Vorbemerkung:
Der nachstehende Text ist ein Auszug aus "Was
ist Sozialisierung?" Diese Broschüre erschien 1919.
Zu diesem Zeitpunkt gehörte Karl Korsch der
"Kommission zur Vorbereitung der Sozialisierung der
Industrie", die im November 1918 vom Rat der
Volksbeauftragten eingesetzt worden war, um Wege zur
Sozialisierung von Teilen der deutschen Wirtschaft
zu erarbeiten. /red trend.
10. Der Interessengegensatz der Produzenten und
Konsumenten.
Die größte Gefahr, daß bei Ausführung eines
Sozialisierungsplanes die Aufgabe der Schaffung
wahren Gemeineigentums dennoch verfehlt wird,
entsteht daraus, daß auch nach Ausschaltung des
kapitalistischen Privateigentums aus der Produktion
sich im Wirtschaftsleben einer menschlichen
Gemeinschaft zweierlei Interessen gegenüberstehen:
das Interesse der produzierenden Arbeiter jedes
einzelnen Produktionszweiges einerseits, das
Interesse der Gesamtheit der übrigen Produzenten und
Konsumenten andererseits. Kürzer ausgedrückt: der
Widerstreit der Interessen der Produzenten und
Konsumenten. |
|
Sobald bei der Regelung der gesellschaftlichen
Produktionsverhältnisse das Interesse der Konsumenten
oder der Produzenten bevorzugt wird, wird anstelle einer
wahren „Vergesellschaftung" der Produktionsmittel durch
die angebliche „Sozialisierung" für den bisherigen
Privatkapitalismus nur ein neuer Kapitalismus
eingetauscht, welcher je nachdem als ein
Konsumenten-Kapitalismus (Staats-, Gemeinde-,
Konsumvereins-Kapitalismus) oder als ein
Produzentenkapitalismus zu bezeichnen ist. Nur bei
Vermeidung beider Gefahren, bei gleichmäßiger, gerechter
Berücksichtigung der Interessen der Produzenten wie der
Konsumenten entsteht durch die Sozialisierung kein
Sondereigentum eines Standes, sondern wahres
Gemeineigentum.
Diejenigen Formen der Sozialisierung, welche die
Gefahr eines Konsumentenkapitalismus nahe rücken, sind
die Sozialisierung durch Verstaatlichung, durch
Kommunalisierung, und durch Angliederung von
Produktionsbetrieben an Konsumgenossenschaften. Dagegen
entsteht die Gefahr des Produzentenkapitalismus bei
einem Versuch der Sozialisierung in der Richtung der
produktivgenossenschaftlichen Bewegung und des modernen
Syndikalismus („Die Bergwerke den Bergleuten", „Die
Eisenbahnen den Eisenbahnern", usw.). Das Ziel der
Sozialisierung im Geiste des Sozialismus ist aber weder
Konsumentenkapitalismus, noch Produzentenkapitalismus,
sondern wahres Gemeineigentum für die Gesamtheit der
Produzenten und Konsumenten.
11. Die Ansprüche der Produzenten und der
Konsumenten an der Regelung der gesellschaftlichen
Produktionsverhältnisse.
Die Einteilung der an die Regelung der
gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse von Seiten
der Produzenten und von Seiten der Konsumenten erhobenen
Ansprüche ergibt sich aus einer Zerlegung des durch die
Sozialisierung abzuschaffenden kapitalistischen
Privateigentums in seine einzelnen Befugnisse.
In dem ,Privateigentum an Produktionsmitteln" der
heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung steckt, wie
gezeigt, zweierlei:
a) ein Recht auf das gesamte Erträgnis der mit und
an diesen Produktionsmitteln vollzogenen Produktion,
abzüglich aller Aufwendungen für Rohstoffe, Löhne,
Steuern usw. (nach Marx ein usurpiertes Recht der
Kapitalisten auf den durch die unfreie Arbeit der
Lohnarbeiter fortwährend erzeugten „Mehrwert").
b) ein Recht zur Herrschaft über den
Produktionsprozeß, eingeschränkt durch das allgemeine
öffentliche Recht, besonders die sogenannte
Sozialgesetzgebung.
Demgegenüber bedeutet die Forderung „Abschaffung des
Privateigentums an Produktionsmitteln",
Vergesellschaftung der Produktionsmittel", vom
Standpunkt des produzierenden Arbeiters aus erhoben,
ebenfalls zweierlei:
a) ein Recht auf den Ertrag der Arbeit für den
Arbeiter,
b) eine der Bedeutung der Arbeit für den
Produktionsprozeß entsprechende Teilnahme der Arbeiter
an der Herrschaft über den Produktionsprozeß.
Dieselbe Forderung aber, vom Standpunkt der
Konsumenten aus erhoben, bedeutet:
a) eine Aufteilung des Ertrags der gesamten
gesellschaftlichen Produktion unter die Gesamtheit der
Konsumenten,
b) eine Überleitung der Herrschaftsrechte des
kapitalistischen Privateigentümers auf die Organe
dieser Gesamtheit.
12. Die beiden Grundformen der Sozialisierung.
Unter diesen Gesichtspunkten scheint sich eine
verschiedene Stellung der Produzenten und Konsumenten zu
den verschiedenen in Frage kommenden Formen der
„Sozialisierung" zu ergeben. Die eine Gruppe dieser
Formen, der erste Typus der Sozialisierung, gewährt den
produzierenden Arbeitern nur indirekt, den Konsumenten
dagegen direkt eine Erfüllung ihrer Ansprüche. Die
andere Gruppe dieser Formen, der zweite Typus der
Sozialisierung, stellt umgekehrt vom
Standpunkt der produzierenden Arbeiter aus gesehen eine
direkte, dagegen vom Standpunkt der konsumierenden
Gesamtheit aus gesehen nur eine indirekte
Vergesellschaftung dar.
a) Vom Standpunkt der produzierenden Arbeiter
indirekt, vom Standpunkt der Gesamtheit der
Konsumenten direkt, ist die Sozialisierung als
Verstaatlichung oder Kommunalisierung von Betrieben,
sowie als Angliederung von Produktionsbetrieben an
Konsumgenossenschaften. In allen diesen 3 Fällen
erlangt der produzierende Arbeiter dadurch, daß der
kapitalistische Privateigentümer durch die Funktionäre
des Staats, der Gemeinde, des Konsumvereins ersetzt
wird, unmittelbar keinerlei Mitherrschaft und
Mitnutzrecht an der Produktion, sondern bleibt nach
wie vor Lohnarbeiter.
Wenn und soweit es hierbei sein Bewenden hat, würde
durch die angebliche Sozialisierung in Wahrheit kein
Gemeineigentum der Gesamtheit, vielmehr ein
Sondereigentum des Konsumentenstandes geschaffen. Der
Privatkapitalismus wäre durch einen
Konsumentenkapitalismus ersetzt. Dies gilt, wie für
die beiden anderen genannten Formen, besonders auch
für die Form der Verstaatlichung.
Es ergibt sich hieraus das wahre Verhältnis der
beiden häufig als gleichbedeutend gebrauchten
Ausdrücke: Sozialisierung und Verstaatlichung. Wir
haben schon oben gesehen: nicht jede Sozialisierung
vollzieht sich in der Form der Verstaatlichung. Und
wir sahen jetzt: die bloße Verstaatlichung kann für
sich allein als sozialistische Vergesellschaftung
(Sozialisierung) nicht anerkannt werden.
b) Die vom Standpunkt der produzierenden Arbeiter
direkte, vom Standpunkt der Gesamtheit der Konsumenten
indirekte Sozialisierung besteht in dem Übergang des
Eigentums an sämtlichen Produktionsmitteln eines
Betriebes (eines Industriezweiges) auf die arbeitenden
Betriebsbeteiligten (Industriezweigsbeteiligten).
Durch diesen Vorgang erlangten die arbeitenden
Produktionsbeteiligten die volle Herrschaft über den
gesamten Produktions-prozeß und über seine Erträge.
Hierdurch allein aber kann selbstverständlich
ebensowenig wahres Gemeineigentum geschaffen werden,
wie durch die unter a) erörterte Sozialisierungsform.
Vielmehr würde hier der Kapitalismus des privaten
Kapitalisten nur durch einen Produzenten-Kapitalismus,
ein Sondereigentum bestimmter Gruppen von Produzenten
ersetzt.