Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

In memoriam Claude Chabrol (1930 – 12. Sept. 2010)
« Er stürzte die Bourgeoisie nicht ; aber er hat sie ausgezogen. »
 

09/10

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Wie schade, dass Claude Chabrol das nicht mehr erleben darf! An der aktuellen Affäre hätte der Cinéast seine helle Freude gehabt. Liebte er es doch, bei der Bourgeoisie unter das Sofa zu gucken, dunklen Geheimnissen und verborgenen Familienangelegenheiten auf die Schliche zu kommen. Nachzusehen, was sich hinter dem Glanz und unter dem Silberbesteck der Familienessen verstecken könnte. Davon zeugen programmatische Filmtitel wie ,Les innocents aux mains sales’ („Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“). Das französische Regenbogenmagazin ,Paris Match’ schrieb in seinem Nachruf auf Claude Chabrol: „Er hat die Bourgeoisie nicht gestürzt, aber er hat sie ausgezogen.“ 

Der unter dem Namen „Bettencourt-Affäre“ bekannt gewordene Korruptionsskandal, dessen Enthüllungen nicht abreiben, hätte dem Filmemacher besonders gut gefallen. Eine Tochter, die mit ihrer an Milliarden reichen Mutter bis aufs Messer verkracht ist und selbige entmündigen lassen möchte! Hausangestellte, die in den Familienstreit hineingezogen werden – und die werten Herrschaften in ihrem eigenen Haushalt abhören! Tonbandaufnahmen, die an die Öffentlichkeit geraten und Presse sowie Justiz auf gigantische Steuerhinterziehungsmanöver aufmerksam machen. Und das Ganze vor einem historischen Hintergrund von familiärer Nazikollaboration, und (also) einem Parfum von Massenmord... 

Diesen Skandal wird Chabrol nicht mehr verfilmen können: Er starb am vorletzten Sonntag, den 12. September 2010. Im Alter von 80 Jahren erlag er einer Herzrhythmusstörung, die dadurch verschärft wurde, dass er nur noch eine Lunge besaß. Die letzte vergleichbare Affäre in Frankreich, den Skandal um riesige Geldverschiebungen des Ölkonzerns Elf- Aquitaine (heute Total), der vor nunmehr 15 Jahren ins Rollen kam, hatte Chabrol noch zu einem seiner besseren Filme Anlass gegeben: ,L’ivresse du pouvoir’ (Die Trunkenheit der Macht), der 2006 – etwa drei Jahre nach dem Urteil – in die Kinos kam. Darin spielt Isabelle Huppert eine Untersuchungsrichterin, die gleichzeitig übelriechenden Geheimnissen in Wirtschaft und Politik auf die Schliche kommt und selbst vom Kitzel des Größenwahnsinns gepackt wird. Schlussendlich bleibt sie jedoch eine positive Figur. Ihr Vorbild in der Wirklichkeit, Ex-Untersuchungsrichterin Eva Joly, wird voraussichtlich in einem guten Jahr für die Grünen und ein um sie herum gesammeltes linksliberales Bündnis (,Europe Ecologie’) zur Präsidentschaftswahl kandidieren. Voraussichtlich mit ziemlichem Erfolg. 

In einem guten halben Jahrhundert hat Chabrol 57 Kino- und 25 Fernsehfilme geschaffen, zu denen Meisterwerke zählen, aber auch ein paar, die vom Publikum als gründlich misslungen aufgenommen wurden. Oder ebenso gründlich missverstanden wurden, wie beispielsweise ,Bonnes femmes’ (ungefähr: „Frauchen“, ein Film von 1960) in den frühen sechziger Jahren. Inmitten der Kritik an der Konsumgesellschaft des Nachkriegskapitalismus inszenierte Chabrol damals vier junge Frauen, die zwischen Shopping und Konsumangeboten der Kulturindustrie immer dümmer zu werden scheinen. Die zeitgenössische Kritik war der Auffassung, Claude Chabrol habe einen frauenfeindlichen Film gedreht. Er selbst, in dessen Filmen weibliche Schauspielerinnen häufig eine zentrale Charakterrolle spielen, verwahrte sich entschieden gegen eine solche Interpretation. Vergeblich, der Film erntete nur Verrissen. 

Begonnen hatte Chabrol, der als Kind eines Apothekers in einem Pariser Kleine-Leutel-Viertel aufwuchs, mit seinem Erstlingsfilm ,Le Beau Serge’ (Der Schöne Serge) im jahr 1958. Das Werk trägt teilweise stark autobiographische Züge: Es handelt von einem lungenkranken jungen Mann aus Paris, der in ein französisches Dorf kommt, wo er einstmals seinen Urlaub verbracht hat. Anders als der Tourist sieht er nun aber in die Hinter- und manchmal auch Abgründe der bürgerlichen Existenzen im Ort hinein – und wird versuchen, einen dort lebenden Freund vor dem Absturz in den Alkoholismus zu retten. Claude Chabrol drehte diesen Film in einem Dorf im Département Creuse, wo er einen Teil seiner eigenen Jugend verbrachte, weil eine Grobmutter dort lebte und sein Vater in der Résistance gegen die Nazibesatzung kämpfte.

Um ein Haar wäre der Film des damals knapp 28jährigen auf dem Festival von Cannes preisgekrönt worden. Aber eben nur um ein Haar – weil ein amtierender Minister hinter den Kulissen intervenierte: Ein anderer Film musste den Vorzug bekommen, weil er durch das damalige Staatsunternehmen EDF gesponsert worden war. Chabrol schwor sich daraufhin, nie im Leben einen Fub nach Cannes zu setzen. ER brach diesen Eid dann aber im Jahr 1978, denn hätte er das Filmfestival weiterhin boykottiert, hätte „seine“ Schauspielerin Isabelle Huppert nicht den Preis – für ihre Rolle als Giftmörderin in Violette Nozière – entgegen nehmen können. Chabrol beschloss, wie er später einmal erklärte, „nicht auszupacken mit dem, was ich alles weib“ über Intrigen und Einflussspielchen hinter den Kulissen.

Intrigen, Gift- und Elternmord, verborgene Familiendramen, die Doppelbödigkeit der „soliden“ bourgeoisen Existenz: Dies hat Chabrol zeitlebens fasziniert. Dabei hielt er sich stets an den ehernen Grundsatz: „Mein Publikum nicht langweilen.“ Spannung, Pathos, manchmal auch Grotestke waren ihm stets wichtig. Alfred Hitchkock zählte er zu seinen wichtigsten Vorbildern im Kino. Vielleicht auch deswegen hat Chabrol, der sich stets als einen Mann der Linken verstand und im Mai 1968 selbst auf den Barrikaden stand sowie Ordnerdienste bei den Demonstrationen organisierte, auch nie einen ausdrücklich politischen Film gemacht. Dennoch gilt zumindest einer seiner Filme Kritikern als „marxistisch“: In ,La Cérémonie’ (1995) ermorden eine Hausangestellte und eine Postbedienstete zusammen mehrere Grobbürger. Chabrol hat dazu erklärt, in jenen Jahren, in denen nach dem Fall der Berliner Mauer allzu viele an das Ende der Geschichte und den definitiven Triumph des Kapitalismus geglaubt hätten, an die Existenz eines Prekariats – wie man es heute ausdrücken würde – zu erinnern.

Claude Chabrol liebte an der Bourgeoisie zumindest eine ihrer Errungenschaften, das gute Speisen und den Wein. Bis zuletzt ergötzte sich an Delikatessen wie eingelegten Ziegenfübe – und war traurig, dass er auf ärztlichen Rat hin keine Inneren mehr essen durfte, obwohl er doch Nierchen mit Sahne so sehr liebte. Er kochte auch selbst und hatte ein Kochbuch mit 25 Rezepten verfasst. Aber er hatte einen feinen Seismographen für soziale Ungerechtigkeiten, die er – „ohne das Publikum anzuöden“ – aufzeigen wollte: Man müsse sie denunzieren, während man, so seine Auffassung, sie „in Amerika für Schicksal hält“. 

Trotz seines cinéastischen Schaffens verachtete Chabrol – anders als manche seiner Kollegen – das Fernsehen nicht, sondern schaute täglich bis zwei Uhr früh in die Röhre. Er ergötzte sich an trivialen Shows, an denen gerade „das Schräge, das Pathetische, die schlechte Inszenierung“ liebte, um sie mit dem Seziermesser zu analysieren. Ähnlich war sein Verhältnis zur politischen Klasse, die er aus der Nähe hatte studieren können, weil er kurzzeitig an der Elitehochschule Science Po – die viele Berufspolitiker ausbildet – eingeschrieben war, wo er aber sehr schnell hinschmiss. An seine ätzende Kritik bezüglich ihrer „Show“ erinnern sich so manche, unter ihnen Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, nur extrem ungern zurück.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.