Theater zur Zeit
Die Aufführung "Wolokolamsker Chaussee" auf dem Gelände des Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst ist der prägnanteste Beitrag zur Geschichte der DDR

von Peter Nowak

09/09

trend
onlinezeitung

„Wolokolamsker Chaussee“ heißt die Verbindungsstraße, an der der deutsche Vormarsch auf Moskau im Zweiten Weltkrieg zum Stehen kam. Ihr Name diente Heiner Müller als Titel und Material für sein fünfteiliges Drama über das Absterben revolutionärer Energien – beginnend in den Wäldern vor Moskau über die Unruhen 1953 in der DDR und endend mit dem Prager Frühling 1968.

Das Stück ist lange nicht mehr aufgeführt worden. Umso erfreulicher, dass es nun im 60ten Jahr der DDR-Gründung wieder in Berlin zu sehen ist. Dann noch dazu an einem Ort, der nicht geeigneter sein könnte. Im Garten des Deutsch-Russischen Museums, dort wo noch die Panzer der Roten Armee zu sehen sind, die dem Naziterror ein Ende machten, wird das Drama der gescheiterten Revolution gegeben. Anders als der geschichtslose Zeitgeist und weismachen will, wird hier die DDR in den Zusammenhang einer internationalen Revolution gestellt, die alle Menschen befreien will und doch zu Druck und Repression greifen muss, um sich zu erhalten. Die erste Szene erinnerte an die Oktoberrevolution, der auch die Frauen emanzipierte, was auch mancher aus dem Bürgerkrieg zurückkehrenden Genossen gar nicht passte und von den Aktivistinnen des Frauenkomitees erst handgreiflich klargemacht werden musste.

Eine weitere Szene handelt vom Gewissenskonflikt eines Kommandanten der Roten Armee, der einen Soldaten, der sich selber verletzte, erschießen ließ. Der Tote wird ihm sein Leben und trotzdem ist er überzeugt, dass der Erschießungsbefehl notwendig war, damit sich aus einer Meute von Bauernsöhnen ein Bataillon bildet. Die Frage aber lautet, wie können Kämpfer für Gerechtigkeit und Emanzipation in einer Welt agieren, die Gerechtigkeit und Emanzipation nicht zulässt. Gerade in den Szenen die sich mit der Gründung und der Geschichte der DDR beschäftigen, wird diese Frage in unterschiedlicher Weise immer wieder gestellt werden. Einfache Antworten gibt es nicht. Die handelnden Kommunisten werden nicht distanziert, die Oppositionellen nicht zu Freiheitshelden verklärt. Das wird besonders in den Szenen deutlich, die sich um die Opposition rund um den 17.Juni 1953 drehen. Es wird gezeigt, dass nicht wenige der Arbeiter, die da auf die Straße gehen, längst nicht nur für eine Senkung der Arbeitsnormen protestieren. Manche der Parolen gegen die „russischen Besatzer“ und die „roten Russenknechte“ machen nur zu deutlich, dass es sich bei den Handelnden um Menschen handelte, die 12 Jahre nazistische Ideologie verinnerlicht hatten. Wenn es dann in dem Stück heißt, dass die Genossen durch das Eingreifen der russischen Panzer zum zweiten Mal geboren wurden, ist das keine Floskel. Das NS-Regime war nicht durch einen Aufstand der deutschen Bevölkerung gestürzt wurden. Die Rote Armee befreite die wenigen Antifaschisten in Deutschland aus den KZs und half ihnen, in einen Teil Deutschlands Staat zu machen. Ein Teil der Staatsbürger hatte bis zum Ende des NS alles getan, um diese Antifaschisten zu jagen und unschädlich zu machen. Da brauchte es oft nicht einmal eines direkten Befehles. Das hatten die willigen Vollstrecker verinnerlicht. Um den 17.Juni brach der Hass gegen die Roten dann wieder aus und nur die russischen Panzer waren dann tatsächlich für die wenigen Kommunisten erneut der Lebensretter.

Von Berthold Brecht ist nach dem 17.Juni 1953 das Bonmot überliefert, die SED müsse sich ein anderes Volk wählen. Es wird in der Regel als Kritik an der Partei gewertet. Es kann aber auch als Kritik an einem Volk verstanden werden, dass nur wenige Jahre, nach dem es am weiteren Judenmord und Kommunistenjagen gewaltsam gehindert wurde, ihr Mütchen an den wenigen Antifaschisten kühlen wollte, die es tatsächlich nicht verdient haben, dieses Volk zu regieren. In dem Stück von Heiner Müller spielt die NS-Vergangenheit in verschiedenen Szenen eine wichtige Rolle, wenn schramme Parteigenossen sich an ihre Jahre im KZ und im Untergrund während des NS-Systems erinnern. Dabei hat Müller keine DDR-Verklärung sondern eine Erklärung im Sinn. Immer wieder wird deutlich, dass die massiven Abweichungen von dem Ziel der Gerechtigkeit und Emanzipation einen hohen Preis hat. Der Sozialismus selber steht zur Disposition. Gerade bei der Szene, die sich um den Prager Frühling dreht, wird das sehr deutlich. Hier ist anders als in den 50er Jahren, wo als Arbeiterverräter beschimpfte Bestarbeiter erklärten, so wie wir heute arbeiten, leben wir morgen“ und damit die alte Utopie der Arbeiterbewegung reaktivierten, keine Bewegung mehr feststellbar, nur noch Stillstand und Stagnation. So ist das Stück, auch wenn es mit dem Prager Frühling endet, auch ein Stück über das Ende der DDR. Aber eins, das nicht vom Ende her denkt. Die DDR eingebettet, in einen internationalen Kampf der Arbeiterbewegung mit all ihren Schwächen und Fehlern, die Utopien, die viele Menschen mobilisierten, aber auch der Hass, der gespeist aus brauner Propaganda dieses Projekt von Anfang an begleitete wird hier ebenso sichtbar, wie das Scheitern der sozialistischen Utopie an den Verhältnissen. Das Stück wirft einen anderen Blick auf die DDR und ihre eröffnet. Es kann im Jubiläumsjahr mit seinen vielen didaktischen Shows und Veranstaltungen einen Kontrapunkt setzen.

Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüm: Thomas Schuster
Musikalische Leitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Daniel Dumont, Jörg Mihan
Choreografie: Valerie Kroener
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Björn Pätz
Regieassistenz: Carolin Forkel
Kostümassistenz: Anne Schaper-Jesussek
Technik: Peter&Paul
Licht/Technik: Falk Windmüller, Robert Zimmermann
Grafik: Alexander Atanassow

Premiere:  3. September 2009 um 19.30 Uhr
Vorstellungen:  4., 5., 6., 9., 10., 11., 12. und 13. September 2009
um 19.30 Uhr

Deutsch-Russisches Museum
Berlin-Karlshorst
Zwieseler Straße 4/
Ecke Rheinsteinstraße
D-10318 Berlin

Fon: +49 (0)30-50 15 08 10
Mail: kontakt@museum-karlshorst.de

http://www.museum-karlshorst.de/

 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor.