Teil und Ganzes
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RelationsbegrifTe, mit deren Hilfe der Systemcharakter,
die hierarchische Ordnung und die Struktur der objektiven
Realität erfaßt werden. |
Das Verhältnis Teil und Ganzes hängt auf das engste mit
der Dialektik von Einheit und Vielheit, Einheit und
Mannigfaltigkeit, Element, Struktur und System zusammen.
Jedes Ganze ist eine Vielheit, insofern es sich aus
einer Menge von Teilen zusammensetzt, also
quantitativ bestimmt ist; jedes Ganze ist jedoch auch eine
Einheit, insofern es ein der quantitativen
Mannigfaltigkeit seiner Teile gegenüber relativ
eigenständiges Verhalten aufweist. Im Gegensatz zum
Mechanizismus, der letzte unteilbare Elemente der
Materie, also die Existenz von Dingen annimmt, die nur
Teile, nicht aber selbst auch Ganze sind, ist für den
dialektischen Materialismus die Dialektik von Teil und
Ganzem universell. Insofern die Teile Dinge sind,
sind sie selbst auch Ganzheiten und damit sowohl Einheit
von Mannigfaltigem als auch Vielheit von Einheiten. |
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So ist z.B. das Atom sowohl Teil als auch Ganzes; Teil in
bezug auf das Molekül, dem es angehört, Ganzes gegenüber seinen
Konstitutionselementen, den Neutronen, Elektronen usw. Ein Ding
kann als Teil immer nur in bezug auf ein bestimmtes System, ein
bestimmtes Ganzes definiert werden (x ist ein Teil von
St). Die Angabe des Bezugssystems ist unerläßlich, weil das
gleiche Ding in der Regel Teil mehrerer Systeme ist, wobei die
Eigenschaften, die das Ding als Teil in den verschiedenen
Systemen aufweist, nicht nur von seiner eigenen Beschaffenheit,
sondern auch von der Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Systems
abhängen (x wirkt in 5t vermöge seiner Eigenschaft o; i n
S2 vermöge seiner Eigenschaft b usw.). Kein Ding
kann jedoch Teil von jedem Ganzen sein, da es durch seine
dingspezifischen Eigenschaften nur für bestimmte Klassen von
Ganzheiten als Konstruktionselement geeignet ist (x ist
unverträglich mit S3, da es die Eigenschaft c
besitzt). Die Fähigkeit der Dinge, als Teile verschiedener
Klassen von Systemen aufzutreten bzw. nicht aufzutreten,
beweist, daß die Dinge selbst Systeme von Eigenschaften, also
Ganzheiten sind. Wie der Teil nur in bezug auf das Ganze, so
kann das Ganze nur in bezug auf seine Teile definiert werden:
durch die Menge, Art und Anordnung seiner Teile sowie durch die
damit gegebenen Relationen, also durch die Struktur. Das Ganze
ist damit seinem Wesen nach mehr als die Summe seiner Teile,
insofern durch die Struktur Leistungen und Verhaltensweisen
ermöglicht werden, die aus den Leistungen und Verhaltensweisen
der isolierten Teile nicht ableitbar sind. Es ist der Fehler
jeder idealistischen Ganzheitsphilosophie,
von dem aus der bloßen Menge der Teile nicht ableitbaren
Ganzheitsverhalten nicht auf die wechselseitige Abhängigkeit der
Teile als Erklärungsprinzip zurückzugreifen, sondern
transzendente (ideelle) Faktoren anzunehmen, die aus den Teilen
erst ein Ganzes bilden (Ganzheitstheorie, Holismus,
Vitalismus).
Nicht jedes Ding, das irgendwie in einem System enthalten
ist, kann deswegen schon als Teil dieses Systems betrachtet
werden. Als Teile können jeweils nur diejenigen Elemente bzw.
Subsysteme des Gesamtsystems bezeichnet
werden, aus deren wechselseitiger Anordnung und Abhängigkeit das
systemspezifische Verhalten resultiert. So sind Atome zwar Teile
der Moleküle, nicht aber im strengen Sinne Teile von Organen;
oder: Zellen sind Teile von Organen, nicht aber Teile des
Organismus. Aus der Nichtbeachtung der hierarchischen Ordnung
von Teil und Ganzem resultiert der Fehler jeglichen
Mechanizismus, für den das Atom (bzw. die jeweils gerade
erkannte kleinste Einheit der Materie) Teil jedes stofflichen
Gebildes ist und der daher alle anderen Realitätsbereiche auf
die Seins- und Bewegungsgesetze dieses Realitätsbereiches
reduziert und nivelliert, wodurch er eine materialistische
Erklärung der realen Ganzheiten unmöglich macht. Präzise
Vorstellungen über das Verhältnis von Teil und Ganzem hat in
jüngster Zeit vor allem die kybernetische Systemtheorie
entwickelt. O. Lange (Ganzheit und
Entwicklung in kybernetischer Sicht 1966) zeigt, daß Ganzheiten
höherer Ordnung aus mindestens zwei Systemen niederer Ordnung
bestehen, die durch mindestens eines ihrer Elemente miteinander
gekoppelt sind und die gegenüber dem System höherer Ordnung als
Teile füngieren. Jfe höher der Ordnungsgrad eines Systems, d.h.,
je mehr koordinierte und subordinierte Teilsysteme zusammen- und
einander entgegenwirken, desto ausgeprägter ist das
Ganzheitsverhalten eines Systems, in desto höherem Maße ist es
befähigt, Eigengesetzlichkeit sowohl gegenüber dem Verhalten
seiner Teile als auch gegenüber seiner Umgebung zu entwickeln.
Der Ganzheitscharakter eines dynamischen Systems wächst
proportional mit seinem Stabilitätsbereich.
Nimmt mit der Komplexität von Systemen einerseits deren
Ganzheitscharakter, ihre relative Selbständigkeit gegenüber den
Teilen zu, so können andererseits auch die Teile bzw.
Teilsysteme einen zunehmenden Grad an Selbständigkeit und
Unabhängigkeit voneinander erlangen. Multistabile Systeme sind
z.B. dadurch gekennzeichnet, daß sie gegenüber bestimmten
Störungen nicht als Ganzes, sondern durch bestimmte Teilsysteme
reagieren.
Die relative Selbständigkeit des Ganzen wie auch die seiner
Teile ergibt sich auch aus dem bereits
von aristoteles
festgestellten Merkmal von Ganzheiten, daß diese, im Gegensatz
zu bloßen Mengen oder Aggregaten, ihre Qualität nicht verändern
oder nicht zerstört werden, wenn sie eine einen bestimmten
Spielraum nicht überschreitende Menge von Teilen verlieren bzw.
sich um eine ebenfalls im Rahmen des Ganzheitsmaßes haltende
Menge von Teilen vermehren, oder wenn der verlorene bzw.
hinzutretende Teil für das Ganze nicht wesentlich ist. So kommt
es z.B. durch die Exstirpation bestimmter Teile des Gehirns, an
die bestimmte psychische Leistungen vorwiegend gebunden sind,
zwar vorübergehend zu deren Totalausfall, jedoch wird
nach und nach die ausgefallene Funktion durch andere Teile
ersetzt, so daß der alte Systemzustand - wenn auch häufig auf
insgesamt niedrigerem Niveau - wiederhergestellt wird. In diesem
Falle ist die Ganzheit durch Verlust von Teilen nicht zerstört
worden. Aber die Kompensationsfähigkeit des Gehirns hat sowohl
in quantitativer Hinsicht (die Menge der entfernten Teile kann
nicht beliebig groß sein) als auch in qualitativer Hinsicht (es
gibt Teile, deren Verlust nicht ersetzbar ist) ihre Grenze.
Der Zusammenhang zwischen den Kategorien «Ganzes» und «Maß»
zeigt, daß das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem der Dialektik
von Qualität und Quantität gehorcht.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde entnommen aus:
Buhr,
Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.1078f
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