Aufstieg und Fall der deutschen Arbeiterbewegung

von Vadim Riga

09/10

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„…wenn es sich darum handelt, sich genau Rechenschaft abzulegen über die Strikes, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen, so werden die einen von einer wirklichen Furcht befallen, während die anderen eine transzendentale Geringschätzung an den Tag legen.“ (Karl Marx zum Dilemma von Experten und Strategen) 1

Wir Deutsche sollten erkennen, was wir an dem schon Erreichten haben … und wir sollten den Beitrag der Gewerkschaften dazu erkennen und zu schätzen wissen." (Horst Köhler ohne Furcht und Geringschätzung zum 60. Geburtstag des DGB) 2

Einleitung: Gewerkschaften in der Krise

Klassen kämpfen nicht um eine Mission zu erfüllen oder eine Theorie zu verwirklichen. Sie kämpfen um Missstände aus dem Weg zu räumen, die für die betroffenen Klassen nicht mehr zu ertragen sind.3

Im Bewusstsein vieler Lohnabhängiger nehmen die Gewerkschaften in den Klassenkonflikten nach wie vor einen großen Raum ein. Die Funktion, welche sich die Gewerkschaften nach außen selbst zuschreiben, und die, welche sie tatsächlich einnehmen, liegen dabei oft weit auseinander. Der Mythos von der „Macht der Gewerkschaften“ spukt ungeachtet dessen in den Köpfen von einigen Linken, deren Wunschdenken sich dadurch ebenfalls im Widerspruch zu den Realitäten zu bewegen scheint. Dennoch: Völlig gleichgültig ob Klassenkämpfe mit, ohne oder gar gegen die Gewerkschaften geführt werden, die Lohnabhängigen können die Gewerkschaften augenscheinlich nicht ignorieren, sondern sind vielmehr ständig aufgefordert sich zu ihnen zu verhalten.

Für die Klasse der Kapitaleigner und Kapitalverwalter gilt all dies ebenfalls. Völlig gleichgültig ob dieser oder jener Bourgeois, diese oder jene Kapitalfraktion das so oder so beurteilt. Mit den Gewerkschaften stehen den Kapitalisten immerhin Geschäftspartner gegenüber. In der Welt des Kapitals kann ein „Sozialpartner“ nichts anderes sein als ein Geschäftspartner. Deren Angebote, attraktiv oder nicht, sind in diesem Verhältnis also kaum zu umgehen. Schon deshalb nicht, da sich zumindest während der allgemeinen Tarifverhandlungen zwischen den Verbänden der Unternehmer und den Gewerkschaften, wenn auch ungleiche, so doch echte Marktkartelle entgegen treten. Die zentrale Aufgabe der Gewerkschaften ist und bleibt daher die Bildung von Angebotskartellen für den Verkauf der Ware Arbeitskraft. Die Gewerkschaften sind aufgefordert sich darum zu bemühen den Erlös aus den Verkauf dieser Ware zu möglichst günstigen Konditionen für deren Anbieter auszuhandeln. Bei vollständiger Akzeptanz gegenüber den Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt, sowie dem Lohnsystem als solches. Können die Gewerkschaften diesen Job für die Arbeitskraftverkäufer nicht befriedigend erfüllen, weil sie entweder Korrupt oder Schwach oder beides sind, dann geben sie sich unweigerlich einer strukturelle Krise hin. Die Gewerkschaften sind Bestandteil des Marktes, Preis- Leistungsregulator auf dem Arbeitsmarkt und damit Ordnungsfaktor des Kapitals. Andernfalls sind sie ohne jede Bedeutung für das Kapital und dessen wichtigste Protagonisten, also den Käufern und Verkäufern der Arbeitskraft.

Schaut man auf die deutschen Zustände, kann man den Eindruck gewinnen, dass diese derzeit geeignet sind die einst so mächtige sozialdemokratische Einheitsgewerkschaft allmählich in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Dabei war der DGB augenscheinlich noch bis Mitte der 1970er Jahre tief im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit verstrickt. Ganz so wie es sich für einen Ordnungsfaktor im Kapitalismus gehört: Eingeklemmt im Korsett aus Staat, Ideologie und sich einander nackt gegenüberstehenden ökonomischen Interessen, aber seinerzeit noch zusätzlich herausgefordert von selbstbewussten Belegschaften großer Betriebe und ganzer Branchen. Die Welle von Arbeitskämpfen, welche 1969 für deutsche Verhältnisse gewaltige Ausmaße annahm (Septemberstreiks), konnte sich bis 1973 noch einmal erneut hochschaukeln. Den Gewerkschaften gelang es nach einigen gescheiterten Anläufen die „wilden“ Streiks zu bändigen, und auf dieser Welle regelrecht zu surfen. Dementsprechend blieben die Tarifabschlüsse Mitte der 70er Jahre, nach eigener Auskunft des DGB, bis heute die besten in dessen Geschichte.4 Und das trotz einer handfesten Überproduktionskrise aufgrund eines enormen Schubs in der Entwicklung der Produktivkräfte.5 Das bescherte dem DGB zunächst einen beachtenswerten Mitgliederzuwachs. Kein Wunder also, dass in den 70er Jahren so mancher brave Marxist stolz mit Zitaten aus alter Zeit hausieren ging, wie zum Beispiel dieses: „Ohne den Widerstand durch die Gewerkschaften erhält der Arbeiter nicht einmal das, was ihm nach den Regeln des Lohnsystems zusteht. Nur die Furcht vor den Gewerkschaften kann den Kapitalisten zwingen, dem Arbeiter den vollen Marktwert seiner Arbeitskraft zu zahlen.“6 Heute stellt sich das Spektakel um die „Macht der Gewerkschaften“ anders dar. Das Drama ist zur Tragödie geworden, die alljährlich am 1. Mai zelebriert wird. Es nervt nur noch wenn die DGB-Führung die rituellen Maiparaden abnimmt und durch die Sonntagsreden sozialdemokratischer Prominenz ausschmückten lässt. Meistens ohne das sich ein angemessener Protest aus den Reihen der Demonstranten erhebt. Dann ist einem zumute als ob man die x-te Wiederholung eines alten Films anschauen muss, der vor langer Zeit spannend oder interessant zu sein schien, um nun festzustellen, dass dieser Film einfach fade ist. Weil das alles weder in die heutige Zeit zu passen scheint, noch zu den eigenen Ansprüchen, welche sich mit der Zeit weiterentwickelt haben oder aber mit der Zeit abgewickelt wurden. Die Inszenierung dieses müden Spektakels ist dennoch angemessen und die Botschaft ist deutlich: Schaut her, so sind wir, und wir sind billig zu haben!7

Die Bourgeoisie scheint die Gewerkschaften überhaupt nicht mehr ernst zu nehmen. Sie führt sie an der Leine, oder sie führt sie vor. Und das unverhüllter denn je. Dementsprechend verhalten sich die Lohnabhängigen misstrauisch, im bestem Falle enttäuscht, meistens jedoch - also vor allem außerhalb von Arbeitskämpfen - nur gleichgültig gegenüber „ihrer“ Gewerkschaft. Wer bezahlt schon gerne Manager die einem keinen Ertrag mehr einbringen? Es kann also niemanden überraschen, dass die Massen dem DGB schon seit längerer Zeit den Rücken zudrehen. Und zwar so offensichtlich und massiv, dass diese Art „Arbeiterbewegung bereits die ökonomische und politische Substanz ihrer eigenen Bürokratie merklich unterhöhlt. Gesicht verloren? - Kasse leer?8

Das ist das Ereignis:

Während der 1950er,- und 60er Jahre bewegte sich der Stand der Mitglieder in den DGB – Gewerkschaften relativ konstant um die 6 Millionen. Ab Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre steigerte sich die Mitgliederzahl auf 8 Millionen, um dann zunächst langsam wieder abzusinken. Die großen Kämpfe waren vorbei, die Restauration hatte sich eingestellt, die Krise nahm ihren Lauf, und die Lohnarbeitslosigkeit wurde wieder zur gesellschaftlichen Normalität. Für die Lohnabhängigen war offenbar nicht mehr viel rauszuholen. Ab Anfang der 90er Jahre ging mit der Einverleibung der ehemaligen DDR in den westdeutschen Staat auch die Einverleibung des FDGB in die Bürokratie des DGB einher - mit samt seinen zwangsrekrutierten Mitgliedern. Dadurch erreichte der DGB einen stolzen Mitgliederstand, der sich, allerdings nur für kurze Zeit, an der 12Millionengrenze bewegte. Doch von da an ging’s bergab. Innerhalb von 10 Jahren rutschte die Mitgliederstatistik wieder unterhalb von 7 Millionen. Danach ging es mit einem Mitgliederschwund von Jährlich in bis zu sechsstelliger Höhe weiter, um heute wieder beim Stand der 1950er Jahre anzukommen.9 Allerdings ist hier festzuhalten, dass unter Berücksichtigung der hinzugekommenen Lohnabhängigen aus Ostdeutschland das zahlenmäßige Niveau der Mitgliederbasis des DGB heute prozentual noch unterhalb der 50er Jahre bewegt. Das bedeutet u. a., dass der DGB, rein rechnerisch betrachtet, heute nicht mal mehr 15% der beschäftigten Lohnabhängigen in Deutschland vertritt. Noch weniger, wenn man die prekär Beschäftigten, sowie die staatlich alimentierten Lohnabhängigen (Erwerbslose, Rentner…), mit einbezieht, die ohnehin nicht Klientel des DGB sind, deren Anzahl jedoch beständig zunimmt. Nimmt man obendrein noch die Karteileichen des DGB als solche zu Kenntnis, dann steht es um den Vertretungsanspruch denkbar schlecht. Mittlerweile erfreut sich die Gewerkschaftsbürokratie deshalb unter Überschriften wie „Es geht voran“ selbst an armselige Minusmeldungen wie dieser: „…den DGB-Gewerkschaften (ist es) gelungen, den… Mitgliederrückgang zu halbieren… Und die GEW konnte sogar ein Mitgliederplus erzielen.“10 Dass dieses „Mitgliederplus“ der GEW u. a. auf Kosten von ver.di zustande kam wird vornehm verschwiegen. Wie überhaupt unter den Tisch gekehrt wird, dass die verschiedenen Einzelgewerkschaften des DGB sich nicht nur gegenüber anderen Gewerkschaftsverbänden (Cockpit, GdL, Conterm usw.) in einem handfesten wirtschaftlichem Konkurrenzverhältnis begegnen, sondern seit längerem vermehrt auch untereinander.11

Mitten in diese interne Gewerkschaftskrise platzten im Winter 2008 die Kreditblasen an den Finanzmärkten und trieben den darunter liegenden Eiter einer gewaltigen, seit Jahrzehnten unterschwellig wuchernden Weltwirtschaftskrise an die Oberfläche der Gesellschaft. Die Gewerkschaften befinden sich spätestens von da an im doppelten Sinne in der Krise. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass sich der Absturz des DGB dadurch vorerst noch mehr beschleunigt, denn deren Vertreter sind nun noch weniger Willens und in der Lage ein Management im Sinne ihrer Klientel am Arbeitsmarkt zu leisten. Das Zustandekommen sämtlicher Tarifabschlüsse der letzten Jahre bestätigt dies. Der „Co-Manager“ ist auf das Niveau eines Co-Moderators, eines Pausenclowns zwischen den Krisenmeldungen herabgesunken, und bekommt für sein bloßes ab nicken sämtlicher Ansprüche des Kapitals lediglich noch ein Prosit am runden Tisch und manchmal ein Lob in den Medien zugesprochen. Häufig wird er nicht mal mehr namentlich erwähnt. Für den gemeinsamen Besuch im Puff von Rio auf Kosten des Hauses reicht die „Sozialpartnerschaft“ wahrscheinlich auch nicht mehr aus.

Die Mehrheit der Lohnabhängigen glaubt offenbar, dass sie all das tatenlos hinnehmen muss. Der Mangel an Zutrauen in die eigenen Kräfte scheint jedenfalls recht verbreitet, denn die Liste kampflos abgewickelter Belegschaften erweitert sich im rasanten Tempo. Es steht den Lohnabhängigen derzeit augenscheinlich keine greifbare Alternative zur Verfügung, die dem Elend der Gewerkschaften ein Ende bereiten könnte. Außer der Gedanke an die soziale Revolution – die zwar nicht greifbar, aber immerhin eine Alternative ist. Ein Zustand also, der die Kapitaleigner und Kapitalverwalter gleichermaßen beunruhigen sollte wie die Lohnabhängigen. Wohl aus demselben Grund, welcher im System der Lohnarbeit selbst zu finden ist, aber dennoch mit unterschiedlichen Begründungen. Schon wegen der unterschiedlichen Geschäftsinteressen und Ausgangsbedingungen auf beiden Seiten. Vor allem aber wegen der möglichen unterschiedlichen Zukunftsperspektiven, da bei all dem die Möglichkeit folgenreicher sozialer Unruhen nicht ausgeschlossen werden kann. So kommt es auch, dass der bürgerliche Staat, egal unter welcher Parteiflagge er gerade segelt, sich sichtlich darum bemüht dem DGB, wo immer dies möglich ist, propagandistisch unter die Arme zu greifen. Ganz im Gegensatz zu den Anfängen der Gewerkschaftsbewegung, als die Arbeiter ihr Koalitionsrecht noch unter großen Aufopferungen gegen den Staat durchsetzen mussten. Ob die „Hilfe von Oben“ dem DGB auf Dauer aus der Misere heraushelfen kann ist anzuzweifeln. Zu tief sitzen der Staat, und mit ihm alle relevanten gesellschaftlichen Institutionen derzeit selbst in der Misere. Nicht nur laufen den Gewerkschaften die Werktätigen, sondern zugleich dem Parlament die Wähler, den Amtskirchen die Gläubigen, den Jugendverbänden der Nachwuchs und den Parteien die Genossen davon. All das zusammen darf man getrost eine allgemeine und umfangreiche gesellschaftspolitische Krise nennen. Der Umstand, dass der allgemeine Zerfall der gesellschaftlichen Institutionen zusammenfällt mit einer Weltwirtschaftskrise ist unbedingt zur Kenntnis zu nehmen, wenn man daran interessiert ist sich „wirklich Rechenschaft abzulegen“ über die Grenzen und Möglichkeiten der sozialen Bewegungen unserer Zeit. Unter welchen Umständen kann die Krise dazu beitragen, dass „die Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen“ können? Unter welchen Umständen beschleunigt und vertieft die Krise auf der anderen Seite die Konkurrenz unter den Proletarisierten, und treibt sie weiter in den Sumpf des Kapitals und in die eigene Niederlage? Das sind die Fragestellungen, die der Verlauf der Geschichte erneut auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Aufstieg und Fall der Gewerkschaftsbewegung ist weder in Deutschland noch anderswo ein gradliniger Weg. Und bis dato zeichnet sich keinerlei vorhersehbares Ende dieses Weges ab. Nur Spekulanten beschäftigen sich deshalb mit der Frage wann und wie die Gewerkschaften an ihr verdientes historisches Ende kommen. Hier ist vielmehr von Interesse, wie sie an den Punkt gekommen sind, an dem sie jetzt stehen, bzw. fallen. Solche Fragestellungen dienen unmittelbar den Verteidigungskämpfen der Lohnabhängigen, die sich in heutigen Zeiten eigentlich keine großen Umwege mehr leisten können um sich zu verteidigen, und deshalb darauf angewiesen wären, sich Klarheit über den bisher eingeschlagenen Weg zu verschaffen.

Faust oder Bettelhand?

Die modernen Proletarier nahmen schon sehr früh die Gelegenheit wahr, von der Bourgeoisie folgendes zu lernen: Um die eigenen Interessen in der Gesellschaft durchsetzen zu können, müssen sie ihre Konkurrenz untereinander stets aufs Neue überwinden. Weil das Konkurrenzprinzip jedoch die Lebensader des Kapitals bleibt, ist jede bloße Kartellbildung zur Behauptung der eigenen ökonomischen Ansprüche an das Kapital an sich schon ein Systemwiderspruch. Egal welche Waren, Arbeitskraft, Öl, Waffen, Gemüse…, durch ein Kartell vertrieben werden: Kartelle werden (darum) stets durch die bürgerlichen Gesetze in ihren Handlungen eingeschränkt oder verboten. Durch die zeitweilige Aufhebung ihrer Konkurrenz untereinander, mittels ihrer Solidarität im Kampf, stellen sich die Lohnabhängigen folglich immer wieder in einen unüberbrückbaren Widerspruch zum Kapital – dessen Welt die Welt der Trennung ist. Sie tun dies im vollen Bewusstsein darüber, dass diese Solidarität eine vorübergehende, und zugleich eine fortwährende bleibt. So formieren sie sich fortwährend, aber jeweils vorübergehend zu Kollektiven, die für sich selbst in Bewegung kommen. Zwar glaubte Marx schon während der Anfänge der Gewerkschaftsbewegung „…nachgewiesen zu haben, dass ... die Kämpfe der Lohnarbeiter um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, dass in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebenen Werts der Arbeit sind und dass die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen“,12 aber er und seine Mitstreiter beobachteten auch, dass sich in den Kämpfen ein Klassenbewusstsein herausbildet. Zunächst als Bewusstsein der lohnabhängigen Individuen über ihre vom Kapitalverhältnis aufgezwungene Zugehörigkeit zu einem sozialen Kollektiv. Dies musste auf Seiten der Lohnabhängigen unweigerlich zu dem Bedürfnis werden, diesem Bewusstsein eine permanente Ausdrucksform zu geben. Sie schufen Kartelle: Syndikate, Gewerkschaften, Vereine, Parteien. So gerieten sie bald nicht mehr nur mit den einzelnen Kapitalisten aneinander, die zu dieser Zeit noch kaum über eigene Verbände zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen am Arbeitsmarkt verfügten, sondern zunehmend auch mit dem bürgerlichen Staat. Was notwendig den Politisierungsprozess in der Gesellschaft voran trieb. Die Arbeiterbewegung war auf die Bühne der Geschichte getreten (worden).

Die Radikalität mit der die Klassenkämpfe seinerzeit ausgetragen wurden, sowie das um sich greifende, in einzelnen Forderungen und Losungen der Bewegung sichtbar werdende Bedürfnis, sich vom allgemeinen Joch der Lohnarbeit zu befreien, veranlasste Marx zu der optimistischen Einschätzung: „Handelte es sich bei den Gewerkschaften wirklich nur um das, worum es sich zu handeln scheint, nämlich um die Bestimmung des Arbeitslohns, (und) wäre das Verhältnis von Arbeit und Kapital ein ewiges, so würden diese Koalitionen an der Notwendigkeit der Dinge erfolglos scheitern. Aber sie sind das Mittel der Vereinigung der Arbeiterklasse, der Vorbereitung zum Sturz der ganzen alten Gesellschaft mit ihren Klassengegensätzen.“13 Zwar ist heute immer noch anzuzweifeln, dass das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit ein ewiges bleibt, jedoch besteht es zweifellos eine gefühlte Ewigkeit. Aus dieser durchaus seiner Zeit angemessenen Hypothese von Marx wurde im Laufe der Zeit das scheinbar zeitlose, in Wirklichkeit jedoch unhistorische Dogma von den „Gewerkschaften als Schulen des Klassenkampfes“. Dass sich damals durch die Gewerkschaften und Arbeiterparteien, die sich zunehmend als Einheit präsentieren konnten, für die Lohnabhängigen tatsächlich eine permanente Möglichkeit auftat sich als Klasse zu formieren und ein Bewusstsein ihrer Lage zu erlangen bleibt unbestritten. Der überlieferte Verlauf der Kämpfe selbst, aber auch die kulturellen Errungenschaften des Proletariats dieser Zeit – die Hebung des allgemeinen Bildungsniveau, die Bildung von großen sozialen Zusammenhängen mit einem eigenem, der bürgerlichen Welt gegenüber stehenden Welt-, und Menschenbild, sowie einen selbstbewussten sozialen und kulturellen Habitus – legen davon Zeugnis ab. Marx Gedankensprung von der nüchternen Analyse der wirklichen Funktion der Gewerkschaften im Kapitalismus, zur Hypothese von einer möglichen, darüber hinausweisenden Funktion wird vor diesem historischen Hintergrund nachvollziehbar. Mehr noch: Die Fragen, die sich uns heute stellen in Bezug auf die Klassenkämpfe, die Gewerkschaften, den kulturellen Zustand sowie die ökonomische und politische Zusammensetzung der Klasse der Lohnabhängigen, kurz der heutigen Politik, sind für uns zwar „…nur in der Perspektive einer radikalen Veränderung der Gesellschaft denkbar; (aber) das Projekt einer solchen Veränderung ist historisch hervorgetreten, artikuliert und formuliert worden in der und durch die Geschichte der Arbeiterbewegung.“14 Das alles entbindet uns jedoch nicht davon zu all den konservierten Dogmen und Legenden auf Distanz zu gehen, welche uns aus der Arbeiterbewegung überliefert sind.

Während sich die Arbeiterbewegung in England und Frankreich in mehreren Interwallen von Klassenkämpfen präsentierten, die sich hin und wieder zu Revolten, bis hin zur Bildung der ersten Kommune erhoben, und dabei ihre diversen Koalitionen und Parteien hervorbrachten, vollzog sich, quasi als Fehlleistung preußischer Tugenden, in den Kämpfen in Deutschland ein vergleichsweise beispielhaft disziplinierter und kontinuierlicher Einigungsprozess in der Klasse. 1875, vier Jahre nach der Gründung des deutschen Nationalstaates und der Zerschlagung der Pariser Kommune mit Hilfe der preußischen Armee, vereinigten sich die beiden relevanten deutschen Arbeiterparteien - der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) um Ferdinand Lassalle und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP – die sog. Eisenacher) um Wilhelm Liebknecht und August Bebel zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAPD), die ab 1890 als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) auftritt. Der ADAV, dessen Vorläufer schon vor der Märzrevolution 1848 bedeutende betriebliche Kämpfe organisieren konnten, brachte jede Menge Vernetzungen verschiedener Berufsorganisation mit in die neue Partei. Dieser ADAV war geprägt von den Vorstellungen einer „gerechte Arbeitswelt“ und einer „politisch gleichberechtigten“ Stellung des „Arbeiterstandes“ innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Die „Eisenacher“ hingegen verfolgten offen das Ziel der Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei orientierten sie sich am kommunistischen Manifest von 1848 und an den zugänglichen theoretischen Errungenschaften der Internationalen Arbeiter Assoziation (1. Internationale). Was die beiden Strömungen zusammenbrachte war weniger der Prozess einer inhaltlichen Auseinandersetzung, hin zu einer kohärenten Theorie auf der Höhe ihrer Zeit, sowie einer Strategie für die Praxis im Klassenkampf. Obwohl darum mit Sicherheit gerungen wurde. Vielmehr war es die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung durch den preußischen Staat, der die beiden Arbeiterparteien zusammen führte.15 Die zunehmende Politisierung und Vereinheitlichung der Kämpfe im eigenen Land, und das Beispiel der Kommune von Paris vor Augen, reagierte der preußische Staat bald mit harten Repressionen gegen die neue Partei. Die Bühne des „rein“ ökonomischen Kampfes hatte die Arbeiterbewegung in Deutschland zu dieser Zeit längst verlassen. Ihre oppositionelle Haltung zum Deutsch-Französischen Krieg und ihre Sympathiekundgebungen mit der Kommune konfrontierte die Bewegung immer wieder mit der Staatsgewalt. Das alles hinderte die Arbeiter jedoch nicht daran ihre Bewegung ständig auszudehnen und weiter zu vereinigen. Was dann (ab 1878) folgte war eine Reihe von Gesetzgebungen, die unter dem Namen „Sozialistengesetze“ in die Geschichte eingingen, und einen bis dahin nicht gekannten Staatsterror gegen die Arbeiterbewegung zur Folge hatte. Im Kern beinhalteten diese Gesetze das Verbot sozialdemokratischer Tätigkeiten außerhalb des Parlamentes. Was faktisch darauf hinaus lief die Einheit zwischen Arbeiterpartei und Gewerkschaften, also den politischen Kampf der Klasse, zu zerschlagen. Die SPD war zu diesem Zeitpunkt nicht bloß parlamentarische Vertretung und Ort der politischen Debatte, sondern zugleich das strukturelle Zentrum der Arbeiterbewegung. Weil auf der anderen Seite die Berufsverbände selbst noch keine einheitliche Organisation für sich geschaffen hatten, lief deren Vernetzung noch wesentlich über die Strukturen der Partei. Dieser kluge Schachzug des Staates, namentlich des Reichskanzlers Bismarck, wirkte dementsprechend nachhaltig. Die Einengung der SPD auf ihre parlamentarische Tätigkeit brachte die Parteispitze und die Parlamentsfraktion nach und nach unter die Fittiche der Herrschenden. Zugleich wurden die einzelnen Berufsverbände, sofern sie überhaupt zugelassen waren, auf ihren rein ökonomischen Zweck reduziert. Dies blieb, trotz unzähliger Versuche diverser Generationen von Linken und Linksradikalen das Ruder wieder herum zu reißen, eine Wesenseigenschaft der Gewerkschaften.

Seinerzeit war die Sozialdemokratie dennoch stark im Aufwind, da dem Reformismus weitaus mehr in Richtung tatsächlicher Verbesserungen für die Lebensbedingungen der Lohnarbeiter zugetraut werden konnte.16 Ganz im Gegensatz zu heute, da für die meisten Lohnabhängigen, spätestens seit der letzten SPD-Regentschaft, schon der Begriff „Reform“ als pure Bedrohung gelten muss. Zwar gab es innerhalb der Partei bereits damals Kritik an die Zugeständnisse gegenüber dem Klassengegner, insbesondere von den revolutionären Kräften, welche sich der Theorie von Marx und Engels oder anarchistischen Ideen verschrieben hatten, aber in ihrer Mehrheit wurden die Arbeiter dadurch weder zu „Marxisten“ noch zu „Bakunisten“, sondern blieben Lassalleaner. Die Angst vor dem Verlust ihrer erkämpften Errungenschaften, sowie vor Illegalität und Verfolgung war schlicht und einfach stärker als der Drang eine Mission für die Menschheit zu erfüllen. Der Reformismus wurde bald zur Raison innerhalb der Arbeiterbewegung, und das Programm der Reformisten erschien überall umso erfolgversprechender und durchsetzbarer, je mehr der Kapitalismus sich entfalten konnte. Faktisch gingen mit dem Verbot der sozialistischen Propaganda in Deutschland spürbare Verbesserungen für die Lohnabhängigen bezüglich der Sozialgesetzgebungen und der Hebung des Lebensstandards einher. Zwar waren auch all das letztendlich die Resultate von aufopferungsvollen Arbeitskämpfen - aber eben Kämpfe, in denen bewusst nicht um eine andere Gesellschaft gerungen wurde. Für das Ziel der Befreiung von der Lohnarbeit wurde von den meisten Arbeiterführern zunächst ein langer Weg der Reformen prognostiziert, um schließlich den Weg selbst zum Ziel zu erklären. Unter dem Eindruck der vom Staat über 12 Jahre repressiv durchgesetzten Entpolitisierung der Arbeitskämpfe wurde durch Carl Legien, am 14. März 1892 - zwei Jahre nach dem Fall der Sozialistengesetze, die Gründungskonferenz der „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ in Halberstadt einberufen. Damit gaben sich die seinerzeit mitgliederstärksten Gewerkschaften den ersten Dachverband im Deutschen Reich, aus dem 1919 der „Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund“ (ADGB) hervorging.

Innerhalb der Arbeiterbewegung in Deutschland vollzog sich vor diesem Hintergrund der erste nachhaltige Bruch zwischen der Mehrheit der organisierten deutschen Lohnarbeiter und ihren revolutionären Minderheiten. Viele dieser „Radikalen“ wurden in den kommenden Jahrzehnten in mehreren Schüben aus der Partei ausgeschlossen oder verließen diese aus freien Stücken. Die Faust der Einheit öffnete sich, und streckte sich allmählich als Bettelhand der Herrschaft entgegen. Rudolf Rocker, der seinerzeit noch zur Opposition innerhalb der Sozialdemokratie gehörte, erinnert sich: „Eines aber hatte das Sozialistengesetz fertig gebracht. Es hatte während den Jahren der Verfolgung den freien Meinungsausdruck, der nur in öffentlichen Bewegungen möglich ist, völlig gelähmt und den parlamentarischen Führern der Partei, die in der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages eine natürliche Stütze besaßen, eine Macht in die Hände gespielt, die sie vor dem Sozialistengesetzt nie besessen hatten.“ Und weiter: „Zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, ob zwischen dem Despotismus einzelner Machthaber, und dem einer fanatisierten Masse, die eine Sache blindlings verdammt, von der die meisten gar keine Ahnung hatten, überhaupt ein Unterschied zu finden sei.“17 Mit der „Sache“ die von der Masse „blindlings verdammt“ wurde, obwohl die Meisten davon „gar keine Ahnung hatten“, meinte Rocker nichts Geringeres als die soziale Revolution. Rocker macht an dieser Stelle mehr als deutlich, dass die „Massen“ sich seinerzeit offenbar nicht im Widerspruch zu ihren „Führern“ befanden. Innerhalb der Partei wurde die Debatte um die Funktion des Parlamentarismus, neben der Gewerkschaftsfrage, alsbald zum Dauerbrenner. Dies führte schließlich zum besagten Bruch zwischen Reformern und Radikalen, die zugleich die Trennung zwischen der Mehrheit der Arbeiterbewegung und ihren revolutionären Minderheiten bis auf weiteres festschreiben sollte.

Innerhalb der Gewerkschaftsorganisationen wurde der Kampf gegen die Entpolitisierung weiter geführt. Unmittelbar nach der Gründung des ersten gewerkschaftlichen Dachverbandes gingen linke Gewerkschafter offen in Opposition zu dessen Führung. Dies machte sich während des Vereinigungsprozesses vor allem an der Debatte über die Organisationsform fest. In den Zeiten der Illegalität hatte sich ein Geflecht aus sozialdemokratischen Vertrauensleuten gebildet, welches die Verbindung zwischen den einzelnen Betrieben, Branchen-, und Lokalorganisationen aufrecht erhielt, und dadurch in der Lage war hier und dort ausbrechende Kämpfe zu vernetzen und auszudehnen, oder aber zumindest einen Nachrichtenfluss zwischen den Arbeitern zu gewährleisten. Der neue gewerkschaftliche Zentralismus, der unter der Führung Carl Legiens schließlich durchgesetzt wurde, stieß auf den Widerstand etlicher Vertrauensleute und einiger Lokalorganisationen. Denn „diese zentrale Verbandsform war im Rahmen der bestehenden Vereinsgesetze nur möglich bei völligem Verzicht auf politische Tätigkeit, bei entschlossener Selbstbeschränkung auf gewerkschaftliche Vertreterfunktionen.“18 Eine starke Minderheit der Delegierten in Halberstadt hielt vor allem deshalb am dezentralen, „lokalistischen“ Organisationskonzept fest, weil sie darin (aus Erfahrung) eine Möglichkeit sahen, einem generalisierten Zugriff der Herrschenden ausweichen zu können. Diese Kollegen glaubten nicht mehr an die Möglichkeit einer wesentlichen Verbesserung ihrer Lage innerhalb des Lohnsystems. Sie wollten die Aufhebung des Lohnsystems erkämpfen. Von daher sahen sie sich gezwungen, sich für weitere illegalisierte, politische Kämpfe wappnen zu müssen. Dazu wollten sie die inhaltliche Einheit von Gewerkschaften und revolutionärer Sozialdemokratie, bei gleichzeitiger organisatorischer Dezentralisierung der Verbände erreichen. Nachdem es sich als aussichtslos erwies diese Vorstellungen innerhalb der SPD und des neuen gewerkschaftlichen Dachverbands durchzusetzen, kam es zur Gründung eines weiteren Gewerkschaftsverbandes, der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVdG), welche bis zu ihrem Verbot 1914 eine föderalistische und basisdemokratische Struktur aufrecht erhalten konnte. Die Vertrauensleute blieben hier weiter zuständig für die Aufgaben der Vernetzungsarbeit. Sie wurden auf betrieblichen und lokalen Vollversammlungen gewählt, und konnten jederzeit durch solche wieder abberufen werden. Die Geschichtsschreibung bezeichnet diese historische Form der Gewerkschaftsbewegung als „Lokalismus“, was eigentlich zu kurz greift, da dieser Begriff sich nur auf den rein äußerlichen, organisatorischen Charakter dieser Strömung bezieht. Hier ist jedoch vielmehr die Vorform des revolutionären Syndikalismus zu sehen, welcher strukturell und inhaltlich bereits die Rätedemokratie vorwegnimmt. Tatsächlich bildeten ehemalige militante „Lokalisten“ später den Kern der revolutionären Obleute und der ersten Arbeiterräte während der Revolution 1918/19, sowie der syndikalistischen Gewerkschaften in Deutschland (FAUD, AAUD)19 nach der Niederlage der Revolution.

Wer hat uns verraten?

Für die Arbeiterbewegung waren diese Spaltungsprozesse eine schmerzhafte Erfahrung. Quer durch die Bewegung, bis in die Parlamentsfraktion und Parteispitze hinein führten diese Prozesse zu Verunsicherungen. Wilhelm Liebknecht und August Bebel, von der Befürchtung getrieben, dass die für den Umsturz notwendige Vereinigung der Klasse sich gerade unter ihren Augen auflöste, anstatt sich weiter auszudehnen und zu stabilisieren, forderten die Fraktionen innerhalb der Partei noch eine ganze Weile lang dazu auf ihre Widersprüche zu Überwinden. Die beiden Gewerkschaftsverbände wurden angehalten ihren Einigungsprozess fortzusetzen, anstatt ihn zu untergraben. Wilhelm Liebknecht selbst stellte sich noch eine ganze Weile offen vor die linke Opposition, die sog. Jungen innerhalb der SPD, und August Bebel bemühte sich nach außen um Neutralität. Schließlich kam es dann aber doch von Seiten der gesamten Parteispitze, unter dem Druck von Legien und den anderen Gewerkschaftsführern und Parlamentariern, ausgesprochen durch Bebel, zu einem Ultimatum an die oppositionellen Gewerkschafter sich dem Dachverband Legiens unterzuordnen. Was zum einen verpuffte, und zum anderen weitere Partei-, und Gewerkschaftsausschlüsse und Austritte auf allen Seiten nach sich zog. Es fand eine regelrechte Umgruppierung innerhalb der Arbeiterbewegung statt, und es schien, wie Marx es in seiner Kritik am ersten (Gothaer) Programm der vereinigten sozialdemokratischen Partei bereits vorweg genommen hatte: „Man weiß, wie die bloße Tatsache der Vereinigung die Arbeiter befriedigt, aber man irrt sich, wenn man glaubt, dieser augenblickliche Erfolg sei nicht zu teuer erkauft.“20 Die „Lassalleaner“ konnten jedenfalls am Ende ihre Haltung und ihre Standpunkte innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung auch gegen die theoretische Stärke und den propagandistischen Einfluss der revolutionären Strömung behaupten. Der Reformismus übernahm die Hegemonie innerhalb der Ideenwelt von Partei und Gewerkschaften. Die Strömungen, die aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen waren, warfen sich gegenseitig Verrat vor. Der Mehrheit erschien ein Verrat an der Einheit der Bewegung vorzuliegen, den Minderheiten ein Verrat an den revolutionären Prinzipien. Prinzipien, denen gegenüber sie sich allerdings nur selbst verpflichtet fühlten. Diese Vorwurfshaltung hob sich bald auf in sinnlose, moralisierende Appelle. Die Arbeiterbewegung hatte es als Ganzes eben nicht geschafft sich eine an revolutionären Prinzipien orientierte Einheit zu geben. Wie sollte das auch funktionieren? Die Klasse war derzeit schlicht nicht befähigt die gesellschaftlichen Verhältnisse derart zum Tanzen zu bringen, dass diese Verhältnisse und die revolutionäre Theorie sich einander zuneigen konnten. Zu stark wirkten die aufgezwungene Trennung von ökonomischen und politischen Kämpfen und die Repressionen auf der einen, sowie die sozialen Verbesserungen auf der anderen Seite auf die Bewusstseinsentwicklung der Lohnabhängigen. So blieben sowohl die Praxis, als auch die Theorie der Arbeiterbewegung zwangsläufig unvollständig. Heutzutage ist allerdings dieser gegenseitige Vorwurf des Verrates durch unterschiedliche Fraktionen der Linken in unterschiedlichen Varianten nur noch groteske ideologische Konstruktion, die nichts anderes zum Zweck hat, als sich vor einer nüchternen Betrachtung des vorläufigen historischen Resultates der Klassenkämpfe zu drücken: „Das Proletariat hat kein revolutionäres Wesen, das nur durch reformistische Machenschaften (oder eben durch sektiererische Machenschaften / Riga) immer wieder daran gehindert würde, endlich mit ganzer Macht hervorzubrechen. Nur eine Bewegung der ungeheuren Mehrzahl der Lohnabhängigen kann die Gesellschaft umwälzen. Doch nur anlehnungsbedürftige Metaphysiker vergöttern darum das Proletariat als revolutionäres Subjekt. Wie die Proletarier kämpfen, so sind sie; und ihre Kämpfe haben sie bis heute nicht über die Klassengesellschaft hinaus, sondern immer tiefer in sie hineingeführt.“21 Diese Tatsache, und nicht irgendein Verrat, ist die historische Last unter der unsere Arbeit sich vollzieht.

Zum heutigen wie damaligen Vorwurf des Sektierertums von Seiten der etatistischen Linken gegenüber den revolutionären Minderheiten wäre anzumerken: So wie das Sektierertum ein Reflex auf den Opportunismus der Massen, und gegenüber den Massen war und ist, kann dies nur überwunden werden, wenn es klar als das erscheint was dem zugrunde liegt: Die Furcht vor dem point of no return, die nur von der Klasse selbst, und nicht durch irgendwelche Repräsentanten überwunden werden kann - also im Klassenkampf.22

Repräsentation oder Selbstermächtigung?

Zu Beginn des 20ten Jahrhundert beherrschte der sog. Massenstreik die Debatten der Arbeiterbewegung. Eine umfangreiche, kritische Sichtweise hierzu wurde namentlich vor allem von Rosa Luxemburg vorgetragen, deren Kritik sich gleichermaßen gegen die Reformisten, als auch gegen die libertären Fraktionen in der Arbeiterbewegung richtete.23 Luxemburg nahm zuerst in einigen Zeitungsartikeln24 Stellung zu spontanen Klassenauseinandersetzungen in Belgien, welche sich über zwei Jahre, 1893-95, erstreckten und 1902 noch einmal heftig zum Ausbruch kamen.25 Schon da stellten die Massenstreiks für Luxemburg einen entscheidenden Faktor im Kampf für die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse dar. Luxemburg wurde durch Partei-, und Gewerkschaftsführung für ihre Begeisterung über die Selbsttätigkeit der Massen, die sich zunächst ohne Aufforderung und Anleitung ihrer Gewerkschaften und der belgischen Sozialdemokraten in Bewegung gesetzt hatten, sofort mit dem Vorwurf des „Spontaneismus“ und Anarchismus konfrontiert, was in der disziplinierten deutschen Sozialdemokratie schon damals dem Vorwurf des Verrats gleichkam. Bereits zuvor, ab 1901, wurde der Massenstreik, bzw. Generalstreik innerhalb der lokalistischen Gewerkschaft, in denen Libertäre noch Seite an Seite mit radikalen Sozialdemokraten ihrer täglichen Arbeit nachgingen, öffentlich Diskutiert. Einer ihrer Sprecher, Raphael Friedeberg, schlug auf dem SPD-Kongress 1903 in Dresden eine Diskussion zu diesem Thema vor. Sein Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Im Folgejahr wurde ein gleichlautender Vorschlag von Wilhelm Liebknecht angenommen, nachdem dieser sich zuvor von Friedebergs Positionen formell distanziert hatte.26 Friedeberg sprach sich bei dieser Gelegenheit nachdrücklich dafür aus, dass der Generalstreik als eine Waffe des Proletariats zu betrachten sei, und fügte hinzu, dass dieser den letzten Schritt vor der sozialistischen Revolution darstelle. Liebknecht räumte ein, dass ein politischer Generalstreik zur Verteidigung politischer Rechte der Arbeiter, insbesondere was deren Repräsentation im Parlament betrifft, legitim sei. Damit bezog er sich auf die diesbezüglich erfolgreichen Kämpfe der Arbeiterbewegung in Belgien, welche u. a. ein neues Stimmrecht durchsetzen konnten. Er lehnte es jedoch ab dieses Mittel einzusetzen um „den Staat zu Provozieren“ - und offenbar nahm Liebknecht die Haltung von Friedeberg als Provokation war, denn die SPD war immerhin bereits Teil des Staates. Die Rechten in der Partei lehnten den Generalstreik indes völlig ab, und diese Haltung setzte sich schließlich durch.27 Dies besorgten insbesondere die Vertreter der zentralistischen Gewerkschaften. Was nicht anders zu erwarten war. Th. Bömelburg, der Vorsitzende des Maurerverbandes beklagte: „Ungeheure Opfer hat es gekostet, um den augenblicklichen Stand der Organisation zu erreichen, um aber unsere Organisation auszubauen, brauchen wir in der Arbeiterbewegung Ruhe.“28 Er verlangte darüber hinaus, unter dem Beifall der Delegierten der zentralistischen Gewerkschaften, solchen Debatten zukünftig von vorn herein zu unterbinden. Damit wurden die „Lokalisten“ innerhalb der Partei ein weiteres Mal abgekanzelt.

1905 bestätigten sich sämtliche Einschätzungen und Prognosen Luxemburgs, die sie aus den Massenstreiks in Belgien zog, in den über ein Jahr anhaltenden Klassenkämpfen im Zarenreich - der ersten russischen Revolution. Die „Lokalisten“ sahen sich dadurch ebenfalls bestätigt, und die Debatte erhielt neuen Auftrieb. Vor allem nachdem es auch in Deutschland, im Frühjahr 1905, zu umfangreichen, aber voneinander weitgehend isolierten Klassenkämpfen kam. Beispielsweise im graphischen Gewerbe, in der Textil-, und Tabakindustrie, auf etlichen Baustellen im Reich, sowie im Bergbau. Einige dieser Kämpfe waren von den zentralistischen Gewerkschaften organisiert worden (Schriftsetzer, Drucker etc.), andere von den „Lokalisten“ (Bergarbeiter, Bauarbeiter…) und weitere brachen hier und da spontan, unorganisiert aus, vor allem dort, wo Frauen die Stammbelegschaften bildeten (Textilarbeiterinnen…). All diese Kämpfe endeten jedoch unbefriedigend für die Streikenden, und wirkten deshalb zunächst demoralisierend. Das war Wasser auf die Mühlen der Gewerkschaftsführer, die sich darin bestätigt sahen jetzt alle Kraft in den Ausbau der zentralisierten Organisation zu legen, und von weiteren Kämpfen vorerst abzusehen. Auf dem Parteitag 1905 schlug August Bebel schließlich eine Resolution vor, die jedes SPD-Mitglied dazu verpflichten sollte, in die zentralisierte Gewerkschaft seines jeweiligen Berufes einzutreten. Damit zwang er faktisch den „Lokalisten“ die Entscheidung auf, entweder die Partei oder ihre Gewerkschaft zu verlassen.29

Rosa Luxemburg machte sich dessen ungeachtet an eine umfangreiche Untersuchung der Klassenkämpfe von 1905, die ein Jahr später veröffentlicht wurde,30 Auch Luxemburgs vehementeste Gegner waren - wer sonst? – die Parlamentarier, und mehr noch die Gewerkschaftsführer. Die Aufregung der Genossen hatte gute Gründe. Stellte Luxemburg doch die bis dahin vorherrschenden Ideen bezüglich des Klassenkampfes und der Klassenorganisationen vom Kopf auf die Füße, und damit die Existenzweise der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland, so wie sie sich damals zeigte, insgesamt in Frage. Luxemburg teilte folglich auch nicht uneingeschränkt die Haltung der „Lokalisten“. Ihre Untersuchungen brachten vielmehr auf den Punkt, dass es offensichtliche ideologische Gemeinsamkeiten zwischen den sich streitenden Fraktionen in der Partei gab, dafür jedoch einen wesentlichen Widerspruch zwischen der gesamten organisierten Arbeiterbewegung und der wirklichen Bewegung der Arbeiter. Dies wurde u. a. durch Luxemburgs Unterscheidung zwischen einem Massenstreik und dem Mittel des Generalstreiks hervorgehoben, welche von beiden, den „Lokalisten“ und die „Zentralisten“ oberflächlich als das Gleiche betrachtet wurde. Beide gingen gleichermaßen kausal davon aus, dass es für das Zustandekommen eines in ihren Augen wirkungsvollen Massenstreiks, also eines gewerkschaftlich organisierten Generalstreiks, unabdingbar sei, dass die jeweilige Gewerkschaftsorganisation diesen Planen und von Beginn an durchführen müsse. Beide ignorierten derart die Eigendynamik und die Selbstermächtigung der Klasse, die sich gerade unter ihren Augen in Russland vollzog. Die einen orientierten sich an der scheinbaren Vergeblichkeit solcher „spontanen“ Kämpfe, welche sie allein auf die zahlenmäßige Schwäche der gewerkschaftlichen Organisation zurückführten, und unterstrichen damit ihren Ruf nach Einheit und Disziplin in ihrem Sinne. Die anderen orientierten sich ausschließlich an der Radikalität der Arbeiter, und führten diese wiederum allein auf die Agitationstätigkeit und die Propaganda der Anarchisten und radikalen Sozialdemokraten im Zarenreich zurück. Luxemburg kommentiert: „Auf demselben Boden der abstrakten, unhistorischen Betrachtungsweise stehen… diejenigen, die den Massenstreik nächstens in Deutschland auf dem Wege eines Vorstandsbeschlusses auf einen bestimmten Kalendertag ansetzen möchten, wie auch diejenigen, die… durch ein Verbot des Propagierens das Problem des Massenstreiks aus der Welt schaffen wollen. Beide Richtungen gehen von der gemeinsamen… Vorstellung aus, dass der Massenstreik ein bloßes technisches Kampfmittel ist, dass nach Belieben… beschlossen oder verboten werden könne, eine Art Taschenmesser, das man… für alle Fälle zusammengeklappt bereithalten, oder auch nach Beschluss aufklappen und gebrauchen kann.“31 Im Gegensatz zu den Reformisten und den Radikalen in der SPD bemühte sich Rosa Luxemburg in ihrer Untersuchung jedenfalls ernsthaft darum, sich „Rechenschaft abzulegen über die Strikes, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier ihre Organisation als Klasse vollziehen“ - und darum, die ideologischen Zänkereien aus alter Zeit hinter sich zu lassen.32 Luxemburg stellte heraus, dass die Existenz sämtlicher proletarischer Organisationen Resultate der Klassenkämpfe sind - und nicht umgekehrt! Das weiter diese Organisationen Ausdruck einer „bestimmten historischen Phase des proletarischen Kampfes“ sind, die naturgemäß in dem Moment ihre Bedeutung einbüßen, wenn der Kampf sich auf ein höheres Niveau begibt. Luxemburg: „Die steife, mechanisch-bürokratische Auffassung will den Kampf nur als Produkt der Organisation auf einer gewissen Höhe ihre Stärke gelten lassen. Die lebendige dialektische Entwicklung lässt die Organisation umgekehrt als ein Produkt des Kampfes entstehen.“33 Dies wurde deutlich im Zarenreich, wo die Gewerkschaften und politischen Organisationen geradezu überrollt wurden von den Massenstreiks, und die Organisation der Kämpfe vollkommen in die Hände der von den Arbeitern spontan gebildeten Räte überging, die sich wiederum unter der Kontrolle der Vollversammlungen der Arbeiter befanden. Damit setzte sich eine, in dieser Ausprägung völlig neue Organisationsform der Arbeiter durch, welche zukünftig die Mängel der Parteien und der Gewerkschaften noch einige Male überwinden, und sich als höhere Qualität proletarischer Organisation beweisen sollte. Weiter war in Belgien und im Zarenreich zu beobachten, dass sich während der Klassenauseinandersetzungen die Trennung zwischen politischen und ökonomischen Zwecken der Bewegung wie von selbst aufgehoben hatte, nachdem die unterschiedlichen regional- und branchenfixierten Kämpfe zusammenkamen, und sich dadurch immer mehr austauschten, ausdehnten und inhaltlich vertieften.34 Erst während und nach den Massenstreiks konnte sich die sozialdemokratische Bewegung im Zarenreich, die zuvor aus etlichen autonomen Gruppen bestand, deren theoretischen Köpfe sich zudem mehrheitlich in der Verbannung oder im Exil befanden, allmählich zu einer Partei formieren. Auch die Gewerkschaften konnten sich erst in dieser Zeit stabilisieren und zu permanenten Organisationen heranreifen. Die Bewegung der Arbeiter kreierte in Russland 1905 eine Situation, welche von den russischen Sozialdemokraten und ihren Gewerkschaften auf Grund deren Schwäche nicht aufgefangen werden konnte. Derart auf sich gestellt schafften es die Arbeiter einen Akt zu vollziehen, der die bisherigen Vorstellungen der russischen und internationalen Sozialdemokratie sprengte. Luxemburg hielt fest, dass es sowohl in Belgien, als auch im Zarenreich gerade diejenigen Arbeiter waren, die nicht von den Gewerkschaften organisiert wurden, welche zuerst in den Kampf eingetreten sind, und während der ganzen Zeit durch ihre Entschlossenheit eine entscheidende Rolle in der Bewegung eingenommen hatten. All das widersprach den Auffassungen der Mehrheit der organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland, die sich zwar darüber bewusst war, dass ihre Organisationen ebenfalls im Kampf, also durch ihre Selbsttätigkeit entstanden waren, die jedoch an deren überholten Inhalten und Strukturen ängstlich festhielt, weil sie in ihr eine ewig währende Errungenschaft halluzinierten, die ihnen Schritt für Schritt den Weg zu einem Sozialismus aufzeigt, von denen niemand wusste wie er aussehen wird. Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung wurden die Ereignisse von 1905 deshalb skeptisch und ablehnend zur Kenntnis genommen und auf die besonderen Bedingungen im Zarenreich, die Mentalität, bzw. das „undisziplinierte“ Temperament der Kämpfenden zurückgeführt. Rosa Luxemburg hielt dagegen: „…wo die Masse selbst auf der politischen Bühne erscheint, wird das Klassenbewusstsein ein praktisches, aktives. Dem russischen Proletariat hat deshalb ein Jahr der Revolution jene Schulung gegeben, welche dem deutschen Proletariat 30 Jahre parlamentarischen und gewerkschaftlichen Kampfes nicht geben konnte.“35 Jedoch das blutige vorläufige Ende der Revolution von 1905 schien den Reformisten genug Argumente zu liefern, den bis dahin eingeschlagenen Weg des emsigen Bemühens um einen stetig wachsenden Einfluss der Gewerkschaften und der Partei auf die Arbeitermassen bei zu behalten. Also: unbedingte Einheit und Stärke nach außen demonstrieren, immer Disziplin bewahren und Kampagnen und Aufgebote für die Werbung neuer Mitglieder in den Vordergrund der Praxis rücken. Dementsprechend sprach sich der Dachverband der zentralistischen Gewerkschaften weiterhin gegen die Massenstreiks aus. In klaren Worten: Die deutschen Gewerkschaften sollten, wenn es zu spontanen Massenaktionen in Deutschland kommen sollte, sich diesen entgegen stellen! Was sie dann - bis heute (!) - meistens auch taten. Die deutsche Arbeiterbewegung verließ sich allein auf ihre bürokratischen Organisationen, und damit auf das Gefälle von Anführern und Ausführenden. Wenngleich die Gewerkschaften einen bemerkenswerten Einfluss auf die Arbeiter in einigen der ehemals entscheidenden Industrien hatten, waren diese jedoch weit davon entfernt, die „ungeheure Mehrzahl“ der Lohnabhängigen hinter sich zu wissen. Darum prophezeite Luxemburg: „… wenn die Verhältnisse in Deutschland …den Reifegrad erreicht haben, werden im Kampfe die heute unorganisierten, zurückgebliebenen Schichten naturgemäß das radikalste, das ungestümste, nicht das mitgeschleppte Element bilden.“ Und Konkreter: „Wird es in Deutschland zu Massenstreiks kommen, so werden fast sicher nicht die Bestorganisierten – gewiss nicht die Buchdrucker -, sondern die schlechter oder gar nicht Organisierten, die Bergarbeiter, die Textilarbeiter… die größte Aktionsfähigkeit entwickeln.“36 Dies sollte sich in den revolutionären Erhebungen in Deutschland (1918 bis 1921) weitgehend bestätigten, und bleibt vor allem interessant in Bezug auf die heutige Diskussion um die sog. prekär Beschäftigten und anderer Massen, die nicht durch die Gewerkschaften erfasst werden können.

Es ist vor allem die Unmöglichkeit die Mehrheit der Lohnabhängigen permanent zu organisieren, welche heute noch wesentlich mehr als damals die unüberbrückbare Grenze gewerkschaftlicher Arbeit markiert, Die sich ständig beschleunigende (globale) Arbeitsteilung, die damit zusammenhängende, immer tiefer gehende Spaltung und Entfremdung der Arbeiter von ihren Produkten und von einander, sowie die krisenbedingte Beschleunigung dieser Fragmentierung der Klasse (durch Arbeitslosigkeit und Ausdehnung der prekären Arbeitsverhältnisse) sind die materielle Basis für den zunehmenden Erosionsprozess in den Gewerkschaften - weltweit. So bleiben gewerkschaftlich geführte Kämpfe notwendig partiell. Bei genauerer Betrachtung war das mehr oder weniger schon immer der Fall. Deshalb auch das Gerede vieler Linker von den bewusstesten Elementen der Arbeiterklasse, die in der Gewerkschaft anzutreffen seien. Als wäre Klassenbewusstsein etwas Messbares, Kontrollierbares, was ausgerechnet in den Niederungen der Gewerkschaft seinen Maßstab findet. Die ungeheure Mehrzahl der Lohnabhängigen hierzulande und weltweit wird jedenfalls nicht von irgendwem zu repräsentieren sein. Sie kann sich nur selbst präsentieren, in dem sie für sich selbst in Bewegung kommt. Und die Geschichte hat immerhin die grundsätzliche Möglichkeit der Selbsttätigkeit der Massen mehrfach bestätigt, und bestätigt sie bis heute. Die Erbschleicher der Arbeiterbewegung aber, die Bürokraten, sind von der Bewegung der Lohnabhängigen, von deren (bitteren) Wirklichkeit sowie von deren potentiellen Möglichkeiten vollkommen abgetrennt. Umso peinlicher wirken gelegentliche Appelle mancher linker Strömungen zu bestimmten Anlässen: die Gewerkschaftsbasis möge doch bitte die Gewerkschaftsführung dazu drängen, das diese wiederum die Arbeiterklasse dazu auffordere in einen Generalstreik zu treten - weil doch die Massen darauf nur warten würden. Und sei es nur für einen symbolischen Akt, für nur einen Arbeitstag, oder wenigstens für ein paar Arbeitsstunden. Hinter diesem Realitätsverlust verbirgt sich das falsche Verständnis vieler Linker vom Elend ihrer Gewerkschaften, welches sie sich nicht anders erklären können als mit den Machenschaften schlechter Führer. Als seien nicht etliche dieser Führer gerade in ihren Reihen aufgezogen worden.

Krieg und Revolution

Wohl kaum ein Kapitel in der Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung liest sich beschämender als das, welches deren Haltung zum Krieg beschreibt. Jedoch steht diese Haltung nicht im Widerspruch zur sonstigen Geschichte der Gewerkschaften, namentlich der zentralistischen, sog. freien Gewerkschaften. Denn dem Reformismus ist gleichwohl eine nationalistische Tendenz inhärent. Kriegerische Konflikte treiben diese Tendenz zwangsläufig auf die Spitze und unterwerfen die Reformisten vollständig unter die Erfordernisse des Krieges und der Ideologie des Nationalismus. Keine Reform, sondern nur eine Revolution kann das Kapital jemals daran hindern Krieg zu führen. Aber sowohl im Krieg, als auch in der Revolution findet der Reformismus sein Ende. Hier in der nationalistischen-, dort in der emanzipatorischen Variante. Hier in der Volksgemeinschaft, dort in der Kommune. In der Vergangenheit haben sich die zentralistischen Gewerkschaften in Deutschland, wenn es drauf ankam, bislang noch immer für die erste Variante entschieden. Und auch das war kaum anders zu erwarten.

Das Kapital operiert seit gut 200 Jahren in irgendeiner Form global. Aber die operative Basis ist und bleibt die Nation. Nur auf der Basis der Nationalökonomie und der Nationalstaaten kann das Kapital das globalisierte Konkurrenzprinzip verwirklichen, welches die Welt der Trennung am Leben erhält, und zu der ausnahmslos jede Nation ihren Beitrag leisten muss. Der Reformismus ist Produkt und Projekt der Nationalökonomie. Durch permanente Verdrängung der Klassenwidersprüche führt der Reformismus den Lohnabhängigen den nationalen Weg ständig vor Augen. Alles was der Reformismus bloß verspricht oder wirklich zu bieten hat, jede nur scheinbare oder auch tatsächliche Verbesserung der Lebensbedingungen für die Lohnabhängigen durch Reformen, bleibt dem nationalen Rahmen verhaftet. Von der Standortpolitik bis zur Vaterlandsverteidigung: Die Wettbewerbsfähigkeit, also die Behauptung der Interessen der „eigenen“ Bourgeoisie gegenüber dem nationalen und internationalen Markt, steht hinter jedem Angebot, welches der Reformismus den Lohnabhängigen unterbreitet. Auch und gerade dann, wenn die Lohnabhängigen vorübergehend Gewinn für sich daraus ziehen können, bleibt dies für den Reformismus (s)eine nationale Errungenschaft. Hierin ist der historische Beitrag der Gewerkschaften begründet, den der bürgerliche Staat so zu schätzen weiß.

Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass der SPD-Reichstagsabgeordnete Gustaf Noske im April 1907 dem Parlament gegenüber die Vaterlandstreue seiner Partei unter Beweis stellen wollte. Er bestätigte unaufgefordert dem Reichstag, „dass die Sozialdemokratie ihr Vaterland im Falle eines Angriffs auf Deutschland verteidigen werde“ ohne dass von irgendeinem Land eine sichtbare militärische Bedrohung für Deutschland ausging. Im Gegenteil, es war das Deutsche Reich, welches für seine Nachbarn allmählich bedrohlich wurde. Noskes Rede war ein Reflex auf einen stark nationalistisch geprägten Wahlkampf im gleichen Jahr – der sog. Hugenottenwahl – durch den die SPD, trotz oder wegen der hohen Stimmengewinne, auf jedem Fall ihre Loyalität gegenüber der Nation unterstreichen wollte.37 Zudem war den Sozialdemokraten die Drohung, die Wilhelm II. wenige Monate zuvor in seinem „Sylvesterbrief“ bezüglich der preußischen Kriegsgelüste ausgesprochen hatte, noch in frischer Erinnerung. In diesem Brief heißt es: „Die Hauptsache aber wäre, dass wir wegen unserer Sozialisten keinen Mann aus dem Lande nehmen könnten, ohne äußerste Gefahr für Leben und Besitz der Bürger. Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen, wenn nötig per Blutbad, und dann Krieg nach außen.“38 Wer glaubt, dass sich im Anschluss an Noskes anbiedernde Äußerungen breite Empörung in der Partei oder der zentralistischen Gewerkschaft zeigte, der täuscht sich. Lediglich die üblichen Verdächtigen, die linke SPD-Minderheit und die marginalisierten außerparlamentarischen Linken meldeten sich zu Wort. Wohlgemerkt: Nicht am Vorabend des 1. Weltkrieges, sondern bereits 1907 machten die deutschen Reformisten Front gegen die französischen Rivalen der deutschen Bourgeoisie. Denn denen galt die Ansprache von Noske ins Besondere. Die zentralistischen Gewerkschaften sahen während der allgemeinen Standortverteidigung in der Rheinprovinz unterdessen ihre Aufgabe vor allem darin, gegen die Versuche „feindlicher Übernahmen“ der deutschen Wirtschaft durch die „Heuschrecken“ aus Paris ideologisch Vorzupreschen. Ein paar Monate später zeigte sich auf dem internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart dementsprechend ein trauriges Bild auf Seiten der einladenden Delegation. Zum Schwerpunkt des Kongresses waren im Vorfeld der „Militarismus und die internationalen Konflikte“ bestimmt worden. Über die Frage mit welchen Mitteln man einen drohenden Krieg verhindern könnte, gerieten die Vertreter der 2. Internationale schnell aneinander. Jean Jaures, ein Vertreter des französischen Syndikalismus in seiner Partei, plädierte für einen Generalstreik im Falle eines Krieges, und behauptete gar das Recht auf „einen Aufstand für den Notfall“. Das kam den deutschen Sozialdemokraten bekannt und verdächtig vor, und jagte ihnen offenbar Angst ein. Folglich argumentierte Bebel, dass ein Bekenntnis zum Generalstreik für die SPD die Gefahr erneuter Repressionen beinhalten würde. Nachdem aber bereits ein evtl. Kriegsrecht ausgerufen wäre, so Bebel, wäre ein solcher Streik ohnehin nicht mehr durchführbar. Welch bestechende Logik. Diverse Eingaben, Resolutionen und Diskussionsbeiträge durch Vertreter der Minderheiten (Luxemburg, Lenin, Martow…) änderten nichts daran, dass der Kongress in der Frage des Krieges keine einheitliche Linie zustande bekam, und ergebnislos auseinanderlief.39 Hier wurde bereits die Grundlage für die Kapitulation der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung gegenüber dem imperialistischen Krieg gelegt. Die reformistisch eingestellten Fraktionen der 2. Internationale hatte sich, ihrer inneren Logik entsprechend, längst der jeweiligen nationalen Herkunft unterworfen. Derart ideologisch aufgerüstet marschierten die Gewerkschaften in das „Zeitalter der Kriege und Revolutionen“.

Was man zur Tür hinaus jagt kommt nicht selten durchs Fenster zurück. So sehr es den Reformisten immer wieder gelingt Klassenwidersprüche zu Verdrängen und zu Verschleiern, gelingt es ihnen doch nicht den Klassenkampf vollständig zu unterbinden. Bis zum Ausbruch des Krieges zeigte sich die Klasse noch hier und dort weiterhin Kampfbereit. Noch zwei Jahre vor Ausbruch des 1. Weltkrieges brach ein umfangreicher Bergarbeiterstreik aus, der zu brutalen Zusammenstößen mit der Polizei führte. Im Reichstag wurde daraufhin die Forderung laut, die SPD und die Gewerkschaften zu verbieten, denen unterstellte wurde für den Streik verantwortlich zu sein. Die Reformisten in Partei und Gewerkschaft reagierten ihrer Natur entsprechend mit einer Welle von Abgrenzungen gegenüber den Arbeitern und Anbiederungen gegenüber dem Staat. Carl Legien forderte exemplarisch den Ausschluss von Karl Liebknecht aus der SPD, der sich weigerte zu den kämpfenden Arbeitern auf Distanz zu gehen, und obendrein für den Kriegsfall öffentlich den Sturz der bürgerlichen Regierung forderte. Der Krieg begann offiziell am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Am 30. Juli befahl Russland die Generalmobilmachung zur Unterstützung Serbiens. Daraufhin erklärte das Deutsche Reich Russland am 1. August den Krieg. Am gleichen Tag beschließt der Dachverband der zentralistischen Gewerkschaften in einer Vorstandssitzung alle laufenden Streikbewegungen zu stoppen, und während des Krieges jede Streikunterstützung komplett einzustellen. Dies ermutigte die SPD-Reichstagsfraktion den Kriegskrediten zuzustimmen. Auf Anfrage der Gewerkschaftsführung, wie sich die Regierung gegenüber den Gewerkschaften jetzt verhalten würde, antwortet diese: „Wir denken nicht daran, ihnen zu Leibe zu rücken, wenn sie uns keine Schwierigkeiten machen. Denn wir sind froh, große Organisationen der Arbeiterklasse zu haben, auf die sich die Regierung bei den notwendigen Hilfemaßnahmen stützen kann.“ 40 Am 3. August trat endlich der „Erzfeind“ Frankreich in den Krieg, am 4. August Belgien und Großbritannien… usw.41 Die Arbeiter wurden unter dem Hurra der SPD und ihrer Gewerkschaft in das Trauma der Schlachtfelder getrieben – und nicht wenige Arbeiter erwiderten dieses Hurra allzu bereitwillig. Schon nach einem Monat kommt es zur ersten Aufgabenzuteilung an die Gewerkschaften in der Kriegsernährungsfrage, wobei die Konsumgenossenschaften der Arbeiter wichtige Funktionen bei der Hortung und Verteilung der Lebensmittel für den Ernstfall übernahmen, der selbstredend auch eintrat. Diese Genossenschaften wurden vollständig von der Gewerkschaftszentrale verwaltet. Es folgte die Übergabe der Arbeitslosenfürsorge und die Verteilung der Hinterbliebenenrenten in die Hände der Gewerkschaft (usw., usf.). Gewerkschaften und Unternehmerverbände wurden als nicht-politische, quasi karitative Vereinigungen, welche Hand in Hand dem Vaterland dienen, offiziell legitimiert. Der SPD-Reichstagsabgeordnete Ernst Heilmann kommentiert: „Die Internationale ist heute Tot. Mars regiert die Stunde. Nicht Vernunft und Gerechtigkeit, sondern nur siegreiche Waffen und politische Klugheit werden uns den Frieden bringen und seinen Inhalt bestimmen… Dazu hilft uns gegen den Feind nur eines: den Daumen aufs Auge und das Knie auf die Brust. Und greinen uns ein paar Heilige dazwischen, wie furchtbar das Schicksal der französischen Arbeiter sei, so erwidern wir ihnen: Die französischen Arbeiter bleiben Männer, auch wenn wir mit ihnen Kugeln wechseln, aber ihr seid alte Weiber…“42

Bekanntlich wurde der 1. Weltkrieg durch eine internationale revolutionäre Erhebung beendet. Und vielen ist ebenfalls bekannt, dass weder die SPD, noch die zentralistische Gewerkschaft diese Revolution gewollt, geschweige denn angezettelt, oder auch nur unterstützt haben. Ein nicht unerheblicher Teil der internationalen Arbeiterklasse nahm den Kampf gegen den Krieg auf, weil für sie schlicht die daraus erwachsenen Missstände nicht mehr zu ertragen waren, und sie folgten dabei keinerlei Revolutionstheorie. Doch durch ihren Kampf bestätigten sie gerade die Aktualität der revolutionären Theorie. Die Revolution begann 1917 in Russland. Eben dort, wo die Klasse, laut Luxemburg, innerhalb eines Jahres der Selbstermächtigung mehr Lehren aus ihren Kampf ziehen konnte, als die deutschen Arbeiter aus 30 Jahren Kampferfahrung. Trotzdem, die Revolution machte vor Deutschland nicht halt. Ein erstes Signal dafür war eine Demonstration von ca. 30.000 Kollegen im November 1916, in Frankfurt a. M., mit der Forderung nach einem Ende des Krieges ohne Annexionen. Im April 1917 begann ein politischer Massenstreik mit zunächst 200.000 beteiligten Kollegen in Berlin und Leipzig, der sich aber schnell ausweiteten konnte, und bald auch die gesamte deutsche Rüstungsindustrie ergriff. Laut Überlieferung sollen sich daran mehr als 1 Millionen Arbeiter beteiligt haben…“ 43 Dieser Massenstreik war u. a. auch ein Reflex auf die Februar-Aufstände des gleichen Jahres in Russland. Eine der Forderungen die sich während der Kämpfe herauskristallisierte richtete sich folglich gegen den Vertrag von Brest-Litowsk, den die deutsche Regierung gerade dem revolutionären Russland aufzwingen wollte. Es folgten weitere Streiks, sowie Waffenniederlegungen und Verbrüderungsszenen an allen Fronten. Im Oktober 1917 übernahmen Räte die Macht in Russland.

Ich will die Revolution nicht. Ich hasse sie wie die Sünde." Mit diesem Ausspruch brachte der Sozialdemokrat und spätere Reichspräsident Friedrich Ebert die Stimmung innerhalb der Führung von Partei und Gewerkschaft seinerzeit auf den Punkt. SPD und ADGB fürchteten zu recht, dass all die Hoffnungen, die sie mit ihrer Anteilnahme am Krieg verbanden, nämlich die unwiderrufliche Anerkennung und Etablierung der SPD als „Volkspartei“ durch die Herrschenden, und eine erhebliche Erweiterung des Einflusses von Partei und Gewerkschaften auf Staat und Gesellschaft nach dem Krieg, von der Revolution zerschmettert würden. Zunächst sah es jedenfalls ganz danach aus, als würde die neue Organisation der Arbeiter, die Rätedemokratie, auch in Deutschland eine Umwälzung der Gesellschaft vollziehen können. Am 4. November 1918 meuterten die Matrosen der deutschen Flotte in Kiel und bildeten gemeinsam mit den kämpfenden Arbeitern der Stadt und der Umgebung den 1. Arbeiter-, und Soldatenrat. 11 Tage später konstituierten sich die Räte in Bremen. Schon in Dezember kam es zu einem Koordinierungstreffen von Räten aus diversen deutschen Gebieten, dem 1. Reichsrätekongress, um Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung abzuhalten. Auch nach dem sog. Spartakusaufstand in Berlin, im Januar 1919, welcher von regierungstreuen Reichswehrtruppen, die mittlerweile unter dem Befehl von Noske standen, niedergeschlagen wurde,44 stieg die Zahl der Räte in Deutschland noch weiter an. Bald gab es also Rätebewegungen in Berlin, München, Hamburg, in sämtlichen Städten des Ruhrgebietes, in Mannheim, Braunschweig, Fürth, Würzburg… usw. Begleitet wurde die Rätebildung zwischen November 1918 und April 1919 von einer heftigen Streikwelle, welche die deutsche Regierung mit einer Reihe radikaler Forderungen konfrontierte. Darunter zuallererst die Sozialisierung sämtlicher Schlüsselindustrien und Banken. In Bremen, München und Braunschweig konnten die Räte zeitweise die Macht übernehmen. Im März 1919 beschloss die Regierung, in der auch Vertreter der Sozialdemokratie saßen, gegen die Räte gewaltsam vorzugehen. Reichswehr und paramilitärische Freikorps erledigten schließlich diese Arbeit. Nach der Niederschlagung der Räte im ganzen Reich trat am 11. August die „Weimarer Verfassung“ in Kraft, die der neuen bürgerlichen Republik ihren Namen gab. Die heftigen Klassenkämpfe hielten aber noch bis 1923 an. Zuvor kam es noch zu bewaffneten Massenaktionen: Im Vogtland (Halle, Leuna, Merseburg…), die für die Arbeiter in einer militärischen Niederlage endete, und im Ruhrgebiet, wo die Gefechte zwischen Arbeitermilizen und Putschisten einen militärischen Sieg für die Arbeiter einbrachten. Aber hier Verteidigten sie schon eine Republik, die nicht mehr die ihre war. Trotz all der revolutionären Erhebungen konnten sich die Reformisten und Bürokraten erneut durchsetzen. Zum einen indem sie die Räte von außen, mit Hilfe des Militärs und Paramilitärs zerschlugen, zum Anderen indem sie von Anfang an in ihnen mitarbeiteten – dass heißt, sie wurden dort hineingewählt! Es bestand also innerhalb der Rätebewegung keinesfalls eine homogene, sondern eine latent spaltende Atmosphäre. Die Sozialdemokratie spaltete sich zwar gegen Ende des Krieges vorläufig selbst in zwei Parteien (MehrheitsSPD und UnabhängigeSPD) und im Januar 1919 kam noch eine neue Partei auf Seiten der Arbeiterbewegung hinzu - die KPD -, aber all das trug nicht dazu bei, dass es den Aufständischen gelang die große Mehrheit der Lohnabhängigen in den aktiven Kampf einzubeziehen. Trotz eindrucksvoller Demonstrationen, trotz Massenstreiks und bewaffneten Aufständen, die Klasse blieb mehrheitlich unentschlossen, und schreckte schließlich, unter dem Druck von Militär und Ideologie, völlig erschöpft, doch wieder vor den „unbestimmten Ungeheuerlichkeiten ihrer eigenen Zwecke“ zurück.

Es gelang in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, die Macht der Monarchie endgültig zurück zu drängen. Es gelang weiter für mehr als ein Jahrzehnt den Frieden in Europa aufrecht zu erhalten. Es wurden zweifellos wertvolle Erfahrungen gemacht, die vor allem die revolutionäre Theorie bereichert haben. Auch kamen, für eine kurze Zeit, wieder sichtbare Reformen und Verbesserungen der Lebensbedingungen für die Lohnabhängigen (in den goldenen 20er Jahren), aber das Lohnsystem stand zu keiner Zeit irgendwo ernsthaft zur Disposition. Weder bei den Reformisten, noch bei den radikalisierten Arbeitern. Deren Forderungen nach Sozialisierung von Industrie und Banken blieben letztlich nur besonders radikale Forderungen nach Reformen innerhalb des Lohnsystems. Ebenso wenig wurde die ökonomische Krise überwunden, die das Kapital in den Krieg geführt hatte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis der nächste generalisierte Krieg ausbrechen musste. Die zentralistischen Gewerkschaften waren folglich bald wieder aufgefordert ihren Dienst für die Nation anzutreten. Wir wissen heute, dass sie keine Sekunde zögerten dies zu besorgen – diesmal für den Preis ihres eigenen Unterganges.

Die Zersplitterung

Der Krieg, die Revolution inklusive deren Niederlage, die bald einsetzende wirtschaftliche Depression mit Millionen von Arbeitslosen, sowie eine Weltwirtschaftskrise, die ihren spektakulären Höhepunkt 1929 im Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte fand, all das zusammen endete bald in Erschöpfung und Stagnation auf Seiten der Arbeiterklasse und beförderte die Fragmentierung der organisierten Arbeiterbewegung. Zwar flammten immer wieder Kämpfe auf, doch konnten diese sich nach 1921 nicht mehr ausweiten. Dieser Zustand spiegelte sich u.a. in den vielen politischen Fraktionen, die sich in den 20er Jahren herausbildeten. Es ist davon auszugehen, dass die Unklarheiten der Linken, und ihr daraus resultierendes hilfloses Klammern an Dogmen unmittelbare Folgen des allmählichen Rückzugs der Klasse waren. Insofern die Linke diesen Rückzug wahrnehmen konnte, wurde dieser recht unterschiedlich, meistens im Zusammenhang mit Schuldzuweisungen an die jeweils anderen Fraktionen interpretiert. Verrat, Unfähigkeit, Sektierertum, Opportunismus…das ganze Programm. Nach der Ermordung Rosa Luxemburgs gab es zudem kaum noch beachtete Bemühungen die Bewegung der Arbeiter in der gebotenen Gründlichkeit zu untersuchen. International war die Klasse ebenfalls zum Stillstand gekommen. Die Rätebewegungen in Ungarn, Italien, Iran, England, Tschechien… usw. wurden allesamt zerschlagen. Die Revolution in Russland blieb folglich auf ihrem regionalen Rahmen beschränkt, und wurde derart isoliert zusätzlich durch einen Bürgerkrieg und eine Hungersnot schwer erschüttert. 1921 wurden schließlich auch hier, begleitet von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rätemilizen und der Roten Armee in Kronstadt, die Arbeiterräte allerorts politisch entmachtet. Ihnen wurden lediglich noch beschränkte ökonomische Aufgaben übertragen. Das alte Spiel: Die Organisationen der Revolution teilten sich in ökonomische und politische Zuständigkeiten. Unter dem Schutz der Roten Armee ging die politische Macht vollständig in die Hände der bolschewistischen Partei über. Mit der politischen Entmachtung der Räte in Russland gingen zugleich die Zerschlagung aller Linken Organisationen außerhalb der bolschewistischen Partei, sowie die Zerschlagung der Arbeiteropposition in den russischen Gewerkschaften einher. Spätestens ab 1924, dem Beginn der sog. Stalin-Ära, verblasste die Anziehungskraft der Sowjetunion auf die internationale Klasse, während ein Teil der Arbeiterbewegung sich dafür umso vehementer dem Stalinismus hingab. Die Arbeiterbewegung wurde alsbald heimgesucht von einer verhängnisvollen Rivalität zwischen den Vertretern der Bürokratien - in Deutschland zwischen SPD und KPD - sowie von einer bis dahin nicht gekannten Vielzahl unterschiedlicher politischer Strömungen. Das gleiche fand in der internationalen Gewerkschaftsbewegung zwischen den „Amsterdamer“ und „Moskauer“ Zentralverbänden, sowie zwischen diesen jeweiligen Zentralverbänden und dem Syndikalismus in seinen verschiedenen Varianten statt. Das Prinzip der Konkurrenz konnte sich nach der Niederlage der Revolution auf allen Ebenen der Gesellschaft wieder durchsetzen, von der Börse bis zur Stempelstelle, und machte auch vor der Arbeiterbewegung nicht halt. Während diese sich aber ihren unterschiedlichen Programmen hingab, die allesamt nicht dazu führten die Klasse in die jeweils gewünschte Richtung zu drängen, reihte diese sich selbst langsam aber sicher wieder in die Volksgemeinschaft ein. Rückblickend betrachtet war die Niederlage der deutschen Revolution bereits nach der Zerschlagung der Räterepublik in München gegeben, also schon 1919. Für die revolutionären Zeitgenossen galt dies nicht! Es war für sie auch unmöglich erkennbar. So gab es noch bis zu dem völlig fehlgeschlagenen Experiment der KPD im Jahre 1923, welches bis heute als Mythos vom „Hamburger Oktober“45 in den Köpfen linker Romantiker nachwirkt, auf allen Seiten berechtigte Hoffnungen, der Kommune zum Durchbruch zu verhelfen. Auf Basis dieser Hoffnung konnte sich der revolutionäre Syndikalismus einen wichtigen Platz in den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung sichern.

Während die zentralistischen Gewerkschaften ihr Kriegsgeschäft betrieben, hatten die illegalen Zusammenhänge der „Lokalisten“ ihren Einfluss auf oppositionelle, und später auf kriegsmüde Arbeiter, trotz Verfolgungsdruck ausweiten können. Ihr ungebrochener Internationalismus verschaffte ihnen in dieser Situation schlicht die Glaubwürdigkeit, welche die zentralistischen Gewerkschaften im Krieg eingebüßt hatte. Zudem bahnte die Führung der zentralistischen Gewerkschaften „in der noch unmittelbar revolutionären Situation des 15. November 1918, in ersten Verhandlungen bereits die Arbeitsgemeinschaft mit den Unternehmerverbänden an.“46 Dieser erneute Pakt zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden wurde an einem Delegiertentreffen des ADGB mit zweidrittel Mehrheit legitimiert, und nahm unter den Namen „Zentralarbeitsgemeinschaft“ im Dezember 1919 Gestalt an. Die Kontakte aus der Zeit während des Krieges machten sich erneut bezahlt. Die Revolution befreite indes etliche ehemalige Militante „Lokalisten“ aus den Gefängnissen und den Strafbataillonen, und ermöglichte ihnen wieder eine freie öffentliche Debatte. Im Dezember 1918 wurde durch Fritz Kater die erste überregionale Versammlung der „Freien Vereinigung“ einberufen. Hierbei handelte es sich um eine Vernetzung der während des Krieges illegal tätigen „lokalistischen“ Gewerkschafter. Zu diesem Treffen kamen Vertrauensleute aus 43 Ortsgruppen zusammen. Ein Jahr später veranstaltete die „Freie Vereinigung“ inmitten der revolutionären Kämpfe einen Reichskongress in Berlin, der zum Gründungskongress der Freien Arbeiterunion Deutschlands (FAUD) wurde. Die anwesenden Delegierten hatten zu dieser Zeit bereits ein Mandat von mehr als 100 Ortsvereinen, mit einem von ihnen selbst zu Protokoll gegebenen Stand von ca. 112.000 aktiven Mitgliedern.47 Zuvor schon hatte sich der Widerstand innerhalb der SPD formiert, der zur o. g. Spaltung der Partei führte. Die bereits 1916 gegründete USPD wurde zum politischen Sammelpunkt der Bewegung gegen den Krieg. Hier wurden zunächst alle möglichen sozialdemokratischen Strömungen zusammengefasst, die sich nach und nach gegen die Linie von Partei-, und Gewerkschaftsführung auflehnten. Über dieses buntscheckige Milieu gab es selbstverständlich auch Vernetzungen mit der „Freien Vereinigung“, sowie mit diversen anderen revolutionären Gruppen im Deutschen Reich. Eine Fraktion der USPD, die „Gruppe Internationale“ um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, besser bekannt unter dem Namen „Spartakusbund“, vereinigte sich im Januar 1919 mit einigen dieser Gruppen zur KPD.48 Die Einstellung der jungen KPD zu den Syndikalisten war zunächst zwiespältig. Deren Haltung gegen den Krieg wurde klar begrüßt, ebenfalls deren Ablehnung gegenüber der sich fortsetzenden „Burgfriedenspolitik“ des ADGB. Zudem waren etliche radikale Sozialdemokraten, und damit etliche Arbeiter, die jetzt der KPD zuströmten, schon vor und während des Krieges in den Vorläuferorganisationen der Syndikalisten vernetzt. Damit war die FAUD zunächst ein gewerkschaftlicher Sammelpunkt für alle revolutionär eingestellten Arbeiter. Das konnte die KPD kaum ignorieren. Andererseits gab es in der KPD zwar eine umfassende Kritik des Parlamentarismus, jedoch keine grundsätzliche Ablehnung einer Mitarbeit im Parlament. Das stieß auf den Widerstand der Syndikalisten, und führte, ebenso wie die zentralistische Organisationsform, welche sich die KPD gab, bald zu unwiderruflichen Konflikten zwischen der neuen Partei und der neuen revolutionären Gewerkschaft, die sich obendrein immer eindeutiger und ausschließlicher dem Anarchismus zuneigte. Die Geschichte schien sich nun innerhalb der KPD zu wiederholen, kaum dass diese der Geschichte der SPD entkommen konnte. Auf dem Heidelberger Parteitag der KPD, im Oktober 1919, wurden gleich 18 Delegierte Ausgeschlossen, die an ihrem Anti-Parlamentarismus festhielten, und die Kritik der kurz zuvor ermordeten Rosa Luxemburg am Organisationsmodell der Bolschewiki wiederholten, welches die KPD gerade versuchte umzusetzen. Die „Linksradikalen“, wie Lenin sie in seiner bekannten Broschüre betitelte, brauchten einige Monate um mit diesem Ausschluss umgehen zu können. Im April 1920 riefen dann aber ausgeschlossene Delegierte aus Hamburg zur Sammlung gegen die Zentrale auf. In ihrem Aufruf heißt es: „Alle Parteiorganisation der KPD, die auf dem Standpunkt stehen, dass die proletarische Diktatur die Diktatur der Klasse sein muss und nicht die Diktatur der Führerschaft einer Partei, die weiterhin der Auffassung sind, dass revolutionäre Massenorganisationen nicht von einem geheimen Führerbund von oben her befohlen, sondern aus den Willen der Massen selbst emporschlagen müssen und verbreitet werden durch die organisatorische Zusammenfassung der revolutionären Proletarier in Massenorganisationen auf breitester demokratischer Grundlage, werden aufgefordert, sich mit der Parteiorganisation in Hamburg in Verbindung zu setzen.“49 Die Sammlung erfolgte nachdem weitere Ausschlüsse bekannt wurden, die Mittlerweile ganze Ortsvereine betrafen und die Begründung für die Bildung einer eigenen Organisationsstruktur lieferte. Den eigentlichen Grund für die Konsolidierung einer neuen Partei aber lieferte der Verlauf der Klassenkämpfe.

Diese neue Partei, die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), der sich bald (allerdings nur vorübergehend) die Mehrheit der KPD-Anhänger anschließen sollte, entstand und erprobte sich in den bewaffneten Aufständen an der Ruhr und im Vogtland 1920/21. Als Putschisten um den Verwaltungsbeamten Wolfgang Kapp und dem General Walter von Lüttwitz am 13. März 1920 den Versuch unternahmen, die sozialdemokratische Regierung in Berlin zu stürzen, riefen die SPD und der ADGB zum Generalstreik auf. Wie bereits vor dem Krieg durch Bebel formuliert wurde, wäre der einzige Fall indem die SPD einen Generalstreik für angemessen halten würde, die drohende Beschneidung ihrer parlamentarischen Rechte und der allgemeinen gewerkschaftlichen Tätigkeit. Dieser Fall war jetzt gegeben. Die Zentrale der KPD stand dem Generalstreikaufruf zunächst skeptisch gegenüber und rief die Arbeiter dazu auf mit Aktionen vorläufig noch zu warten. Sie warteten jedoch nicht. Stattdessen waren vor allem im Ruhrgebiet schon die meisten KPD-Anhänger in diesen Streik involviert, noch bevor die Order der Zentrale durchdringen konnte. Der Streik wurde innerhalb von Tagen zum größten Massenstreik der deutschen Geschichte, an dem sich ca. 8 Millionen Arbeiter beteiligten. Gemeinsam mit Teilen der USPD und den Syndikalisten versuchten die abtrünnigen KPD-Mitglieder den Streik in eine neue revolutionäre Situation überzuführen und bauten eine Miliz auf, die unter dem Namen „Rote-Ruhr-Armee“ Geschichte schrieb. Innerhalb von 3 Tagen standen ca. 120.000 Arbeiter unter Waffen und schlossen sich zu Einheiten dieser Miliz zusammen. Klar, dass die KPD-Führung schnell ihre Haltung ändern musste um ihren verlorengegangenen Einfluss auf den Kampf zurück zu gewinnen. Sie kam jedoch ins Schwanken und brachte täglich neue, z. T. widersprüchliche Losungen heraus. Das Zentralkomitee der KPD blieb bis zuletzt skeptisch gegenüber den Milizen, und schlug schließlich vor, nachdem die Putschisten bereits geflohen waren, mit der Regierung, der SPD und der Reichswehr in Verhandlung zu treten um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Den Ergebnissen dieser Verhandlungen, dem sog. „Bielefelder Abkommen“, der u. a. die Entwaffnung der Arbeiter-Milizen vorsah, stimmte die KPD, auf anraten Moskaus, vorbehaltlos zu. Diese Haltung, welche die Opposition innerhalb der KPD und deren zuvor ausgeschlossenen Genossen als Verrat an der Revolution denunzierte, lieferte endlich die Begründung für eine weitere Arbeiterpartei. Die KAPD wurde am 3. April 1920, unmittelbar nach der Niederwerfung des Kapp-Putsches gegründet.50 Die Trennung von ihren Radikalen ermöglichte der KPD wiederum den Zusammenschluss mit dem linken Flügel USPD, die sich bald darauf als V-KPD vereinigten. Die V-KPD bemühte sich, ihren Einfluss auf die radikalisierten Arbeiter zurück zu gewinnen. Dabei spielte die KOMINTERN mittels ihres Abgesandten Karl Radek eine direkte und zentrale Rolle. Für dieses Vorhaben bot sich die Lage in Mitteldeutschland (Vogtland) an, wo die V-KPD im März 1921 versuchen wollte einen Aufstand zu inszenieren.51 Zuvor war es, ebenfalls unter dem Einfluss Moskaus, zu einem Machtwechsel innerhalb der Parteiführung gekommen, der für dieses Vorhaben notwendig geworden war. Zwar wurde ein regelrechtes Drehbuch durch die Parteiführung (im Beisein einer KOMMINTERN-Delegation unter der Leitung von Bela Kun) entworfen, jedoch kam die Realität des Klassenkampfes den Genossen abermals zuvor. Die Region war seit dem Kapp-Putsch nicht mehr wirklich zur Ruhe gekommen. Es gab wilde Streiks und Plünderungen. Zudem waren noch immer zahlreiche Waffen in den Händen von Arbeitern. Der Sozialdemokrat Otto Hörsig, seines Zeichens Regierungsoberhaupt der Region, befürchtete eine Machtübernahme durch die Arbeiter und kündigte für den 17. März an, starke Verbände der Polizei in die Industriegebiete zu holen. Daraufhin wurde der Plan der V-KPD dem Datum angepasst, die zunächst für diesen Tag zu einem Generalstreik aufrief. Dieser Aufruf wurde jedoch nur in Mansfeld befolgt. Während die Parteiführung schon über eine Änderung des Planes hektisch debattierte, und die Mansfelder Kollegen vorerst zurückrief, brach 5 Tage später, am 22. März, völlig unerwartet ein Massenstreik aus. Er umfasste das gesamte Bergbaugebiet der Region sowie die Chemieindustrie in Leuna. Am gleichen Tag traf eine Gruppe von Arbeitern aus dem Ruhrgebiet, unter der Leitung des damaligen KAPD-Militanten Max Hoelz in der Region ein. Im Bergarbeitermilieu wurde die Gruppe mit offenen Armen empfangen. Hoelz bewaffnete Arbeiter und Arbeitslose, und überzog parallel zu den Streiks die Region mit Brandstiftungen, Plünderungen, Bankraub, Sprengstoffattentaten und dergleichen mehr. Am 23. März brach eine offene Schlacht zwischen Arbeitern und Polizei aus. Die aufrührerischen Arbeiter verbarrikadierten sich auf dem Gelände der Leunawerke. Reichspräsident Ebert verhängte den Ausnahmezustand über das ganze Reich. Es kam zu Solidaritätsstreiks in Lausitz, Thüringen, an der Ruhr und in Hamburg. Der wiederholte Aufruf der VKPD zum Generalstreik verlief jedoch ins Leere. Am 29. März schlugen Regierungstruppen die Aufstände nieder. Die Kollegen in den Leuna-Werken wurden unter Artilleriebeschuss genommen, bis auch sie kapitulieren mussten. Am 1. April 1921 wurde die letzte von Hoelz geführte Gruppe auseinander getrieben. Die VKPD erklärte am gleichen Tag den Generalstreik für beendet, den es eh nie gegeben hatte.52 Die VKPD verlor in dieser Auseinandersetzung zunächst 2/3 ihrer Mitglieder, die KAPD, sowie die FAUD gewannen hingegen viele neue Anhänger hinzu. Innerhalb der VKPD, die bald wieder KPD hieß, kam es erneut zu einem Führungswechsel. Und noch ein Führungswechsel folgte nach dem tragisch gescheiterten „Hamburger Aufstand“ im Oktober 1923, der besonders deutlich machte, dass Klassenkämpfe nicht zu inszenieren sind. In diesem partiellen Aufstand, hinter dem nichts Stand als ein paar Hundert mutige Kommunisten unter der Anleitung einer unkoordinierten Partei, wurden die Kämpfer völlig verheizt. Die KPD unterstellte sich, anstatt aus den Niederlagen zu lernen und sich „Rechenschaft über die Bedingungen unter denen das Proletariat sich zur Klasse Vereint“ zu verschaffen, jedoch weiterhin völlig den Empfehlungen aus Moskau, und wurde unter Thälmann schließlich zur Agentur der stalinistischen Außenpolitik in Deutschland.

Der vorläufige Zuwachs an Sympathie für die Syndikalisten, und die Räte-, bzw. Linkskommunisten der KAPD änderte aber nichts an deren unvermeidbaren Niedergang, nachdem die Klasse selbst sich ab 1923 immer mehr zurück zog. Beide Strömungen waren Erscheinungsformen der konkreten Situation. Sie wurden hervorgebracht durch den Klassenkampf, und verschwanden mit diesem. Nachdem die Revolution in Deutschland nicht mehr auf der Tagesordnung stand, die Klasse also wieder auseinanderlief, liefen auch die Revolutionäre auseinander. Alle Bemühungen, die Klasse zurück in die Kampfarena zu holen, blieben vergeblich. Die Zersplitterung dieser Strömungen kündigte sich aber bereits vor dem Ende der Kämpfe an der Ruhr und im Vogtland an, welche nur die letzte Begründung für einen gemeinsamen Kampf von KAPD und FAUD abgaben.

Bereits kurz vor Ausbruch der Ruhrkämpfe, im Februar 1920, fand ein Vernetzungstreffen von Arbeitern einer anderen syndikalistischen Strömung in Deutschland statt, die sich stark nach den Wobblies (Industrial Workers World – IWW) in den USA ausrichteten. Die ausgeschlossene linke Opposition der KPD nahm von Anfang an großen Einfluss auf diese Gruppen von rätekommunistischen Arbeitern. Dieses Vernetzungstreffen führte schließlich zur Gründung der Allgemeinen Arbeiter Union (AAUD), welche nach der Gründung der KAPD mit dieser eng verbunden war. Gemeinsame Debatten und Aktionen zwischen AAU und FAU waren anfangs noch etwas Selbstverständliches. Es gab hier und da sogar Personalunionen. Dennoch wurde durch den o.g. Gründungsaufruf der KAPD schon ein Widerspruch zwischen diesen beiden syndikalistischen Richtungen vorweg genommen. Denn der Hamburger Aufruf zur Sammlung der oppositionellen Kommunisten richtetet sich sowohl gegen die Bevormundung der Klasse durch die Parteiführung, als auch durch einen „geheimen Führerbund“, was nichts anderes als eine Abgrenzung gegenüber der Praxis einiger Anarchisten darstellte, die sich neben ihrer Mitgliedschaft in der FAU noch in besonderen Föderationen mit elitärem Anspruch geheim zu organisieren pflegten.53 Nach den Klassenkämpfen im Vogtland brach dieser Widerspruch zwischen KAPD/AAUD und FAUD offen aus. Im Oktober 1921 löste sich aber bereits ein wesentlicher Teil der AAUD von der KAPD, weil diese sich nach Ansicht ihrer Kritiker zu sehr in die „betrieblichen Angelegenheiten“ einmischte. Die neue AAUD-Einheitsgewerkschaft um Otto Rühle und Franz Pfempfert stellten die Notwendigkeit einer Kommunistischen Partei für die soziale Revolution jetzt völlig in Frage. Die Zersplitterung des Syndikalismus war damit aber noch nicht beendet, denn auch die FAU wurde von Richtungskämpfen heimgesucht, und ebenfalls die KAPD, die von den Debatten unter den Syndikalisten nicht unberührt bleiben konnte. Es folgte der unabdingbare Zerfall der ganzen Bewegung. Die FAUD, welche 1921 ihren Höchststand mit 150.000 Mitgliedern erreichte, verlor nach 1923 bis auf 10.000 Militante fast ihre gesamte Anhängerschaft. 1932, kurz vor ihrer endgültigen Zerschlagung durch die Nazis zählte sie nur noch 4.300 Mitglieder, und repräsentierte vor allem radikale Erwerbslose und Intellektuelle. Ab 1925 waren weder die KAPD, noch die FAU, noch die beiden Strömungen der AAU mehr in der organisierten Arbeiterbewegung präsent. Die Kader der KAPD zogen sich alsbald zurück in theoretische Zirkel. Dies war die Konsequenz aus der eigenen Ideologie dieser Strömung, die stets die Selbstermächtigung der Klasse hervorgehoben hatte. Wenn folglich die Klasse nicht mehr kämpft, dann hat diese Strömung, aus eigener Sicht, keine materielle Grundlage mehr. Diese Zirkel widmeten sich der Bewahrung und der theoretischen Aufarbeitung der Erfahrungen aus den Klassenkämpfen. Ihre Erkenntnisse konnte so immerhin in den weltweiten Klassenkämpfen ab Ende der 1960er Jahre wieder aufgegriffen werden, als die Idee der Arbeiterautonomie wieder an Boden gewann.

Der Niedergang

Zeitgleich mit dem Ende des revolutionären Aufbegehrens im Jahre 1923 klopfte der deutsche Faschismus das erste Mal heftig an die Pforten der Arbeiterbewegung. Mit ihren Marsch auf die Feldherrenhalle in München versuchten Hitler und seine Anhänger am 9. November 1923, dem 5. Jahrestag der Revolution, durch einen Putschversuch auf sich aufmerksam zu machen. Der 9. November wurde in Folge ein symbolisches Datum in der deutschen Geschichte. In der sog. Reichskristallnacht am 9. November 1938, den 20. Jahrestag der Novemberrevolution, leiteten die Nazis mit einem landesweit organisierten Pogrom ihren Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden ein. Am 9. November 1989 fiel bekanntlich die Berliner Mauer. So löschten in Deutschland drei Ereignisse von nationaler Bedeutung das einzigartig gebliebene Ereignis mit internationalistischem Charakter aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Nation gegen Klasse!

Bereits 1922 hatte der Faschismus in Italien die Macht übernommen und begann seinen Siegeszug durch Europa.54 Die faschistische Propaganda enthielt mit ihren pseudosozialistischen Phrasen immer auch ein Angebot an die erschöpfte und desorientierte Arbeiterbewegung. Diese wurde nach dem Rückzug der Klasse aber zunächst (wieder) dominiert von SPD und KPD, die sich bald ungehemmt ihrer Rivalität um den Einfluss auf die Parlamente und die Gewerkschaftsbewegung hingaben.55 Für die zentralistischen Gewerkschaften schlug nach dem Niedergang des Syndikalismus nun die Stunde der Konfrontation mit der sog. revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO).

Zunächst aber erfreute sich die deutsche Bourgeoisie an der Genesung des Kapitals durch einen wirtschaftlichen Aufschwung, der nach der großen Inflation ab Ende 1924 einsetzte. Es begannen die kurzen „goldenen zwanziger Jahre“. Der Aufschwung in Deutschland war zum einen das Ergebnis der allgemeinen Wiederaufbauperiode, die nach der Kapitalvernichtung im 1. Weltkrieg international zu einer vorübergehenden Genesung der Märkte beitrug. Zum anderen die Herausbildung von industriellen Monopolen (1925 IG-Farben, 1926 Thyssen-Krupp…) sowie damit eng verknüpfter umfangreicher Rationalisierungen. Zugleich wurde dieser Aufschwung in Deutschland von gigantischen ausländischen, hauptsächlich US-Amerikanischen und Britischen Krediten getragen. Dies, sowie die Reparationszahlungen und die durch Annexion verloren gegangene Industriegebiete brachten der „Weimarer Republik“ und ihrem Staat vor allem einen unüberschaubar anwachsenden Schuldenberg ein. Aber was soll‘s? Schulden sind auch Kapital, wie man heute wieder sehen kann. Die Lohnabhängigen jedenfalls nahmen in dieser kurzen Periode von 1924 – 1928 die Schulden kaum als die ihren war. Stattdessen erfreuten sie sich am Aufschwung, der ihnen eine ganze Reihe von Alltagsverbesserungen bescherte. 1924 blies der ADGB zu einer Offensive. Es wurde das Streikjahr der 20er Jahre, an dem in seiner Gesamtheit betrachtet mehr Arbeitsstunden ausfielen, und mehr Kollegen beteiligt waren als zuvor und danach in diesem Jahrzehnt. Die Streiks blieben ihren Forderungen nach rein ökonomisch und waren stets begrenzt auf Branchen, bzw. einzelne Firmen. Eine Taktik wie sie heute noch vom DGB gefahren wird. Diese Taktik war hier und dort Erfolgreich in Bezug auf die Löhne, und zunehmend auch auf die Arbeitszeit. Ab 1925 endete bald jeder Streik mit einem Schlichtungsverfahren unter Beteiligung der Regierung. Das führte dazu, dass die Unternehmerverbände dazu übergingen von sich aus Angebote an die Gewerkschaften heran zu tragen um sich Streiks zu ersparen. Nachdem als einziger relevanter Verhandlungspartner der ADGB übrig geblieben war dachten sich die Kapitalisten, dass sie es sich leisten könnten auf Arbeitsausfall zu verzichten und dennoch den Handelswert der Ware Arbeitskraft auf ein für sie erträgliches Niveau zu halten. Sie konnten es sich leisten! Mit Hilfe des staatlichen Schlichtungswesens. Die Zahl der Arbeitskämpfe ging alsbald erheblich zurück, und die ökonomischen Belange der Lohnabhängigen wurden mehr und mehr geheim verhandelt. Es kam vorerst dennoch gelegentlich etwas dabei rum für die Arbeiter.56 Allerdings wurden die Unternehmerverbände erwartungsgemäß immer dreister, sodass sich allmählich wieder eine Unzufriedenheit unter den Lohnabhängigen ausbreitete. Kapitalisten und Staat sahen zudem lange vor den Gewerkschaften und den Arbeitern die Krise wieder heraufziehen, und reagierten darauf zunehmend mit Eindämmungsmaßnahmen. Ab 1927 wurden die Rationalisierungen verschärft, Arbeitszeiten wurden wieder erhöht, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit ergriffen immer mehr Teile der Klasse, Löhne wurden eingefroren, bzw. gesenkt usw. Dennoch blieb der ADGB bei seiner Schlichtungspolitik, die jetzt aber in einem ganz anderen Licht stand als zu der Zeit der Streikbewegungen und des Aufschwungs. Die Macht des Kapitals war mittlerweile wieder „so ungeheuer angewachsen, dass die Gewerkschaften… tatsächlich zu Schwach waren, um sich erfolgreich zu behaupten… Das staatliche Schlichtungswesen und der Rückgang der Streiks vermittelten den Eindruck eines… wirtschaftlichen Friedens. In Wirklichkeit war der Interessensgegensatz zwischen Unternehmern und Arbeitern so unversöhnlich geworden, dass freie Verhandlungen nicht mehr zu arbeitsfähigen Abkommen führten.“ 57 Je weniger der ADGB sich jedoch auf die Kampfkraft der Klasse stützte, desto mehr begab er sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Schlichtern des Staates. Egal unter welcher Regierung. Durch eine Reihe von Gesetzen wurde der Versicherungsschutz der Lohnabhängigen (Krankengeld, Arbeitslosengeld, Rente) stark eingeschränkt. Zugleich einigten sich ADGB, Unternehmerverbände und Regierung auf ein Gesetz zur Ausweitung der Tarifverträge auf gewerkschaftlich unorganisierte, und auf „unständige“, nicht fest angestellte Arbeiter. Die Folge war, anders als der ADGB sich davon erhofft hatte, weitere Massenaustritte aus den Gewerkschaften. Die aktiven Kollegen verloren zunehmend das Interesse an „ihrer“ Organisation, nachdem diese ihnen förmlich jede Möglichkeit des Eingreifens verwerte. Die Masse der Lohnabhängigen aber spürte vor allem, dass es nicht mehr die Gewerkschaft war, sondern zunehmend der Staat, der über die Arbeitsbedingungen verhandelte und bestimmte. Zu allem Überfluss tobte zudem seit längerem eine vollkommen ideologisierte Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD innerhalb der Gewerkschaft. Wobei die KPD, in Absprache mit Moskau, ständig neue Positionen einnahm und ihre Anhänger in der Gewerkschaft mit entsprechend wechselnden Aufträgen in die Auseinandersetzung schickte um sie letztlich in die Isolation zu treiben. Ironischer weise betrachtete die KPD die Gewerkschaften umso mehr als Rekrutierungsfeld, je mehr diese ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft verloren. Hier zeigte sich der Reflex einer unreflektierten Partei auf den zunehmenden Verlust des eigenen Einflusses auf den Klassenkampf, der ohnehin kaum noch stattfand.

Auch dieses Verhängnis nahm seinen Anfang 1921 in Russland. Einige Monate nach der Niederwerfung des Aufstandes in Kronstadt und der politischen Entmachtung der Räte in der Sowjetunion wurde vom 3. – 19. Juli der „1. Internationale Kongress der roten Fach-, und Industrieverbände“, so die offizielle Bezeichnung, in Moskau abgehalten.58 Nach der internationalen Niederlage der Rätebewegung sollte nun den zentralistischen, sozialdemokratischen Gewerkschaften, die ihren Dachverband, den IGB,59 in Amsterdam hatten, etwas entgegengehalten werden. Die Abgrenzung zum IGB wird in der Präambel der roten Gewerkschaftsinternationale (RGI) bereits deutlich hervorgehoben: „Der Internationale der Kraftlosigkeit, des Wirrwarrs und der Dienstbereitschaft vor der Bourgeoisie, als welche die Amsterdamer Internationale bezeichnet werden kann, muss die Internationale der revolutionären Aktion und der Aktivität entgegengestellt werden. Eine Internationale, welche gleichsam mit der Kommunistischen Internationale die Arbeiterklasse organisiert…“ Es wurde die „Führung im internationalem Kampf gegen den IGB“ angestrebt, und betont, dass man sich „nicht vor einer Spaltung fürchte“.60 Wenn man eine Führung im Kampf anstrebt deutet das schon an, dass bereits andere diesen Kampf führen. Um diese „Anderen“ unter Kontrolle zu bringen zeigte sich die RGI zunächst recht offen gegenüber allen möglichen Arbeiterorganisationen, insbesondere gegenüber den Syndikalisten, die zu dieser Zeit (nicht nur in Deutschland) noch einen starken Einfluss auf die laufenden Klassenkämpfe hatten. Der RGI-Kongress beschloss „organisatorische Verbindungen mit allen revolutionären Gewerkschaften, sowie mit allen revolutionären Minderheiten innerhalb der IGB-Gewerkschaften anzuknüpfen“ um allesamt unter der Führung der Kommunistischen Internationale zu Vereinigen.61 Nach dem die Syndikalisten gemeinsam mit der Rätebewegung und dem revolutionären Klassenkampf allmählich verschwanden, begleitet von allerlei Verunglimpfungen durch die Bolschewiki und ihrer Parteigänger im Ausland, kam es jedoch nicht zu dem erhofften internationalen Aufschwung des Bolschewismus. Deshalb wurde von der RGI die „Taktik der Eroberung der alten Gewerkschaften“ ausgegeben. Lenin umschrieb diese neue Taktik in seiner Broschüre gegen den „Linken Radikalismus“ folgendermaßen: „Man muss es verstehen… zu allen möglichen Listen, Kniffen, illegalen Methoden, zu Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit zu sein, um nur in die Gewerkschaften einzudringen, in ihnen zu bleiben und dort um jeden Preis kommunistische Arbeit zu leisten.“62 Hierfür wurde ein detailliertes Zellensystem konstruiert, welches von den Kommunistischen Parteien des jeweiligen Landes umzusetzen war. Wohl kaum eine Partei inszenierte dieses, wie alle weiteren Drehbücher der KOMMINTERN akribischer wie die KPD. In der Praxis wirkte sich diese Eroberungstaktik aus als eine, die sich hemmungslos gegen die innere Geschlossenheit der Gewerkschaften auswirkte. Dies wurde von der Mehrheit der Kollegen mit Misstrauen und Ablehnung bestraft. Als man das erkannte wurde in Moskau beschlossen, dieser Eroberungstaktik den offiziellen Namen „Einheitsfrontpolitik“ zu verpassen. Was natürlich nichts half. Man ruderte wieder zurück. Als aktuelle Aufgabe wurde die „Errichtung der Einheitsfront aller revolutionären Kräfte“ erläutert, wer immer das in Deutschland nach 1923 auch sein sollte außerhalb der KPD. Erst nach Erfüllung dieser Aufgabe sei es angebracht „an die Einheitsfront der gesamten Klasse und die Zusammenfassung aller Organisationen zu einer einzigen Kampfeinheit zu denken.“63 Die KPD entwickelten sich im Zuge dessen zu einem fanatischen politischen Gegner der Sozialdemokratie. Absurder Weise, indem sie immer mehr deren Gedankengut von der Allmächtigkeit der Partei-Organisation übernahmen. Lediglich innerhalb des abtrünnigen kommunistischen Milieus stellte man noch Untersuchungen über die wirklichen Bewegungen der Arbeiter an, welche seinerzeit aber kaum zur Kenntnis genommen wurden. Einer von ihnen, Karl Korsch, kritisierte die heftigen Schwankungen der KPD in der Gewerkschaftsfrage weiterhin auf der Grundlage der Untersuchung der Klasse durch R. Luxemburg. Er hält fest: „Im schroffen Gegensatz zu der heute in dem einem wie dem anderen Lager eingebürgerten Auffassung, die die… gewerkschaftlichen Organisationen als lauter metaphysische Subjekte, und die einzelnen Kämpfe um Lohn und Arbeitszeit als die von diesen Subjekten ausgeübte Tätigkeit ansieht, die zugleich eine mechanische Trennungslinie zieht zwischen den Gewerkschaften und deren ökonomischen Aktionen einerseits, und den Parteien und deren politischen Aktionen andererseits, besteht die dialektische Auffassung darin, alle diese wechselnden Erscheinungen im Flusse ihrer Bewegung und Entwicklung und in ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu begreifen.“ 64 Korsch forderte folglich die Aufgabe jeder Taktik gegenüber den Lohnabhängigen zugunsten einer Interventionsstrategie, welche die inhaltliche Zusammenfassung aller Formen des Klassenkampfes zum Gegenstand hat. Er spricht von der Vielfalt des Klassenkampfes, vom „Kampf der unorganisierten“ ebenso wie von den alltäglichen Bemühungen einzelner Gewerkschafter oder gewerkschaftlicher Gruppen. Von der „über den gewerkschaftlichen Rahmen hinausgehenden, selbstständigen Bewegung der Betriebsräte und Vertrauensleute.“ Vom „Klassenkampf der Erwerbslosen“… Mit einem Wort: von allen organisierten und spontanen Kämpfen.

Während die KPD sich weiterhin mit ständig wechselnder Taktik um die Eroberung und Führung der Gewerkschaften bemühte, was u.a. darin gipfelte die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ zu halluzinieren und zu denunzieren, eroberten die wirklichen Faschisten nach und nach die Straße. Der faschistische Terror drängte vor allem der KPD in eine paramilitärische Auseinandersetzung auf, welche ihre Kräfte zunehmend bündelte und verschleißte. Die Mehrheit der Klasse schaute indes mit Entsetzen auf die blutigen Straßenschlachten zwischen dem „Rot-Front-Kämpfer-Bund (RFB) der KPD und Hitlers SA, die bald an der Tagesordnung in den Metropolen der „Weimarer Republik“ waren. Den Kampf gegen die „Sozialfaschisten“ innerhalb des ADGB führte die KPD allerdings unermüdlich fort. Solange, bis ein erneuerte Plan einer zu schaffenden „Einheitsfront“ in Moskau formuliert wurde – zu spät, wie sich herausstellen sollte. Die Klasse zeigte sich inzwischen vollkommen gelähmt. 1927/28 gab es so gut wie keine Arbeitskämpfe. Die Zahl der Erwerbslosen stieg dafür ins unermessliche. Der ADGB wurde immer handlungsunfähiger und verlor zunehmend mehr Mitglieder. Was dessen Führung nicht daran hinderte eine Kampagne gegen die KPD-Mitglieder in den eigenen Reihen anzuzetteln, die zu einer Welle von Gewerkschaftsausschlüssen führte. Für etliche KPD-Anhänger folgte aus dem Gewerkschaftsausschluss der Verlust des Arbeitsplatzes auf der Stelle. Die KPD verlor so ihren Einfluss in den Betrieben und entwickelte sich zunehmend zu einer Partei von Erwerbslosen. Das trieb sie nur noch tiefer in die Auseinandersetzung mit den Nazis, deren SA ebenfalls im Milieu dieses an den gesellschaftlichen Rand gedrückten Teils der Klasse rekrutierte. Bald waren diejenigen, die einen Arbeitsplatz hatten besessen von der Angst in die Erwerbslosigkeit mit all den sichtbaren Folgen abzurutschen. Daraus entwickelte sich eine allgemeine Agonie der Klasse gegenüber dem politischen Alltag, und eine zunehmende Handlungsunfähigkeit der organisierten Arbeiterbewegung. Diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten wurden ebenfalls von Angst und Agonie erfasst, nur sah das anders aus. Sie wurden, abgeschnitten von ihrer Klasse, in einen Sumpf der Gewalt verschlagen: In den Schlangen vor der Stempelstelle und der Armenküche, in den Obdachlosenunterkünften, in der aufgezwungenen alltäglichen Delinquenz und in den Straßenschlachten zwischen Rot-Front, Nazis und der Polizei. In dieser Atmosphäre der totalen Schwäche und Fragmentierung der Klasse konnte das Kapital bald ungehindert all seine Ansprüche an die Gesellschaft durchsetzen.65

Man darf bei all der Tragik der Ereignisse nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Der bisherige Verlauf der Geschichte beschreibt, dass die Schwäche der Klasse nicht das Resultat ihrer Uneinigkeit, sondern vielmehr umgekehrt, dass ihre Uneinigkeit stets ein Resultat ihrer Schwäche war. Sie vereinigt sich im Kampf und läuft in der Niederlage auseinander. Die kollektive Schwäche der Klasse ist wesentlich ihr Mangel an Vertrauen in die eigenen Kräfte. Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit ist aber vor allem ein Kräfteverhältnis. Die Beschaffenheit dieses Kräfteverhältnis bedingt zugleich die Verfassung der Organisationen der Lohnabhängigen, die in diesem Sinne immer nur die Begrenztheit der Bewegung zum Vorschein bringen können. Die Klasse schafft ihre Organisationen in der Auseinandersetzung mit dem Kapital. Zieht sie sich zurück, dann hinterlässt sie die Trümmer ihrer Organisationen denjenigen, die für sie die Rückzugsgefechte führen. So wird eine Linke, die sich stets als Vorhut begriffen hat, unversehens zur Nachhut. Eine im Klassenkampf hervorgebrachte Linke wird von ihrer Klasse zurückgelassen, wenn diese sich dem allgemeinen Rückzug verweigert. Bei der SPD wie der KPD führte die Begrenztheit der Klasse, wie wir heute wissen, in beiden Fällen in die Bürokratisierung. Was im Ergebnis nichts anderes als die Insolvenzverwaltung der Niederlage der Klasse durch die Linke bedeutet.66 Derart determiniert verfiel die organisierte Arbeiterbewegung hier in einen starren Dogmatismus (KPD), dort in grenzenlose opportunistische Beliebigkeit (SPD). Bei genauerer Betrachtung sind das aber nur zwei Seiten derselben Medaille

Das dahinschwinden der Kräfte des ADGB und der Arbeiterparteien wurde nach außen aber erst deutlich sichtbar im Jahre 1929, als die einbrechende Weltwirtschaftskrise die ganze Gesellschaft und damit auch die Arbeiterbewegung völlig überrollte. ADGB und SPD waren komplett im bürgerlichen Staat aufgehoben, und die KPD zunehmend im Straßenkampf gegen die Nazis. Die nationalistische Ideologie drang indessen von allen Seiten auf die Klasse ein. Die SPD schloss sich in Außenpolitischen Fragen immer mehr den bürgerlichen Parteien an, da sie über keinerlei eigene Konzepte diesbezüglich verfügte. Das entsprach wiederum der festgefahrenen Standortpolitik des ADGB. Die Faschisten, mittlerweile eine Massenbewegung, propagierten den Sozialismus als nationale Angelegenheit, und stellten einen rhetorischen Zusammenhang zwischen dem „internationalen Finanzkapital“ und dem „internationalen Bolschewismus“ her, wofür sich der menschenverachtende Antisemitismus, der bereits latent in der Gesellschaft verbreitet war, hervorragend eignete. Dies alles kam den unmittelbaren Interessen der deutschen Bourgeoisie entgegen, welche ihren Staat zunehmend in den Protektionismus drängte. Geschlossene Gesellschaft! Der KPD fiel in dieser Situation nichts Besseres ein, als sich zum „wahren Patriotismus“ zu bekennen, was die Doktrin vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ durch die stalinistische Sowjetunion widerspiegelte, jedoch in Deutschland nicht zur erhofften Stärkung der KPD führte. Obwohl diese zu diesem Zwecke extra eine innerorganisatorische Kampagne zur „Bolschewisierung der Partei“ durchzog.67 Diese von allen Seiten betriebene kontinuierliche Unterwerfung der deutschen Arbeiterbewegung unter die nationalistische Ideologie, die in den kommenden Jahren ihren Untergang begleitete, wurde durch drei Ereignisse unterstrichen: die sog. Panzerkreuzer-Affäre, der 1. Mai 1929 in Berlin und der Streik der Berliner Verkehrsarbeiter.

  • Im März 1929 setzt sich im Reichstag, trotz hoher Staatsverschuldung, und gegen die Stimmen der oppositionellen SPD und KPD, der Vorschlag des Reichswehrministers Gröner durch, den Bau eines Panzerkreuzers in Auftrag zu geben. Beide Parteien starteten daraufhin eine umfangreiche Kampagne dagegen, und machten die Angelegenheit zum Hauptthema ihres Wahlkampfes. Die Reichstagswahlen Ende Mai brachten die SPD als stärkste Kraft in eine Koalitionsregierung mit einigen konservativen Parteien, da sie jede Zusammenarbeit mit der KPD ablehnten. Ihre Stimmengewinne zog sie zweifellos aus ihrem Bekenntnis für den Frieden und gegen die Aufrüstung. Der Bau des Panzerkreuzers bestimmte indes weiterhin die politische Debatte im Parlament. Die KPD beschloss deshalb eine Kampagne für einen Volksentscheid gegen den Panzerkreuzer zu starten. Die NSDAP eine dafür. Der Volksentscheid scheiterte aus Mangel an Beteiligung des Volkes. Schließlich stimmten die Minister der SPD dem Bau des Panzerkreuzers zu. Neben der „Pflicht zur nationalen Verteidigungsbereitschaft“ wurde von Seiten der SPD die Stärkung der Wirtschaft durch den Erhalt, und den Ausbau von Arbeitsplätzen als Argument ins Feld geführt. Standortpolitik. Ein Streik der Werftarbeiter für Senkung der Arbeitszeiten und Lohnerhöhungen, der im gleichen Monat beginnt, wird vom ADGB zunächst noch gerechtfertigt mit der durch den Panzerkreuzerbau veränderten Auftragslage. Das Streikergebnis blieb trotz eines massiv geführten Arbeitskampfes zwar weit unter dem Niveau der Forderungen, aber die ganze Veranstaltung wurde zu einer, in der der ADGB die „nationalen Interessen“ des Volkes, zu dem schließlich auch die Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter gehörte, noch einmal hervorhob. Die Kampagnen von KPD und NSDAP wurden indes begleitet von weiteren blutigen Straßenschlachten. Der Auseinandersetzung „Links“ gegen „Rechts“, welche für die Linke die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit zunehmend ersetzte, führte im Parlament zu endlosen Debatten über ein Verbot der SA (und immer im gleichen Atemzug ein Verbot des RFB), was aber nur vorübergehend durchgesetzt werden konnte, und im Endeffekt dazu beitrug die Faschisten endgültig zu legitimieren.

  • Der Kampf der KPD gegen Krise, Krieg und Faschismus, wie sie es nannten, wurde vor allem von radikalisierten Erwerbslosen und Jugendlichen getragen. Deren Anliegen sollten am 1.Mai 1929 auf die Straße getragen werden. Im Einverständnis mit dem ADGB wurden die 1. Mai Kundgebungen wegen der „zu erwartenden Krawalle“ allerdings verboten.68 Dahinter steckte die Befürchtung, dass es bei diesem Anlass zu Unruhen kommen könnte, die geeignet wären große Teile der Arbeiterbewegung mit einbeziehen. Denn der allgemeine Unmut der Arbeiter lag in der Luft. Durch ihre Untätigkeit waren sie jedoch nicht einschätzbar. Die Klasse war für alle unberechenbar geworden. ADGB und SPD befürchteten folglich einen weiteren Verlust ihres Einflusses. Die KPD entschloss sich gerade deshalb zu einer Mobilisierung. Der „Berliner Blutmai“, romantisch zum „Roten Wedding“ verklärt, wurde allerdings zum Desaster für die Arbeiterbewegung. Die Losungen der KPD gegen die Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse, gegen einen neuen imperialistischen Krieg und gegen die faschistische Gefahr gingen unter in einer Schlacht mit der Berliner Polizei unter der Führung des SPD-Polizeichefs Zörgiebel. Die Polizisten schossen in die Menge. Im Vorfeld kam es bereits zu einer Hetze gegen die Demonstration, an der sich ca. 8000 Demonstranten, überwiegend aus den von starker Arbeitslosigkeit betroffenen Bezirken Wedding und Neukölln beteiligten (weit weniger als von KPD und Polizei eingeschätzt worden war). Die SPD-Zeitung „Vorwärts“ titelte noch am Vortag „Die KPD nimmt Tote in Kauf“ und legitimierte so schon im Vorfeld das Vorgehen der Polizei. Die Unruhen, bei denen es tatsächlich zahlreiche Tote gab, dauerten drei Tage an. Am zweiten Tag kam es zu einem Solidaritätsstreik mit ca. 25.000 Beteiligten in Berlin. Am Ende blieben die KPD-Anhänger dennoch isoliert. SPD und ADGB rügten Zörgiebel öffentlich für sein unverhältnismäßiges Vorgehen, die Belegschaften wurden beruhigt und die KPD mit einer Welle von Strafverfahren überzogen. Was im Angesicht dieses Ereignisses im Rückblick oft unterschlagen wurde, sind die Inhalte mit denen die KPD zu dieser Zeit auf die Straße ging. In deren Zentralorgan „Rote Fahne“ war schon länger die Rede vom Los des deutschen Arbeiters und des deutschen Volkes, welches unter dem Druck der Siegermächte zu leiden hatte. Der deutschen Bourgeoisie wurde unpatriotisches Verhalten vorgeworfen, ebenso der deutschen Regierung. Die KPD bemühte sich schlicht darum, dem Faschismus verbal entgegen zu treten, indem sie deren Rhetorik zum Teil aufgriff.69 Heißt es doch in dem zeitgenössischen Arbeiterlied: „…Roter Wedding …der Kampf wird weitergeführt, …ein Lump wer Kapituliert, …damit Deutschland den Deutschen gehört.“

  • Der letzte Arbeitskampf vor der Machtübernahme der Nazis war ein Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben im Jahre 1932. „Die Geschichte des Berliner Verkehrsarbeiterstreiks ist vielleicht die trostloseste Illustration der Agonie, der Uneinigkeit und des Zerfalls der deutschen Arbeiterbewegung.“ 70 Um eine drohende Lohnsenkung zu verhindern beschlossen die Bahnarbeiter mehrheitlich einen Arbeitskampf zu führen. Da diese Mehrheit jedoch die vom ADGB geforderten 75% knapp verfehlte wurde ein Streik von den Gewerkschaften abgelehnt. Nachdem dennoch der Streik ausbrach weigerte sich der ADGB beharrlich diesen anzuerkennen, was auch hieß, dass keine Streikgelder bezahlt wurden. Die KPD, bzw. die RGO unterstützte den Streik, der in der Berliner Bevölkerung zunächst noch auf Sympathie stieß. Zur allgemeinen Verwunderung beschloss die NSDAP, die mittlerweile über etliche Betriebsgruppen (NSBO)71 verfügte, den Streik ebenfalls zu unterstützen. So standen nun KPD und NSDAP Aktivisten nebeneinander mit ihren Sammelbüchsen, und zu allem Übel mit untereinander abgesprochenen Parolen an den Haltestellen der Metro und der Straßenbahnen, sowie vor dem Werksgelände der Verkehrsbetriebe. „Der Anblick dieser perversen Einheitsfront war für die meisten Gewerkschaftler, Sozialisten und sogar für viele Kommunisten so abstoßend, dass sich die ursprüngliche Sympathie für den Streik und die Streikenden in Abscheu und Feindseligkeit verwandelte.“72 Der Streik wurde durch die Belegschaft nach 5 Tagen ergebnislos beendet. Die Ohnmacht der Klasse und der Untergang der Arbeiterbewegung hatten ihr Exempel gefunden.

Ein Jahr später wurde die Macht im Staat in die Hände der Nazis übergeben. Kurz zuvor schrieb die „Rote Fahne“: „… sind die Nazis erst einmal an der Macht, so wird die geeinte Front des Proletariats aufsteigen und reinen Tisch machen… wir fürchten die Faschisten nicht, sie werden ihr Pulver eher verschießen als jede andere Regierung.“73 Die wilde Agitation der KPD stand jedoch in einem befremdlichen Gegensatz zur Realität der Klasse, die von allen Seiten zum bloßen Zuschauer ihres eigenen Untergangs degradiert worden war. Die Führung des ADGB unternahm noch einen letzten peinlichen Anbiederungsversuch. Um ihre politische Neutralität gegenüber dem neuen Regime zu demonstrieren sicherten sie den Nazis volle Unterstützung bei der Umwandlung des Maifeiertages vom „Tag der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse“ in einen „Tag der nationalen Arbeit“ zu. Die „Gewerkschaftszeitung“, das offizielle Organ des ADGB, schrieb zur Rechtfertigung: „Wir brauchen gewiss nicht unsere Flagge zu streichen um den Sieg des Nationalsozialismus anzuerkennen… es ist auch unser Sieg, denn heute steht die Aufgabe des Sozialismus vor der ganzen Nation.“74 Der 1. Mai 1933 wurde zu einer weiteren Machtdemonstration der Nazis. Am 2. Mai wurden die Gewerkschaftshäuser durch die SA besetzt. Die abgewirtschafteten Gewerkschaften waren für die Interessen des Kapitals nicht mehr zu vereinnahmen und wurden zerschlagen. Die Klasse fand sich bald endlich Vereinigt in der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Ihre Linke in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Der ehemalige KAPD-Militante Paul Mattick schrieb 1936 aus dem Exil: „Der indirekten Unterordnung der Arbeiter unter die Interessen des Kapitals durch den Reformismus folgte die direkte Unterordnung durch den Faschismus. So kann man... ohne Zweifel sagen, dass die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat. Sie kann nicht neu hergestellt werden.“75

Anmerkungen

1Siehe Karl Marx, „Das Elend der Philosophie“, MEW Band 4, S. 181

2Siehe www.sueddeutsche.de 06.10.2009

3Nach Meijer, Henk-Canne, „Das werden einer neuen Arbeiterbewegung“, in: Rätekorrespondenz, Heft 8/9, 1935

4Vgl. Festschrift, „50 Jahre IG – Metall“, Ludwigsburg, 1999. Auch nach dieser Schrift gab es nur noch Reallohnverlust!

5Krise des Fordismus. Einige Stichworte aus dem Wirtschaftsleben dieser Zeit: Ausbreitung von EDV und Kernenergie im zivilen Sektor, Bergbaukrise, Stahlkrise, Ölkrise, erste Automobilkrise. Sonntagsfahrverbot, Ende der Illusion auf Vollbeschäftigung …usw.

6 Engels,Friedrich, „Gewerkschaften“, MEW 19, 253.

7Das alljährliche rituelle Maispektakel der Linksradikalen (in Hamburg und Berlin) kommt zwar weniger müde, aber dafür genau so billig daher. Es blendet die notwendige Selbsttätigkeit der Klasse jedenfalls genau so aus, wie das Spektakel der Gewerkschaften, und bleibt so das persönliche „Vergnügen“ eines marginalisierten Milieus.

8Das permanente finanzielle Auf und Ab, also die konjunkturbedingte Instabilität in der Gewerkschaftskasse führte früher schon zu Veräußerungen, bzw. Auslagerungen gewerkschaftseigener Unternehmen („Neue Heimat“, „Co – Op“ usw.), Wie in anderen großen kapitalistischen Unternehmungen wurden diese Prozesse im Übrigen stets von Spekulationen, Korruptionsskandalen, Lohneinbußen der Angestellten, Stellenabbau usw. begleitet. Heute verschlimmert sich die finanzielle Lage dadurch, dass die Gewerkschaften immer mehr Mitgliedsbeiträge verlieren, und zudem ihr Anlagekapital stark geschrumpft ist, rasant. Es ist längst nicht mehr sicher, ob die DGB-Gewerkschaften in der Lage wären einen längeren Streik von einigen Zehntausend Beschäftigten, wenn sie ihn dann wirklich wollen würden, finanziell durchzuhalten.

10DGB, „Mitgliederentwicklung: Es geht voran!“ bei: http://www.einblick.dgb.de/2009/e01/e01s3.htm/

11Siehe aktuell IG-Metall kontra ver.di plus ver.di kontra CONTERM im Konflikt beim Hamburger, Bremer und Bremerhavener Gesamthafenbetrieb (GHB), oder GEW kontra ver.di während der bundesweiten KiTa-Streiks 2009, oder Transnet kontra GdL plus GdL und Transnet kontra GdED beim Bahnstreik 2007, usw.

12 Marx Karl, „Lohn, Preis und Profit“, MEW 16, 151.

13 Marx,Karl „Arbeiterassoziationen“, MEW 6, 554ff.

14 Castoriadis, Cornelius, „Was heißt eigentlich Arbeiterbewegung“, Bielefeld 1996, S. 5

15Siehe Marx Kritik am Gothaer Programm der SPD:„Die Chefs der Lassalleaner kamen, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen. Hätte man ihnen von vornherein erklärt, man lasse sich auf keinen Prinzipienschacher ein, so hätten sie sich mit einem Aktionsprogramm oder Organisationsplan zu gemeinschaftlicher Aktion begnügen müssen. Stattdessen erlaubt man ihnen, sich mit Mandaten bewaffnet einzustellen, und erkennt diese Mandate seinerseits als bindend an, ergibt sich also den Hilfsbedürftigen auf Gnade und Ungnade. Um der Sache die Krone aufzusetzen, halten sie wieder einen Kongress vor dem Kompromisskongress, während die eigne Partei ihren Kongress post festum hält. Man weiß, wie die bloße Tatsache der Vereinigung die Arbeiter befriedigt, aber man irrt sich, wenn man glaubt, dieser augenblickliche Erfolg sei nicht zu teuer erkauft.“ MEW 19, S. 13ff.

16Zwischen 1867 und 1887 steigerte sich Stimmenzuwachs für die SPD bei den Reichstagswahlen kontinuierlich von 0,4% auf 8.7%. 1890, nach dem Fall der Sozialistengesetze stieg der Stimmenzuwachs sprunghaft auf 17.4% an, um dann bis 1912 weiter kontinuierlich bis auf 32,2% anzusteigen. Begleitet wurden diese Erfolge durch eine ganze Reihe von Sozialgesetzgebungen, die vor allem die Absicherung der Lohnabhängigen im Alter und während Krankheitszeiten betraf. Zugleich konnten in für die Nationalökonomie wichtigen Berufszweigen bedeutende Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen erkämpft werden. Die „Lassalleaner“ schienen Recht zu behalten.

17Rudolf Rocker in: Bock, Hans Manfred „Syndikalismus und Linkskommunismus“, Meisenheim, 1969, S. 7f.

18 Bock, Hans Manfred, „Syndikalismus und Linkskommunismus“, Meisenheim, 1969, S.23ff.

19Freie Arbeiterunion Deutschland und Allgemeine Arbeiterunion Deutschland

20 Marx, Karl, „Brief an Wilhelm Bracke / Kritik am Gothaer Programm“, MEW Band 19, S. 13

21Freunde und Freundinnen der Klassenlosen Gesellschaft, „Thesen zur Klassengesellschaft“ in: Kosmoprolet, Heft 1, 2007

22„Proletarische Revolutionen… kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeit ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!“ Karl Marx, „Der achtzehnte Brumaire des Lois Bonaparte“, MEW 8, S. 17

23Siehe: Luxemburg, Rosa „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, 1906.

24In: „Die Neue Zeit“, April/Mai 1902

25Im Mai 1893 brach ein spontaner Massenstreik aus, an dem sich ca. 150.000 belgische Arbeiter beteiligten. Im April 1895 das gleiche Phänomen mit ca. 250.000 Streikenden. Die Arbeiter forderten die Änderung des belgischen Wahlrechts, und erlangten einen Teilerfolg (ein ungleiches Wahlrecht, indem die Stimmen der Reichen und Gebildeten mehr zählten als die der Arbeiter). 1902 brach erneut ein Massenstreik aus, und diesmal forderten die Arbeiter die vollständige Revision der belgischen Verfassung. Siehe: Cliff, Tony, „Studien über Rosa Luxemburg“, Hannover 1969, S. 23ff.

26Siehe Vogel, Angela, „ Der deutsche Anarcho-Syndikalismus. Genese und Theorie einer vergessenen Bewegung“, Berlin 1977 S. 56ff

27 Ebenda

28Siehe Dieter Schuster, „Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung“, Friedrich Ebert Stiftung, http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00148/00148toc.htm

29Die Resolution wurde erst 1907 verabschiedet und umgesetzt. 1908 verabschiedete der SPD-Parteitag in Nürnberg zusätzlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber den Mitgliedern der FVdG.

30Siehe R. Luxemburg, „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, In: Ausgewählte Schriften, Band 2, Frankfurt a.M., 1971/1906 S.27ff.

31Ebenda S. 32

32Im Grunde genommen geht der ganze Streit schon zurück auf eine alte Debatte über Form und Inhalt proletarischer Organisation innerhalb der 1. Internationale, die vor allem zwischen den Autoritäten Marx und Bakunin ausgetragen wurde. Diese Debatte beförderte zu der Zeit einige Erkenntnisse, die jedoch schon da von allerlei bösartiger Polemik überschattet wurden.

33Ebenda S. 75

34Der Massenstreik 1905 nahm seinen Anfang im Januar, während einer Demonstration mit Forderungen nach Verbesserung der ökonomischen Lage der Arbeiter in St. Petersburg. Die Demonstration wurde Niedergeschossen. Dieses Ereignis begünstigte aber ein (erneutes) Aufflammen von Kämpfen in den Industriezonen von Odessa, Lodz, Warschau, Rostow, Wladiwostok, usw. Die verschiedenen Kämpfe, mit teilweise völlig unterschiedlichen Forderungen, begannen sich aufeinander zu beziehen und bekamen allmählich einen vollständig politischen Charakter, der sich gegen das Zarenregime als solches richtete. Schließlich breiteten sich die Kämpfe auf dem Lande aus, und ergriffen selbst Teile der zaristischen Armee. Das historisch bekannteste Beispiel hierfür dürfte die Meuterei in der Schwarzmeerflotte sein, nach der das Drehbuch des Eisenstein-Films „Panzerkreuzer Potemkin“ entstand. Erst im Dezember gelang es der Reaktion die Kämpfe gewaltsam zu zerschlagen.

35R. Luxemburg, „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, S. 77ff.

36Ebenda S. 78

37Siehe Dieter Schuster, „Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung“,

38Zitiert nach: Gruppe Arbeiterpolitik (Hrsg.), „Krieg und Gewerkschaften“, Bremen, 1984, S. 44

39Siehe Dieter Schuster u. A., „Chronik der deutschen Sozialdemokratie“ auf: Friedrich Ebert Stiftung - online, Stichtag: 18./24. Aug. 1907

40Ebenda, S. 45

41…bis zu seinem Ende 1918 befanden sich 32 Staaten im Krieg.


42Ebenda S. 46

43Siehe: Andersen, Evelyn, „The Story Of The German Working-Class Movement, London, 1945“. Deutsch: „Hammer oder Ambos“ Frankfurt a. M., 1981

44Am 10. Januar 1919 gab Noske den Befehl zum Einmarsch in Berlin. Damit wollte er den anstehenden Reichskongress der Räte unterbinden. Noskes militärischer Erfolg in Berlin brachte aber nicht die gewünschte Ruhe in Deutschland. In Bremen wurde am gleichen Tag offiziell die Räterepublik ausgerufen. Im Ruhrgebiet gab es Streiks und der Arbeiter- und Soldatenrat Essen setzte eine Kontrollkommission über das Kohlensyndikat und den Bergbauverein ein…

45Zur Legendenbildung und Tatsachen um den Hamburger Aufstand von 1923 siehe den Bericht von Hans Kippenberger, dem damaligen Organisator und militärischen Führers des Aufstandes, den dieser unmittelbar danach für die Komintern in Moskau verfasst hatte. Kippenbergers Bericht war lange Zeit verschollen, er selbst wurde bald darauf, während der stalinistischen Säuberungen, in Moskau liquidiert. (Erich Wollenberg / Hans Kippenberger, „Der Aufstand in Hamburg“, in: A. Neuberg (Hrsg.) „Der bewaffnete Aufstand – Versuch einer theoretischen Darlegung“, Frankfurt a. M., 1971, S. 66ff)

46 Bock, Hans Manfred, „Syndikalismus und Linkskommunismus“, Meisenheim, 1969, S. 88

47Ebenda, S. 55ff - und Deppe, Fülberth, Harrer u. a., „Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung“ Köln 1977, S. 94ff

48Namentlich u.a. die „Gruppe Arbeiterpolitik“ aus Bremen, die „Gruppe Hamburger Kommunisten, die Gruppe „Lichtstrahlen“ aus Berlin, u.a.m.

49Dokumentiert in Hans Manfred Bock, S. 225

50Siehe Hans Manfred Bock, S. 225ff

51Die Konzentration der Aktion auf Mitteldeutschland ergab sich aus der Stärke der VKPD in diesem Gebiet. Allein im Bereich Halle-Merseburg zählte die VKPD 67.000 Mitglieder. Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag am 20. Februar 1921 erhielt die VKPD dort fast 200.000 Stimmen. Die USPD und die SPD kamen jeweils nur auf etwa 70.000 Stimmen. Allerdings war dies Gebiet vor der Vereinigung von USPD und KPD keine Hochburg der KPD. Dort war vor allem der linke Flügel der USPD stark, der gerade erst fast geschlossen zur VKPD übergegangen war.

52Zu allen historischen Fakten siehe: Deppe/Fülberth/Harrer, Bock, Anderson.

53Damit entsprachen die Anarchisten weiterhin den Organisationsvorstellungen von Bakunin, was bereits in der 1. Internationale zu Konflikten mit dem Marxisten führte.

54Im Laufe der 20er/30er und 40er Jahre wurden in etlichen Staaten Europas faschistische Diktaturen mit unterschiedlichen ideologischen Nuancen errichtet. 1922 Italien, 1926 Portugal, 1933 Deutschland, 1936 Spanien und Griechenland, 1938 Österreich, 1940 Rumänien, 1941 Kroatien, 1944 Ungarn. In etlichen Staaten gab es faschistische Massenbewegungen von großer Bedeutung. (Belgien, Bulgarien, Estland, Litauen, Finnland, Schweden, Slowakei…)

55Es existierten in der europäischen Arbeiterbewegung zudem noch Gruppen und Parteien, welche sich an der russischen Arbeiteropposition, namentlich des sog. Trotzkismus ausrichteten. Diese Strömung blieb in Deutschland aber bedeutungslos. Außer in winzigen Zirkeln fand sie sich vor allem in den linken Fraktionen der SPD wieder. Diese trotzkistische Spielart des langen Marsches durch die Institutionen setzt sich bis heute, mit der gleichen Vergeblichkeit fort.

56Siehe Evelyn Anderson, S. 154ff

57Ebenda, S. 157

58Alle nachfolgenden Kongresse wurden ebenfalls in Moskau durchgeführt.

59Internationaler Gewerkschaftsbund

60Zitiert nach Schwarz, Salomon, „Rote Gewerkschaftsinternationale“, in: Reihe Gewerkschaften, Heft 2, Berlin, 1972, S. 13

61Ebenda, S. 8

62Siehe Lenin, W. I., „Der Linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, AW Band 2, Moskau, 1947, S. 701

63Ebenda, S.17

64 Korsch, Karl, „Marxismus und Gewerkschaftsfrage“, in: Reihe Gewerkschaften, Heft 2, Berlin, 1972, S. 58

65Zu allen historischen Fakten siehe: Deppe/Fülberth/Harrer, Bock, Anderson. Bezüglich des Hamburger Aufstandes von 1923 siehe die Berichte der Zeitzeugen (Kippenberger, Münzenberg, Thalheimer…)

66Das wurde noch besonders deutlich in den Rollen, die diese Parteien nach dem zweiten Weltkrieg einnahmen. Auf beiden Seiten der Besatzungszonen, und besonders nach deren Vereinigung zur SED unter dem sowjetischen Militärrat.

67Die sog. Bolschewisierungskampagne war eine Säuberung der Partei von sog. „Links- und Rechtsabweichlern“. Man versprach sich davon endlich den Zulauf der Massen, die nun den wahren, populären (volkstümlichen) Gehalt der Partei zur Kenntnis nehmen können.

68Was nicht unbedingt außergewöhnlich war. Im Gebiet des ehemaligen Königreich Preußen war der 1. Mai ohnehin kein Feiertag. Zudem wurden während der 20er Jahre öfter die Maidemonstrationen untersagt oder einfach abgeblasen. Die Parteimitglieder hatten sich bereits daran gewöhnt diesem Tag im Salon zu huldigen. Am 1. Mai 1929 feierte die SPD darum auch gewohnheitsgemäß in geschlossener Gesellschaft. Nach Beendigung ihrer Veranstaltung geriet einer der Ihren auf dem Heimweg jedoch ungewollt in die Auseinandersetzungen im Wedding, und wurde erschossen. Das begünstigte die Teilnahme vieler SPD-Mitglieder am Streik des 2. Mai.

69Die KPD ließ sich sogar dazu herab ein Programm zur „nationalen und sozialen Befreiung“ vorzulegen, in dem die Nazis beschuldigt wurden nur einen „Scheinkampf gegen die Versklavung durch die Verträge von Versailles“ (den Kapitulationsverträgen mit den Siegermächten aus dem 1. Weltkrieg) zu führen, während sie, die KPD, die „wahren Verfechter der nationalen Befreiung“ seien. Siehe E. Anderson, S. 205 Zu allen historischen Fakten siehe Deppe u.a., Gruppe Arbeiterpolitik, E. Anderson

70 Anderson, S. 209.

71Nationalsozialistische Betriebsorganisation

72 Anderson, S. 210

73Ebenda

74Zitiert in Ebenda, S. 222

75 Mattick, Paul, „Probleme der neuen Arbeiterbewegung“, in: Rätekorrespondenz Heft 15, 1936

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.