Aufruf zum Kongress der direkten Aktion und direkten Demokratie
 

09/11

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Nach 2010 findet im September 2011 der 2. Kongress der direkten Demokratie in Thessaloníki statt. Die letzten beiden Jahre waren in Griechenland - und nicht nur dort - gekennzeichnet durch brutale Angriffe der kapitalistischen Eliten auf die verbliebenen Reste sozialstaatlicher Standarts. Nach entschiedenen Abwehrkämpfen breiter Teile der griechischen Bevölkerung, nach Massendemonstrationen, militanten Auseinandersetzungen mit den Schlägern der polizeilichen Sondereinsatzkommandos, einem versuchten Sturm auf das Parlament in Athen und den Platzbesetzungen Hunderttausender "empörter GriechInnen", ist es nun an der Zeit, dem kapitalistischen Spuk ein Ende zu setzen. Entziehen wir den Herrschenden die Verfügungsgewalt über unsere Welt, über unsere Leben.

Aufruf

Der Bruch ist eine Tatsache
Hier und Jetzt: Gleichheit - Würde - Solidarität
Direkte Demokratie überall!

Kongress der Direkten Aktion und Direkten Demokratie - Aristoteles Universität Thessaloniki 5./6./7. September - Internationale Messe Thessaloniki 2011 

Die Bewegung der besetzten Plätze, die sich nach den Ereignissen in Nordafrika und in der Folge in Spanien, auch in Griechenland entwickelte, brachte das zeitgemäße politische Subjekt hervor. Mit seinem Erscheinen begann es neue Maßstäbe im zivilgesellschaftlichen Umgang und ökonomischen Antagonismus zu setzen, der uns durch die alte Welt der Ausbeutung und Unterdrückung aufgezwungen wird. In letzter Zeit haben wir in Griechenland auf Grund der Anwesenheit der Troika aus EU, IWF und EZB viele Mobilisierungen, aller möglichen Parteien und gewerkschaftlicher Organisationen erlebt. Dabei wurde deutlich, je traditioneller die Bevölkerung auf die Straße mobilisiert wurde, desto mehr blieb sie diesen Mobilisierungen fern.

  Schon lange zuvor war sichtbar geworden, dass auch die gesamte alte Welt des "Widerstands" an ihre Grenzen gelangt ist. Der Angriff der Herrschenden erfolgte derart überfallartig und allumfassend, dass zwischen Drohungen (Kredit oder Untergang) und Ausweglosigkeit (IWF oder Chaos) keinerlei Verhandlungsmöglichkeit für die hauptamtlichen Vertreter der Ausgebeuteten bestand.

  Die spontanen Platzbesetzungen der Bevölkerung spitzten die Krise noch zu. Sie verwandelte die Wirtschaftskrise innerhalb kürzester Zeit in eine politische und letztendlich in eine Staatskrise. Dem repräsentativen System, als der Gesamtheit gesellschaftlicher Organisation die alles durchdringt - den Bildungsbereich, den Öffentlichen Dienst, politische und gewerkschaftliche Aktivitäten usw. - wurde ein tödlicher Stoß versetzt. Die Menschen auf den besetzten Plätzen forderten direkte Demokratie, Gleichberechtigung, Solidarität und Würde.

  Das Thema ist nun auf dem Tisch und ein Punkt erreicht, an dem nichts weitergehen wird wie bisher, ohne eine nachhaltige Lösung für diese, von den besetzen Plätzen aufgeworfene Forderung. Der Bruch ist eine Tatsache, auch wenn viele Miesmacher der alten Welt - auch auf den besetzten Plätzen - versucht haben, ihn innerhalb des eigenen begrenzten Horizonts umzudefinieren. Dieser Bruch wurde vor allem gegenüber zwei Adressaten vollzogen. Zum einen, den politischen Parteien und zum anderen, ihren gewerkschaftlichen Fortsätzen in ihrer Gesamtheit. Die Forderung der besetzten Plätze nach Teilhabe einer/s jeden als Individuum, auf einfache, zwanglose und ursprüngliche Art, machte all die Formationen politischer Plattformen und organisatorischer Formelkompromisse der diversen Spezialisten zu einem zentralen Thema auf den Plätzen. Dieses Mal jedoch nicht als rettende Planke oder hoffnungsvoller Ausweg, sondern als Angeklagte. Angeklagt der ständigen Verbrechen, die sie im Namen und auf Kosten der Unterdrückten begangen haben und noch immer begehen. 

  Der Alternativvorschlag im Rampenlicht 

  Für uns, die wir von Anfang an in der Bewegung aktiv sind, ist eindeutig klar, dass es nicht mehr reicht die Herrschenden anzuklagen und in der Verweigerung der alten Welt zu verharren. Wir empfinden es als Verpflichtung hier und jetzt den Grundstein für Neues zu legen, einen Alternativvorschlag, der das Radikalste, den Atem der Freiheit der besetzten Plätze, beinhaltet. Aus diesem Grund und im Vorfeld der Internationalen Messe Thessaloníkis am 10. September, haben wir beschlossen einen großen dreitägigen gesellschaftlichen Ratschlag mit drei Themenschwerpunkten zu organisieren. Nicht um unsere Verweigerung zu theoretisieren, sondern um jenen kollektiven Prozess zu beginnen, der es uns auf gleichberechtigter, freiheitlicher Basis ermöglicht, direkte und positive Lösungsansätze für erreichbare Ziele, für die "kleinen" und "großen" Dinge, die unser Leben und unser Zusammenleben betreffen, (wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich) zu erzielen. 

1. Themenschwerpunkt: Montag, 5.9.
Direkte Demokratie
 

  Die direkte Demokratie kann der zeitgemäße, radikale Ausweg aus dem verrotten System von Politik und Parteien sein, wenn wir in der Lage sind das Offensichtliche wahrzunehmen. Es handelt sich momentan weder um eine rein ökonomische noch schlicht um eine politische sondern um eine Systemkrise, die bis an die Grundfeste des Ausbeutungssystems reicht. Der Vorschlag zur Umsetzung einer horizontalen gesellschaftlichen Organisationsstruktur, deren Grundbestandteil die direkte Demokratie ist, wird hier nicht gemacht um eine weitere Kritik am Bestehenden zu formulieren, sondern um es zu beseitigen.

  Aus diesem Grund handelt es sich bei direkter Demokratie nicht um eine "gute" Form der Entscheidungsfindung und Umsetzung für klar bestimmte, eingeschränkte Momente - in der Regel für "kleine" und "leicht" zu lösende Fragen. Nein, direkte Demokratie betrifft die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Organisierung, sei es die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Bildung, Energiegewinnung, oder Müllentsorgung, der öffentliche Raum, das Funktionieren der Nachbarschaften, Gemeinden, Städte und Metropolen.

  Direkte Demokratie ist eine Regierungsform, ist die horizontale soziale Beziehung, öffnet antagonistische Räume gegenüber allem, was den Menschen die Möglichkeit nimmt, selbst über das eigene Leben zu entscheiden. Ohne Vermittler und Vertretungen jeglicher Couleur. 

2. Themenschwerpunkt: Dienstag, 6.9.
Soziale & solidarische Wirtschaft
 

Als Gegenentwurf zu einer Gesellschaft in der alles und jede/r zur Ware und in Geld aufgewogen wird, können wir sofort damit beginnen Möglichkeiten anderer Wirtschaftsformen aufzuspüren.

Einer Ökonomie ohne Zwischenhändler und ohne zerstörerische Auswirkungen auf Mensch und Natur, außerhalb der Logik von Kapitalakkumulation und allumfassendem Profitstreben. Und somit Möglichkeiten direkt verwirklichbarer, praktischer Lösungen, die den gesamten Wirtschaftskreislauf betreffen - also Produktion, Energiegewinnung, Verteilung der Produkte, Müll- und Abwasserentsorgung.

Voraussetzung ist die vollständige und frontale Ablehnung der Konsumgesellschaft der schnellen Erträge, die nicht das Wohlbefinden der Menschen sondern die Gewinnerwartung der Wirtschaftselite ins Zentrum stellt (Zeit ist Geld). Der Wahn von Konsum und "Entwicklung" war für die Entwicklung der Gesellschaft mit drei wichtigen Folgen verbunden:

a) Der Einverleibung der gesamten Bevölkerung in die Logik der Warengesellschaft, die zu kurzlebigen, in immer schnellerem Rhythmus auf einander folgenden lifestyles (früher massenhaft, heute á la carte) führte. Die Besonderheit dieser Art zu Leben ist, dass das hergestellte Produkt aufgehört hat nützlich bei der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu sein, sondern es im Gegenteil der Mensch ist, der nützlich für das Sein der Ware ist.

b) Der Zerstörung der Landwirtschaft und der Überausbeutung der natürlichen Ressourcen für die Erfordernisse einer Art von "Entwicklung", deren Folgen in unvorstellbaren ökologischen Katastrophen bestehen. Der Störung der Nahrungskette und der Erzeugung unglaublicher Müllberge auf Grund massenhafter künstlicher Erzeugung von Wegwerfprodukten.

Der Produktionskreislauf verschiebt sich immer mehr in eine Richtung, wo Müll nicht als Abfallprodukt anfällt, sondern schon im Voraus produziert und verkauft wird.

Wenn wir dann noch den Energiebedarf zur Aufrechterhaltung der Konsumgesellschaft hinzufügen, verstehen wir, warum wir nicht mehr wissen wohin mit dem ganzen produzierten Dreck, warum sich die Umgebung von Kraftwerken in Wüsten verwandeln, warum Bodenschätze immer schneller zur Neige gehen.

Darüber hinaus genügen landwirtschaftliche Produkte nur noch scheinbar den biologischen Bedürfnissen des menschlichen Organismus, da der Großteil mehr "Schein" als "Sein" ist. Von den Hybriden, den genmanipulierten Organismen, den Pflanzenschutzmitteln, Düngern und Hormonen, zur Fettleibigkeit, Medikamenteneinnahme und letztendlich auf den Operationstisch. Also vom Teufelskreis der Ernährung zum Teufelskreis des Gesundheitswesens.

c) Dem massenhaften Rückzug ins Privatleben als nötiger Voraussetzung für die Ausbreitung der Warengesellschaft. Um diesem Albtraum zu entfliehen eröffnen sich andere Wege, Sollbruchstellen in der Entwicklung der Märkte. Es ist die Wiederaneignung und die Rückbestimmung des Produktionsprozesses und der Wirtschaft als nur einen Teil menschlicher Aktivitäten und nicht als deren Sinn und Ziel. Es ist die Schaffung kleiner, horizontaler Netzwerke, die den kompletten Wirtschaftskreislauf durchziehen und auf eine einfache und würdige Befriedigung unserer Bedürfnisse abzielt. Es ist die Rückkehr zu unseren Grundbedürfnissen, das Zurück zum Menschlichen.

Durch landwirtschaftlichen Anbau in direkter Umgebung der Städte, der Verteilung der Produkte ohne Zwischenhändler, der Verbindung von Landwirten und Konsumenten in einem horizontalen Prozess, dem Austausch von Diensten, Fähigkeiten und Waren, mit Umsonstläden, öffentlichen Küchen und der Wiederaneignung des öffentlichen Raumes, kann es gelingen ein Netz der Solidarität zu schaffen in dem jede und jeder gleichberechtigt nach seinen und ihren Bedürfnissen berücksichtigt wird.

Die Institution der besetzten Plätze macht endgültig Schluss mit den von Interessen geleiteten "Lösungen" der alten Welt und verschiebt die Frage der Organisierung und der Befriedigung unserer Bedürfnisse auf eine horizontale Ebene. Wenn es gesellschaftlichen Reichtum gibt, müssen auch alle diesbezüglichen Fragen und Probleme durch die Gesellschaft, also in gemeinsamen Verhandlungen, gelöst werden.

3. Themenschwerpunkt: Mittwoch, 7.9.
Verteidigung des gesellschaftlichen Reichtums

Da der Staatsapparat der Bevölkerung alle öffentlichen und gesellschaftlichen Besitztümer unterschlug, musste die Art der Produktion und Verteilung auf eine Weise organisiert sein, welche die erforderliche Zustimmung der Ausgebeuteten gewährleistete. Durch eine bestimmte Steuergesetzgebung und indirekte Bezahlung gab der Staat einen geringen Teil des produzierten Reichtums zurück, so dass die Arbeitenden über Lohn, Rente und Sozialversicherung verfügten. All das wird momentan nicht einfach beschnitten sondern gleich ganz abgeschafft. Heute leben wir unter einem Regime des Ausschlusses, dass all die kleinen, armseligen Bezüge schnellstens den Erfordernissen des Marktes angepasst.

  Der Staat entzieht sich einseitig seinen Verpflichtungen zum Erhalt der Zustimmung der Bevölkerung und tut alles dafür, die Gesetze des Marktes gegen diese durchzusetzen. Die einzige noch lebendige staatliche Funktion, die geblieben ist, ist die der Repression. Alles andere wird verkauft, weil die Erfordernisse des Marktes es nicht nur verlangen über alle Möglichkeiten menschlicher Aktivitäten zu bestimmen, sondern darüber hinaus sogar noch über seine biologischen Bedürfnisse. Die Schlinge zieht sich immer enger um alles was im "Abkommen" zwischen Staat und Gesellschaft noch als "Recht" übrig geblieben war. Die öffentlichen Verkehrsmittel, die Energiegewinnung, die Telekommunikation, die Wasserversorgung, unsere Bodenschätze, Küsten, Strände, das Gesundheits- und Bildungssystem, alles zusammen wird von der Müllabfuhr der Märkte zermahlen, um schließlich auf der Deponie menschlicher Geringschätzung zu landen.

Letzter Schutzwall gegen diesen Angriff sind alleine wir, sonst niemand. Wir können den Ausverkauf gesellschaftlichen Reichtums stoppen, indem wir ihn dieses Mal tatsächlich in gesellschaftlichen Besitz verwandeln, nicht nur scheinbar, doch faktischer Staatsbesitz, wie bisher.

Wir können damit beginnen einige dieser Beispiele zu erschaffen, die den Widerstand verbreitern. Indem wir mit der Wiederaneignung der Wasserwerke Thessaloníkis beginnen, und das Thema wer über unser Trinkwassers verfügt zu einem Fall all derjenigen machen, die tatsächlich damit zu tun haben. Den Arbeitern und Angestellten der Wasserwerke, den BewohnerInnen der Gemeinden auf deren Grund sich die Trinkwasserquellen befinden, und den Bürgern und Verbraucherinnen Thessaloníkis.

Und indem wir den Konzerninteressen und ihren Versuchen des Goldabbaus im Norden Chalkidikís praktisch ein Ende setzen. Womit die BewohnerInnen der anliegenden Gemeinden, als die direkt Betroffenen, endlich auch zu Protagonisten der Entscheidung über ihre Umwelt und ihr Leben werden.

  "Unser Drang, kraftvoll und gewaltfrei, wird jedes Hindernis hinwegfegen, dass sich der grenzenlosen Sehnsucht nach Leben entgegenstellt, eine Sehnsucht die unzählige Menschen hegen, die geboren und mit jedem neuen Tag erneut geboren werden. Die Welt die wir erbauen wird die Wurzeln der alten Welt kappen, die sich selbst zerstört." R. Vaneghiem

In diesem Sinne laden wir euch zum dreitägigen Treffen der direkten Demokratie und Vorschlägen der direkten Aktion und ihrer Umsetzung, vom 5.-7.September 2011 nach Thessaloníki/Griechenland ein. Euer Beitrag zu diesem Versuch ist mehr als wichtig. 

  Offenes Plenum für den "Kongress der direkten Demokratie 2011"

Editorische Hinweise

Den Aufruf erhielten wir von unserer LeserInnenschaft.