Keine
bösen Worte unter Freunden, hat sich François Hollande
in der vorletzten Augustwoche vielleicht gedacht. Und
schluckte den seit längerem schwelenden Ärger unter
französischen Geostrategen, Nachrichtendienstlern oder
Militärs über die Geldgeber jener radikalen
Islamisten, die seit April 2012 einen Teil der
Sahelzone kontrollieren, vorläufig herunter.
Am
22.
August
12
empfing
der
französische
Präsident
das
Staatsoberhaupt
der
Golfmonarchie
Qatar,
den
Emir
Ben
Khalifa
al-Thani.
Zu
sagen
hätten
sich
die
beiden
Staatschefs
grundsätzlich
einiges
gehabt.
Nicht
nur,
dass
der
Golfstaat
in
Frankreich
ziemlich
viele
prestigeträchtige
Einrichtungen
aufgekauft
hat
–
von
Luxushotels
an
der
Côte
d’Azur
bis
zum
Pariser
Fußballclub
PSG.
Der
schwerreiche
Kleinstaat
spielt
auch
über
den
arabischsprachigen
Raum
hinaus
eine
wichtige
Rolle
als
Finanzier
diverser
mal
mehr,
mal
weniger
fragwürdiger
Bewegungen.
Als Franzosen
und Briten ab März 2011 in Libyen militärisch sowie mit
Geheimdienst- und Finanzhilfe für die dortigen Rebellen
intervenierten, da floss aus Qatar reichlich Geld an
ebendiese Rebellen. In Syrien, wo François Hollande und
sein Außenminister Laurent Fabius sich zumindest verbal
an die Spitze der internationalen Kritik am Assad-Regime
und seinen blutigen Unterdrückungspratiken zu stellen
versuchen, mischt die Staatsspitze Qatars ebenfalls
eifrig mit. Ein Teil der syrischen bewaffneten
Opposition, insbesondere sunnitisch-islamistische
Gruppen, die eher am Rande der Rebellenbewegung stehen,
erhalten Finanzspritzen von dort. Nicht, dass die
Monarchen des kleinen Golfstaats ihre Liebe zu
Befreiungsbewegungen entdeckt hätten. Eher im Gegenteil:
Wie andere reaktionären Monarchien, unter ihnen
Saudi-Arabien, versucht auch Qatar den
antidiktatorischen arabischen Bewegungen eher die
demokratische Spitze abzubrechen, und beispielsweise die
Rebellion in Syrien gerne vom Aufstand gegen die
Diktatur in eine Konfrontation zwischen Sunniten und
Alewiten umkippen lassen. Erfolgreiche Aufstände für
demokratische Rechte wären aus Sicht der Machthaber am
Golf ansonsten eher gefährlich, könnten sie doch ihre
eigenen Untertanen auf dumme Ideen bringen.
Die
radikalen
Islamistengruppen,
die
seit
April
dieses
Jahres
die
gesamte
Nordhälfte
von
Mali
und
damit
einen
nicht
unbeträchtlichen
Teil
der
Sahelzone
militärisch
kontrollieren,
haben
mit
einer
Demokratiebewegung
garantiert
nichts
zu
tun.
Die
Liste
der
Vorwürfe
aus
der
malischen
Bevölkerung
an
die
miteinander
rivalisierenden
Djihadistengruppen,
die
sich
den
Norden
ihres
Landes
aufgeteilt
haben,
ist
lang.
So
rekrutieren
diese
9
bis
17jährige
Kinder
und
Jugendliche
als
Soldaten,
wie
die
„Malische
Koalition
für
die
Kinderrechte“
(COMAD)
–
eine
NGO-Koalition,
die
78
Vereinigungen
und
Initiativen
zusammenfasst
–
am
5.
August
d.J.
in
Bamako
bekannt
gab.
Diverse
Übergriffe
auf
die
Zivilbevölkerung
und
Misshandlungen,
die
mit
einer
besonders
harten
Auslegung
der
Scharia
gerechtfertigt
werden,
wurden
ebenfalls
verzeichnet
und
erregen
in
der
Bevölkerung
eher
Befremden.
Mali
ist
seit
dem
17.
Jahrhundert
mehrheitlich
islamischer
Religionszugehörigkeit
und
wird
heute
zu
90
Prozent
von
Muslimen
bewohnt,
doch
die
dortige
Islamvorstellung
ist
völlig
unvergleichbar
mit
den
rigiden
Konzepten,
wie
sie
in
Saudi-Arabien
oder
anderswo
in
arabischsprachigen
Ländern
vorherrschen.
Körperstrafen
im
Namen
der
Religion
rufen
bei
einer
Mehrheit
bestenfalls
Kopfschütteln
hervor.
Doch
am
29.
Juli
12
wurde
in
Aguelhok
etwa
ein
unverheiratetes
Paar
durch
Steinigung
getötet.
Verantwortlich
dafür
zeichneten
die
radikalen
Islamisten
der
Gruppe
Ansar
ed-Din
(„Partisanen
der
Religion“),
die
im
Nordosten
Malis
den
Raum
um
Kidal
kontrolliert.
Hingegen
beherrschen
die
aus
Algerien
herübergekommenen
internationalen
Djihadisten
von
der
Gruppe
„Al-Qaida
im
Land
des
islamischen
Maghreb“
(AQMI)
im
Nordwesten
die
Stadt
TImbuktu
und
ihr
Umland.
Und
die
von
AQMI
abgespaltene
„Bewegung
für
Glaubenseinheit
und
Djihad
in
Westafrika“
MUJAO
beherrscht
die
Gegend
um
die
wichtigste
Stadt
in
Nordmali,
Gao.
Untereinander
sind
sich
diese
Gruppe
längst
nicht
mehr
grün.
Ansar
ed-Din
gilt
dabei
sogar
noch
als
gemäßigste
der
drei
Gruppen,
da
sie
nur
regionale
und
keine
auf
den
internationalen
Djihad
hinauslaufenden
Ziele
vertritt.
Zudem
akzeptierte
diese
Gruppe
inzwischen
die
Vermittlerrolle,
die
offiziell
durch
die
Regierung
des
Nachbarlands
Burkino-Faso
übernommen
wurde,
um
Absprachen
zwischen
den
Islamistengruppen
und
der
malischen
Zentralregierung
in
Bamako
–
die
weiterhin
den
Süden
des
Landes
kontrolliert
–
zu
ermöglichen.
Dies
erklärte
Ansar
ed-Din
offiziell
am
08.
August.
Die örtliche
Bevölkerung begrüßt das Agieren dieser Gruppen
keineswegs mit wehenden Fahnen. In der Großstadt Gao
musste der MUJAO im August vorläufig auf den Versuch,
öffentlichkeitswirksam die Anwendung der Scharia nach
seinen Vorstellungen vorzuführen, verzichten. Am 05.
August wollten die radikalen Islamisten auf dem „Platz
der Unabhängigkeit“ im Zentrum von Gao einem Dieb
öffentlich die Hand abschneiden. Doch am frühen Morgen
besetzten bereits Hunderte von Jugendlichen den Platz
und die Zufahrtswege dahin, und ließen die Djihadisten
vom MUJAO einfach nicht durch. Diese mussten
letztendlich darauf verzichten, das Urteil
durchzuführen.
Im
Süden
von
Mali
ist
die
Stimmung
der
Bevölkerung
in
ihrer
überwältigenden
Mehrheit
gegen
die
Kontrolle
der
Nordhälfte
des
Landes
durch
die
Djihadistengruppen.
Dabei
vermengen
sich
unterschiedliche
Motive.
Anfänglich
vermischte
sich
deren
Kampf
mit
dem
der
separatistischen
Tuaregrebellen
des
MNLA,
der
„Nationalen
Befreiungsbewegung
von
Azawad“.
Diese
besetzten
zunächst
ab
Anfang
des
Jahres
immer
mehr
Städte
zusammen
mit
den
radikalen
Islamisten,
mit
denen
sie
sich
aus
taktischen
Gründen
verbündet
hatten.
Doch
zu
Anfang
des
Sommers
flohen
die
Tuaregkämpfer
Hals
über
Kopf
aus
Nordmali,
und
rückten
daraufhin
von
ihren
kurzzeitigen
Verbündeten
ab.
Ihre
Führung
sitzt
mittlerweile
in
Burkina-Faso
im
Exil
und
verzichtete
auf
die
Unabhängigkeitsforderung
für
„Azawad“,
dessen
Souveränität
ohnehin
durch
kein
Land
der
Welt
anerkannt
worden
war.
Neben
der
Opposition
gegen
die
Einführung
der
Scharia
spielen
unterdessen
von
Anfang
auch
ethnische
Rivalitäten
zwischen
Schwarzen
im
Süden,
Tuareg
sowie
Arabern
im
Norden
eine
Rolle.
Allerdings
besteht
Ansar
ed-Din
überwiegend
aus
schwarzen
Maliern,
während
AQMI
und
MUJAO
eher
arabische
und
andere
ausländische
Kämpfer
umfassen.
Seitdem
die
Strukturen
des
malischen
Zentralstaats
unter
dem
Ansturm
der
unterschiedlichen,
kurzzeitig
untereinander
verbündeten
Rebellengruppen
in
den
ersten
Jahresmonaten
im
Norden
zusammenbrachen,
herrscht
im
Süden
eine
starke
Stimmung
zugunsten
einer
Wiedereroberung
des
Gebiets
vor.
Vor
diesem
Hintergrund
hatte
am
22.
März
12
ein
Teil
der
Armee,
der
eher
aus
jüngeren
und
von
Korruptionsvorwürfen
bis
dahin
relativ
unbelasteten
Offizieren
bestand,
gegen
die
amtierende
Regierung
in
Bamako
unter
Präsident
Ahmadi
Toumani
Touré,
„ATT“,
geputscht.
Dabei
genossen
die
Akteure
dieses
Offiziersputschs
durchaus
auch
die
Rückendeckung
aus
relevanten
Teilen
etwa
der
Stadtbevölkerung
in
Bamako.
Denn
zuvor
hatte
die
durch
und
durch
korrupte
Regierung
von
„ATT“
junge
Männer
kaum,
schlecht
oder
un-bewaffnet
im
Krieg
im
Norden
verheizt,
während
sie
stattdessen
auf
inoffiziellen
Kanälen
direkte
Kontakte
zu
den
Rebellen
pflegte.
Da
„ATT“
sich
im
April
dieses
Jahres
seiner
voraussichtlichen
Abwahl
hätte
stellen
wollen,
aber
keine
wirkliche
Lust
darauf
hatte,
dass
die
Wahlen
auch
stattfinden
konnten,
kam
ihm
die
Rebellion
gerade
recht:
Infolge
einer
Abtrennung
von
Teilen
der
Staatsgebiets
hätte
vielleicht
die
Chance
bestanden,
die
Wahlen
noch
zu
verschieben…
Die
Ehefrauen
von
im
Norden
Malis
„verheizten“
oder
in
Lebensgefahr
gebrachten
jungen
Soldaten
schoben
daraufhin
die
Mobilisierung
an.
Sie
stellten
die
Regierung
zur
Rede,
organisierten
Demonstrationen,
und
gaben
dadurch
indirekt
den
Startschuss
für
den
Putsch.
Doch unter dem
Druck der Nachbarstaaten, der früheren Kolonialmacht
Frankreich und anderer internationaler Akteure wurde
nach wenigen Wochen die Macht offiziell an einen zivilen
Präsidenten, Dioucounda Traoré, übergeben. Doch eine
Bewegung, die von einem starken Nationalismus „von
unten“ getragen wird, opponierte weiterhin gegen ihn und
stellte ihn als eine Art Erfüllungsgehilfen der
Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS sowie,
hinter ihr, Frankreichs dar.
Traoré wurde am 21. Mai 12, nach
Protesten vor dem Präsidentenpalast, von aufgeheizten
jugendlichen Demonstrationen erheblich verletzt. Er
verbrachte mehrere Wochen in Konvaleszenz, aber auch um
die politische Entwicklung in Ruhe abzuwarten, in Paris.
Doch am 27. Juli d.J. kehrte er nach Bamako zurück. Er
entzog zunächst dem von ihm eingesetzten Premierminister
Cheikh Modibo Diarra einige Machtbefugnisse, bestätigte
ihn dann jedoch Mitte August im Amt.
Unterdessen wuchs der Druck der
ECOWAS, die von den malischen Übergangsbehörden die
Bildung einer „nationalen EInheits-“ oder
Konsensregierung forderte, um von ihrer Seite her eine
militärische Intervention im Norden Malis vorzubereiten.
In naher Zukunft geplant ist die Entsendung von 3.300
Soldaten durch mehrere Staaten der Region. Dabei möchte
die ECOWAS das Heft in der Hand behalten und die
Intervention kommandieren, was in der Gesellschaft und
bei Teilen der politischen Klasse in Mali wiederum auf
heftige Ablehnung stößt: Dort fordert man eine
eigene, malische Kontrolle über ein militärisches
Eingreifen im Norden. Zumal man in einer breiten Kreisen
bezüglich einer Intervention der ECOWAS eher vermutet,
es ginge ihr darum, die „Ruhe“ im Süden Malis (im Sinne
des bestehenden, korrupten Establishments) zu sichern,
die unruhigen Teile der Armee zurückzudrängen und die
Kontrolle über Bamako zu erlangen – statt sich wirklich
um den Norden zu kümmern…
Einigen Nachbarländern wie
Burkina-Faso – dessen Präsident Blaise Compaoré zu den
treuesten Verbündeten Frankreichs in der Region zählt -,
und Paris im Hintergrund, wird vorgeworfen, an einer
Schwächung Malis interessiert zu sein. Tatsächlich hatte
es in der Vergangenheit politische Konflikte zwischen
diesen Akteuren gegeben. Mali hatte unter Präsident
„ATT“ seit 2008 fünf Mal hintereinander Aufforderungen
der damaligen französischen Rechtsregierung, an der
Migrationskontrolle mitzuwirken und ein Abkommen mit
Paris – besonders zur Rücknahme in Europa unerwünschter
Migranten – zu unterzeichnen, ausgeschlagen. Auch wenn
die politische Klasse in Mali von erheblicher Korruption
geprägt ist, so verfügt das Land doch über eine
lebendigere Demokratie als fast alle Nachbarländer, mit
zahlreichen Initiativen und NGOs, seitdem die
Bevölkerung 1991 aus eigener Kraft den langjährigen Chef
einer Militärregierung – den seit 1968 amtierenden
Präsidenten Moussa Traoré – aus eigener Kraft stürzte.
Deswegen ist das Land, insbesondere bei der
Migrationspolitik, oft kein unterwürfiger Partner etwa
für die frühere Kolonialmacht.
Als Anzeichen dafür, dass die
Nachbarstaaten oder die ECOWAS Bemühungen Malis um eine
eigenständige Intervention im Norden hintertreiben,
werteten Akteure etwa Anfang August das Blockieren von
Waffen, die durch die malische Regierung offiziell
bestellt worden waren. Diese wurden in den benachbarten
Ländern Senegal und Guinea festgesetzt und ihre
Auslieferung blockiert, da eine Entscheidung der ECOWAS
über ein militärisches Eingreifen bevorstehe.
Vom 10. bis 12. August 12 trafen sich
ECOWAS, Vertreter von Afrikanischer Union und
Europäischer Union sowie der malischen
Übergangsregierung in Bamako zu einem Treffen, das eine
solche Intervention vorbereiten soll. Unterdessen war
das ursprünglich bis zum 31. Juli laufende Ultimatum der
ECOWAS an Mali für die Bildung einer „Regierung der
nationalen Einheit“, das am 07. Juli gestellt worden
war, um einige Wochen verlängert worden.
Nunmehr ist am 21. August d.J.
tatsächlich die Konstituierung einer „Konsensregierung“
mit erweiterter politischer Basis in Bamako bekannt
gegeben worden. Die wichtigste Neuerung dabei ist
jedoch, dass die oberste Vertretung religiöser
muslimischer Gruppen, der „Hohe Islamrat“ HCI, an der
Regierungsbildung beteiligt wurde. Ihm wurde die, seit
längerem von ihm geforderte, Einrichtung eines eigenen
Religionsministeriums zugestanden. Hintergrund ist, dass
hochrangige Vertreter des HCI Vermittlerfunktionen
wahrnahmen und im Norden des Landes mit Repräsentanten
von Ansar ed-Din sowie des MUJOA im ersten Falle
sprachen, im zweiteren Falle noch sprechen sollen. Auf
die Entscheidung über militärische Eingriffe im Norden
könnte seine Regierungsbeteiligung jedoch längerfristig
weniger Einfluss haben als auf die Innenpolitik des
Landes. Schon im Jahr 2011 hatte eine
Massenmobilisierung unter Einfluss des HCI für die
Abänderung eines relativ progressiven Familiengesetzes,
das ursprünglich die Rechtsstellung der Frauen hatte
verbessern sollen, gesorgt. Bei den derzeitigen
Bemühungen der neuen Regierung um Rückhalt in der
Bevölkerung spielt der HCI jedoch eine wichtige Rolle:
Bei der Organisierung einer Kundgebung „für Frieden in
Mali“ in einem Stadion von Bamako, zu dem am 12. August
d.J. über 50.000 Menschen kamen, hatte er eine
Schlüsselfunktion übernommen.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom der Autor für diese
Ausgabe.