Bemerkungen zur Dialektik bei Herbert Marcuse


von Robert Steigerwald

09-2012

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Es ist ein gutes Zeichen, daß Arbeiten Herbert Marcuses einen so großen Einfluß auf den aktivsten, progressiven, besten Teil unserer jungen Intelligenz gewonnen haben. Denn Marcuse ist ein ungewöhnlich scharfsichtiger Kritiker des Kapitalismus, dieser schlimmsten aller Ordnungen, die den Menschen zum Mittel erniedrigen, ihn entmenschlichen. Marcuse steht links, ist also wirklich ein Kritiker dieser Ordnung, kein sich kritisch herausputzender Konservativer oder Rechter wie einst Nietzsche oder Jünger. Ein durch kapitalistische Dehumanisierung tief verletzter Mensch meldet sich vernehmlich zu Wort. Seine Anklagen messen das, was der Mensch heute ist: was er in Vietnam ist, in den amerikanischen Negerslums, in den zwar hygienisch einwandfreien, neonerhellten technisch perfekten Räumen moderner Großbetriebe als Anhängsel der Maschine ist. Sie messen das an dem, was der Mensch heute sein könnte und sollte. Und jene jungen Menschen, die zutiefst empört sind über die beispiellose Heuchelei, die mit dem Wort Freiheit betrieben wird, wenn es dazu dient, praktisch betriebenen Völkermord zu tarnen, die erschrocken sind über die Anfälligkeit bürgerlichdemokratischer Regime für den Faschismus, diese jungen Menschen wenden sich dem bedeutenden Kulturund Sozialkritiker zu. In semer Kritik spüren sie einen Anklang ihrer eigenen Stimmungen. Dies um so mehr, als Marcuses gleichzeitige Kritik an den sozialistischen Ländern und der sozialistischen Arbeiterbewegung, sein Vorwurf an diese Adresse, eine große Verheißung verraten zu haben, dem Werk Marcuses einen unparteiisch objektiven Schein gewährt. In der Gefolgschaft Marcuses ist man frei zur Kritik und Rebellion nach jeder Seite hin, stellt man sich gegen eine ganze Welt von Feinden oder falschen Freunden, elenden Heuchlern. Wir können in der Tat Marcuse für seine Kritik des modernen Kapitalismus dankbar sein. Allerdings müssen wir fragen, ob diese Kritik uns genügen kann. Wir meinen, daß grundlegende Mängel im theoretischen Instrumentarium, in der Dialektik, Marcuse daran hindern, eine solche Kritik des Kapitalismus zu entwickeln, die den Weg zur Überwindung dieses Systems weist.

HERAKLIT VERSUS HEGEL

Beginnen wir mit Hegel. Hätte er nur darauf bestanden, daß der Kampf entgegengesetzter Elemente Quell alles Werdens sei, würde er das Niveau der heraklitischen Dialektik nicht überschritten haben. Daß der Streit der Vater aller Dinge sei, war gewiß eine großartige Einsicht. Doch sie sagt uns noch nicht, w i e aus dem Kampf gegensätzlicher Momente Neues hervorgeht. Bleibt es bei ewiger Spannung zwischen Position und Negation, s o folgt daraus gerade kein Werden. Wie der Kampf der widerstreitenden Seiten in ein neues widerspruchsvolles Etwas „aufgelöst" wird, in solch Neues umschlägt, das folgt aus der Widerspruchsthese noch nicht. Gäbe es jedoch solche „Auflösung" nicht, fände auch kein Werden statt. Gibt es aber solches Fortschreiten durch Widersprüche, so ist dessen Gesetzmäßigkeit zu klären. Fehlt solche Gesetzmäßigkeit, der Umschlag von einer widerspruchsvollen in die andere also chaotisch, so folgt daraus, daß sich, aufs Ganze gesehen, solche Qualitäts-Umschlage gegenseitig annullieren.

Dasselbe gilt, wenn es nur den einfachen Umschlag der einander widersprechenden Seiten gäbe. Das Ergebnis wäre ein einfacher Kreislauf. Bald negierte die Position, bald wieder die Negation. Wenn die einander widersprechenden Momente nur im Verhältnis des absoluten Gegensatzes stünden, wäre dieser einfache Umschlag, der Kreis» lauf, unabwendbar. Die Negation träte an die Stelle der Position, und dann wieder geschähe das Gegenteil. Es gäbe keine Entwicklung. Alles das wäre Stillstand unter dem Schein von Bewegung. Gibt es aber Gesetzmäßigkeiten des Fortschritts und deckt Dialektik diese Gesetzmäßigkeit nicht auf, so liefert die Theorie in Wahrheit eine Begründung des Stillstandes unter dem Anschein einer Theorie der Bewegung.

Wir wollen zeigen, daß Marcuses Dialektik gerade diesem Fehler verfällt.

Hegels Dialektik übersteigt das skizzierte Niveau heraklitischen Denkens. Nichts gibt es, „was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält, als die Vermittlung, so daß sich diese beiden Bestimmungen als ungetrennt und untrennbar und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt" (Logik", 1928, S. 70 f.). Die Elemente des WiderSpruchs sind nicht nur einander entgegengesetzt, sondern sie bedingen einander. Seine Momente sind miteinander so verknüpft, daß der eine Pol nicht ohne den anderen ist oder sein kann: Der Herr ist nur Herr in Beziehung auf den Knecht und umgekehrt. Kapitalismus gibt es nur dank der dieser Ordnung spezifischen Herr und Knecht-Beziehung. Die Pole des Widerspruchs sind also nicht zerteilt auf einen bestimmten Sachverhalt einerseits und sein Anders-Sein andererseits, sondern sie wirken in allem Sein. Aus Heraklits: „Der Streit ist der Vater aller Dinge" wird: Jedes Ding, jede Erscheinung ist eine Einheit von Widersprüchen, bewegt sich vermöge dieser Einheit und des Kampfes der Widersprüche in seinem Innern. Der Kapitalismus entwickelt sich im Ergebnis des Kampfes der inner« kapitalistischen Klassen und Schichten, vor allem des Kampfes von Bourgeoisie und Proletariat.

Hegel untersucht die Art und Weise dieser Entwicklung und entdeckt hierbei die Dialektik von Quantität und Qualität. Qualität ist die innere, Quantität die äußere Bestimmung eines Seins, wobei Inneres und Äußeres, Qualität und Quantität innerlich untrennbar zusammenhängen, „vermittelt" sind, nach bestimmten Maßverhälrnissen ineinander übergehen.

Diese Dialektik von Quantität und Qualität wendet Hegel bei der Analyse der Entwicklung an: „. . . die gewöhnliche Vorstellung, wenn sie ein Entstehen oder Vergehen begreifen soll, meint. . . es damit begriffen zu haben, daß sie es als ein allmähliches Hervorgehen oder Verschwinden vorstellt. Es hat sich aber gezeigt, daß die Veränderung des Seins überhaupt nicht nur das Übergehen einer Größe in eine andere Größe, sondern Übergang vom Qualitativen in das Quantitative und umgekehrt sind, ein Anderswerden, das ein Abbrechen des Allmählichen und ein qualitativ Anderes gegen das vorhergehende Dasein ist , . . Bei der Allmählichkeit des Entstehens liegt die Vorstellung zugrunde, daß das Entstehende schon sinnlich oder überhaupt wirklich v o r h an den , nur wegen seiner Kleinheit noch nicht w ah r nehm bar, so wie bei der Allmählichkeit des Verschwindens, daß das Nichtsein oder das Andere, an seine Stelle tretende gleichfalls vorhanden, nur noch nicht bemerkbar sei ... Es wird damit das Entstehen und Vergehen überhaupt aufgehoben . . . Das Begreiflichmachen eines Entstehens oder Vergehens aus der Allmählichkeit der Veränderung hat die der Tautologie eigene Langweiligkeit; es hat das Entstehende oder Vergehende schon vorher ganz fertig . . ." (Hegel, „Die Wissenschaft der Logik", 1812, Bd. I, S. 313/314, Leipzig 1948, S. 383).

Marcuse weiß, daß sich diese Dialektik von Quantität und Qualität in der Entwicklung wendet sowohl „gegen die landläufige Ansieht. . ., daß der Prozeß des Entstehens und Vergehens' ein allmählicher sei", als auch gegen die aristotelische, „daß natura non facit saltum" („Die Natur macht keinen Sprung"). (Marcuse, „Vernunft und Revolution", Luchterhand 1962, S. 130).

Marcuse weiß um Hegels Analyse der Form dieser Beziehung von Quantität und Qualität, das heißt er kennt Hegels Dialektik von Negation und Negation der Negation. Er kennt die Problematik der Aufhebung, daß heißt der Annullierung, Aufbewahrung und des Empor» hebens alter Inhalte in den neuen durch den Prozeß des Negierens. Solche dialektische Negation ist nicht zu verwechseln mit der formallogischen. Dialektische Negation streicht nicht alles Vorhandene aus, erzeugt nicht Null oder das abstrakte Nichts, sondern ist „wesentlich nur die Negation eines besonderen Inhalts . . ." („Logik", Leipzig 1951, Bd. I, S. 35 f.). Negation des Kapitalismus ist nicht Negation von allem, was es in der kapitalistischen Gesellschaft gibt. Die Produktionstechnik wird nicht negiert, aber die Produktionsverhältnisse. Das Neue ist zwar keine bloße Verbesserung des Alten, sondern Ergebnis echter Revolution. Und ist gerade darum auch nicht etwas absolut Neues. Marcuse weiß, daß das Neue „nicht vollentfaltet vom Himmel" fällt; „das Neue muß irgendwie bereits im Schöße des AI' ten existiert haben" (ebenda, S. 130). Er selbst interpretiert diese Erkenntnis Hegels: „Wenn beispielsweise die Verhältnisse, die innerhalb eines gegebenen Gesellschaftssystems bestehen, ungerecht und unmenschlich sind, so werden sie nicht durch andere realisierbare Möglichkeiten aus dem Wege geräumt, so lange es nicht manifest geworden ist, daß diese anderen Möglichkeiten ebenfalls innerhalb jenes Systems ihre Wurzeln haben. Sie müssen in ihm angelegt sein. Etwa in Gestalt eines offenkundigen Reichtums an Produktivkräften, einer Entwicklung der materiellen Bedürfnisse und Wünsche der Mensehen, ihrer fortgeschrittenen Kultur, ihrer gesellschaftlichen und politischen Reife usf. In einem solchen Fall sind die Möglichkeiten nicht nur real, sondern repräsentieren auch den wahren Inhalt des Gesellschaftssystems gegenüber seiner unmittelbaren Existenzform. Sie sind soweit eine Wirklichkeit, die selbst wirklicher ist als die gegebene" (ebenda, S. 139).

ANNULLIERUNG ODER AUFHEBUNG DER ALTEN GESELLSCHAFT?

Marcuse kennt das alles und kommentiert es zustimmend. Es fällt zwar auf, daß er schreibt: „Wir wollen auf die Diskussion der Kategorie der Quantität verzichten . . ." (ebenda, S. 130). Ebenso könnte stutzig machen, daß er nur den Umschlag der Quantität in die Qualitat erwähnt, den entgegengesetzten dialektischen Aspekt jedoch aus» läßt (ebenda, S. 130). Man könnte das mit Raumgründen erklären oder damit, daß Marcuse die Kenntnis dieser Hegeischen Darlegungen voraussetzt. Man könnte, aber man kann nicht. Denn entweder anerkennt Marcuse in bestimmten, zentralen Diskussionspunkten letzten Endes Hegels Lösungen dialektischer Grundprobleme nicht oder er ignoriert deren Bedeutung oder er vergißt diese Lösungen an entscheidenden Stellen seiner Werke. Nehmen wir ein Beispiel: In seinem 1937 geschriebenen Aufsatz „Über den affirmativen Charakter der Kultur" (Neuabdruck in „Kultur und Gesellschaft" I, Seite 56 ff.) entwirft Marcuse, nach einer großartigen Kritik an der bürgerlich-kapitalistischen Kultur, seine Therapie einer nicht-af f irmativen Kultur.

Was versteht er darunter? Er selbst sagt: Jeder Versuch zu beschreiben, was damit gemeint sei, „stößt auf das unausrottbare Klischee vom .Schlaraffenland'. Es ist aber immer noch besser, dieses Klischee zu akzeptieren als jenes von der Umwandlung der Erde in eine riesige Volksbildungsanstalt", wie sie sich die alte deutsche Sozialdemo» kratie vorstellte, mit ihrem „Allgemeinwerden der kulturellen Werte", dem „Recht aller Volksgenossen an den Kulturgütern", der „Hebung der leiblichen, geistigen und sittlichen Volksbildung". Marcuse polemisiert: „Das hieße . . . nur, die Ideologie einer bekämpften Gesellschaft zur bewußten Lebensform einer anderen zu erheben, aus ihrer Not eine neue Tugend zu machen. Wenn Kautsky von dem .kommenden Glück' spricht, denkt er zunächst an die .beglückenden Wirkungen wissenschaftlicher Arbeit, an das /verständnisvolle Genießen auf den Gebieten der Wissenschaft und Kunst, in der Natur, im Sport und Spiel'. Den ,Massen' soll ,alles, was bisher an Kultur gesdiaffen worden ist, . . . zur Verfügung gestellt werden. Diese gesamte Kultur für sich zu erobern', ist ihre Aufgabe. Das kann aber nichts anderes bedeuten", polemisiert Marcuse, „als die Massen wie-der einmal für eine gesamtgesellschaftliche Ordnung zu erobern, welche von der ,gesamten Kultur" bejaht wird. Solche Ansichten", meint Marcuse, „verfehlen das Entscheidende: die Aufhebung dieser Kultur" (S. 99/100).

„Aufhebung" ist hier nicht im Sinne Hegels, also nicht als Annullierang, Bewahrung und Höher-Heben, gemeint. Marcuse denunziert also die gesamte vorhandene Kultur als affirmativ und darum verneinungswürdig. Aber diese Verneinung ist nicht dialektisch, denn nichts von dieser alten Kultur soll aufgehoben werden. Bei aller nötigen Kritik an der trockenen Bürokratensprache Kautskys darf das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Marcuse setzt Kautsky die trunkenen Worte Nietzsches entgegen, beschreibt das, was auf totale Verneinung folgen könnte, in den schillernden „heroischen" Metaphern dieses keineswegs revolutionären oder auch nur demokratischen Kulturphilosophen! Nietzsches Kulturkonzeption oder Baudelaire, Rilke, Proust, Valery, die Surrealisten und andere sind Marcuse offenbar nicht affirmativ. Jedenfalls nimmt er immer wieder die Zitate für seine „Gegenbilder" von Nietzsche. Es soll also alles ausgestrichen werden, nicht nur ein b e s o n derer Inhalt. Das Ergebnis wäre Null, das abstrakte Nichts, die Annullierung der Geschichte. Solche Negation ist nicht dialektisch, sondern formal-logisch. Diese Position Marcuses ist nicht originell. Sie wurde von Nietzsche entwickelt, von Heidegger weitergeführt, von Thomas Mann in „Doktor Faustus" — in Leverkühn/Nietzsches Versuch, die IX. Symphonie, die Kultur der Klassik „zurückzunehmen" — kritisiert. Wir finden das Motiv der „Zurücknahme" bürgerlich-humanistischer Kultur bei allen reaktionären Denkern und Kunstlern der Gegenwart. Allerdings gibt es einen Unterschied in der Wertung: die Reaktionäre negieren die Geschichte, so weit sie darin Wurzeln der sozialistischen Zukunft sehen. Marcuse negiert die Geschichte, weil er fürchtet, sie drücke der künftigen, der sozialistischen Welt ihren Makel auf.

Marcuse selbst kennt dieses antigeschichtliche Verhalten, schätzt es richtig als Mittel des reaktionären Irrationalismus ein und kritisiert es andernorts scharfsichtig („Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung", Zeitschrift für Sozialforschung III/2, Paris 1934, in: „Kultur und Gesellschaft", I, S. 37 f.). Dennoch wendet er in der von uns kritisierten Argumentation dieses Schema der „Zurücknahme", der Annullierung an. Darin zeigt sich ein Mangel an denkerischer Konsequenz. Wir stoßen auf solche Inkonsequenz auch unmittelbar von Marcuses totaler Absage an die bestehende Kultur. Denn was es heult, wenn er sagt: „Nur aus der anspruchslosen Schaustellung mancher griechischer Statuen, aus der Musik Mozarts und des alten Beethoven läßt sich eine Vorahnung" neuer Kultur gewinnen? (ebenda, S. 99). Gab es also in der affirmativen Kultur dennoch Elemente der neuen? Mit welcher theoretischen Berechtigung kann man von der einen auf die kontradiktorische Position übergehen? Aber selbst dieses Angebot, Mozart, den späten Beethoven und einiges andere noch in die Zukunft hinüberzuretten, zieht Marcuse wieder zurück, versteigt er sich doch zu der These, daß vielleicht in der Zukunft „Kunst als solche gegenstandslos" werde (S. 99). Da helfen denn auch Phidias, Mozart und der alte Beethoven nicht mehr.

Marcuse bejaht also die Negation, und zwar genau jene, die Adorno unlängst in seiner „Negativen Dialektik" entwickelte und die so radikal ist, daß eine Negation der Negation unnötig wird. Wann annulliert Negation so, daß es nichts mehr zu negieren gibt? Wenn sie tabula rasa schafft. Wenn sie alles annulliert. Wenn sie vom Niveau der bestimmten, also dialektischen auf das der verabsolutierten formal-logischen Negation zurückfällt und mit dieser Verabsolutierung die Beendigung des Prozesses für die Theorie erzeugt. Man darf nicht wissen, was das Neue ist, wie wir dahin gelangen können. Jeder Versuch, von der alten Kultur zur neuen überzugehen, wird mit Nietzsche-Formeln diffamiert, wird als Versuch ausgegeben, das Alte beibehalten zu wollen. Weil es nur einen solchen Weg zum Neuen gibt, dem nicht alle Merkmale des Alten abgezogen werden können, darum verweist solche Kritik auf die unvermeidlich in allem Neuen noch vorhandenen Muttermale des Alten und bestreitet so das Vorhandensein des Neuen. Es wird von der Kritik gefordert, daß die Kontinuität voll und ganz aufgehoben wird. Das aber ist, wir zeigten und Marcuse weiß es, ein Aufgeben der Dialektik. Wer den Weg aus der Vergangenheit in die Gegenwart ausstreicht, kann keinen Weg in die Zukunft, der morgigen Gegenwart weisen, der wir Heutigen Vergangenheit sein werden. Der wird auf den Punkt des Hier und Jetzt, auf die Position des Existentialismus beschränkt. Marcuse selbst weiß ganz genau, daß dies die Position der Verteidigung des Bestehenden ist (siehe „Kultur und Gesellschaft", I, S. 47).

DIE MARXISTISCHE LÖSUNG

Marx, Engels und Lenin gehen anders an die Lösung ähnlicher Problemstellungen heran. Nehmen wir eine Stelle aus der Marxschen Kritik am „Gothaer Programm", wo er die konkreten Stadien des Weges vom Kapitalismus zum Kommunismus umreißt. Hinsichtlich der ersten, der sozialistischen Stufe in der Entwicklung der neuen Gesellschaftsordnung lesen wir etwa: „Womit wir es zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie kommt" (Marx/Engels, „Ausgewählte Schriften", Bd. II, S. 15/16). In einer solchen Gesellschaft herrscht einerseits eine gewisse Gleichheit ihrer Mitglieder, aber noch das „bürgerliche Recht" der Gleichheit, das, wie alles Recht, Ungleichheit voraussetzt. Jedes Recht besteht in der Anwendung von gleichem Maßstab auf u n gleiche Individuen. Das gleiche Recht ist daher eine Verletzung der Gleichheit und insofern eine Ungerechtigkeit. Wirkliche Gleichheit kann es erst auf der höheren, kommunistischen Entwicklungsstufe geben.

Wir übergehen hier die an sich weit wichtigeren Bemerkungen Marxens über die neue Qualität dieser sozialistischen Gesellschaftsordnung, denn es kommt uns hier darauf an zu zeigen, daß reale dialektische Werdeprozesse nicht an ein völliges Annullieren früherer Zustände geknüpft sind, daran gar nicht gebunden sein können. Als Lenin auf einem Jugendkongreß die Frage klärte, was denn ein junger Kommunist alles zu lernen habe, sagte er über diesen Aspekt des Verhältnisses zum Alten: „Wir können den Kommunismus nur aus jener Summe von Wissen, Organisationen und Institutionen aufbauen, mit jenen Vorräten an menschlichen Kräften und Mitteln, die uns die alte Gesellschaft hinterlassen hat." Dies müsse man natürlich ändern, damit „als Ergebnis der Anstrengungen der jungen Generation eine Gesellschaft geschaffen wird, die der alten nicht gleicht, das heißt eine kommunistische Gesellschaft" (Die Aufgaben der Jugendverbände, in: Marx/Engels, Marxismus, Berlin 1957, S. 496). „Man würde einen gewaltigen Fehler begehen", sagte Lenin, „den Schluß zu ziehen, daß man Kommunist werden kann, ohne sich das angehäufte menschliche Wissen anzueignen" (ebenda, S. 499), denn der Kommunismus sei „aus der Summe des menschlichen Wissens hervorgegangen" (ebenda, S. 499).

Sich dem Kulturproblem zuwendend, das Marcuse behandelt, sagte Lenin in der gleichen Rede: „Die proletarische Kultur fällt nicht vom Himmel, sie ist nicht eine Erfindung von Leuten, die sich als Fachleute für proletarische Kultur bezeichnen. Das alles ist kompletter Unsinn. Die proletarische Kultur muß die gesetzmäßige Weiterentwicklung jener Summe von Kenntnissen sein, die die Menschheit sich unter dem loch der kapitalistischen Gesellschaft . . . erarbeitet hat" (ebenda, S. 560).

Ohne diese vergangene Kultur, sagte Lenin lange vorher, gäbe es keinen Marxismus. Die Marxsche Lehre, schrieb er, ist nicht „abseits von der Herrschaft der Weltzivilisation entstanden . .. Im Gegenteil." Sie „ist die rechtmäßige Erbin des Besten, was die Menschheit im 19. Jahrhundert in Gestalt der deutschen Philosophie, der englischen politischen Ökonomie und des französischen Sozialismus geschaffen hat" (Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, in: Marx/ Engels, Marxismus, Berlin 1957, S. 68).

Und noch einen Aspekt des Kulturproblems und des Verhältnisses zum Alten, den Lenin betonte, sollten wir hier erwähnen: „Es gibt zwei Nationen in jeder modernen Nation ... Es gibt zwei nationale Kulturen in jeder nationalen Kultur." Es gebe die Kultur der Unterdrücker, aber auch die der humanistischen Kräfte und die der Unterdrückten, schrieb er in seinen „Kritischen Bemerkungen zur nationalen Frage" (in: Lenin, Über Kunst und Kultur, Berlin 1960, Seite 218).

Die Musik Mozarts oder des alten Beethoven, aber auch die Weberlieder, „Ca ira" oder andere revolutionäre Kunst, das ist die eine Kultur,das eine Vergangene, das wir nicht annullieren, sondern aufbewahren wollen. Nietzsche dagegen und Jünger liefern uns höchstens interessante Teilaspekte, sind in ihrem theoretischen Gehalt jedoch beim Übergang zum Sozialismus unbedingt zu annullieren. Solches Verhalten von Marx und Lenin ist dialektisch. Diese Dialektik berücksichtigt die Problematik der Kontinuität in allem Sprunghaften. Sie weiß darum, daß auch im Alten, Überholten rationelle Kerne des Neuen stecken, oft mehr als Kerne, und daß „Aufhebung" dieses Rationalen in die neue Wirklichkeit, Vermittlung dessen an die vielgeschmähten Massen Bestandteil echter Kulturrevolution ist und sein muß.

Die von uns gekennzeichnete und kritisierte Art von Dialektik treffen wir immer wieder im Werk Marcuses an. Noch auf dem Wege von Heidegger weg schrieb Marcuse 1928: „. . . jede Reform, Revision des Bestehenden setzt die Anerkennung des Bestehenden voraus, ,Neue' Existenz ist nur als ,Widerruf möglich'" („Philosophische Hefte", hrsg. v. M. Beck, Heft i, Juli 1928, S. 68). Die These ist in ihrer Verabsolutierung falsch. Reformen, die erkämpft, nicht erbettelt oder „geschenkt" werden, Reformen, die erkämpft werden im Bewußtsein, daß es schließlich gilt, das ganze System durch Revolution zu stürzen, sind zwar auch Reformen, beruhen aber nicht auf der Anerkennung des Bestehenden. In diesem Sinne begrüßte Marx in der „Inauguraladresse" etwa die Reform der englischen Zehnstundenbill.

Weniger entschieden finden wir die kritisierte Dialektik Marcuses in seinen Thesen über die Aufhebung der Philosophie und der Arbeit im Hegelbuch, sehr deutlich ausgeprägt in seinen Erörterungen über Freiheit und Notwendigkeit an zahlreichen Stellen seines Werkes. So heißt es etwa von den jungen, opponierenden amerikanischen Intellektuellen: „. . . sie haben die Sensibilität für eine Freiheit, die mit den in der vergreisten Gesellschaft praktizierten Freiheiten nichts zu tun hat und nichts zu tun haben will" („Kursbuch" Nr. 9, 1967, S. 6). Wie solcher unvermittelte Sprung vom Alten zum Neuen theoretisch und praktisch möglich sein soll, kann uns Marcuse freilich nicht sagen. Dafür ist gerade „Der eindimensionale Mensch" das Beweisstück.

„Die kritische Theorie der Gesellschaft besitzt keine Begriffe, die die Kluft zwischen dem Gegenwärtigen und seiner Zukunft überbrücken könnten", sagt Marcuse völlig richtig und zugleich bloßstellend von seiner Theorie („Der eindimensionale Mensch", Luchterhand 1967, S. 268). Er sagt damit nur, was wir schon feststellten: diese Art von Dialektik, deren Negativität die Vergangenheit total annullieren möchte, begibt sich auch der Kenntnis des Weges in die Zukunft. Hans Heinz Holz verweist mit vollem Recht auf den eschatologischen Charakter solcher Dialektik, auf ihre Verwandtschaft mit der dialektisehen Theologie („Blätter für deutsche und internationale Politik", Köln, Nr. 1/1968, S. 50), und wir verwiesen andernorts auf die Verwandtschaft dieser Theorie mit Kierkegaards „qualitativer Dialektik" („Marxistische Blätter", Heft 6/1967, S. 37).

DIE KATEGORIE DER VERMITTLUNG

Den tieferen Grund dieser mechanistischen Dialektik finden wir in der Preisgabe der dialektischen Kategorie der Vermittlung und, damit zusammenhängend, der Dialektik von Quantität und Qualität. Immer wieder stoßen wir betroffen auf Zeugnisse solcher Preisgabe: Wie ist das Verhältnis von Theorie und Praxis bei Marcuse? Wenn die kritische Theorie ihr Objekt verliert, wie Marcuse selbst sagt, wenn sie nicht mehr durch Praxis bewiesen werden kann, wenn die Theorie keinen Weg in die Zukunft weist, so ist sie sinnlos, ist die Trennung von Theorie und Praxis perfekt. Dann geraten wir wieder in den Bannkreis der Ethik Kants, an deren Kritik der junge Hegel seine Kategorie der Vermittlung vervollkommnete. Sein und Sollen stehen einander unvermittelt gegenüber.

Aber die Folgen reichen noch weiter: dann sind auch die Momente des Widerspruchs nicht mehr miteinander vermittelt, sind sie nicht mehr Momente eines inneren Widerspruchs, sondern treten auseinander: ist der eine Pol innerhalb, der andere außerhalb der konkreten Erscheinung. Innerhalb ist das bewahrende, positive, außerhalb das revolutionäre, negative Moment. Immer wieder müssen in Marcuses Dialektik die Anstöße von außen kommen: von den „outcasts", von den „Ländern der dritten Welt". Die oppositioneuen Kräfte sind aus dem Wesensbereich der Ordnung verdrängt, im Grunde wirkungslose Außenseiter geworden. Immer ist nichts mehr zu machen, weil alle wesentlichen Kräfte integriert sind. Das System, seine Stabilität, die Manipulation sind, wenn überhaupt, so nur von draußen aufzubrechen. Die ihr drinnen seid, laßt alle Hoffnung schwinden. Der Appell an die Ohnmacht oder zur verzweifelten Rebellion liegt nahe. Opposition an sich wird bejaht. Jedes Nein zum Bestehenden begrüßt. Jedes partielle Ja zu solchem Bestehenden als Opportunismus gebrandmarkt. So geraten mit einem Male Kritiker von rechts (Nietzsche) neben Marx. Politisch hat Lasalle mit seiner Taktik des Konspirierens mit Bismarck das vorgezeichnet. Aber ist wirklich die Verteidigung des Grundgesetzes gegen die Notstandsdiktatur opportunistisch? Die herrschende Reaktion sieht in solchen Theorien keine ernsthafte Gefahr. Die Rockefeiler« Stiftung finanzierte sogar teilweise den „Eindimensionalen Men« sehen". Sollten sich die Reaktionäre so sehr täuschen? Den wahren Charakter Marcusescher Negation enthüllt dessen Wort von der „großen Weigerung". Was soll sie, diese völlige Negation? Beginnt Opposition, wird der Widerspruch zum Bestehenden dem einzelnen erstmals in Gestalt des totalen Nein bewußt? Er, dieser einzelne, sagt nein zur Erhöhung des Straßenbahntarifs und — wenn er dabei die Bekanntschaft des Gummiknüppels gemacht hat — zum Polizeipräsidenten; sagt nein zum Hitler unserer Tage und zum Morden in Vietnam, sagt nein zu Notstandsgesetzen, zur Weitergabe von Atomwaffen; sagt nein zu einem Staatspräsidenten, der KZ-Baupläne entwarf, sagt nein zur konkreten Lage unserer Universitäten. Das alles sind sehr konkrete, bestimmte Negationen, die nicht selten mit Alternativen verknüpft werden, wie: Mitbestimmung statt Notstands*gesetzen, atomwaffenfreie Zonen statt Atomwettrüsten, Amis raus aus Vietnam, stellt konkrete Forderungen für die Universitäten, er« richtet Kritische Universitäten usw. usf.

Das ist die Form, in der sich Opposition entwickelt. Und unsere oppositionellen Bewegungen sind durchaus solche konkreten Weige« rangen, konkrete alternative Bewegungen, „Einpunkt"-Bewegungen, erzielen als solche gewisse Erfolge, erringen als solche Einfluß, setzen als solche das bestehende System unter Druck, ins Unrecht. Das sind die quantitativen Veränderungen, deren ständige und — selbstverständlich — gewaltige Anhäufung an die Grenze der bestehenden Qualität, zum Umschlag in eine andere Qualität füh« ren wird. Aber einen wirklichen anderen Weg gibt es nicht. Wer diese konkrete Negation, das heißt: die dialektische, durch die totale, das heißt: die absolute Negation ersetzt, der fällt nicht nur von der erreichten Stufe der Dialektik zurück, auf die der kontra« diktorischen, formaHogischen, der negiert auch die wirklichen Ansätze der Opposition und der Revolution. Für den wird historischer Fortschritt sinnlos, weil er irgendeiner Transzendenz — der Ausdruck ist oft anzutreffen bei Marcuse — nachjagt.

Opposition gegen die bestehende Ordnung, nicht aus totaler Negation, „sondern als Zurückweisung ihrer evidenten, spürbaren Fehlleistungen: die Ausarbeitung von Alternativen und demokratischen Kontrollen wird dann schrittweise dazu führen, daß das falsche Herr' Schaftssystem als Ganzes aufgerollt wird — aber vermittelt durch die konkreten Anlässe der Weigerung, nicht als Folge einer unvermittelt ten ,großen Weigerung'. Die Gesellschaft wird durch politischen Kampf verändert, und politischer Kampf entzündet sich am einzelnen Anlaß. Demonstrationen vor dem Pentagon berechtigen zur Hoffnung, die Flucht ins Marihuana-Glück nicht", schreibt Hans Heinz Holz in seiner Polemik gegen Marcuse völlig richtig („Blätter für deutsche und internationale Politik", Köln, Nr. 1/1968, S. 54). Wir sagten an einigen Stellen, daß Marcuse die genannten Gesetze Hegelscher Dialektik wohl kenne. Er wendet sie übrigens in seinen Analysen auch oft genug an. Nur dann, wenn es um entschei d e n d e Klärungen geht, hört Marcuse auf, moderner Dialektiker zu sein, sinkt er auf die Stufe vorhegelianischer Dialektik zurück. Wir können hier nicht den Gründen dafür nachgehen, möchten jedoch dem falschen Eindruck widersprechen, den manches Voroder Nachwort Marcuses zu früheren Schriften erwecken kann: dieser Abschied von der Dialektik Hegels sei darum nötig, weil die Nachkriegsperiode gezeigt habe, daß sowohl Hegels als auch Marx' Lehre nicht wirklich zur Freiheit führten. Marcuses Konzeption, die Dialektik betreffend, durchzieht alle seine Werke. Da brachte die Nachkriegszeit nichts wesentlich Neues. Marcuses Nachkriegsresignation hat andere Gründe:

Gewiß annulliert seine Dialektik letztlich das Wesentliche, Neue, das Hegel der Dialektik hinzugefügt hat. Vom Boden solcher vorhegelianischen Dialektik aus analysiert Marcuse. Daß er mit solchen veralteten Instrumenten der Wissenschaft analysiert, führt immer wieder, selbst in seinen besten Werken (1934—1941) zu erstaunlichen Thesen, besonders hinsichtlich der Marxschen Philosophie. Marcuse legt seinen Analysen als Maßstab ein Bild vom Menschen zugrunde, der ein inaktives Wesen ist, das in passiv-kontemplativem Genuß das höchste Glück sieht, und dennoch glaubt unser Autor, darin mit Marx übereinzustimmen. Marcuses Position ist zwar auch ein Humanismus, aber ein falscher, nämlich das pure Nein zum bürgerlichen Antihumanismus, er ist dessen Umstülpung. Das ist tatsächlich ein Schlaraffen» land-Humanismus. Auch hier sehen wir wieder die tragischen Folgen der Verwechslung von dialektischer und kontradiktorischer Negation. Gemessen an solchen Maßstäben müssen die sozialistischen Länder — nicht nur der in ihnen einst praktizierte Dogmatismus, der Personenkult, die Verletzung sozialistischer Gesetzlichkeit, sondern gerade auch ihre heutige Basis und deren Überbau — als Länder erscheinen, in denen eine große Verheißung verraten wurde. Dazu wird dann noch die revolutionäre Arbeiterbewegung „des Westens" am Maßstab eines romantischen Revolutionsbegriffs bewertet. Zu allem Überfluß wird diese Arbeiterbewegung entsprechend amerikanischen Erfahrungen eingeschätzt, welche Erfahrungen nicht nur unhistorisch beurteilt, also positivistisch hingenommen, sondern auch noch mit den Ergebnissen der amerikanischen positivistischen, empirisehen Soziologie „komplettiert" werden.

Nimmt man noch das Entsetzen Marcuses über die Verbrechen jenes Landes hinzu, das er 1941 noch das „einzige ,Land der Zukunft'" bezeichnete („Vernunft und Revolution", S. 11) — wir meinen die USA und ihre Völkermord-Praxis in Vietnam —, so hat man die Hauptmotive bei der Hand für Marcuses in Einzelheiten immer wie der äußerst tiefgründige, treffende, humanistische, im Ganzen nichtsdestoweniger total falsche, an hilfloser Verzweiflung krankender, zu anarchistischer Rebellion neigender kritischer Kultur» und Sozialphilosophie.

Marx zeigt in seinen Jugendschriften, als er sich Hegels Dialektik kritisch aneignete, daß innerhalb des Widerspruchs die Pole nicht einander „gleichwertig" sind: im einen Pol vereinigt sich das bewahrende, positive, im anderen Pol das zerstörende, negative, revolutionäre Element. Marx zeigte, warum dieses revolutionäre Element im Kapitalismus nur das Proletariat sein kann.

Es ist das eine objektive Analyse, die auch dann gilt — Marx selbst sagt es —, wenn sich das Proletariat seiner Rolle noch nicht bewußt ist. Hier hat eben das Werk kritischer Intelligenz zu beginnen, das zur Vereinigung von Arbeiterbewegung und revolutionär-sozialistischer Idee führt. Marcuse hat diese letzte, unabweisbare Konse« quenz der revolutionären Dialektik aufgegeben. Damit verschwindet das wirklich revolutionäre Subjekt aus seiner Dialektik. Übrig bleibt der Appell an die Außenseiter der Gesellschaft und an deren rebellische Kampfformen. Übrig bleibt die ethische Begründung der Notwendigkeit der Revolution. Aber wenn die bestehende Ordnung gesprengt werden soll, so ist eine gewaltige, konzentrierte Anstrengung nötig. Die bedarf der Vorbereitung, Organisierung und Führung durch einen revolutionären politischen Kristallisationspunkt, durch eine disziplinierte, einheitlich handelnde, schlagkräftige, um Weg und Ziel wissende Partei. Nicht die Außenseiter werden uns befreien, sondern wir selbst werden es tun, trotz all unserer Fehler und Schwächen.

Editorische Hinweise

Der Aufsatz wurde entnommen aus: August-Bebel-Gesellschaft (Hrg.): Marxismus in unserer Zeit, Fulda 1968, S. 89-100