Betrieb & Gewerkschaft
Tagung in Kassel
Hände Weg vom Streikrecht!

Bericht von Peter Lenz

09/11

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Die Tagung in der Kasseler Uni hätte mehr TeilnehmerInnen verdient gehabt, weil sie in vielerlei Hinsicht bemerkenswert war. Es waren über 40 Leute gekommen - was insofern positiv bewertet wurde, da mehrere andere Aktivitäten an diesem Wochenende liefen, aber auch, weil viele schon die DGB/BDA-Initiative für erledigt gehalten hatten.

Der erste Referent war Wolfgang Däubler. Er bot in leisen Tönen eine vernichtende Kritik an den Spitzen von DGB, IGM und ver.di. Diese hatten im letzten Jahr eine gemeinsame Gesetzesinitiative mit dem BDA gestartet. Diese war nach geharnischten innergewerkschaftlichen Protesten im Juni grandios gescheitert. Ver.di zog sich darauf aus der Initiative zurück, schließlich gab auch DGB-Chef Sommer auf, heftig kritisiert von den BDA-Spitzen. Aber auch von IGM-Chef Bertold Huber. Alles in allem eine desaströse Vorstellung. 

Bunkermentalität der Gewerkschaftsbosse 

Wolfgang Däubler zeichnete mit gekonnten Formulierungen die Bunkermentalität der Gewerkschaftsoberen nach, die den Draht zur Basis verloren hatten. Sie hatten nicht im Geringsten bemerkt, was sich da an Kritik bei den Basismitgliedern gegen eine Gesetzesinitiative zusammen mit BDA-Hundt, gerichtet an eine schwarz/gelbe Regierung, zusammenbraute.

Wolfgang Däubler führte aus, dass die Unfähigkeit der schwarz-gelben Regierung in diesem Fall ein Glücksfall für die Gewerkschaftsbewegung gewesen sei. Selbst diese faktische Steilvorlage konnte sie nicht im Sinne des Kapitals aufnehmen.

Die DGB-Spitze hatte schlicht den gewachsenen Einfluss der Spartengewerkschaften unterschätzt. In vielen Bereichen wären DGB-Gewerkschaften gegenüber GDL, Marburger Bund u.a. schlicht ins Hintertreffen geraten. Das mussten Sommer und Bsirske erst mal von Basis-Gewerkschaftern klargemacht werden, die Angst hatten, in Zukunft nur noch gewerkschaftspolitische Statisten im Betrieb zu sein.

Dabei ist ja gerade der DGB in den letzten Jahren eklatant vom Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ abgewichen. Die Spartengewerkschaften sind erstarkt - u.a., weil DGB-Gewerkschaften grottenschlechte Tarifverträge für bestimmte Beschäftigtengruppen abgeschlossen hatten.

Dabei hattan die DGB-Gewerkschaftsspitzen immer den Rahmen akzeptiert, der von Kapitalistengruppen oder Staat vorgegeben wurde, um dann diesen Spielraum unter Tarifkampf-Ritual-Getöse unter ihrer Klientel zu verteilen, zunehmend intransparent und kaum durch die Mitglieder kontrollierbar.

Für viele waren Tarifverträge gerade im Öffentlichen Dienst oder in privatisierten Bereichen  geradezu Lohnabbauverträge.

Die DGB-Gewerkschaften haben auf viele Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur keine Antworten, teilweise verschärfen sie die Probleme noch durch den Konkurrenzkampf um Mitglieder im gleichen Betrieb. Es gibt heute Betriebe, z.B. einen Raffineriebetrieb in Hamburg, wo Tausende Menschen, aber nur noch knapp zehn Prozent „Stammpersonal“ arbeiten. Die anderen sind Leiharbeiter, Zeitarbeiter, „Selbstständige“, Mitarbeiterinnen von Fremdfirmen usw. Um die „StammarbeiterInnen“ zoffen sich dann noch mehrere DGB-Mitgliedsgewerkschaften.

Die Tariflandschaft ist total zerklüftet. Vom „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ ist das natürlich Lichtjahre entfernt.

Nach Wolfgang Däubler folgte ein Beitrag eines Vertreters der GDL Stadtverkehr München, in der BusfahrerInnen der MVG organisiert sind. Viele der GewerkschaftsaktivistInnen sind ehemalige ver.di-Mitglieder, die ihre Gewerkschaft scharenweise in Richtung GDL verlassen haben. Mit der GDL wurden sie wieder aktionsfähig und haben erste Erfolge errungen. Der GDL-Vertreter führte aus, dass die GDL flachere Strukturen habe und vor allen Dingen arbeite, wie man sich eine Gewerkschaft vorstelle: Durchsetzung der Forderungen der Mitglieder und nicht Vertretung der Interessen der Unternehmensleitung.

Anschließend ein Beitrag der FAU, deren Vertreter einige Beispiele für den Kampf der anarchosyndikalistischen Föderation vorstellte, die von Staat und Kapital verfolgt wird. So fordert der Staatsschutz Firmen auf, FAU-Mitglieder zu entlassen. Trotzdem gab es einige erfolgreiche Aktionen.

Der letzte Referent war ein Wissenschaftler der Uni Kassel, der sehr interessante Informationen zu den „Branchengewerkschaften“ lieferte. UFO, Feuerwehrgewerkschaften, Fluglotsengewerkschaft wurden als Beispiele vorgestellt. 

Kasseler Erklärung 

Nach einer Mittagspause stellte Willi Hajek einige Thesen vor, die anschließend in AGen ebenso wie eine „Kasseler Erklärung“  diskutiert wurden.

Es wurden auf der Versammlung viele Kontakte geknüpft zwischen den anwesenden GewerkschafterInnen und Pläne geschmiedet für weitere Aktionen. Die Tagung zeigte, dass es zwischen BasisaktivistInnen verschiedener Organisationen keine Berührungsängste gibt und es durchaus das Bedürfnis gibt, gemeinsam für die Durchsetzung von Forderungen einzutreten. Das ist das eigentliche Signal der Tagung in Kassel.

Noch eine bemerkenswerte These: In den von den Gewerkschaften „befriedeten“ Bereichen, wo staatlicherseits das Streikrisiko sehr hoch angesetzt ist, brechen Widersprüche über Bewegungen wie die gegen S21 aus und finden massenhaften Anhang.

Die Tagung beschloss einstimmig eine „Kasseler Erklärung“ sowie eine Solidaritätsadresse an die Beschäftigten der outgesourceten Bereiche der Berliner Charite Kliniken.

 „Kasseler Erklärung“: Zum Ausstieg des DGB
aus der DGB/BDA Initiative zur „Tarifeinheit“

DGB/BDA Gesetzes-Initiative zur Tarifeinheit......

Zusammen mit der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hatten die Vorstände des DGB und seiner Einzelgewerkschaften im Juni 2010 mit ihrer Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit versucht, das Streikrecht zu beschneiden. Minderheitsgewerkschaften sollte eine Friedenspflicht (und somit ein generelles Streikverbot) aufgezwungen werden. Damit verstiegen sich DGB und BDA dazu, einen Angriff auf die Koalitionsfreiheit zu führen.

...autoritäre Reaktion des DGB auf „gewerkschaftliche Landschaft in Bewegung“.

Die gesetzliche Herstellung einer „Tarifeinheit“ hätte bedeutet, dass die jeweilige „Minderheitsgewerkschaft“ nach Abschluss eines Tarifvertrages durch die in einer Branche oder einem Betrieb vorhandene „Mehrheitsgewerkschaft“ nicht mehr hätte streiken dürfen. Der Versuch des DGB, über die Einschränkung des Streikrechtes dem wachsenden Einfluss von Spartengewerkschaften und Berufsverbänden zu begegnen, konnte vor allem durch die erfreuliche Protestwelle innerhalb der DGB-Gewerkschaften aber auch durch die eindeutig ablehnende Haltung maßgeblicher Arbeitsrechtler_innen, gestoppt werden. Dazu trugen auch Aktionen und Veranstaltungen von Basisinitiativen, der FAU sowie Proteste von GDL, GDL-Stadtverkehr, Marburger Bund und anderen betroffenen Gewerkschaften bei.

Die Vorstände von ver.di, DGB und IG-Metall haben aber deutlich gemacht, dass sie weiterhin von der Richtigkeit ihrer Initiative überzeugt sind, und auf „anderen Ebenen“ ihr Ziel weiterverfolgen wollen.

Wir lehnen dieses ignorante Verhalten gegenüber dem deutlich gewordenen Willen der gewerkschaftlichen Basis ab! Wir fordern die Führungsgremien der DGB-Gewerkschaften auf, keine weiteren Versuche zur Monopolisierung des Abschlusses von Tarifverträgen (und damit Beschneidung des Streikrechts) zu unternehmen.

Demokratie im DGB.....

Die Beteiligung des DGB an der BDA-Initiative kam ohne Beschlussfassung – ja ohne jegliche Konsultation seiner Basis zustande. In den DGB-Gewerkschaften ist seit Jahren eine Zunahme undemokratischer Willensbildungsprozesse feststellbar. Von der Zentralisierung der Entscheidungsprozesse in den Vorständen bei ver.di und IG-Metall über die Nichtbeteiligung der IGM-Vertrauensleute bei der Aufstellung der Tarifforderung in der Tarifrunde 09/10 bis zu der gewerkschaftspolitisch äußerst bedeutsamen Entscheidung zur Beteiligung an der Tarifeinheitsinitiative der BDA – überall ist die Tendenz zur Entmündigung der gewerkschaftlichen Basis bemerkbar. Erklärbar wird dies nur, wenn wir diese Entdemokratisierung einordnen in die Anpassungspolitik des DGB und seiner Einzelgewerkschaften an die Profit- und Standort-Interessen des deutschen Kapitals. Da stören demokratische Prozesse zur Feststellung der Bedürfnisse und Interessen der KollegInnen an der Basis und eine kämpferische Tarifpolitik.

Wir treten für die Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten von Gewerkschaftsmitgliedern an der Willensbildung ein, auch und gerade in Situationen gewerkschaftlichen Kampfes! Vor allem wollen wir eine Transparenz bei Tarifverhandlungen. 

....und in anderen Gewerkschaften. 

Spartengewerkschaften entschließen sich bei der Durchsetzung ihrer Tarifpolitik eher zu Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik als so manche Einzelgewerkschaft des DGB. Damit gelingt es ihnen, KollegInnen anzusprechen und einzubeziehen. Allerdings geraten auch sie in Widersprüche bei der Beteiligung von KollegInnen, wenn es um Entscheidungsprozesse über die Fortsetzung oder den Abbruch von Streiks geht. Auf der Grundlage einer grundsätzlich sozialpartnerschaftlich verorteten Politik sind – wie bei den DGB-Gewerkschaften – tendenziell undemokratische Prozesse feststellbar.  

Sozialpartnerschaftliche Praktiken stehen einer konsequenten Durchsetzung der Interessen der KollegInnen entgegen. Standortideologie – ob auf betrieblicher, Konzern- oder nationaler Ebene – lehnen wir ab. Wir brauchen stattdessen übergreifende Solidarität gegen die Macht des Kapitals. 

Darüber hinaus wollen wir:

  • Ausweitung statt Einschränkung des Streikrechtes! Das Recht auf politischen Streik bis hin zum Generalstreik müssen wir uns nehmen!

  • Gemeinsam gegen Dumping-Politik der UnternehmerInnen und deren Pseudo-Gewerkschaften statt jeder für sich (DGB und Spartengewerkschaften).

  • Solidarische Aktionen über alle Gewerkschaftsgrenzen hinweg statt sich gegenseitig zu blockieren!

Einstimmig angenommen auf der Tagung der Initiative „Hände weg von Streikrecht! – Für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit.“ Kassel, den 10.09.2011 

Kontakt: peter.gerstmann@gmx.de

Editorische Hinweise

Bericht und Erklärung übernahmen wir von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 576
14. September 2011

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