Betrieb & Gewerkschaft

1 300 Schiffbauer in Wismar und Warnemünde vor die Tür gesetzt
Wadan-Werften an russischen Milliardär zum Mini-Preis verscherbelt


von Günther Wilke

09/09

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Der Jubel über den Verkauf der insolventen Wadan-Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde an den russischen Investor Igor Jussufow blieb den in der Gläubigerversammlung in Schwerin am Tisch Sitzenden, vor allem den Vertretern der Belegschaft und der IG Metall, offensichtlich im Halse stecken. Bereits einen Tag nach Unterzeichnung der Verträge warnte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering (SPD) vor Euphorie. Erst nach Fertigstellung der beiden großen Fährschiffe für die Stena-Line werde sich zeigen, welche neuen Aufträge geordert würden. Sellering weiß schon aus der jüngeren Geschichte der Werften, was von den Versprechungen russischer Investoren zu halten ist, Aufträge zum Bau von Eisbrechern oder Flüssiggas-Schiffen zu besorgen.

Für die lächerlich geringe Summe von 40,5 Millionen Euro übernahmen Jussufow und sein Sohn hochmoderne Betriebe, die sich im Spezialschiffbau Weltruhm erworben haben. Die alleinigen Kaufinteressenten sicherten die Weiterbeschäftigung von 1 200 Schiffbauern zu. Sie sollen nun erst einmal zwei Fährschiffe zu Ende bauen. Insolvenzverwalter Odebrecht war zuvor nach Oslo gefahren, um mit der Stena-Line zu verhandeln, die an der Fertigstellung der Schiffe schon gar nicht mehr interessiert war.

Das Werftensterben an Nord- und Ostsee ist unmittelbare Folge einer Schiffahrtskrise, von der der Chef der größten Seefrachtspedition der Welt, Kühne & Nagel, Reinhold Lange sagte: "Eine solche Krise hat es noch nie gegeben." Seit Beginn dieses Jahres herrscht Alarmstimmung an der Küste. Der Containerverkehr, der die gesamte Branche in euphorische Stimmung versetzte und Riesengewinne einfuhr, bricht zusammen. Er ist von einem auf den anderen Tag auf dramatische Weise rückläufig und dem zivilen Schiffbau droht in rasender Geschwindigkeit das Aus. Reedereien stornieren ihre Aufträge für Schiffsneubauten und nehmen fast fertig gebaute Schiffe nicht mehr ab. Hauptleidtragende sind Tausende von Werftarbeitern an Nord- und Ostseeküste, denen der Verlust ihrer Arbeitsplätze droht. Die Wadan-Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde gingen bereits am 31. Juli in Insolvenz. Aber auch in Hamburg will Thyssen-Krupp das Traditionsunternehmen von Blohm & Voss verkaufen, das mit seinen Helgen seit Jahrzehnten ein Wahrzeichen der Stadt und Anziehungspunkt von Millionen von Touristen ist.

Die UZ veröffentlichte in ihrer letzten Ausgabe auf Seite 1 ein Bild aus Wismar, auf dem Werftarbeiter ein Transparent mit der Losung zeigen: "Wismar ohne Werft ist wie Ostsee ohne Wasser". Ähnlich dramatisch formulierte es Hamburgs Wirtschaftsminister Axel Gedaschko für die Traditionswerft: "Der Name Blohm & Voss gehört zu Hamburg wie die Elbe. Es geht nicht an, dass sich im berühmten Trockendock ll Tauben einnisten, weil die Werft nicht mehr in Betrieb ist." Aber es geht an, weil niemand einen Ausweg sieht. Noch vor wenigen Monaten wurde immer mehr Frachtraum benötigt, immer gewaltigere Containerschiffe wurden gebaut, die Häfen wurden vergrößert, Hamburg wollte sogar ohne Rücksicht auf Folgen für die Umwelt die Elbe vertiefen, um mit Rotterdam um die Aufnahme noch größerer Schiffe zu konkurrieren. Das ist nun schlagartig vorbei. Der Containerumschlag in Hamburg ist im ersten Halbjahr 2009 um fast 30 Prozent zurückgegangen und die Frachtraten sinken weiter. Mit dem wichtigsten Handelspartner China ging der Containerverkehr um 26 Prozent zurück. Auch der Warenverkehr mit Russland per Container brach um fast 60 Prozent ein. Zu Boomzeiten wie im Jahre 2008 war Hamburg im Warenumschlag an die Spitze der europäischen Hafenstädte gerückt, nun fiel Deutschlands größter Hafen hinter Rotterdam und Antwerpen auf die dritte Stelle in Europa zurück.

Alle, die angesichts der enormen Profite, die im Containerverkehr geflossen sind, immer mehr und immer größere Schiffe bauten und die Hafenstädte unter Druck setzten, in die Erweiterung ihrer Hafenanlagen zu investieren, reagieren panikartig. Die Hamburger Hafen und Logistik AG gab im Juli ohne jede Vorwarnung ihren Terminal Lübeck auf und stellte ihn zum Verkauf. Noch folgenreicher ist die Situation an den Werftstandorten. Hier gehen inzwischen Leichenfledderer um. Sie kommen aus Russland und aus arabischen Ländern, um einzusacken, was noch irgendwie profitabel sein könnte. Skepsis war also die erste Reaktion, als der Insolvenzverwalter der Wadan-Werften, Odebrecht, triumphierend verkündete, ein russischer Investor namens Igor Jussufow wäre bereit, die Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde für die Summe von 40 Millionen Euro zu kaufen. Aber jeder fragte: Wer ist Jussufow oder wer steckt hinter ihm? Thyssen-Krupp ist als Mutterkonzern von Blohm & Voss im Gespräch mit nicht namentlich genannten arabischen Scheichs. Erst kürzlich hat sich Scheich Hamdam bin Zayed-al-Nathan aus Abu Dhabi bei der angeschlagenen Nobiskrug-Werft in Rendsburg eingekauft. Die Belegschaften werden bei der Verscherbelung der Werften außen vor gelassen, sie sitzen am Katzentisch. Dabei haben sie die Folgen zu tragen. Auf den Wadan-Werften sind zur Zeit noch 2 500 Menschen beschäftigt. 1 200 von ihnen will Jussufow übernehmen. Mehr als die Hälfte der Belegschaft wird für fünf Monate in eine Transfergesellschaft verschoben. Die meisten von ihnen haben keine berufliche Perspektive mehr.

Um diesem Geschäft zumal in der Wahlzeit den Anstrich einer gewissen Seriosität zu geben, wurde das Thema in der vergangenen Woche beim deutsch-russischen Gipfeltreffen zwischen Russlands Präsident Medwedew und Bundeskanzlerin Merkel thematisiert. Medwedew, der Jussufow aus gemeinsamer Zeit im Aufsichtsrat von Gazprom bestens kennt, betonte ausdrücklich, es handele sich um ein privates Geschäft von Jussufow und seinem Sohn, nicht um ein Engagement von Gazprom. Dennoch sei die Angelegenheit von "zwischenstaatlichem Interesse". Ebenso unverbindlich und nebulös ist Angela Merkels Äußerung zu werten, sie setze großes Vertrauen in den Investor Jussufow. Aber worauf gründet sich dieses Vertrauen? Jussufow war russischer Energieminister und sitzt heute im Aufsichtsrat von Gazprom. Das hört sich zunächst gut an. Für Gazprom wären 40, 5 Millionen Euro tatsächlich Peanuts. Aber es handelt sich nicht um ein Gazprom-Geschäft. Die IG Metall hatte ursprünglich gefragt, sie wolle genauer wissen, wer Herr Jussufow ist. Ob sie diese Information bekommen hat, ist nicht bekannt. Immerhin stimmte sie in der Gläubigerversammlung der Übernahme der Wadan-Werften durch Jussufow und Sohn zu. Sie sah keine Alternative.

Die Belegschaft der Wadan-Werften hat schon einmal mit einem russischen Investor unangenehme Erfahrungen gemacht. Der heißt Burlakow und hatte im Jahre 2007 die beiden Werften von dem norwegischen Aker-Konzern für 222,4 Millionen Euro gekauft. Er versprach vollmundig unter Beifall der erleichterten Schiffbauer, Aufträge im Volumen von 2,5 Milliarden Euro zu beschaffen.

Was er plastisch darstellte, schien plausibel zu sein. Russland brauche genau die Spezialschiffe, wie sie die hoch modernen Wadan-Werften bauten, zum Beispiel Transporter für verflüssigtes Erdgas und Eisbrecher. Aber kein Auftrag kam herein. "Es war nichts als kalte sibirische Luft, wohl nur ein kriminelles Versprechen", schrieb ein verärgerter Leserbriefschreiber in der Rostocker Ostsee-Zeitung. Übrigens hatte der neue Investor Jussufow schon beim Verkauf der Werften an Burlakow seine Finger mit im Spiel. Er war der Vermittler des Geschäfts. Heute sollen sich die beiden "spinnefeind" sein, hieß es. Jussufow musste von Burlakow abrücken, sonst hätte er bei der Belegschaft der Werften in Wismar und Warnemünde von Beginn an schlechte Karten gehabt.

Was Blohm & Voss angeht, befürchtet die IG Metall die Aufspaltung der Werft in zwei Teile, den zivilen und den militärischen Sektor, weil ein ausländischer Käufer nach derzeitiger Gesetzeslage für den Bau von Kriegsschiffen nicht in Frage käme. Von einem Umbau seines Schiffbauverbundes ist bei Thyssen-Krupp die Rede. Davon würden auch Kiel und Emden betroffen sein.

Bislang war die Schifffahrt der größte Profiteur der Globalisierung. Viele Unternehmen und Banken haben unglaublich hohe Gewinne gemacht. Jetzt, nachdem SOS gefunkt wird, gehen die Kapitäne als erste von Bord und bringen ihr angehäuftes Kapital in Sicherheit. Sie haben keine Hoffnung, das Schiff wieder flott zu bekommen. Was aus der Mannschaft wird, ist ihnen egal. Darum sollen sich Länder und Kommunen kümmern.

Ostsee-Werften in der DDR

An der Ostseeküste entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Wismar, Warnemünde und Stralsund große Werften, auf denen - wie auch in den schon vor 1945 vor allem für die Rüstung wichtigen Werften in Rostock und Peenemünde - seit 1946 über 5 000 See- und Binnenschiffe gebaut wurden: in mehr als 200 Typenausführungen für Kunden in 45 Ländern. Das Lloyds "Register of Shipping" wies für den Schiffbau der DDR bei Fischereifahrzeugen den 1. und bei Stückgutfrachtern den 2. bzw. 3. Platz im Weltschiffbau aus. Mehr als 90 Prozent aller Schiffsneubauten waren für den Export bestimmt; Hauptabnehmer war die Sowjetunion, die bis 1989 insgesamt 3 500 Schiffe gekauft hatte.

Folgende Seeschiffswerften gab es in der DDR:

Warnowerft, Warnemünde,
Mathias-Thesen-Werft, Wismar,
Volkswerft, Stralsund,
Neptunwerft, Rostock,
Peenewerft, Wolgast (Marine).

Im Norden der DDR war der Schiffbau strukturbestimmend. Etwa 56 000 Menschen arbeiteten 1987 in den Werften der DDR und den Zulieferbetrieben. Auf den Werften, wo zu DDR-Zeiten 34 000 Personen beschäftigt waren, schrumpften die Belegschaften bis zum Juli 1992 auf insgesamt nur noch 13 500. Damit hatten die ostdeutschen Werften in nur zwei Jahren einen Personalabbau hinnehmen müssen, wie er in vergleichbarer Größe in der westdeutschen Werftindustrie in 15 Jahren - zwischen 1974 und 1989 - stattgefunden hatte (Lexikon der Organisationen und Institutionen: Kombinate, S. 57. Digitale Bibliothek Band 32: Enzyklopädie der DDR, S. 8695. 1994. Rowohlt). Die Neptun-Werft in Rostock musste auf Grund von EU-Beschränkungen für den Schiffsneubau den Schiffsneubau ab 1991 einstellen.

Die Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde waren die beiden größten DDR-Werften an der Ostsee, die nach 1990 mit rund sieben Milliarden D-Mark saniert und modernisiert wurden. Mitte der 90er Jahre musste der Bund eine weitere Milliarde aufbringen, weil das Geld offenbar von der Bremer Vulkan für fremde Zwecke abgezweigt worden war. Danach gehörten die Werften für mehrere Jahre zum norwegischen Aker-Konzern.

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir von der Website der UZ