„Das
gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ formulierte
einmal ein vom Autor sehr geschätzter Philosoph. Ändert sich
„das gesellschaftliche Sein“, so müsste sich folgerichtig auch
das Bewusstsein ändern. In Bezug auf unsere PolitikerInnen
bestätigt sich diese These allemal. Betrachten wir „das
gesellschaftliche Sein“ der „roten“ und grünen Parteien , die
derzeit die Minderheitsregierung in NRW bilden, so gehörten sie
in der Vergangenheit zu denjenigen, die, noch an der
Bundesregierung, mit der „größten Reform der Sozialgesetzgebung“
= „Hartz IV“, auch die größten sozialen Verwerfungen in diesem
Land auslösten.
Das
„Fordern und Fördern“, als zentrale Orientierungsachse ihrer
Sozialpolitik wurde von ihnen gesetzlich verankert.
Im Bund
befindet sich „rot“/grün bekanntlich in der Opposition. Nun
läutet die herrschende schwarz/gelbe Regierungskoalition die
nächste Runde ihrer Kürzungsorgie in der Arbeits- und
Sozialpolitik mit der so genannten “Instrumentenreform“ ein und
das „geänderte gesellschaftliche Sein“ von „rot“/grün tritt in
Gestalt eines Antrags an den Bundesrat zu einem
„Sozial-Integrativen Arbeitsmarkt „ als Ausfluss„ geänderten
Bewusstseins“ zu Tage.
In diesem
Antrag (Landtag NRW, Drucksache 15/2211) werden die
Kriterien für einen solchen „Arbeitsmarkt“ wie folgt
beschrieben:
-
das
Angebot ist freiwillig
-
keine
starre Befristung der Maßnahme und Förderung
-
Einhaltung tarifpolitischer Standards
-
Zieldefinition über individuelle Hilfepläne
-
Passiv-Aktiv Transfer über die Leistungen des SGB II
-
Minderleistungsausgleich als flexibler Lohnkostenzuschuss
-
Sozialversicherungspflicht
-
Beschäftigung im privatwirtschaftlichen, öffentlichen und
gemeinnützigen Bereich
-
Nachhaltige Absicherung der öffentlichen Finanzierung „
Als
Zielgruppe werden die ca. 100 000 „ mehrjährig arbeitslosen
Menschen mit mehreren Einschränkungen „ in NRW benannt.
180°
Kehrtwende ?
Mit diesem
Antrag tut „rot“/grün in NRW so, als würde hier eine 180°
Kehrtwende in ihrer sozialpolitischen Orientierung der
vergangenen 10 Jahre vollzogen:
-
statt von
„ Fordern und Fördern“ sprechen wir nun von Freiwilligkeit,
-
statt auf
sechs Monate begrenzte „ Maßnahmen“, sprechen wir nun vom
Wegfall „starrer“ Befristungen,
-
statt von
einem Euro sprechen wir nun von „tarifpolitischen Standards“
und Sozialversicherungspflicht.
Die Chance,
SPD und Grüne vor Ort in den Stadt- und Kreisräten und auf
Landesebene auf diese Positionen festzulegen, sollte nicht
vertan werden. Dort sollten nun (erneut) Anträge für ein
Sanktionsmoratorium gestellt werden. Die parlamentarische
Behandlung eines entsprechenden Antrags der Linksfraktion im
Landtag von NRW vom Februar 2011, der allerdings nicht
beschlossen, sondern an den entsprechenden Ausschuss verwiesen
wurde, lässt jedoch nichts Gutes ahnen. Bis hier die Gutachten
erstellt und die Anhörungen erfolgt sind, hat NRW wahrscheinlich
neu gewählt.
Angesichts
von 69 000 Sanktionen, die derzeit bundesweit (rechtswidrig)
monatlich verhängt werden, ist dies ein fatales politisches
Signal für die Betroffenen. Sie sollten sich das merken.
Wahltage sind Zahltage!
Mit
Volldampf in die nächste Sackgasse
Darüber
hinaus marschiert„ rot“/grün mit der Konzeption des
Sozial-Integrativen Arbeitsmarkt geradewegs in die nächste
sozialpolitische Sackgasse.
In dem
zitierten Antrag heißt es:
„ Der
Soziale Arbeitsmarkt soll Bestandteil des allgemeinen
Arbeitsmarktes sein. Die Firmen und Träger, die entsprechende
Arbeitsplätze mit einer öffentlichen Förderung anbieten,
agieren im ersten Arbeitsmarkt und können im
privatwirtschaftlichen, öffentlichen und gemeinnützigen
Bereich tätig sein,“
An anderer
Stelle heißt es deutlicher dass „ die umfangreichen
Erfahrungen, Maßstäbe und Grundsätze der Arbeitsmarktförderung
für Menschen mit Behinderungen genutzt und angewendet werden.“
Das ist
nicht ganz neu.
Die
Quellen
Seit Jahren
geistert durch die grüne Planfindung zur Bekämpfung von
Langzeiterwerbslosigkeit der Name „Samhall“. Samhall ist
eine schwedische, staatseigene Firma, die geschützte
Beschäftigung für Behinderte bietet. Samhall beschäftigt bis zu
20 000 Menschen an mehr als 250 Orten .Der Konzern bietet
Arbeiten der „verlängerten Werkbank“ in der industriellen
Fertigung und Dienstleistungen jeglicher Art an, die sich dem
Wettbewerb stellen .Allerdings trägt der schwedische Staat zu 50
% zum Umsatz des Konzerns bei. (Quelle: Der Paritätische NRW,
November 2006)
Ähnlich
wurde offensichtlich die SPD inspiriert. Kurz nach der
Einführung von „Hartz IV“ veröffentlichte das geschäftsführende
Vorstandsmitglied des DGB; Annelie Buntenbach, im September 2006
ein „ Positionspapier: Öffentlich geförderte Beschäftigung“
mit dem Untertitel:“ Öffentlich geförderte Beschäftigung
muss mehr als 1 –Euro-Jobs sein- „ Ehrlicher zweiter
Arbeitsmarkt „ ist notwendig „
Dort heißt
es:
„ Der „
ehrliche zweite Arbeitsmarkt“ ermöglicht eine geförderte
Beschäftigung über längere Zeit auch in Betrieben, die sich dem
Wettbewerb stellen. Die Förderung soll hier einen
Nachteilsausgleich bewirken nach dem Vorbild der
Integrationsfirmen und sozialen Betriebe.“
„Soziale
Behinderung“
Mit dem
Vorschlag eines Sozial-Integrativen Arbeitsmarkts wird die
Kategorie der „ sozialen Behinderung“ in den
sozial-politischen Diskurs eingeführt. Neben multipler Sklerose
tritt nun das „multiple Vermittlungshemmnis“ als
Behinderungsmerkmal. Wie bei jeder anderen Behinderung muss
natürlich deren „ Grad“ bestimmt werden, weil sich daraus der
Prozentsatz des „Minderleistungsausgleich“ als Lohnzuschuss für
das Unternehmen ermittelt. Auf das Verfahren zur Festlegung des
Grads der „sozialen Behinderung“ darf man gespannt sein. Auch
die Festlegung der „Normalleistung“ an der die Minderleistung
gemessen werden soll, öffnet dem zukünftigen Missbrauch Tür und
Tor.
Was bleibt
ist der Lohnzuschuss der die „Wettbewerbsverzerrung“ verhindern
soll aber genau das Gegenteil bewirkt.
Die
Lohnkostenzuschüsse bei „Samhall“, als auch bei den
„Integrationsbetrieben“ vernichten schon heute reguläre
Arbeitsplätze. Das fällt zurzeit kaum auf, weil die Anzahl der
Beschäftigten jeweils bei ca. 20 000 Menschen liegt. Zur
Veranschaulichung des Problems sei ein Beispiel als dem Kölner
Raum zitiert. Ein Automobilzulieferer entlässt 40 Mitarbeiter
aus wirtschaftlichen Gründen. Einer der Entlassenen landet zwei
Jahre später in einem Integrationsbetrieb, der sich inzwischen
als Maßnahmeträger für 1 € -Jobs eine weitere Einnahmequelle
erschlossen hatte. Zu seiner Überraschung wurde er dort mit der
gleichen Arbeit beschäftigt, die er zuvor bei seiner alten Firma
verrichtet hatte: allerdings nun für die
„Mehraufwandsentschädigung“ von 1 € die Stunde. Auftraggeber
als auch Auftragnehmer bejubeln ihre „Win-Win“ Situation, in der
der eine Lohnkosten spart und seine Ausgleichszahlungen für die
Nichtbeschäftigung Behinderter senkt und der andere Umsätze und
Trägerpauschalen generiert. Verbrämt wird das Ganze dann mit dem
Anspruch der „Gemeinnützigkeit“, bei der „Hilfebedürftigen“
angeblich eine Perspektive geboten werden soll.
Verloren
hat der Arbeiter.
Weder
„sozial“ noch „integrativ“ und schon gar nicht „Arbeitsmarkt“
Sozial
ist dieser Vorschlag nicht, weil die Betroffenen in den
Integrationsbetrieben zum einem Einheitslohn beschäftigt werden
sollen, der sich knapp an der staatlich anerkannten Armutsgrenze
(=Pfändungsfreigrenze) von 1000 Euro bewegen wird.
Integrativ ist dieser
Plan nicht, weil nun geistig, körperlich und „sozial“
Behinderte in tristen Werkshallen am Rande der Städte
zusammengefasst werden, wie es heute schon bei den bestehenden
Integrationsbetrieben der Fall ist. Die Arbeitgeber werden sich
auch hier, wie bisher, von der Verpflichtung zur Einstellung von
Behinderten freikaufen.
Ein
Arbeitsmarkt findet schon einmal gar nicht statt, weil der
Preis der „Ware Arbeitskraft“ nicht durch „Angebot und
Nachfrage“, sondern durch die Höhe der staatlichen
Transferleistungen bestimmt wird.
Worum es
in Wahrheit geht
Der
wirkliche „Markt“ findet ganz woanders statt. Im Gefolge der „Hartz
IV-Reformen“ entstand ein milliardenschwerer Markt für so
genannte Maßnahme –und Beschäftigungsträger. Die Gesetze des
Marktes führten dazu, dass in den vergangenen Jahren sich nur
die „ größten“ Anbieter behaupten konnten: Caritas, Diakonie,
Internationaler Bund (IB), Arbeiterwohlfahrt (AWO), örtliche
Zusammenschlüsse kleinerer Träger, sowie die Kommunen. Sie
konkurrieren um die ständig wechselnden Programme zur
„Eingliederung“ von Langzeiterwerbslosen, die von den ARGEN,
jetzt Jobcentern, aufgelegt werden. Unter ihrer Regie schossen
die gGmbHs wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem
Boden. Das „g“ für gemeinnützig bedeutet lediglich, dass keine
Gewinne an die Teilhaber ausgezahlt werden. Ansonsten bezeichnet
die „GmbH“ eine privatrechtlich verfasste Unternehmensform mit
den entsprechenden Strukturen und den entsprechenden Einkommen
ihrer Geschäftsführung .Das bundesweit bekannt gewordenen Exzess
des Maserati für den Geschäftsführer der Berliner „Treberhilfe“
bildet hier lediglich die Spitze des Eisbergs.
„Gemeinnützigkeit“ und „Wohlfahrt“ sind längst zum Geschäft
geworden, und welches Geschäft verliert schon gerne seine
„Kunden“ ?
In „unserem
Antrag“ heißt es dazu:
„ Bei
der Förderung eines Sozialen Arbeitsmarktes müssen sich alle
Beteiligten – Langzeitarbeitslose, Träger von Angeboten und
Maßnahmen und Arbeitgeber –auf eine gesicherte Finanzierung
verlassen können.“
Es geht
also weniger um die 100 000 Langzeiterwerbslosen und deren
Schicksal, sondern eher um die „gesicherte Finanzierung“ der
Trägergesellschaften.
Was
tun?
1. Auf der Ebene der Politik
sollte man jeglicher Konzeption eines „zweiten Arbeitsmarkt „
oder „Dritten Sektor“, der irreguläre Arbeitsverhältnisse
schafft und dafür reguläre Arbeitsplatze vernichtet, eine klare
Absage erteilen.
2. Stattdessen muss - durch
eine grundsätzliche Umorientierung der Verteilungspolitik von
Steuereinnahmen- die Finanzkraft der Länder und besonders der
Kommunen gestärkt werden-
3. Dort müssen der Öffentliche
Dienst, die öffentliche Daseinsvorsorge. auf –und wieder
ausgebaut werden. Alternative Konzepte außerhalb der
hierarchischen Struktur des ÖD bedürfen einer besonderen und
nachhaltigen Förderung und Unterstützung
4. Es müssen
Beschäftigungsprogramme zum sozial-ökologischen Umbau der
Gesellschaft aufgelegt werden. Von der Wasserersparnis über
Energieersparnis, alternative Energiegewinnung, soll bei der
Auftragsvergabe auch eine Quote zur Beschäftigung von sog.
Langzeiterwerbslosen eingeführt werden.
5. Ein gesetzlicher
Mindestlohn von 12 € Brutto muss eingeführt werden.
6. Die Verkürzung der
Tagesarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich muss wieder auf die
Tagesordnung gewerkschaftlicher Forderungen, sowie der Politik
gesetzt werden
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Artikel am 12.9.2011
vom Autor. Manfred Müller ist Mitglied der LINKEN in
Köln und dort Sprecher der Linken Erwerbslosen
Organisation ( L.E.O.)