Das Philosophische Wörterbuch  BAND 1

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

09/08

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Erscheinung - Gesamtheit der äußeren Eigenschaften der Dinge, Prozesse usw., die uns durch die Sinne, durch die Anschauung, die unmittelbare Erfahrung gegeben sind.
 
Der Begriff «Erscheinung» bildet den dialektischen Gegensatz zum Begriff «Wesen». Im Gegensatz zum Wesen hat die Erscheinung einzelnen, zufälligen und veränderlichen Charakter. Sie weist sowohl wesentliche als auch unwesentliche Merkmale auf. Da die unmittelbare Erfahrung uns nicht mehr erkennen läßt als die Erscheinung, bedeutet ein Verweilen bei ihr - theoretisch gesehen - die Festlegung auf den Empirismus und birgt subjektiv-idealistische und agnostizistische Konsequenzen.

Es ist eine der Hauptaufgaben der Wissenschaft, den jeweiligen dialektischen Widerspruch zwischen Erscheinung und Wesen zu überwinden. Das theoretische Denken erschließt, ausgehend von der Erscheinung, das Wesen der Dinge. Der Prüfstein für die Richtigkeit der dabei gewonnenen Begriffe, Theorien usw. ist die Praxis. Die Beschränkung auf die Erscheinung zieht in der praktischen Politik, im gesellschaftlichen Verhalten der Menschen zwangsläufig Verhaltensweisen wie Praktizismus, Opportunismus usw. nach sich. Eine wissenschaftlich begründete gesellschaftliche Tätigkeit der Menschen, insbesondere eine wissenschaftlich betriebene Politik, hat die Aufgabe, von der Erscheinung zum Wesen der gesellschaftlichen Prozesse vorzudringen bzw. von ihrem Wesen und nicht von ihrer äußeren Erscheinung auszugehen.

In einer anderen Bedeutung wird der Begriff «Erscheinung» im Hinblick auf eine bestimmte Gesamtheit materieller oder ideeller Objekte, Prozesse usw. verwendet. In diesem Sinne wird etwa von Naturerscheinungen, gesellschaftlichen Erscheinungen, psychischen Erscheinungen usw. gesprochen. Der so verstandene Begriff «Erscheinung» ist verwandt mit Begriffen wie «Gegenstand», «Ding», «Prozeß» usw.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 1, Berlin 1970, S.327

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