Wie
schade, dass Claude Chabrol das nicht mehr erleben darf!
An der aktuellen Affäre hätte der Cinéast seine helle
Freude gehabt. Liebte er es doch, bei der Bourgeoisie
unter das Sofa zu gucken, dunklen Geheimnissen und
verborgenen Familienangelegenheiten auf die Schliche zu
kommen. Nachzusehen, was sich hinter dem Glanz und unter
dem Silberbesteck der Familienessen verstecken könnte.
Davon zeugen programmatische Filmtitel wie ,Les
innocents aux mains sales’ („Die Unschuldigen mit
den schmutzigen Händen“). Das französische
Regenbogenmagazin ,Paris Match’ schrieb in
seinem Nachruf auf Claude Chabrol: „Er hat die Bourgeoisie
nicht gestürzt, aber er hat sie ausgezogen.“
Der unter
dem Namen „Bettencourt-Affäre“ bekannt gewordene
Korruptionsskandal, dessen Enthüllungen nicht abreiben,
hätte dem Filmemacher besonders gut gefallen. Eine
Tochter, die mit ihrer an Milliarden reichen Mutter bis
aufs Messer verkracht ist und selbige entmündigen lassen
möchte! Hausangestellte, die in den Familienstreit
hineingezogen werden – und die werten Herrschaften in
ihrem eigenen Haushalt abhören! Tonbandaufnahmen, die an
die Öffentlichkeit geraten und Presse sowie Justiz auf
gigantische Steuerhinterziehungsmanöver aufmerksam machen.
Und das Ganze vor einem historischen Hintergrund von
familiärer Nazikollaboration, und (also) einem Parfum von
Massenmord...
Diesen
Skandal wird Chabrol nicht mehr verfilmen können: Er starb
am vorletzten Sonntag, den 12. September 2010. Im Alter
von 80 Jahren erlag er einer Herzrhythmusstörung, die
dadurch verschärft wurde, dass er nur noch eine Lunge
besaß. Die letzte vergleichbare Affäre in Frankreich, den
Skandal um riesige Geldverschiebungen des Ölkonzerns Elf-
Aquitaine (heute Total), der vor nunmehr 15 Jahren ins
Rollen kam, hatte Chabrol noch zu einem seiner besseren
Filme Anlass gegeben: ,L’ivresse du pouvoir’ (Die
Trunkenheit der Macht), der 2006 – etwa drei Jahre nach
dem Urteil – in die Kinos kam. Darin spielt Isabelle
Huppert eine Untersuchungsrichterin, die gleichzeitig
übelriechenden Geheimnissen in Wirtschaft und Politik auf
die Schliche kommt und selbst vom Kitzel des
Größenwahnsinns gepackt wird. Schlussendlich bleibt sie
jedoch eine positive Figur. Ihr Vorbild in der
Wirklichkeit, Ex-Untersuchungsrichterin Eva Joly, wird
voraussichtlich in einem guten Jahr für die Grünen und ein
um sie herum gesammeltes linksliberales Bündnis (,Europe
Ecologie’) zur Präsidentschaftswahl kandidieren.
Voraussichtlich mit ziemlichem Erfolg.
In einem
guten halben Jahrhundert hat Chabrol 57 Kino- und 25
Fernsehfilme geschaffen, zu denen Meisterwerke zählen,
aber auch ein paar, die vom Publikum als gründlich
misslungen aufgenommen wurden. Oder ebenso gründlich
missverstanden wurden, wie beispielsweise ,Bonnes
femmes’ (ungefähr: „Frauchen“, ein Film von 1960)
in den frühen sechziger Jahren. Inmitten der Kritik an der
Konsumgesellschaft des Nachkriegskapitalismus inszenierte
Chabrol damals vier junge Frauen, die zwischen Shopping
und Konsumangeboten der Kulturindustrie immer dümmer zu
werden scheinen. Die zeitgenössische Kritik war der
Auffassung, Claude Chabrol habe einen frauenfeindlichen
Film gedreht. Er selbst, in dessen Filmen weibliche
Schauspielerinnen häufig eine zentrale Charakterrolle
spielen, verwahrte sich entschieden gegen eine solche
Interpretation. Vergeblich, der Film erntete nur
Verrissen.
Begonnen
hatte Chabrol, der als Kind eines Apothekers in einem
Pariser Kleine-Leutel-Viertel aufwuchs, mit seinem
Erstlingsfilm ,Le Beau Serge’ (Der Schöne Serge) im
jahr 1958. Das Werk trägt teilweise stark
autobiographische Züge: Es handelt von einem lungenkranken
jungen Mann aus Paris, der in ein französisches Dorf
kommt, wo er einstmals seinen Urlaub verbracht hat. Anders
als der Tourist sieht er nun aber in die Hinter- und
manchmal auch Abgründe der bürgerlichen Existenzen im Ort
hinein – und wird versuchen, einen dort lebenden Freund
vor dem Absturz in den Alkoholismus zu retten. Claude
Chabrol drehte diesen Film in einem Dorf im Département
Creuse, wo er einen Teil seiner eigenen Jugend verbrachte,
weil eine Grobmutter dort lebte und sein Vater in der
Résistance gegen die Nazibesatzung kämpfte.
Um ein
Haar wäre der Film des damals knapp 28jährigen auf dem
Festival von Cannes preisgekrönt worden. Aber eben nur um
ein Haar – weil ein amtierender Minister hinter den
Kulissen intervenierte: Ein anderer Film musste den Vorzug
bekommen, weil er durch das damalige Staatsunternehmen EDF
gesponsert worden war. Chabrol schwor sich daraufhin, nie
im Leben einen Fub nach Cannes zu setzen. ER brach diesen
Eid dann aber im Jahr 1978, denn hätte er das Filmfestival
weiterhin boykottiert, hätte „seine“ Schauspielerin
Isabelle Huppert nicht den Preis – für ihre Rolle als
Giftmörderin in Violette Nozière – entgegen nehmen
können. Chabrol beschloss, wie er später einmal erklärte,
„nicht auszupacken mit dem, was ich alles weib“ über
Intrigen und Einflussspielchen hinter den Kulissen.
Intrigen,
Gift- und Elternmord, verborgene Familiendramen, die
Doppelbödigkeit der „soliden“ bourgeoisen Existenz: Dies
hat Chabrol zeitlebens fasziniert. Dabei hielt er sich
stets an den ehernen Grundsatz: „Mein Publikum nicht
langweilen.“ Spannung, Pathos, manchmal auch Grotestke
waren ihm stets wichtig. Alfred Hitchkock zählte er zu
seinen wichtigsten Vorbildern im Kino. Vielleicht auch
deswegen hat Chabrol, der sich stets als einen Mann der
Linken verstand und im Mai 1968 selbst auf den Barrikaden
stand sowie Ordnerdienste bei den Demonstrationen
organisierte, auch nie einen ausdrücklich politischen Film
gemacht. Dennoch gilt zumindest einer seiner Filme
Kritikern als „marxistisch“: In ,La Cérémonie’
(1995) ermorden eine Hausangestellte und eine
Postbedienstete zusammen mehrere Grobbürger. Chabrol hat
dazu erklärt, in jenen Jahren, in denen nach dem Fall der
Berliner Mauer allzu viele an das Ende der Geschichte und
den definitiven Triumph des Kapitalismus geglaubt hätten,
an die Existenz eines Prekariats – wie man es heute
ausdrücken würde – zu erinnern.
Claude
Chabrol liebte an der Bourgeoisie zumindest eine ihrer
Errungenschaften, das gute Speisen und den Wein. Bis
zuletzt ergötzte sich an Delikatessen wie eingelegten
Ziegenfübe – und war traurig, dass er auf ärztlichen Rat
hin keine Inneren mehr essen durfte, obwohl er doch
Nierchen mit Sahne so sehr liebte. Er kochte auch selbst
und hatte ein Kochbuch mit 25 Rezepten verfasst. Aber er
hatte einen feinen Seismographen für soziale
Ungerechtigkeiten, die er – „ohne das Publikum anzuöden“ –
aufzeigen wollte: Man müsse sie denunzieren, während man,
so seine Auffassung, sie „in Amerika für Schicksal hält“.
Trotz
seines cinéastischen Schaffens verachtete Chabrol – anders
als manche seiner Kollegen – das Fernsehen nicht, sondern
schaute täglich bis zwei Uhr früh in die Röhre. Er
ergötzte sich an trivialen Shows, an denen gerade „das
Schräge, das Pathetische, die schlechte Inszenierung“
liebte, um sie mit dem Seziermesser zu analysieren.
Ähnlich war sein Verhältnis zur politischen Klasse, die er
aus der Nähe hatte studieren können, weil er kurzzeitig an
der Elitehochschule Science Po – die viele Berufspolitiker
ausbildet – eingeschrieben war, wo er aber sehr schnell
hinschmiss. An seine ätzende Kritik bezüglich ihrer „Show“
erinnern sich so manche, unter ihnen Jacques Chirac und
Nicolas Sarkozy, nur extrem ungern zurück.
Editorische
Anmerkungen
Der Autor
stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.
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