Es muss schon ziemlich ärgerlich für einen Autoren sein, wenn er einen Artikel für ein Monatsblatt schreibt, aber ihm noch vor Veröffentlichung alle “Fakten” um die Ohren fliegen. So geschehen dem Amateur-Schiedsrichter Alex Feuerherdt. Als ich vor etwa einem Monat seinen Artikel “Narrenschiffe” in der KONKRET 7/2010 las, konnte ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. “Knieschuss!”, hätte man auch sagen können.

Die Freude währte aber nur kurz. Denn wahrscheinlich würden beträchtliche Teile der Leserschaft es gar nicht registrieren, dass Leute wie Max Blumenthal, Lia Tarachansky, Iara Lee oder auch die Obduktion der Toten durch das Justizministerium der Türkei große Teile der israelischen “Fakten” als das entlarvt hatten, was sie waren: Lügen. Diese Leser haben in der Regel lediglich die deutschen Pressestimmen und vielleicht noch Feuerherdts oder einen anderen unkritischen Artikel zur Erstürmung der Mavi Marmara gelesen. Dass sich die in der KONKRET publizierten ”Fakten” aber als ein großes Theaterstück herausstellen würden, werden viele dann doch nicht mehr mitbekommen haben.

Niemand kann sich in der heutigen Informationsflut mit Tausenden von Quellen versorgen. Dies wusste auch die israelische Armee, die mehrere Tage fast ungestört ihre Version verbreiten konnte, ohne dass die wenigen Aufnahmen und Zeugen, die Gegenteiliges belegten, in den Medien groß dazwischenfunkten. Der Bilderkrieg war damit zu guten Teilen für die eigene Seite entschieden worden.

Als dann immer mehr von dem ans Tageslicht kam, was sich dort abgespielt hatte, verschwanden diese “Fakten” einfach aus der Argumentation sowohl der israelischen Regierungssprecher, als auch der Artikel von Apologeten der israelischen Politik. Nicht umsonst findet sich über die von Feuerherdt in der KONKRET noch lautstark rausposaunten “Fakten” in seinem neuen Beitrag für die Jungle World (31/2010) kein einziges Wort mehr. Bevor wir uns also seinem neuesten Paukenschlag mit dem zynischen Titel “Humantität als Camouflage” widmen, wollen wir uns noch mal seinen Konkret-Artikel zu Gemüte führen.

Alex Feuerherdt ist uns ja bekannt als jemand, der behauptet, die Siedlungen mit ihren 500.000 Kolonisten, die Besatzungstruppen, die Checkpoints, die tief in das palästinensische Staatsgebiet einschneidende Grenze in Form einer Mauer und eines Hochsicherheitszauns, die Olivenbaumrodungen und Hauszerstörungen, der Wasserkonflikt, das geraubte Land, die dauerhafte Repression jeglichen Widerstandes, sei er nun bewaffnet oder unbewaffnet: dies sei alles kein Grund für den Konflikt. Das Problem sei nur, dass die Araber die Existenz Israels nicht anerkännten und Palästina oder wenigstens die Westbank “judenrein” machen wollten.(1)

Hasabara

Halten wir uns daher nicht lange mit der opulenten Polemik zu Beginn des Artikels auf, die einem ernsthaft glauben machen will, die reißerischen Titel deutscher Internetnachrichten hätten etwas mit der schlechten Bewertung Lenas durch Israel zu tun, sondern bleiben wir bei Feuerherdts “harten” Fakten. Feuerherdt schreibt, nachdem er die Reaktion der deutschen Teilnehmer zitiert hat (die ja eigentlich gar nichts mitbekommen haben könnten, weil sie unter Deck waren):

Zwischenzeitlich hatte die israelische Armee allerdings erste Videos freigegeben, die darauf schließen ließen, dass es mit der Gewaltfreiheit an Board der »Mavi Marmara« nicht allzuweit her war. Während die anderen fünf Schiffe ohne nennenswerten Widerstand der Passagiere aufgebracht werden konnten, zeigte das Filmmaterial, wie auf dem sechsten und größten des Konvois zahlreiche Männer israelische Soldaten nach deren Abseilen aus einem Hubschrauber mit Eisenstangen, Äxten und Messern traktierten und einen Soldaten über Bord warfen. [...] Dass die Soldaten in Notwehr gehandelt haben könnten, weil sie bei der Einnahme des Schiffes vehement angegriffen wurden, schlossen die Politiker aus [...].

Notwehr sei es also gewesen, auch wenn Feuerherdt das nicht selbst behauptet, sondern nur als Möglichkeit in den Raum stellt, um die deutschen Linksparteipolitiker anhand des durch die Videoausschnitte geweckten Verdachts öffentlich vorzuführen. Die Frage, warum das israelische Militär nicht die ganzen Aufnahmen der Erstürmung zeigte, von Beginn bis zu Ende, stellte er dabei allerdings nicht. Immerhin hatte die IDF doch Computer, Videokameras und Fotoapparate von mehreren hundert Personen beschlagnahmt. Nach der späteren Rekonstruktion des Geschehens spielte sich die Erstürmung denn auch etwas anders ab, als uns Feuerherdt hier weismachen will.

  • Die israelische Marine fing das Boot weit in internationalen Gewässern ab. Da es stockdunkel war und man eine Konfrontation inmitten der Nacht vermeiden wollte, drehte die Flotte nach Westen ab, weg von Gaza.(2)

  • Israelische Soldaten auf Schlauchbooten attackierten die Mavi Marmara, nachdem sie sich ihr genähert hatten. Sie benutzten dabei Paintball- und Gummimantelgeschosse, Geräusch- und Tränengasgranaten. Viele der Zeugen sprachen auch von scharfer Munition. Die Leute auf dem Schiff antworteten mit Flaschenwürfen. Dies berichten nicht nur zahlreiche Augenzeugen(3), es ist auch alles eindeutig auf den von Iara Lee und ihrem Kameramann von Bord geschmuggelten Videoaufnahmen zu sehen.(4)

  • Noch bevor die ersten israelischen Soldaten sich auf das Deck des Schiffes abseilten, wurden zwei Männer vom Hubschrauber aus mit scharfer Munition erschossen.(5)

  • Als dann die ersten drei Soldaten auf das Deck gelangten, wurden sie überwältigt und unter Deck gebracht, wo man sie behandelte. Ken O’Keefe(6) berichtet, wie er bei der Entwaffnung mitwirkte.(7) Anschließend wurden die Waffen von den Aktivisten über Bord geworfen.(8)

  • Die zweite Welle der Soldaten begann dann abermals, das Feuer auf die Aktivisten zu eröffnen, sobald sie auf dem Deck des Schiffes angelangt war. Der Soldat, der auf das untere Deck geworfen wurde, hatte zuvor bereits sechs Aktivisten an- oder erschossen. Er wurde dafür später ausgezeichnet.(9)

  • Nachdem das Schiff längst erobert und der Widerstand gebrochen war, baten die Passagiere um Hilfe für die Verletzten. Diese wurde schlicht verwehrt; drei weitere Aktivisten starben.(10)

  • Ein immer wiederkehrendes Argument ist, dass die anderen Schiffe, auf denen keine IHH-Aktivisten an Bord waren, ohne Widerstand aufgebracht wurden. Die Wirklichkeit sieht anders aus: vier andere Schiffe wurden ebenfalls mit Einsatz von Gummigeschossen, Tränen- und Geräuschgranaten sowie Elektroschockern gestürmt. Einige Zeugen berichteten, dass man nach dem zuerst erfolgten Angriff auf die Mavi Marmara über Funk gehört hatte, dass die israelische Armee mehrere Menschen getötet habe und darum fast jeglichen Widerstand vermied. Mehrere Passagiere wurden dennoch verletzt.(11)

  • Ein weiteres Video wurde von der Mavi Marmara geschmuggelt, das die Exekution eines am Boden liegenden Mannes zeigt.(12)

  • Der Obduktionsbericht des türkischen Justizministeriums demonstrierte, dass z.B. der jüngste Tote, der US-Amerikaner Furkan Dogan, mehrere Schüsse in das Gesicht und den Hinterkopf und weitere in die Brust und in die Beine erhalten hatte. Andere, wie der Kameramann Cevdet wurden ebenfalls mit Kopfschüssen getötet; mehrere wiesen Schüsse in den Rücken auf.(13)

  • Viele der danach inhaftierten Passagiere berichteten von Folterungen.(14)

  • Das israelische Militär präsentierte sofort nach der Erstürmung zahlreiche aufgesammelte Gegenstände, die auf einem solchen großen Schiff naturgemäß zu finden sind, unterschiedslos als Tatwaffen: neben den eingesetzten Eisenstangen, die aus der Reling geschnitten wurden, unter anderen auch alle auftreibbaren Küchenmesser. Und dies alles schön gepaart mit grünen Fahnen sowie ein oder zwei Kufiyas. Sehr martialisch, einen Normalbürger sicherlich Angst und Schrecken einjagend. Dies hatte teils höhnisches Gelächter in der Bloggersphäre zur Folge. Ein Blogger kramte alles aus seinem Haus zusammen, was es an Messern, Äxten und Metallstangen gab und machte ein Bild davon. Aber die Welt hatte sofort ihre Schuldigen, ist doch das israelische Militär aus der Propaganda für seinen “schonenden” Umgang mit Menschenleben bekannt. Besonders absurd ist jedoch, dass die Angreifer mit den scharfen Waffen ausgerechnet von solchen Linken verteidigt wurden, die über Polizeigewalt losplärren, wenn ein deutscher Cop auch nur hustet.

  • Die IDF veröffentlichte über einen Artikel in der Haaretz ein Bild von einem Beduinen, der einen Dolch in der Hand hielt. Erst wurde behauptet, dass dieses Bild während des Angriffs auf die Flotte aufgenommen wurde und somit den Einsatz von Messern beweise. Nachdem diese Lüge von Max Blumenthal als solche entlarvt worden war, änderte die Haaretz stillschweigend ihre Bildunterschrift, obwohl tausende Menschen sie bereits gelesen hatten.(15)

  • Die Behauptung der IDF, die Aktivisten hätten auf die Soldaten das Feuer eröffnet, und ebenso die Zeugenaussage des Helden Sgt. S., der 6 Menschen erschoss, dass er einen Kameraden mit Bauchschuss und einen anderen mit Knieschuss auf dem Deck vorgefunden hätte(16) (dabei waren die überwältigten Soldaten längst unter Deck gebracht), verschwanden ebenfalls bald stillschweigend aus dem Beweisrepertoire, wurden aber nie offiziell widerrufen.

  • Als nächstes behauptete die IDF, auf dem Schiff seien Al-Quaida-Terroristen gewesen. Als Max Blumenthal nach Beweisen fragte, wurde ihm gesagt, man habe keine, und die offizielle Seite der IDF wurde abgeändert.(17)

  • Schließlich wurde ein Clip veröffentlicht, auf dem angeblich ein Funkspruch der Gaza-Flotte an die israelische Marine zu hören war und das beweisen sollte, dass jemand den Israelis “Go back to Auschwitz” erwidert habe. – Antisemitismus, die stärkste PR-Waffe Israels. Der Clip stellte sich jeodch als überwiegend frisiert heraus. Wiederum war es unter anderen Blumenthal zu verdanken, dass sich die IDF in Widersprüche verstrickte und am Ende zugeben musste, dass man an dem Clip herumgespielt hatte.(18)

Welche Gaza-Blockade?

Feuerherdt versucht aber nicht nur, die Realität während der Erstürmung der Mavi Marmara auf den Kopf zu stellen, sondern auch die der Blockade Gazas. Empört stellt er fest:

Daß es bei der Mission vor allem darum, »Israels Blockade zu brechen« – die die Aktivisten für illegal halten – und nicht so sehr, »humanitäre Güter zu liefern«, hatte bereits einige Tage vor den Auseinandersetzungen auf der »Mavi Marmara« eine der maßgeblichen Organisatorinnen von »Free Gaza«, Greta Berlin, deutlich gemacht. Deshalb widersetzten sich die Schiffe der »Friedensflotte« auch den mehrmaligen Aufforderungen der israelischen Marine, Kurs auf die Stadt Ashdod zu nehmen und die Fracht – die teilweise aus wertlosen Gütern wie abgelaufenen Medikamenten bestand (ein Sachverhalt, der weltweit skandalisiert worden wäre, wenn Israel ihn zu verantworten hätte) – dort den israelischen Behörden zu übergeben, damit sie auf dem Landweg in den Gazastreifen hätten transportiert werden können.

Einerseits ist es banal zu zeigen, dass es der Gaza-Flotte nicht nur darum gegangen ist, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Natürlich war es von Beginn an das erklärte Ziel, die Blockade zu brechen oder aber wenigstens zu mildern. Und zum Ärger von Leuten wie Feuerherdt hat die Flotte genau dies erreicht. Was nun aber andererseits das Angebot angeht, dass Israel die Güter nach einer Überprüfung an Gaza überstellen würde, so hatten die Aktivisten aus langer Erfahrung genügend Gründe, den Willen dieses Staates anzuzweifeln. Denn fast alle der Güter, die auf der Flotte transportiert wurden, waren solche, deren Transfer Israel ständig verweigert oder verzögert hatte. Erlaubt waren nur Güter, die essenziell für das Überleben der Menschen waren. Nicht mehr, nicht weniger.(19)

Feuerherdt schreibt darüber hinaus weiter:

Dabei hat es einen leicht nachvollziehbaren Grund, daß Israel das Anlaufen der Häfen von Gaza verhindert und an den Grenzen zum Gazastreifen zudem strenge Kontrollen eingerichtet hat: Auf diese Weise soll der Nachschub von Waffen und anderen Kriegsgeräten an die Hamas verhindert werden; Lieferungen werden darum von den israelischen Behörden sorgsam geprüft, bevor sie zum Weitertransport freigegeben werden. Im vergangenen Jahr gelangten rund 738.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen, das sind mehr als 2000 Tonnen pro Tag. [...] Die Grundversorgung der Bevölkerung ist im übrigen sichergestellt; es gibt weder eine Hungersnot, noch droht die vielbeschworene »humanitäre Katastrophe«.

Man kommt freilich nicht umhin, sich zu fragen, was Koriander, Spielzeug, Papier, Rollstühle, Pasta oder eine der anderen vielen nicht erlaubten Güter mit Waffen zu tun haben.(20) Es ging Israel viel weniger darum, Waffentransporte zu verhindern, als vielmehr die Bevölkerung zu bestrafen.(21)

Lange vor der Aktion der Gaza-Flotte veröffentlichte Sara Roy im Januar einen höchst lesenswerten Artikel auf der Seite von The Nation.(22) Darin zeigte sie auf, dass Gaza am Tag 400 Lastwagenladungen an Essen benötige. Israel lasse aber nur durchschnittlich 25 Ladungen am Tag passieren.(23) Der UN zufolge seien 75-80% der Bevölkerung Gazas auf die Hilfslieferungen angewiesen.(24) 90% der Menschen hätten zudem keinen Zugang zu sauberen Wasser, da Israel das Abwassersystem während des “Gaza-Kriegs” zerstört hatte und sich weigere, Materialien zuzulassen, damit dieses repariert werden könnten.(25) Nirgendwo in der Welt sei eine so große Anzahl von Menschen für eine so lange Zeit abhängig von nitratverseuchtem Wasser gewesen, was vor allem für Kinder gefährlich ist (etwa die Hälfte der Gaza-Bevölkerung ist unter 18 Jahren).  10-15% der unter 5-Jährigen  leiden inzwischen an Fehl- und Mangelernährung.(26) Hunderte warten darauf, aus Gaza ausreisen zu dürfen, damit sie operiert werden können. An der Verweigerung dieser Erlaubnis starben laut Gideon Levy bis zum 20. Mai bereits 28 Menschen.(27) Die Weltgesundheitsorganisation warnte im Frühjahr, dass das Gesundheitssystem Gazas kurz vor dem Kollaps stehe.(28) Und als Israel 2008/2009 Gaza zerbombte, dabei 1400 Menschen ums Leben kamen und mehr als 5000 teilweise schwerst verletzt wurden,(29) war nicht ein einziger Staat in der Lage, ein Krankenschiff für die Opfer zu entsenden.(30) Seit Jahren durfte kaum noch jemand ein- oder ausreisen. Gefangen in einem Käfig.

Aber, wie Feuerherdt so schön sagt: eine humanitäre Krise ist weit und breit nicht zu erkennen!

Ein Experte für Internationales Recht

Aber Feuerherdt geht noch weiter. Wo sonst die Gegner von Staat und Nation das Recht (national oder international) einer umfassenden Kritik unterwerfen, ist es gerade Feuerherdt, der nun ein solches bemühen will:

Nach internationalem Recht ist eine Seeblockade prinzipiell zulässig, wenn sich ein Staat, der sich in einem bewaffneten internationalen (sic!) Konflikt befindet, durch sie die Einfuhr von Kriegsgerät an den Gegner effektiv verhindern kann, sie vorher bekannt gemacht hat, sie auf Schiffe aller Staaten gleichermaßen anwendet und die Zivilbevölkerung des blockierten Landes nicht in dem Maße beeinträchtigt (sic!), das in keinem Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil steht. Besteht der begründete Verdacht, daß ein Schiff die Blockade durchbrechen will, darf es dem maßgeblichen San-Remo-Handbuch zufolge nach einer erfolglosen Aufforderung zur Kursänderung aufgebracht werden, auch in internationalen Gewässern.

Gegen alle respektierten Quellen wie amnesty international, Human Rights Watch, dem Roten Kreuz oder der UN legt Alex Feuerherdt dar, es gäbe keine humanitäre Katastrophe in Gaza, um dann die Blockade als durch internationales Recht gedeckt zu behaupten. So einfach? Mitnichten!

Sehen wir erst einmal von der Doppelmoral ab, dass hier jemand internationales Recht bemüht, um das vermeintlich mit diesem in Einklang stehende Vorgehen Israels zu rechtfertigen, während er alle Rechtsbrüche und Nichtbeachtungen Israels ständig gutheißt oder verleugnet: Der Status von Gaza und der Westbank ist der eines besetzten Gebietes. Als besetztes Gebiet gilt jedes Territorium, über das eine Besatzungsmacht die effektive Kontrolle ausübt. Das ist im Falle Gazas eindeutig der Fall. Israel kontrolliert die Grenzen, den Seezugang, den Luftraum, die Importe und Exporte.(31) Zudem hat Israel Gaza ja auch nie als eigenständigen Staat anerkannt, selbst wenn seine Abtrennung von der Westbank eines der Ziele israelischer Politik ist.(32) Als Besatzer hat Israel aber laut der Vierten Genfer Konvention die Pflicht, die Bevölkerung zu versorgen.(33) Was Israel also tut, ist, die Bevölkerung in Gaza einer kollektiven Bestrafung zu unterziehen,(34) und dies ungeachtet der Tatsache, dass die Unterstützung für die Hamas gerade einmal bei 30% liegt.(35) Fehlt aber der “internationale Konflikt” zwischen zwei unabhängigen Staaten und ist eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung nicht gegeben, dann kann auch das von Feuerherdt bemühte San-Remo-Handbuch die Situation für Israel nicht mehr retten. Feuerherdt macht sich nur noch lächerlich, wenn er am Ende internationales Recht für Israel in die Bresche springen lässt.

Was bleibt noch von den “harten Fakten”, die uns Feuerherdt fast einen Monat nach dem Vorfall wider besseres Wissen präsentierte? Bis auf den Umstand, dass die IHH angebliche Verbindungen zur Hamas unterhält (dazu gleich mehr), nicht allzu viel.

Feuerherdts “Camouflage” in der Jungle World

Die letzte Möglichkeit, die linke Moral dann doch noch am Schopfe zu packen, ist die Herstellung einer Verbindung zwischen der IHH, der Hamas und der BBP.(36) Und hier kann man durchaus sagen, dass sich die Aktivisten in ihrem Anliegen sowohl durch die türkische Regierung als auch die Hamas und die IHH zumindest teilweise haben instrumentalisieren lassen. Denn getrennt davon, ob die IHH wirklich ein guter Freund der BBP ist oder aber einfach nur mit jeder der großen Parteien, also auch der AKP, kooperiert, müssen sich Gruppen und Aktivisten kritisieren lassen, die eine Zusammenarbeit mit denjenigen unterstützen, welche zur gleichen Zeit Linke, Gewerkschafter oder eben auch Menschen verfolgen, die aus irgendeinem Grund nicht in ihr sonstiges Weltbild passen. Aber darum geht es weder Feuerherdt, Bozic, Mauser, noch den anderen “Kritikern” der Menschenrechtler und linken Aktivisten an Bord der Gaza-Flotte. Es verhält sich ja keineswegs so, dass sie vor einer Zusammenarbeit warnen, damit zukünftig ohne Islamisten oder Faschisten versucht wird, den Menschen in Gaza oder der Westbank zu helfen, wie es zum Beispiel die sich gerade neu aufstellende Friedensbewegung in Ostjerusalem versucht, wo die Vertreibung arabischer Familien aus dem Stadtviertel Sheikh Jarrah der israelischen Linken in ihrem Kampf gegen die Okkupation neuen Auftrieb beschert.(37) Nein, den Autoren geht es einzig darum, diese Linken zu diffamieren, um jegliche Aktivität, die sich gegen die Besatzung und die Siedlungen richtet, möglichst wirksam zu untergraben. Absurd dabei ist, dass sie als “Linke” andere Linke daran blamieren wollen, dass diese mit Faschisten oder Islamisten zusammenarbeiten, während man sich selber zum Sprachrohr einer rechten bis rechtsextremen Regierung macht. Aber zu ihrer Ehrenrettung muss man immerhin sagen: es sind nur jüdische Faschisten und keine islamischen.

Fazit

Eigentlich sollte man annehmen, dass Linke oder Kommunisten (oder als was auch immer sich die Macher von KONKRET und Jungle World öffentlich bezeichnen) alles daran setzen, dass Menschen nebeneinander und miteinander leben könnten und darum genau jene, die sich für einen Frieden in diesem endlosen Konflikt einsetzen, unterstützen. Aber nicht so Alex Feuerherdt. Während in Israel und den besetzten Gebieten Leute, die nach Dialog und Annäherung suchen und gemeinsam gegen die Besatzung kämpfen (früher nannte man solche Gestalten in der Linken Genossen), sowohl von Israel als auch der Hamas und Fatah unterdrückt, in Gefängnisse geworfen, gefoltert und ermordet werden, entzieht die deutsche “Szene”linke(38) diesen Menschen  nicht nur jegliche Solidarität und Hoffnung und überlässt sie dabei ihrem Schicksal. Sie bestärkt die israelische Seite vielmehr auch noch darin, dass diese einen gerechten Kampf führe, wenn sie mehr und mehr Siedler im Westjordanland ansiedelt, eigene kritische Stimmen unterdrückt und jegliche Regung der anderen Seite sofort blutig niederschlägt. Vor allem die immer weiter fortschreitende Unterdrückung der eigenen Opposition ist ein Ausdruck dafür, wie die israelische Gesellschaft mehr und mehr nach rechts abdriftet.(39) Hat man früher die gegenseitigen Nazivergleiche innerhalb der israelischen Politik noch als reine Polemiken abtun können, lassen sich die heute selbst von Leuten wie Olmert und Barak ausgegebenen Warnungen, dass ohne baldigen Frieden auch die Demokratie gefährdet sei(40), nicht mehr ganz so leicht beseite schieben. Aber jeglicher Ruf seitens der diesem Wahnsinn unterworfenen palästinensischen Zivilgesellschaft und der israelischen Linken; jegliche warnende Stimme auch aus der jüdischen Diaspora – alles verhallt  hierzulande ungehört, da sich deutsche Linke in falscher Solidarität hinter Hetzern wie Feuerherdt einreihen. Der Kampf gegen die Besatzung und für einen gerechten Frieden für Araber und Juden, sei es über den Weg einer Ein- oder einer Zweistaatenlösung, kann darum nur bedeutet, dass sich die Linke hier darüber bewusst wird, dass ein Frieden niemals erreicht wird, indem man einer von zwei Konfliktparteien die Daumen drückt. Denn es besteht auch im Kapitalismus keine zwingende Notwendigkeit dafür, dass sich zwei konkrete Menschengruppen gegenseitig an die Gurgel gehen. Es gibt mehr als nur eine friedliche Grenze in der Welt. Anheizer, wie sie nur zu oft in der KONKRET oder Jungle World zu Wort kommen, gehören darum inhaltlich auf Dauer bekämpft, tragen sie doch ihren Teil dazu bei, dass Israelis und Palästinenser nicht zur Ruhe kommen. Nennen wir das Kind also beim Namen: Mit Araberhassern und Antisemiten, wie Feuerherdt einer ist, muss politisch endlich gebrochen werden.

Anmerkungen
  1. Siehe sein Artikel “Ein ›judenreines‹ Palästina?” in der KONKRET 4/10.
  2. http://aliabunimah.posterous.com/
  3. Stellvertretend für viele: Sümeyye Ertekin – “First, they appeared as shadows” in: “Midnight on the Mavi Marmara” Seite 54
  4.  http://aliabunimah.posterous.com/
  5.  http://aliabunimah.posterous.com/
  6. Persönlich halte ich Ken O’Keefe für ziemlich verrückt, wenn man bedenkt, dass er sich im Irakkrieg als lebendes Schutzschild zur Verfügung stellte.
  7. http://kenokeefe.wordpress.com/
  8. Als einen Beleg unter vielen siehe: http://www.irishtimes.com
  9.  http://www.israelnationalnews.com/
  10. Für viele andere: Haneen Zoabi – “Freeing Gaza; liberating ourselves”, in: “Midnight on the Mavi Marmara, Seite 70 oder http://blogs.aljazeera.net
  11.  http://www.freegaza.org  oder http://www.guardian.co. oder http://www.faz.net/s/
  12. http://www.richardsilverstein.com
  13.  http://schmok.blogsport.eu/  und zu Cevdet: Lubna Masarwa – “From ‘48 to Gaza” in: “Midnight on the Mavi Marmara”, Seite 43 oder http://socialistworker.org/
  14.  http://www.todayszaman.com/  oder http://www.telegraph.co.uk
  15.  http://maxblumenthal.com
  16.  http://www.jpost.com/Israel/Article.aspx?id=177445
  17. Max Blumenthal – “The israeli media’s flotilla fail” in “Midnight on the Mavi Marmara”, Seite 187; siehe auch http://maxblumenthal.com/
  18. http://maxblumenthal.com
  19. Eine Liste mit den verbotenen und nun erlaubten Gütern (Positiv-Liste) kann hier eingesehen werden: http://gisha.org
  20.  http://www.haaretz.com/
  21.  http://schmok.blogsport.eu
  22.  http://www.thenation.com/article/gaza-treading-shards
  23. Dies lässt sich alles sehr gut anhand einer UN-Seite nachvollziehen, die alle Lieferungen an Gaza auflistet, nachvollziehen: http://www.ochaopt.org/GazaCrossings.aspx
  24. Vor 10 Jahren waren es noch 30%, überwiegend Bewohner der Flüchtlingscamps in Gaza []
  25.  http://www.ochaopt.org
  26. siehe Sara Roy und http://www.independent.co.uk
  27.  http://www.haaretz.com/
  28.  http://www.who.int
  29. Was alles zerstört wurde:  http://www.amnesty.org
  30.  http://english.aljazeera.net
  31.  http://www.lawofwar.org/Occupation.htm
  32.  http://www.usatoday.com
  33.  http://www.bds-info.ch/
  34.  http://www.icrc.org/
  35.  http://www.haaretz.com/
  36. Die BBP ist eine faschistische Partei in der Türkei mit engen Verbindungen zu den Grauen Wölfen.
  37.  http://prospect.org
  38. Eine Linke, die es dann auch unglaublich aufregend findet, sich an israelischen Stränden zu räkeln oder mal einen Abenteuertrip nach Hebron unternehmen.
  39. Neben der wöchentlichen Gewalt der Armee oder Grenzpolizei gegen die friedlichen Demonstrationen aus der Westbank und aus Israel, wurde jetzt auch ein Gesetz gegen Boykottunterstützer verabschiedet: http://www.jmcc.org/news.aspx?id=1066
  40. Barak: http://en.trend.az/regions/met/israel/1631754.html  oder zu Olmert: http://www.telegraph.co.uk

Editorische Anmerkungen
Der  Artikel wurde erstveröffentlicht am 16.8.2010 bei http://schmok.blogsport.eu
Wir wurden vom Autor um Zweitveröffentlichung gebeten.