Wein und Widerstand!
Die radikale Linke stürmt die Mailänder Börse


von
Aug&Ohr

09/11

trend
onlinezeitung

Als Auftakt zum Geneneralstreik hat sich die Basis-Linke die Mailänder Börse vorgenommen.  Es waren nicht viele, aber die haben Furore gemacht! Der Protest galt dem neuen – die Reichen schonenden – Belastungspaket. Einem Teil der Protestierenden gelang es am Vormittag, dem 5. September bis in die 4. Etage der Börse vorzudringen  und dort ein Büro zu besetzen (1), anderen wurde der Weg beim Eingang vom Sicherheitspersonal versperrt (2).

Vor der Börse, auf der Piazza Affari (3), wurde, nach dem Muster der spanischen acampadas, ein kleines Zeltlager, bestehend aus sieben Zelten, errichtet (4). Die Polizei war gleich da und versuchte , zwei Zelte, in denen sich Leute befanden, aufzureißen und wegzuzerren (5). Die Zelte sollten die prekären Lebensumstände der jungen Generation symbolisieren. Daraufhin kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen zwei AktivistInnen verletzt wurden. Schließlich zogen sich die Ordnungshüter zurück (5).

Vom Balkon im 2. Stock hingen indes Fahnen der Basisgewerkschaft herab. Das Gebäude und der Platz waren voll mit Losungen.„Predicate Austerity! Raccoglierete rivolte! Que se vayan todos!“ (Ihr predigt Sparen, ihr werdet Revolten ernten! Verschwindet von der Bildfläche!) hieß es (5), zum Teil in Anlehnung an die spanische Bewegung.


Riccardo Germani, Sekretär der Basisgewerkschaft der Provinz Mailand: „Wir sind nicht gewillt, für irgend ein Paket zu zahlen, wir wollen auch keine Soft-Varianten und am allerwenigsten alternative Vorschläge, die von den (staatsnahen, AuO) Gewerkschaften, den Parteien der Mehrheit oder der Opposition abgesegnet werden. Die Lösung für die Krise ist die Tilgung der Schuld.“ (5) Ganz in der Tradition jener Arbeiterbewegung, die die Logik der Gegenseite als völlig irrelevant für die eigene Argumentation ablehnt.

Durch zähes Verhandeln gelang es nach zwei Stunden (so lange blieb die Börse besetzt), für die Zusage des Abzugs die Zusicherung zu erhalten, bis zum Tag darauf auf dem Platz bleiben zu dürfen, also bis zum Generalstreik.

Draußen gingen die Auseinandersetzungen weiter, und die PlatzbesetzerInnen erkämpften sich hier, daß zwei Zelte vor der Börse – auch Palazzo Mezzanotte, Palais Mitternacht, genannt (6), bleiben durften, die anderen mußten in den hinteren Teil des Business-Platzes verfrachtet werden. Auf diesem Platz traf am Abend um ½ 9 Uhr der Protestzug der (links von der CGIL stehenden) Metallarbeitergewerkschaft FIOM ein, an dem sich auch große Teile der radikalen Basis-Linken beteiligten.

„Es wird ein dichtes Programm geben, und wir werden in den Zelten übernachten. Wir werden grillen, und an Musik und Wein wird´s nicht mangeln, Mailänder Schauspieler und Musiker haben sich schon angemeldet, und es wird die ganze Nacht dauern …“ berichtet Germani.

Die Bewegung braucht keine libertäre Fraktion oder Subkultur, sie hat seit jeher libertäre Substanz.

Zwei politische Kräfte haben diese Aktion getragen, und die Initiative ergriffen zunächst einige Wenige. Es waren 8 AktivistInnen des Mailänder Centro Sociale Cantiere (5) („Werkstatt“, „Baustelle“) und Militante der USB (Unione Sindacale di Base), der größten Basisgewerkschaft des Landes, eigentlich ein Zusammenschluß dreier Basisgewerkschaften, der 2010 gegen die staatsnahen Gewerkschaften CGIL-CISL-UIL entstand (7).

Bei der Ankündigung der Teilnahme am Generalstreik bemerkte Pierpaolo Leonardi von der Führung der USB: „Wir möchten darauf aufmerksam machen, daß das Belastungspaket 2010-2011 sich auf insgesamt 130 Milliarden Euro beläuft, das entspricht einer Summe …,  die drei Mal so hoch ist wie die des Sparpakets von Amato (8) im Jahre 1992, mit dem der Eintritt in die EU erkauft wurde. Die kämpferische Gewerkschaftsbewegung (9) fordert dagegen die völlige Tilgung der Schulden, die Einstellung der Rüstungsausgaben, eine aktive Budgetpolitik im sozialen Bereich, in der Bildung, beim öffentlichen (gesellschaftlichen) Eigentum. …“ (10)

Aber etwas für die bisher EU-treue Linke Neues merkt man in folgenden Ausführungen: „ Das Regierungspaket verschärft sich von Tag zu Tag, es ist der Ausdruck eines regelrechten Klassenhasses gegen die Arbeiter, die Pensionisten, die Arbeitslosen, die Jugendlichen und die Prekären. Dieses Paket darf nicht beschlossen werden. … Die Europäische Union ist nicht die Lösung der Probleme, sondern die Krankheit selbst, und morgen werden wir in ganz Italien gegen den sozialen Raubbau, der den Nationalstaaten aufgezwungen wird, um die unersättliche Gier der Banken und Spekulanten zu befriedigen, auf die Straße gehen.“  (10)

Die centri sociali verstehen sich nicht als Subkultur, die kämpferischen Gewerkschaften nicht als Steigbügelhalter des Kapitals
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Anmerkungen

(1)    Irruzione antagonisti, polizia tenta sgombero, ANSA, 5. 9. 2011

(2)    Gli “antagonisti” occupano Piazza Affari: «Rubano ai poveri per dare ai ricchi», online news, 5. 9. 2011

(3) neudeutsch: Business-Platz

(4) Milano, scontri in Piazza Affari - blitz dei centri sociali in Borsa, La Repubblica, 5. 9.  2001

(5) Borsa Milano, irruzione degli antagonisti, Corriere della  Sera, 5. 9. 2011. http://milano.corriere.it
. Der brutale Räumungsversuch ist hier zu sehen!

(6) nach ihrem Erbauer, Paolo Mezzanotte

(7) Nasce l'Unione Sindacale di Base, Global Project, 14. 5. 2010

(8) Giuliano Amato, Ministerpräsident von 1992 bis 1993 und 2000 bis 2001

(9) Im Original “il sindacalismo conflittuale”. “Conflitto” bedeutet im Italienischen nicht bloß “Konflikt” im blassen Sinn etwa von Interessensdivergenz, sondern tiefgehende und aktive soziale Auseinandersetzung. Eine „conflittuale“ Gewerkschaft könnte man also mit „kämpferische“ Gewerkschaft, oder militante Gewerkschaft umschreiben, wenn man hier „militant“ im Sinne von aktiver Teilnahme am politischen Kampf versteht, und nicht in der abgehalfterten Zeitungsbedeutung von „gewalttätig“.

(10) Manovra bis: USB, esprime odio di classe. Non deve essere approvata,  Asca, 5. 9. 2011
 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.