangelberuf“ angehört – eine abschliebende Liste von Berufen, die für Rumänen und Bulgaren „offen“ sind, ist per Regierungsdekret festgelegt worden. Den meisten rumänischen und bulgarischen Staatsbürgern, die derzeit für einen längeren Aufenthalt nach Frankreich einreisen, hilft dies. Denn es handelt sich oftmals um Roma, die in den beiden südosteuropäischen Ländern besonders heftiger Diskriminierung ausgesetzt sind und mitunter in einer Art von Ghettos leben. Ihnen fehlt es häufig an Schulbildung und beruflicher Qualifikation. Sie schlagen sich durch Gelegenheitsjobs oder auch Betteln in westeuropäischen Metropolen durch, verdienen dabei aber immer noch 5 bis 6 mal so viel, als sie mit Hilfsarbeiterjobs in ihren Herkunftsländern einnehmen könnten. Aussicht auf legale Aufenthaltstitel in Frankreich haben sie zwar nicht. Aber aufgrund der neuen Freizügigkeitsregel können sie auch ohne legalen Aufenthaltsgrund drei Monate lang „gesetzesnform“ auf französischem Boden bleiben. Diese Regel wenden sie nun meistens „schöpferisch“ an, indem sie zwei Monate und 30 Tage in Frankreich bleiben, dann für einen oder zwei Tage an die rumänische/bulgarische Grenze fahren und ihren Pass abstempeln lassen, um danach wieder für die Dauer von zwei Monaten und 30 Tagen nach Frankreich zu kommen. 

Beamteneifer durch Punktesystem angefeuert 

Der „bedauernswerte“ Hortefeux hat es also schwerer als der damalige Innenminister Sarkozy, seine Kontingente von Soll-Abschiebungen voll zu bekommen. Auch die ihm untergegebenen Polizisten jammern mitunter herum, dass es ihnen schwer fällt, an die Kennziffern heranzukommen. Dafür müssen sie nun doppelten Eifer an den Tag legen, etwa bei Gesichtskontrollen in als „Brennpunkte“ definierten Stadtvierteln, bei denen systematisch nach „illegalen Zuwanderern“ gesucht wird. Geholfen wird ihnen durch ein Punktesystem, das (im Falle des Bezirks Seine-Saint-Denis, nördlich von Paris) im Frühsommer publik wurde. Demnach erhält ein Polizist etwa einen Punkt, wenn er einen Falschparker oder Verkehrssünder erwischt, aber vier Punkte im Falle des Aufgriffs eines „illegalen Zuwanderers“. Eine bestimmte Anzahl von Punkten eröffnet Aussichten auf eine Prämie, auf berufliche Beförderung... So sollen die Polizisten bei ihrer Arbeit, auch bei der „Drecksarbeit“ der Verfolgung so genannter illegaler Einwanderer, motiviert werden. 

Die Verwaltungsgerichte ihrerseits sind dazu übergegangen, Abschiebefälle im Eilverfahren und quasi „am Fliebband“ zu bearbeiten. In einer Reportage aus dem Pariser Gerichtssaal, wo die Fälle von Abschiebehäftlingen verhandelt werden, hat die Tageszeitung ‚Libération’ (in ihrer Ausgabe vom 29. August 2007) die durchschnittlich auf das Schicksal einer Person verwendete Zeit kalkuliert: „Zwölf Minuten, Stoppuhr in der Hand. (...) Das ist die durchschnittliche Verfahrenszeit, um einen ‚Sans papiers’ abzuschieben. Vier Minuten, um über seinen Verbleib in Abschiebehaft oder ihre Aufhebung zu entscheiden. Und acht Minuten, um (in der Sache) über den Widerspruch gegen die erzwungene Ausreise zu entscheiden.“ 

In Lyon sorgte im August der Fall eines jungen bosnischen Paares, Anfang zwanzig, für Empörung in einem Teil der öffentlichen Meinung. Beide Partner hatten in ihrer Jugend das Massaker von Srebrenica (Juli 1995) erlebt und ihre Eltern verloren. Traumatisiert und in ihrem Herkunftsland diskriminiert, da sie bosnische Muslime sind, ihre Dörfer aber dem serbischen Teil Bosniens zugeteilt wurden (weshalbsie sowohl von den Serben als auch den bosnischen Muslimen als Fremde betrachtet wurden), kamen sie 2005 nach Lyon. Am 24. Juli 2007 wollten die französischen Behörden die Familie, die inzwischen im ostfranzösischen Jura untergekommen war, abschieben. Sie fand jedoch den Ehemann nicht, und die 23jährige Frau (Sabina Smajladic) wurde mit ihrer kleinen Tochter angetroffen. Um die Abschiebung zu erzwingen, wurde ihr die „Alternative“ gelassen, entweder mit ihr zusammen abgeschoben zu werden – oder allein, während das Kleinkind in ein Erziehungheim komme. Dorthin wurde die Tochter tatsächlich verbracht. Die Mutter weigerte sich jedoch, das Flugzeug zu besteigen, und verhinderte ihre Abchiebung, was nach französischem Recht eine Straftat darstellt. Die Staatsanwaltschaft Lyon forderte deshalb drei Monate ohne Bewährung gegen sie. Am 27. August weigerte sich das zuständige Gericht jedoch, der Forderung der Staatsanwaltschaft zu folgen: Es verhängte „lediglich“ eine Bewährungsstrafe und erlaubte der Mutter, ihre Tochter aus dem Erziehungheim zu holen. Die in diesem Falle durch die französischen Behörden angewandte Prozedur ist „eigentlich“ komplett rechtswidrig: Gemäb Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht einer/s Jeden auf Respekt seines Privatlebens und seiner Familie) dürfen sie im Prinzip gar keine Familien auseinander reiben.  

Heiber Empfang für französische Polizisten in Conakry 

Im Laufe des Sommers 2007 jedoch taten sich so einige „Widrigkeiten“ auf, die die Uniformträger an der reibungslosen Abwicklung ihres Geschäfts hinderten. So empörte sich ein Teil der französischen Öffentlichkeit, als am 9. August im nordfranzösischen Amiens (Picardie) ein 12jähriger aus einer russisch-tschetschenischen Familie auf der Flucht vor Polizisten aus dem vierten Stock stürzte und dabei schwer verletzt wurde, woraufhin er über eine Woche im Koma lag. Iwan (französisch Yvan) Dembsky, so hieb der Junge (vgl. FOTO UND ARTIKEL: http://www.lefigaro.fr ), hatte seinem Vater folgen wollen, der sich beim Herannahen der Beamten durch ein Fenster und über einen Balkon abgesetzt hatte, um der drohenden Abschiebung zu entgehen. „Grobzügig“ kündigte der zuständige Minister Hortefeux an, der Familie eine sechsmonatige vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, damit der schwer verletzte Junge in Frankreich operiert und medizinisch behandeln werden könne. Diese als humanitär verkaufte Geste kam aber wiederum nicht so gut an. Nunmehr hat der Minister für Einwanderung & nationale Identität seine „Grobzügigkeit“ so weit getrieben, dass er der Familie „für die (gesamte) Dauer der Genesung des Jungen“ von seinem Sturz den Aufenthalt in Frankreich gewähren möchte. 

Am 16. August dann erlebten sechs französische Polizisten, die einen Flug mit zwei Abschiebehäftlingen bei ihrer Rückführung ins westafrikanische Guinea begleiteten, einen unangenehmen Moment. Die französische Grenzpolizei (PAF, Police aux frontières) selbst gab dazu genau eine Woche später ihre Informationen bekannt. Da die Abschiebekandidaten – wie oftmals üblich – auf relativ brutale Art und Weise an Bord geschafft worden zu sein scheinen, sollen Passagiere des Linienflugs nach Conakry sich zunächst der Abschiebung widersetzt haben. Per Handy, so lautet die Version der französischen Behörden, hätten sie dann ein ebenso informelles wie spontanes „Empfangskomitee“ in Guineas Hauptstadt Conakry auf die Beine gestellt. Bei der Ankunft um 04.30 Uhr früh in Conakry bekamen den  sechs französischen Beamten dann von „ihren“ beiden Abschiebehäftlingen sowie einer umstehenden Menge einen ziemlich warmen Empfang bereitet. Die armen Beamten sollen „mit Händen und  Fubtritten“ traktiert worden sein, so behauptet jedenfalls das Ministerium Hortefeux’. Schlimmer noch: Anwesende guineeische Polizisten sollen sich selbst an den Ausschreitungen beteiligt haben. Eine guineeische Polizistin soll den französischen Beamten zugerufen haben: „Der Kolonialismus ist vorbei!“ Nachdem sie durch die guineeische Polizei unter strengen Blicken in ihre Obhut genommen worden waren, sollen die französischen Polizisten sich noch eine Reihe von Sprüchen haben anhören müssen. (LINK: http://tempsreel.nouvelobs.com )     

Inzwischen hat das Ministerium Hortefeux’ die sechs Beamten der Grenzpolizei aufgrund ihrer „Tapferkeit im Dienst“ mit einer Medaille ausgezeichnet. Die guineeischen Behörden kündigten nach einer diplomatischen Protestnote aus Paris eine Untersuchung an, und verurteilte die – tatsächliche oder angebliche – Beteiligung ihrer Beamten. Letztere wurde allerdings auch dementiert, zugunsten einer Version, derzufolge die guineeischen Polizisten ihre französische Kollegen vielmehr „in Sicherheit gebracht“ hätten. Am 28. August traf sich der französische Minister Hortefeux dann mit dem Premierminister Guineas, Lansana Kouyaté. Hortefeux nahm dessen Erklärungen positiv auf „und bedauerte seinerseits, dass Guinea nicht ordnungsgemäß informiert wurde. Künftig sollten die Rückführungen besser koordiniert werden. Kouyaté habe angekündigt, dass der guineische Außenminister demnächst zur Unterzeichnung eines Abkommens nach Frankreich reisen werde“, informiert uns dazu Conni Gunsser vom Flüchtlingsrat Hamburg.   

Hungerstreik in Lille nach 76 Tagen beendet 

Die sechs Abgeschobenen kamen aus Lille, wo sich insgesamt 60 Staatsbürger Marokkos, Algeriens und Guineas seit dem 15. Juni dieses Jahres an einem Hungerstreik zur Durchsetz ihrer „Regularisierung“ (d.h. Legalisierung ihres Aufenthalts) beteiligten.  

Lille ist seit längerem ein Zentrum des Protests der Sans papiers (die „ohne Aufenthaltspapiere“), wie die „illegalen“ Zuwanderer im linken und liberalen Teil der französischen Öffentlichkeit inzwischen nur noch genannt werden. Das „Komitee der Sans-papiers im Département Nord“ (CSP59; die 59 entspricht der Nummer des Bezirks in der Liste der französischen Départements) gehört zu den mit Abstand kämpferischsten Selbstorganisationen von Einwanderern in Frankreich. Das CSP59 besteht zum Teil aus Sans papiers und zum Teil aus Unterstützern, die selbst keine „Papierprobleme“ haben. Einer seiner prominentesten Köpfen ist der linke, algerischstämmige, doch in Frankreich aufgewechsene Soziologiedozent und Autor mehrerer Bücher, Said Bouamama. 

Um dessen Widerstandswillen zu brechen, hatte die französische Zentralregierung einen neuen Präfekten „mit harter Hand“ nach Lille entsandt: Daniel Canepa. Dieser war nun seit dem Frühsommer mit dem insgesamt 13. Hungerstreik von Sans papiers seit dem Jahr 2004 konfrontiert – die Hungerstreikwaffe ist oft das letzte „Instrument“, das illegalisierte Einwanderer überhaupt noch einsetzen können. Seine Amtsvorgänger waren durch die aufeinanderfolgenden Hungerstreiks im Département Nord immer wieder dazu getrieben worden, in (un)regelmäbigen Abständen Aufenthaltspapiere für die Teilnehmer/innen herauszurücken. Dem sollte der neue Präfekt Canepa nun ein Ende setzen. „Statt der Regel ‚Hungerstreik bedeutet Legalisierung’ gilt nun eine neue Regel: ‚Hungerstreik bedeutet Abschiebung’“ tönte der neue Amtsinhaber markig. (Vgl. http://www.lavoixdunord.fr  Noch nach mehrwöchigem Hungerstreik lieb der Präfekt im August Teilnehmer, die körperlich sehr geschwächt waren, festnehmen und/oder abschieben. Hungerstreikenden, die vor Krankenhäusern in Lille campierten, wurden abgeräumt und vor einen Untersuchungsrichter gebracht, wo Polizisten die Abgemagerten stützen mussten, damit sie nicht umkippten. 20 Teilnehmer, überwiegend nach Guinea sowie nach Marokko, wurden noch nach mehrwöchigem Hungerstreik durchgeführt. Beim Haftprüfungstermin in der Abschiebehaftanstalt am Pariser Flughaften Roissy wurden zehn Guineer allerdings vom zuständigen Richter freigelassen: Da man ihnen die Mobiltelefone abgenommen hatte und sie am Telefonieren mit ihren Anwälten ebenso wie mit Familienmitgliedern gehindert hatte, wurde die gesamte Prozedur dadurch rechtswidrig. 

Doch der politische Druck, den u.a. täglich durchgeführte Demonstrationen in Lille auslösten, wuchs. Am 14. August gab die Präfektur eine Vereinbarung bekannt, die sie mit sechs Initiativen geschlossen hatte, von der das CSP59 – das den Behörden als „zu radikal“ gilt und nicht als Verhandlungspartner akzeptiert wird – jedoch ausdrücklich ausgeschlossen blieb. Dem Abkommen zufolge sollte zunächst der Hungerstreik eingestellt werden, denn dessen Abbruch hatten die Behörden zur Voraussetzung jeglichen Einlenkens gemacht. Sodann sollten die Dossiers von gut 20 Personen nochmals „wohlwollend“ untersucht werden, um zu prüfen, ob sie nicht doch einem der gesetzlichen Legalisierungskritierien unterfallen könnten. Ausgeschlossen bleiben aber sollten sowohl die bereits Abgeschobenen, als auch rund 10 Personen, die zwar als Sans papiers am Hungerstreik teilnahmen, aber nicht im Département Nord (wo sich ein Widerstandszentrum gebildet hatte) wohnhaft waren. Ferner sollten zwei Personen, gegen die in Frankreich ein Strafverfahren wegen Gesetzesverstöben lief – das aber inzwischen eingestellt ist -, sowie 18 Personen im Asylverfahren aus dem „Legalisierungsprozedere“ ausgeschlossen bleiben. 

Die Hungerstreikenden und das CSP59 lehnten dieses Abkommen, das ohne ihre Zustimmung ausgehandelt worden war, jedoch ab und setzten ihre Aktion fort. Doch allmählich näherte sich der Zeitpunkt, an dem Hungerstreik für manche Beteiligte  einen lebensbedrolichen Zustand auszulösen drohte. Zwei andere Initiativen, die Liga für Menschenrechte (LDH) und die Antirassismusorganisation MRAP, handelten deshalb ein neues Abkommen mit der Präfektur aus – diesees Mal in Abstimmung mit den Sans papiers selbst, die das letzte Wort behalten sollten. Am 30. August wurde die neue Vereinbarung (mit 56 von 58 Stimmen der Hungerstreikenden, wobei auch die bereits Abgeschobenen telefonisch konsultiert woren waren) angenommen. Im Unterschied zum ersten „Kompromiss“ können dieses Mal auch jene Betroffenen, die einen Asylantrag gestellt haben, von der durch die Vereinbarung garantierten „Neuaufnahme des Legalisierungsverfahrens“ profitiere, falls ihr Asylantrag abgelehnt wird. 

Garantien gibt es jedoch keine: Zugesagt hat die Präfektur nur, dass sie die Einzelfälle anhand der gesetzlich definierten Kriterien (familiäre Bindungen, Integration in die französische Gesellschaft, ..) „wohlwollend“ auf eine mögliche Legalisierung hin prüfen wird. „Es könnte Abschiebungen geben“, erklärte Präfekt Canepa im Hinblick auch auf ehemalige Hungerstreikende. Alles in allem ging es ihm aber vor allem darum, „das Gesicht zu wahren“ und nicht den Eindruck zu erwecken, er habe auf der ganzen Linie nachgegeben – um nur ja nicht schon den nächsten Hungerstreik anzubahnen.

FUSSNOTE

[1] „De facto“ deswegen, weil es sich beim Abschiebegewahrsam nach französischem Recht im Prinzip nicht um Haft handelt.. Dieser so genannte „administrative Gewahrsam“, der eine Höchstdauer von 32 Tagen (vor 2003: zehn Tagen) nicht überschreiten darf, gilt nicht als Haft, da es sich nicht um Strafe, sondern nur um die materielle Durchführung der „Entfernung vom Staatsgebiet“ handele. Der Vorteil für die Betroffenen liegt darin, dass diese Mabnahme zeitlich relativ eng begrenzt ist; liegen Abschiebehindernisse vor, so müssen sie nach diesem guten Monat auf freien Fub gesetzt werden. Ein wichtiger Nachteil liegt aber darin, dass sie aufgrund dieser besonderen juristischen Kennzeichnung viele Rechte, die (Straf-)Häftlingen zuerkannt worden sind, nicht  fürsich geltend machen können.  

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 18.9.07 vom Autor zur Veröffentlichung. Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Manuskripts, dessen erste Version für das Internetmagazin ‚telepolis’ verfasst wurde.