Reaktionäre Abtreibungsgegner_innen
Sich selbst nennen sie "Lebensschützer".

von abcdefg

09/08

trend
onlinezeitung

Sich selbst nennen sie "Lebensschützer". Hinter diesem Begriff verbergen sich organisierte Abtreibungsgegner_innen die mit ihrer reaktionären Ideologie dafür sorgen wollen, dass Frauen das Recht am eigenen Körper nicht anerkannt wird.

Die Grundsätze

Die Lebensschützer_innen vertreten eine extrem reaktionäre Ideologie. Kern davon ist die Schöpfungsordnung nach Adam und Eva, eine zutiefst patriarchale und heteronormative Ordnung.
In ihrem Weltbild werden Frauen(1) einzig und allein als Mütter wahrgenommen. Es sei Gottes Plan, wenn eine Frau schwanger wird, daher habe der Mensch dort auch nirgendwo einzugreifen. Daher agitieren die Lebensschützer_innen gegen jede Art von Verhütung und ganz massiv gegen jeden Schwangerschaftsabbruch. Damit sprechen sie Frauen das Recht am eigenen Körper ab und zwar grundsätzlich.

Kein noch so krasser Fall rechtfertig in ihren Augen einen Eingriff in Gottes Plan. So sagte z.B. in Anfang der 90er der Salzburger Erzbischoff Georg Eder: "Wird eine Frau nach einer Vergewaltigung schwanger, dann hat's ihr Spaß gemacht."(2)

Die Organisationen

Die „Lebensschützer“ kommen fast ausschließlich aus christlich-fundamentalistischen Kreisen aller Konfessionen. Sie organisieren sich in zahlreiche Gruppen, wie etwa Euro Pro Life, Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren oder auch Helfer für Gottes Kostbare Kinder.

Viele Lebensschützer kommen aus einem evangelikalen Kontext, allerdings sind sich die evangelischen Amtskirchen in ihren Positionen zum Thema Schwangerschaftsabbruch nicht einig. Die katholische Amtskirche ist dagegen einer der größten Unterstützer dieser Strömung.

So war z.B. der jetzige Papst Josef Ratzinger 1981 bis 2005 Präfekt der Heiligen Kongregation für Glaubensfragen, einem Gremium das bis 1908 Römische und Universale Inquisition hieß und bis heute massiv gegen Abtreibungen und Verhütung hetzt.
Neben obengenannten Organisationen gibt es auch diverse andere "Lebensschützer"-Organisationen, die nicht gleich als solche auffallen, um unter dem Deckmantel sachlich-neutraler Information die "Lebensschützer"-Ideologie zu verbreiten. Dazu gehören z.B. die Europäische Ärzte Aktion oder auch die Juristen-Vereinigung Lebensrecht.
Auch sind Lebensschützer_innen in vielen Parteien organisiert. Neben ihren eigenen Parteien wie der Christlichen Liga und der Christlichen Mitte sind sie auch in anderen Parteien vertreten und zum Teil auch organisiert, wie z.B. in der CDU/CSU bei den Christdemokraten für das Leben (CDL) oder in der FDP im Liberalen Gesprächskreis Lebensrecht. Aber Lebensschützer_innen und ihre Positionen lassen sich auch bei SPD und Grünen finden.

Offen bis ganz weit nach rechts

Wenn sich auch Lebensschützer_innen bis weit in der politischen Mitte finden lassen, so ist Ideologie doch ganz klar ziemlich weit rechts einzuordnen.
Mit der schon erwähnten patriachalen und heteronormativen Weltsicht gehen auch extrem rassistische, völkische und z.T. auch antisemitische Positionen einher.
Gerne wird vom Aussterben des Deutschen Volkes erzählt, wie z.B. der katholische Kardinal-von-Galen-Kreis 1991 in einem offenen Brief an den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble schrieb:

"Der Krieg gegen die Kinder bringt und jährlich Menschenverluste, die in der Größenordnung des Russlandfeldzuges liegen. Diese verluste werden durch Asylanten ausgeglichen. Diese erhalten soziale Zuwendungen, die wir durch die Tötung deutscher Kinder eingespart haben, ein Teufelskreis, der mit der Vernichtung unseres Volkes endet."2

Sehr gerne werden auch Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust gleichgesetzt, wie z.B. durch die oft verwendete Wortneuschöpfung Babycaust, oder Abtreibung werden gar schlimmer als der Nationalsozialismus dargestellt.
Die katholische Zeitung des Bistums Münster Kirche und Leben schrieb beispielsweise:
„Die Nazis haben ihren Massenmord immerhin noch mit einer Ideologie versehen. Es war nicht kaltherzige Ichsucht, wie etwa heute bei der Abtreibung. Diese Tötung aus rücksichtsloser Selbstsucht ist darum moralisch niedriger anzusetzen.
Nazis haben sich an unschuldigen Menschen ausgelassen, die weitgehend erwachsen waren und sich gegen das ihnen geschehene Unrecht empören konnten. Bei der Abtreibung (...) ungeborener Kinder, die kein Wort sprechen können (...) [ist] die Charakterlosigkeit noch niedriger anzusetzen als bei den Nationalsozialisten.“2
Als höhere Ideale betrachten die Lebensschützer_innen "Vaterland, Ehre, Keuscheit, gehorsam, Ein- und Unter-Ordnung unter das Volksganze und Opferbereitschaft, vor allem der Frau."(2)

So werden dann auch mal gerne Verschwörungstheorien gesponnen:

"Die Feinde Deutschlands versuchen nach dem Kriege durch die Zerstörung aller höheren Ideale wie vaterland, Ehre, Liebe, Glaube usw. den Agressionstrieb der Deutschen auszumerzen und sie in eine liberalistische Konsumgesellschaft (...) zu verwandeln."2
Wer diese Feinde sein sollen, wird allerdings nicht offen gesagt.

Böse Zungen sagen dazu:

"Der einzige Unterschied zwischen den Nazis und den Lebensschützern: Bei den einen heißt der Führer Adolf, bei den andern Jesus."

Die kapitalistische Realität

Laut §218 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch in der BRD immer noch rechtswidrig, auch wenn er inzwischen bis zur 12. Schwangerschaftswoche streffrei ist. Dafür ist allerdings jede schwangere Frau verpflichtet, sich einer Zwangsberatung zu unterziehen.
"Diese brandmarkt Frauen als potentiell verantwortungslos, unwissend und unmündig. Für Männer gibt es in keinem Zusammenhang einen vergleichbaren Zwang. Ein Beratungszwang ist in sich ein Paradox: es geht hierbei nicht um Information, denn diese wäre durch vielfältige, freiwillige Beratungsmöglichkeiten vermittelbar, sondern um die Reproduktion patriarchaler Kontrolle und der Festschreibung von geschlechtlichem Rollenverhalten."(3)

Kapitalistische Gesellschaften sind immer noch patriachal geprägt. Es herrscht immer noch überwiegend eine Arbeitsteilung mit reproduktiven Tätigkeiten für die Frau und produktiven Tätigkeiten für den Mann.

Einem schwangeren Körper wird die Individualität abgesprochen, die befruchtete Eizelle wie auch der Körper werden in den Dienst von Gott, Volk und Nation gestellt.
Somit reproduzieren die "Lebensschützer" - wenn auch ungleich schärfer - in ihrer Ideologie eben auch die kaptalistisch-patriachale Realität (was nicht heißen soll, dass es ohne den Kapitalismus zwangsläufig kein Patriachat gäbe).

Auftreten der "Lebensschützer"

Um ihre Ideologie durchzusetzen gehen die Lebensschützer_innen vielfältige wege. Neben Propagandaarbeit durch Broschüren, Plakate u.ä. und ihrem Wirken hinter den Kulissen treten sie auch immer mal wieder bewusst in die Öffentlichkeit. So stehen einige von ihnen in einigen Städten wie z.B. München täglich vor Kliniken in denen auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und terrorisieren Frauen die dort langkommen und möglicherweise in die Klinik gehen wollen. Die "Lebensschützer" nennen dies dann ganz euphemistisch Gehsteigberatung.

Ebenfalls wichtiges Element im öffentlichen Auftreten sind die sog. 1000-Kreuze-Märsche. Unter dem Motto 1000 Kreuze für das Leben führen sie regelmäßig Gebetsprozessionen in verschiedenen Städten durch, so z.B. am 25. Juli in Salzburg.

Dabei scheint es recht einfach zu sein, die Lebensschützer_innen schon mit kleinen Gegenaktionen zu provozieren.

Gerade in Österreich kam es in diesem Zusammenhang immer wieder zu Aktionen.[1] [2] [3]

Demnächst

Auch in näherer Zukunft wollen die "Lebensschützer" einige 1000-Kreuze-Märsche durchführen. Der nächste findet am 20. September in Berlin statt. Dazu hat sich auch bereits ein Gegenbündnis gebildet. In München findet ein solcher Marsch am 4. Oktober statt. Darauf mobilisieren übrigens auch die "Freien Nationalisten München" um Phillip Hasselbach.

Weitere Infos dazu und zu möglichen Gegenaktionen werden folgen.

Ebenfalls findet dann vom 3.-5. Oktober in München auch noch ein großer Kongress der "Lebensschützer" in der Residenz statt.

In der linken Blogsphäre kam es diesbezüglich zu einer Wette zwischen München und Berlin, wer die coolsten, kreativsten und größten Gegenaktionen aufstellt. [1] [2]

Anmerkungen

1) Wenn in diesem Kontext von Frauen gesprochen wird, ist ausschließlich das biologisches Geschlecht gemeint. Ganz klar werden Männer oder Frauen nicht als solche geboren, sonderen die sozialen Geschlechterrollen (Gender) mit ihren spezifischen Eigenschaften werden Menschen erst im Zuge der Sozialisation auferlegt.
2) zitiert nach oder aus Vorsicht Lebensschützer von Frauen gegen den §218 (Hg.), 1991, Konkret Literatur Verlag
3) aus Der Schwangerschaftabbruch gehört zum Leben dazu von Sarah Diehl

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien erstmalig bei Indymedia am 6.9.08.