Stuttgart 21: Die Bewegung wächst weiter

von Frederick Haber

09/10

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Die Demonstrationen an den Montagen liegen jetzt zwischen zehn- und fünfzehntausend TeilnehmerInnen, am letzten Freitag kamen über 65.000 zusammen. Die Landesregierung ist sichtbar nervös und der Oberbürgermeister bewegt sich nur noch mit Polizeischutz durch die Stadt.

Noch immer wächst also die Bewegung, ein Phänomen wie es seit den Montagsdemos in Leipzig 1989 nicht mehr in Deutschland vorgekommen ist. Der Versuch der Landesregierung, des Bahnchefs Grube und des rechten Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, Kretschmann mit einem „Runden Tisch“ die FührerInnen der Bewegung und damit auch diese einzukaufen, endete kläglich. Die (Ab)bauarbeiten sollten nur während der Verhandlung unterbrochen werden. Unter diesen Bedingungen mussten die Frontfiguren des Protestes absagen. Die Regierung blieb im Eck stehen.

Da steht sie seit Dienstag ganz offiziell ziemlich einsam:

Laut einer Umfrage der Stuttgarter Zeitung würde die CDU ein halbes Jahr vor der Landtagswahl gerade noch 35% der Stimmen erhalten, die FDP 5%. SPD mit 21% und Grüne mit 27% hätten eine Mehrheit. Die Linkspartei liegt ebenfalls bei 5%.

Noch im Februar hatte die CDU bei 43%, die FDP bei 11% gelegen, ein satter Vorsprung schnell verspielt. Hauptgewinner sind die Grünen, die damals bei 17% lagen. Die Linke konnte sich seit damals nur leicht um 1 % steigern.

Es gibt also genug Leute, die anfangen um ihre Posten zu zittern. Anders als Merkel und Westerwelle können sie nicht darauf hoffen, dass die segensreichen Auswirkungen ihrer Politik in zwei Jahren vom Wähler verstanden (oder vergessen) worden sind.

Besonders unter Druck steht die SPD. In Baden-Württemberg hat sie ihren Nicht-Regierungs-Bonus durch das bockstärrige Festhalten am Milliardengrab S21 verspielt, bevor sie ihn richtig hatte. Die Führungsriege um Schmiedel (Landesvorsitzender) und Drechsler (Fraktionsvorsitzender) ist wohl ähnlich unfähig wie die Schreibtischtäter der CDU, die Dynamik von Massenbewegungen zu verstehen. Noch immer reden sie von fehlender Aufklärung einer schweigenden Mehrheit oder gar gekauften DemonstrantInnen und wundern sich dann, wenn die Wut zunimmt.
Aber sowohl die sozialdemokratischen Gewerkschafter als auch Veteranen wie Erhard Eppler haben da offensichtlich mehr Gespür und die Initiative für einen Volksentscheid ergriffen. Letztlich geht es ihnen natürlich nur darum, den Schwarzen Peter an die CDU zu schieben. Außerdem soll damit die Lage befriedet und eine Radikalisierung der Bewegung verhindert werden.

Aber die Massen fühlen sich vor allem in ihrem Protest bestätigt, machen weiter und werden mehr.

Wie weiter kämpfen?

Weiter Hauptthema bleibt, wie der Widerstand effektiv organisiert wird.

Wir halten an dem Vorschlag fest, eine Massenbesetzung zu organisieren. Das würde gleichzeitig mehrere Zwecke erfüllen. Erstens würde sie den Schutz gegenüber der Polizei deutlich erhöhen. Zweitens würde es Druck und Entschlossenheit weiter stärken. Drittens könnte so auch ein permanentes „Aktions- und Versammlungszentrum“ geschaffen werden sowie ein Entscheidungszentrum der AktivistInnen, die ihre Führung demokratisch kontrollieren, wählen und, wenn nötig, täglich ersetzen könnten. Diese muss sich zum Ziel setzen, nicht nur einen Baustopp am Bahnhof zu erzwingen, sondern auch Sparmaßnahmen der Regierungen rückgängig zu machen - besonders in Bezug auf Gesundheitsversorgung, Rente und Arbeitslosengeld.

Andere – damit durchaus vereinbare - Vorschläge gehen darum, die Baggerarbeiten und den Abtransport des Schutts effektiv zu stoppen.

Aber um eine solche Strategie zu beraten, zu beschließen und umzusetzen, ist eine gemeinsame Krisen-Konferenz unter Beteiligung aller Bündnisse gegen S21 und Sozialabbau nötig.

So kann der Prozess, dass sich auch mehr ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen an den Aktionen beteiligen, weiter verstärkt werden - aus der Bewegung gegen S 21 kann ein Ausgangspunkt für klassenkämpferischen Widerstand werden.

Die IGM-Führung jedenfalls steht unter Druck, dass die geplante Demo am 13. November mindestens ähnlich groß wird, wie die Kundgebungen gegen S21. Und sie hat verstanden, dass sie S21 als Thema für diese Kundgebung aufnehmen muss.

Gute Bedingungen für einen Heißen Herbst im Wilden Süden.
 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 505
14. September 2010



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