Widerstand unter Hartz IV
Hausverbot im Jobcenter
47-Jähriger wegen Bedrohung seines Fallmanagers vor Gericht

von Peter Nowak

09/11

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»Ich werde mir mein gesundes Oppositionsempfinden bewahren, will meinen Status als Erwerbsloser beenden und hoffe dabei auf Unterstützung vom Jobcenter«, lautete das Schlusswort von Peter B. am Freitagnachmittag vor dem Berliner Amtsgericht. Der 47-jährige Neuköllner Erwerbslose stand wegen Bedrohung seines Fallmanagers vor Gericht. Er soll bei einem Termin im November 2010 mit dem Hinweis auf den Amoklauf in einer Erfurter Schule erklärt haben, so etwas könne auch im Jobcenter passieren. Der genaue Wortlaut konnte nicht geklärt werden. Dafür wurde deutlich, wie viele Hoffnungen von Erwerbslosen tagtäglich im Jobcenter enttäuscht werden. »Sie erhoffen sich als Kunden Unterstützung und werden als Antragssteller behandelt und oft abgewiesen«, so der Berliner Rechtsanwalt Jan Becker, der B. vertrat.

Der seit einem Autoanfall zu 70 Prozent arbeitsunfähige Mann bemühte sich um die Förderung einer Ausbildung als Veranstaltungsfachwirt. Von einem Neuköllner Jobcenter-Mitarbeiter hatte er eine mündliche Zusage. Deshalb ging nicht nur B. davon aus, dass bei dem Termin nur noch über letzte Details der Maßnahme geredet wird. Auch seine Begleiterin sagte am Freitag als Zeugin aus, sie sei erstaunt gewesen, dass der Fallmanager erklärte, B. sei für die Qualifizierungsmaßnahme nicht geeignet, und ihm stattdessen eine Arbeitserprobungsmaßnahme anbot.

»Je engagierter B. auf ihn einredete, desto ablehnender reagierte der Fallmanager«, erinnert sich die Begleiterin. In diesem Zusammenhang sei B. auf den Amoklauf zu sprechen gekommen. Er habe den Mitarbeiter sensibilisieren und keineswegs bedrohen wollen, beteuerte er. Dieser Lesart wollte der Richter nicht folgen. Er sprach eine Verwarnung und eine einjährige Bewährungsstrafe aus. Sollte B. in dieser Zeit wegen ähnlicher Vorwürfe erneut vor Gericht stehen, müsse er eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen à 15 Euro bezahlen. B., der einen Freispruch anstrebte, ist mit der Verurteilung ohne Strafe, wie Anwalt Becker die Verwarnung bezeichnete, unzufrieden. Er muss für die Gerichtskosten aufkommen und seine Aussichten auf eine erfolgreiche Klage gegen das vom Neuköllner Jobcenter ausgesprochene Hausverbot sind nicht gewachsen. Bis November dieses Jahres darf B. das Gebäude nur auf Aufforderung des Jobcenters betreten.

Ihnen kann geholfen werden

Doch nicht nur die Jobcenter lassen den hochmotivierten Erwerbslosen Peter B. auflaufen. Auch Michael Breitkopf, der als Sozialberater im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg arbeitet, bewährt  sich im Umgang mit B. als deren Gehilfen. In einem mir vorliegenden Schreiben an B. und andere Empfänger  tituliert Breitkopf B. als Querulanten und als Spinner,  der zu Hause verschimmeln soll. Es handelt sich dabei nicht um die Privatmeinung eines Mannes sondern das Statement eines Sozialberaters, der eigentlich dafür bezahlt wird, in solchen Fällen zu vermitteln und nicht Sozialrassismus pur zu verspritzen.

Anlage: Prozessbericht einer Besucherin aus der Berliner Erwerbslosenbewegung

Am 19. August 2011 fand der zweite Prozesstag im Moabiter Amtsgericht im Verfahren gegen Herrn B. aus B. statt. Ihm wird vorgeworfen einen Mitarbeiter, nennen wir ihn Herrn Goldmund eines Berliner Jobcenters bedroht zu haben.

Am diesem zweiten Prozesstermin sind zugegen, der Rechtsanwalt von Peter B. aus B., eine süffisante und sprachlich kaum zu verstehende Staatsanwältin, hier heißt sie Frau Narziss. Weiter der Richter, hier Herr Paternalismus und die einzige Zeugin dieses Verhandlungstages. Die Zeugin Frau Ambivalent war seine Begleitung, bei diesem Prozess auslösenden Termin im Jobcenter, an dem Peter B. aus B. den Mitarbeiter Herrn Goldmund zum Opfer gemacht haben soll.

Wir erfahren, dass Herr B. sich lange und am Ende vergeblich um eine Qualifizierung zum Fachwirt bemüht hat. Immer wieder war er in Verhandlung mit permanent wechselndem Personal. Einmal hatte er schon die Zusage für die von ihm gewünschte Qualifizierung. Es fehle ihm nun noch eine letzte medizinische Untersuchung. Dieses sollte belegen, ob er überhaupt in der Lage ist die Qualifizierung gesundheitlich zu überstehen. Herr B. aus B. ist zu 70% schwerstbehindert. Gehen, laufen, stehen -alles fällt ihm schwer. Er war nicht glücklich über eine weitere medizinische Untersuchung. Letztendlich ließ er diese über sich ergehen. Herr B. ist wegen seiner starken gesundheitlichen Einschränkung häufiger beim Arzt und kann Gutachten vorweisen. Das Gutachten der Behörde bescheinigte ihm das geforderte „Durchhaltevermögen“.

Das Jobcenter traut nur dem eigenen medizinischen Dienst zu, die Arbeitsfähigkeit von Menschen zu beurteilen und ist bereit dafür weiteres Geld auszugeben.

Wieder bekommt er einen neuen Ansprechpartner im Jobcenter, das zukünftige „ Opfer“ Herr Goldmund. Dieser lehnt die Finanzierung der Qualifizierung des Herrn B. ab.

Alle vorhergehenden Gespräche, Bemühungen und die medizinische Untersuchung sind umsonst gewesen. Herr B. versucht Goldmund im Gespräch argumentativ zu überzeugen. Aber, so erfahren wir am Ende der Verhandlung durch die Staatsanwältin Narziss, sie hat den Herrn Goldmund im Prozess als einen Behördenmitarbeiter erlebt der sich für die persönliche Meinung von Herrn B. gar nicht interessiert und sich auch nicht von Herrn B. als persönlichen Gesprächspartner missbrauchen ließe.

Nach endlosem Verhandeln ist Herr B. zutiefst enttäuscht, erschöpft und wütend. Er haut mit der flachen Hand laut auf den Tisch. Er sagt dem Herrn Goldmund, dass er sich nicht wundern dürfe, wenn so etwas wie der Amoklauf von Erfurt sich in einem Jobcenter wiederholen könne, wenn man bedenkt wie schlecht Antragsteller in Jobcentern behandelt werden.

Herr Goldmund ist erschrocken. Endlich zeigt er eine menschliche Regung. Goldmund wird von der Zeugin, die Herrn B. zu diesem Termin begleitete als unnahbar und herablassend geschildert. Zuvor habe er sich dem Herrn B. gegenüber völlig unbeeindruckt von dessen Argumenten und vorhergehenden Bemühungen oder den Zusagen seines Vorgängers, gezeigt.

Dieser Termin beim Jobcenter hatte ein einjähriges Hausverbot für Herrn B. zur Folge, mit der Begründung den Betriebsablauf zu stören und einen Mitarbeiter bedroht zu haben.

Was bedeutet das Bild von Erfurt, welches Herr B. in dieser Situation bemühte. Herr B. als Amokläufer ist kaum vorstellbar. Seine körperliche Verfasstheit steht dieser Handlung deutlich im Wege. Es muss wohl das Gefühl von absoluter Ohnmacht sein, die Abhängigkeit vom Wohl und Wehe eines einzelnen Goldmundes. Die dauerhaft mangelnde Unterstützung hat Herrn B. dieses Bild in allerhöchster Not wählen lassen.

Eine individuelle passgenaue Förderung wie das Gesetz es vorschreibt wird ihm vorenthalten. Er hat Kontakt aufgenommen zum Weiterbildungsträger, hat gemacht und getan, Goldmund sagt Nein. Weder Richter und Staatsanwältin zeigen ein Interesse daran, ob und wie die Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag einer passgenauen und individuellen Förderung im Falle des Herrn B. nachgekommen ist.

Die Forderung der Staatsanwältin Narziss zum Ende der Verhandlung lautet 50 Tagessätze a 15€, weil sie es als erwiesen ansieht, das Herr B. den Herrn Goldmund strafrechtlich relevant bedroht habe. Jetzt kann sie hart, laut und deutlich sprechen. Den ganzen Prozess über redete sie sehr leise und sehr undeutlich und vermittelt so dem Publikum den Eindruck, es solle nicht zuhören.

Auch der Richter Herr Paternalismus ist am Ende sicher dass ein Urteil den Angeklagten nur auf schuldig sprechen kann. Aber er wiederum mag Herrn B. etwas weniger „hart“ betrafen als die Staatsanwältin Exklusiv fordert. Sein Grund, der Angeklagte sei bisher nicht straffällig gewesen.

Als Arbeitende in einer Behörde befinden sich der Richter und die Staatsanwältin vereint. Da wo Aussage gegen Aussage steht hat der Behördenmitarbeiter Goldmund immer recht. Frau Exklusiv will während der zwei Prozesstage herausgefunden haben, dass Herr B. ein arbeitsscheuer Mensch ist, einer der noch nie richtig gearbeitet hat. Ihrer Meinung nach bemüht sich der Angeklagte nicht ausreichend um eine Arbeitsstelle, er sei vielmehr einer der heute dieses und morgen jenes machen wolle. Eben ein Mensch ohne das erkennbare Ziel seine Hilfsbedürftigkeit zu mindern.

Richter Paternalismus redet von der Taube die Herr B. in der Hand zu haben glaubte, als er die Zusage eines Behördenmitarbeiters für die Qualifizierung bekam. Richter und Staatsanwältin reden leichtfertig, ohne sich im Mindesten der Problematik ihres Bildes voll falscher Stereotype über Erwerbslose oder zumindest die Verantwortung für diese VorUrteile je zu übernehmen. Arbeitslosigkeit ist für die beiden kein gesellschaftliches Problem, sie geben Herrn B. ganz persönlich die Schuld. Das belegen auch die Fragen der Staatsanwältin Narziss an die Zeugin, ob und wie lange Herr B. überhaupt gearbeitet und sich beworben habe. Sie erhöht den Druck auf den Angeklagten, dessen steiniger Weg bis zu einer Zusage der Qualifizierung und der dann folgenden willkürlichen Absage des Behördenmitarbeiters Goldmund. Da ist Herr B. schwach geworden.

Richter und Staatsanwältin fühlen mit Herrn Goldmund. Dieser wird vom Richter bewundernd beschrieben, „er habe ihn kennen gelernt als einen eloquent Mann“, einer der sich nicht unnötig lange aufhält mit dem Oppositionsempfinden (Wortwahl des Richters) von Erwerbslosen wie Herr B. aus B. einer ist.

Bemerkenswert schnell vergeht die Zeit bis zur Urteilsfindung. Der Richter benötigt keine drei Minuten, den Raum mit seinem Protokollanten zu verlassen und schwupp sind die beiden Männer wieder im Gerichtsraum. Auffällig ist die geringe Redezeit die Herr B. aus B. während der über eine Stunde andauernden Verhandlung erhält. Beim nächsten Jobcenterbesuch erwartet Herrn B. das vom Behördenmitarbeiter Goldmund angekündigte Instrument der Arbeitserprobung. Die Verurteilung bürdet ihm 30 Tagessätze von 10€ auf.

Editorische Hinweise

Text und Anlage erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.