trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

„Pure Diskriminierung der kosovarischen Rentner durch die Schweiz“
Interview mit Osman Osmani kosovarischer Gewerkschafter aus der Schweiz - Erster Teil

09-2013

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Max Brym: Sehr geehrter Herr Osmani, Sie sind ein aktiver Gewerkschafter in der Schweiz. Welche Funktion bekleiden Sie in der Gewerkschaft UNIA. Was sind die Arbeitsschwerpunkte für einen albanischen Gewerkschafter aus Kosova in der Schweiz?

Osman Osmani: Mein Funktion. Ich bin als politischer Gewerkschaftssekretär in Bereich Migration, Abteilung Vertrags- und Interessengruppenpolitik in das Zentralsekretariat. In Bereich Migration der Gewerkschaft Unia bin ich auf nationale Ebene verantwortlich für die Arbeitnehmenden aus Westbalkan (Südosteuropa)

Meine Aufgaben und Verantwortlichkeiten sind wie folgend:

  • Politische Mitarbeit in Bereich Migration und allgemeinen in der Migrations- und Integrationspolitik der Unia;
  • Sicherstellung aller verschiedensprachigen „Horizonte“- Ausgaben. Die Zeitung „Horizonte“ berichtet über gewerkschaftliche Aktivitäten und beinhaltet nützliche Informationen über die Heimat der Migrantinnen und Migranten. Zudem informiert Horizonte über die Migrationspolitik in der Schweiz. Verantwortlicher Redaktor der albanischsprachigen Ausgabe von der Zeitung „Horizonte“;
  • Politische Mitarbeit in VIP (Vertrags- und Interessengruppenpolitik) in der Unia;
  • Politische Aktivitäten mit MigrantInnen aus Westbalkan und deren Herkunftsländern (z.B. bilaterale Abkommen, Schengen, etc.)
  • Verantwortlich für die Durchführung der Unia- Kurse für albanisch sprechende Aktivistinnen, auf nationaler, regionaler und sektionaler Ebene;
  • Koordination der zentralen Aktivitäten mit der Unia- Funktionären aus Westbalkan;
  • Beratung der Gremien der Unia bei spezifischen Fragen bezüglich Westbalkan;
  • Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit mit Gewerkschaften der Herkunftsländer, usw.

Max Brym: Es gibt in Kosova eine ziemlich große Aufregung bezüglich der Kündigung des Sozialversicherungsabkommens Schweiz - Kosova. Was ist da passiert? Wie reagiert die kosovarische Regierung.

Osman Osmani: Am 24.09.2009 reichte die Fraktion der Schweizerischen Volkspartei im Nationalrat eine Motion ein mit dem Auftrag, die bestehenden Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie mit der Türkei aufzukündigen, respektive nicht neu auszuhandeln. Als Begründung wurde die überproportional hohe Invalidenquote der Menschen mit Migrationshintergrund aus diesen Ländern im Vergleich zu den Einheimischen genannt. Aus diesem Grund wird die Nichtanwendung der zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen in Bezug auf Kosova als eine politisch motivierte Handlung empfunden.

Was dabei vergessen geht ist, dass die Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund aus den Westbalkanländern (vor allem Einwanderer erster Generation) deutlich schlechter ausgebildet sind und dementsprechend häufiger manuelle und körperlich belastende Berufe ausüben. Sie arbeiten vor allem in Branchen mit hohem Invalidenrisiko. Die Lebenserwartung der Menschen in diesen Branchen ist deutlich tiefer im Vergleich zu anderen Branchen und somit auch der Zeitraum des Leistungsbezuges der Sozialversicherungen.

Eine Studie des Genfer Arbeitsinspektorates, die zwischen 1970 und 1992 über 5000 Männer untersuchte, hat ergeben dass 762 von ihnen vor ihren 65. Geburtstag verstarben und 645 eine volle IV-Rente erhielten. Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Während nur zwei Prozent der freien und akademischen Berufe zu einer Invalidität führten, waren es bei den manuell Tätigen 20% bei den Qualifizierten 25% und bei den Ungelernten 31% bis 40% (Hilfsarbeiter 31%, Bauarbeiter 40%). Dasselbe Bild ergab sich bei der Lebenserwartung, die bei den Akademikern mit 70,6% Jahren um 4,4 Jahre höher war, als bei den Ungelernten. Das heißt, dass dieser soziale Unterschied noch größer ist als jener zwischen den Geschlechtern (gesamtschweizerisch längere Lebenserwartung der Frauen von 4,2 Jahren). Diese Ungleichheit ist wenigstens im Bauhauptgewerbe ausgeglichen worden. Nach langem Kampf der Bauarbeiter mit der Gewerkschaft GBI konnte ab dem 01.07.2003 der sogenannte FAR (Frühzeitige Altersrücktritt) erreicht werden. Die Bauarbeiter können somit seit dem 01. Juli 2003 ab Vollendung des 60. Altersjahres bis zum Erreichen des ordentlichen AHV- Alters eine Überbrückungsrente erhalten. Solche Ungleichheiten bleiben für viele andere Branchen mit hohem Invalidenrisiko und dazugehöriger tieferer Lebenserwartung jedoch ungerechtfertigt weiterhin bestehen.

Die angekündigte Botschaft: Die schon lange angekündigte Botschaft wird am 29 Januar 2010 vom BSV bekannt gegeben. Das mit dem früheren Jugoslawien abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen wird ab 1. April 2010 im Verhältnis zu den Kosova nicht weiter angewendet. Die Rechtsstellung der Staatsangehörigen aus den Kosova wird nun einzig nach den schweizerischen Sozialversicherungsgesetzen bestimmt.

Die vollen Leistungen der Sozialversicherungen werden nur noch bei Wohnsitz und Aufenthalt in der Schweiz erbracht.

Diese Gruppe umfasst die Bürger/innen von Staaten, mit welchen die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat. Dazu gehören etwa 10 Prozent der in der Schweiz lebenden Ausländer, wie z.B. Tamilen und Tamilinnen, Russen und Russinnen. Unverändert bleibt die Möglichkeit für Staatsangehörige aus dem Kosova für die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung der beruflichen Vorsorge, wenn Sie endgültig die Schweiz verlassen. Ab dem 01.04.2010 erlischt der Anspruch auf Familienzulagen für Kinder mit Aufenthalt ausserhalb der Schweiz.


Die Entscheidung der Schweiz für Nichtweiteranwendung des Sozialversicherungsabkommen mit dem früheren Jugoslawien im Verhältnis zum Kosova ist zweifellos ein eiliger Schritt mit schwerwiegenden Folgen für Staatsangehörige aus dem Kosova.

Durch das Auslaufen des Abkommens werden vor allem die Beziehungen zwischen den in der Schweiz wohnenden Staatsangehörigen Kosovas und der Schweiz schwer belastet.

Eine ungeschützte Bevölkerungsgruppe in der Schweiz, ohne starke Lobby wurde als Beispiel angewendet damit in den Sozialversicherungsabkommen mit den anderen Westbalkanstaaten die Betrugsbekämpfungsklausel integriert werden kann. Die Verhandlungen zum Abschluss eines neuen Abkommens mit Serbien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina ist bereits abgeschlossen. In alle Abkommen wurde wahrscheinlich eine Betrugsbekämpfungsklausel integriert.

Die Gewerkschaft Unia hat den Entscheid des Bundesrates, keine neuen IV-Renten in den Kosovo auszubezahlen kritisiert. Mit der Aufkündigung des Sozialversicherungsabkommens wurden auch keine Altersrenten mehr in den Kosovo ausbezahlt. Die Arbeitnehmenden, welche in der Schweiz zum Teil über Jahre Beiträge bezahlt hatten, hätten bloss die von ihnen eingebrachten Beiträge zurückerhalten. Zudem wurden seit Beendigung des Abkommens auch keine Familienzulagen für Kinder, welche im Kosovo leben, mehr bezahlt.

Die Unia hat zusammen mit weiteren Organisationen mehrere tausend Unterschriften für eine entsprechende Petition an den Bundesrat gesammelt, welche im Anfang Mai 2010 eingereicht wurde. Ende Mai 2010 weilte eine durch die Unia geleitete Delegation für lösungsorientierte Gespräche vor Ort und engagiert sich aktiv und Lösungsorientiert zur Aufnahme der Verhandlungen für ein neues Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Schweiz und Kosovo.

Die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden beider Staaten hat sich in Vergangenheit als sehr schwierig erwiesen. Die Schweiz hat mehrere Jahrzehnte gebraucht, um ein funktionierendes Sozialversicherungssystem durch Inkrafttreten der AHVG 1948 einzurichten. Kosova ist erst seit etwas über fünf Jahren als eigenständiger Staat anerkannt. Diese kurze Zeit zeichnete sich durch unklare Machtverhältnissen aus. Die Schweiz hatte somit unangemessen hohe Erwartungen in Bezug auf die Umsetzung des Abkommens sowie in Bezug auf die Einrichtung eines funktionierenden Sozialversicherungssystems in den Kosova. Die Schweiz hat, als eines der ersten Länder, Kosova als eigenständigen Staat anerkannt und sollte dementsprechend auch mehr Respekt und Verständnis zeigen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des Kosova.

Angesichts der Tatsache, dass die Verhandlungen auch mit Serbien und Montenegro abgeschlossen sind, nimmt der Bundesrat eine klar diskriminierende Haltung gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus den Kosova ein. Dies, obwohl sich die Kosovarinnen und Kosovaren in der schweizerischen Gesellschaft ebenso engagieren, wie alle andere Bewohner/-innen der Schweiz.

Pure Diskriminierung: Die Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger aus dem Kosova mit Wohnsitz in der Schweiz ist diskriminierend und steht im Widerspruch zu den erklärten Zielen der Schweiz durch das Bundesamt für Migration und der Direktion für die Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Kosova. Diese sprechen von einer Stärkung der kosovarischen Migrationsbehörden, von sozialen Diensten für diese Bevölkerungsgruppe, welche unter hohem Migrationsdruck stehe, von der Wichtigkeit der Diasporabeziehungen zwischen der Schweiz und dem Kosova usw. Die einseitige und diskriminierende Sistierung der zwischenstaatlichen SVA seitens des Bundesrats – auch wenn aufgrund der Vernachlässigung durch die Behörden der Republik Kosova - belasten zusätzlich die Soziale Situation der Familien der von betroffenen Arbeitsemigranaten in Kosova, die nicht dafür bestrafft werden sollen.

Angesichts der erwähnten, diskriminierenden Auswirkungen, die durch die Nichtweiteranwendung des Abkommen für mehrere zehntausend Familien kosovarischen Hintergrundes in der Schweiz entstehen, sind vernünftige Stimmen der entsprechenden Ministerien für Arbeit und Soziale Wohlfahrt der Regierung im Kosova und des Bundesrates in der Schweiz dringend nötig. Durch eine Entscheidung der Schweiz für die Weiteranwendung des Sozialversicherungsabkommens mit dem früheren Jugoslawien im Verhältnis zum Kosova mit der gleichzeitigen Aufnahme der Verhandlungen für ein neues Sozialversicherungsabkommens können schwerwiegende Folgen vermieden werden. Dies ist ein wichtiger und entscheidender Schritt in die richtige Richtung zur Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens. Als Zusatzklausel in der Weiteranwendung des alten Sozialversicherungsabkommens sollte dessen Umsetzung durch die Regierung des Kosovas garantiert werden. Auch die Möglichkeit für zusätzliche Abklärungen und Kontrollen vor Ort kann und muss in Zusatzklausel bestimmt werden. Auf diese Weise kann die fünfte IV-Revision der Schweiz, auch in Bezug auf den Kosova vollständig und gerecht umgesetzt werden.

Den ehemaligen AHV Beitragszahlenden mit jetzigem Wohnsitz im Kosova ist anzuraten, mit der Rückvergütung der AHV Beiträge abzuwarten, es sei denn der Versicherungsfall sei eingetreten oder trete demnächst ein. Denn mit der Rückvergütung der AHV Beiträge verzichten die Staatsangehörigen des Kosovas auf alle anderen möglichen Leistungen der AHV/IV. Durch einen hoffentlich baldigen Abschluss des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Schweiz und Kosova können wieder exportierbare Renten möglich werden.

Bundesverwaltungsgericht entscheidet in allen (dutzenden) Fällen zu Gunsten kosovarischer Staatsangehöriger: Laut den Gerichtsentscheiden ist das entsprechende Sozialversicherungsabkommen auch weiterhin in Kraft und Gesuche für eine IV-Rente müssen von der IV-Stelle für ausländische Versicherte (IVSTA) geprüft werden. Dies gilt insbesondere für neue Gesuche, Rentenrevisionen, Revisionsgesuche und nach einer Rückweisung durch das Bundesverwaltungsgericht wieder aufzunehmende Verfahren.

Regierungen beider Länder sind aufgefordert, die Situation zu überdenken: Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts verlangt von der Schweizer Regierung, sich zur Aufnahme von Verhandlungen mit der kosovarischen Seite über ein neues Abkommen bereit zu zeigen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen muss neue Kreisschreiben erlassen, an die sich die Sozialversicherungen in ihrer Arbeit bis zum Entscheid über die Weiterführung des Abkommens halten können.

Die kosovarische Seite muss die vom Kosovarischen Parlament am 16. 09. 2010 gutgeheissenen Empfehlungen erfüllen, um auf diese Weise die notwendigen Voraussetzungen für den Beginn von Verhandlungen zu schaffen, und sie muss von der Schweizer Seite die Aufnahme von Verhandlungen für ein neues Sozialversicherungsabkommen verlangen.

Das Bundesamtsamt für Sozialversicherung akzeptierte das nicht. Das Amt zog den Fall ans Bundesgericht weiter - und blitzte ab. Die Bundesrichter sahen in September 2011 keinen Anlass, sich mit dem Fall überhaupt zu befassen. Demzufolge ist das Bundesverwaltungsgericht auch in duzenden von Urteilsfällen der Ansicht, sein Urteil sei rechtskräftig und weist nun in einem neuerlichen Entscheid das Bundesamt kurz und knapp an, den Leitentscheid von Jahr 2011 umzusetzen. Der Bundesamt für Sozialversicherungen wartete lange auf eine „idealen“ Fall, den sich Schlussendlich vor das Bundesgericht brachten.

Das Bundesgericht zementiert die Diskriminierung: Das Bundesgericht hat im Juli 2013 veröffentlichten Urteil vom 19. Juni 2013 (9C_662/2012) die Anwendbarkeit des zwischen der Schweiz und dem ehemaligen Jugoslawien abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommens auf kosovarische Staatsangehörige ab 1. April 2010 verneint. Damit zementiert das oberste Gericht einen Missstand, unter dem Tausende von Arbeitnehmenden, die aus der Schweiz in den Kosova zurückgewandert sind, leiden: Seit März 2010 erhalten sie keine AHV- oder IV-Renten mehr, auch wenn sie in der Schweiz jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben. Auch Kinderzulagen für Kinder die in Kosova leben, werden nicht mehr bezahlt.

Die Rückkehrenden kosovarische Bürger haben damit gerechnet, dass wenn sie ihre Rentenalter erreichen, werden sie ihre mit viel Arbeit und Fleiss wohlverdiente Altersrente auch bekommen, ansonsten hätten sie sich anderes überlegt und hätten sie den Wohnsitz in der Schweiz behalten. Diese wird ihnen nun verwehrt. . Noch stossender ist der Fall von Witwen, die im Kosovo leben und beim Tod ihres Ehemanns keine Rente bekommen und somit auch kein Einkommen mehr haben! Sie werden doppelt bestrafft, da sie viele Jahre ohne Ehemänner leben müssten und jetzt auch ohne Rente…Schlussendlich haben die Migrationsbehörden, andere Institutionen und viele Politiker der Schweiz die Rückkehr stark propagiert und gefördert.

Berufend auf den aktuellen Entscheid haben die Medien in der Schweiz die Möglichkeit für die betroffene kosovarische Bürger, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind, ihre AHV/IV-Beiträge ausbezahlen zu lasen sehr stark betont. In einem solchen Fall verlieren die betroffenen kosovarische Bürger jedes Recht auf eine Rente und dazugehörende Leistungen für immer.

Dies erweckt unausweichlich den Eindruck, dass die zuständigen Behörden die betroffene kosovarische Beitragzahler für immer loswerden wollen.

Die zuständigen Institutionen beider Staaten habe die Aufgabe die betroffene Beitragzahler aus und in Kosova richtig und kompetent über die Folgen aufgrund den neu entstehenden Situation zu informieren.

Es wird erwartet, dass ein neues Sozialversicherungsabkommen zwischen Schweiz und Kosova geben kann, daher gibt es kein Grund und kein Motivation die AHV/IV-Beitrage ausbezahlen zu lasen. Nicht zu letzt auch den Spekulanten und Betrüger die mit alle Mitteln versuchen von den betroffenen Beitragzahler für diese „Dienstleistung“ zwischen 5-20 % der ausbezahlten AHV/IV-Beiträgen abzuzocken.

Die Indifferenz und Unverantwortlichkeit der kosovarische Behörden: Die kosovarische Behörden tragen grosse Schuld weil sie von Anfang an – ausser einigen formellen Schritten aufgrund unseren (Gewerkschaften) Intervention - untätig geblieben sind.

Die Unia mit Ihren Partnern (u .a. mit CH-Parlamentarier Ueli Leuenberger, Gewerkschaft SIT, etc.) arbeitete darum (in Zusammenarbeit mit Parlamentariern, Gewerkschaften und NGO’s in Kosova) intensiv darauf hin, dass im Kosova die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass bald ein Vertragsabschluss mit der Schweiz möglich wird. Diese Aktivitäten der Unia und ihrer Partner vor Ort haben im Kosova bereits viel in Bewegung gebracht. Ihnen und der entsprechenden öffentlichen Aufmerksamkeit ist es zu verdanken, dass das kosovarische Parlament am 16. September 2010 Premierminister H. Thaçi einstimmig dazu aufforderte, alles Nötige zu unternehmen, um Neuverhandlungen für das Sozialversicherungsabkommen zwischen Kosova und der Schweiz einzuleiten.

Wegweisender Entscheid des kosovarische Parlaments: Konkret musste die Regierung Kosovas nun:

  • Eine interministeriale Gruppe bilden, die sich mit Abkommensfrage befasst;
  • dem Parlament mit höchster Priorität die nötigen Gesetzesvorlagen unterbreiten, die für ein Sozialversicherungsabkommen zwischen Kosova und der Schweiz Voraussetzung sind (Gesetze über Renten-, Invaliden-, und Krankenversicherung, resp. Ihre Harmonisierung);
  • alle nötigen Regelungen schaffen, welche den Export der Sozialversicherungsleistungen erlauben;
  • den schweizerischen Behörden die nötigen Garantien und volle Transparenz in Bezug auf im Kosova wohnhafte Leistungsbezüger zusichern (Bereitstellung der Zivilregister, Kontrollmechanismen, die eine Renten-Missbrauch verhindern);
  • ein Regierungstreffen zwecks Aufnahme von Verhandlungen und Vereinbarung einer praktikablen Zwischenlösung anstreben.

Anstatt, dass die zuständige Behörden Kosovas sich darum bemühen die nötigen Voraussetzungen zu schaffen und auch um die Rechte Ihrer Bürger kümmern, haben bei jedem Gelegenheitstreffen mit Schweizerbehörden das Thema fast nicht angesprochen, sondern immer wieder zurückschreckend und schamlos sich bei den Schweizerkollegen bedankt.

Nach dem letzten Bundesgerichtentscheid behauptete der zuständige kosovarische Wohlstandsminister Nenad Rasic, dass das Problem betr. Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz im Jahr 2014 endgültig gelöst wird. Für diese fast 4 Jahren, haben die Behörden Kosovas nichts gemacht und ist grossen Teils ihre Schuld dass das Sozialversicherungsabkommen in Bezug auf Kosova kein Anwendung fand und jetzt von einmal ohne einen offiziellen Treffen diesbezüglich zu haben, wollen sie von einmal das Problem losen?! Die Verhandlungen für neue Sozialversicherungsabkommen mit anderen Nachfolgerstaaten ehemaligen Jugoslawien dauerten mindestens 2-3 Jahren. Anstatt lehre Versprechungen konfusen Erklärungen, sollten die kosovarische Behörden handeln und mindestens ihre Bürger Ordnungsgemäss und kompetent über die neuentstehende Situation mitten zu Verfügung stehende Medien informieren.

Viele Kosova-Albaner erster Generation, haben seit einem Halbjahrhundert mit ihrer harten Arbeit nicht nur einen unverzichtbaren Beitrag an die Schweizer Wirtschaft, sondern auch an die Schweizer Sozialwerke geleistet! Sie haben gleichzeitig auch ihre Familienmitglieder und Verwandte in Heimat unterstützt, und nicht nur diese, sondern auch alle andere Menschen, resp. auch den Herkunftsgesellschaft und -land vielseitig unterstützt.

Die staatsangehörige Kosovas, die einmal in der Schweiz gearbeitet haben und wieder im Kosovo leben, oder leben wollen, können seither keine Renten mehr im Herkunftsland Kosova beziehen.

Viel von ihnen sehen sich aus diesem Grund gezwungen, ihren Lebensabend in der Schweiz zu verbringt, obwohl sie gern das Rentenalter in dem Herkunftsland verbracht hätten. Die Rückkehr ins Herkunftsland hätte aber nicht nur die Kassen der Sozialhilfe und der Ergänzungsleistungen entlastet, sondern auch das Schweizer Gesundheitssystem.

Dazu kommt noch ein zusätzliches Problem der mit der Verschärfungspolitik der Migrations- und Ausländergesetzgebung. Die ständige Drohung, denen Drittstaatsangehörige (vor allem Kosova-Albaner) ausgesetzt sind, die Schweiz verlassen zu müssen, macht sie zudem wirtschaftlich ausbeutbar. Wer Angst hat, dass die Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert wird, weil er/sie Teilinvalide ist, oder - aus welchen Grund auch immer - keine Arbeit hat, wird bereit sein, jede Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen. Das führt unter anderen zu noch mehr Lohndumping und zu einer Präkarisierung der Arbeit. Wenn sie die Schweiz verlasen müssen oder aufgrund zwischenstaatlichen Rückkehrabkommen ausgeschafft werden, womit endgültig auch das Wohnsitz in der Schweiz verlieren, dann können sie – mangelndes Sozialversicherungsabkommen - die Pensionsgelder in Kosova nicht exportieren und verlieren sie für immer ihren Rentenansprüchen.

Diese Situation und Entwicklung ist ungerecht und nicht akzeptabel. In der Schweiz zahlen alle Arbeitnehmenden Sozialversicherungsbeiträge. Umgekehrt muss auch das Recht auf soziale Sicherheit für alle gleichermassen Gültigkeit haben. Die Unia fordert darum den Bundesrat auf, nun endlich eine faire Lösung dieses Problems an die Hand zu nehmen und mit der Republik Kosovo unverzüglich ein neues Sozialversicherungsabkommen auszuhandeln.

Die Behörden Kosovas freuen sich über die vielseitigen und Jahrzehntlangen Hilfeleistungen kosovarischer Diaspora, aber wenn es darum geht die Interessen der Landsleute in verschiedene Länder wahrzunehmen und zu vertreten, dann wollen sie davon nicht wissen.

Anscheinend haben die Behörden und der Regierung Kosovas vergessen, dass die kosova-albanische Arbeitsemigranten auch die Hauptverantwortung hätten für: Hausbau für Brüder (nebst eigenem Hausbau); Hochzeit und Hausrat für unverheiratete Geschwistern; gemeinsame Anschaffungen für die Landwirtschaft (Traktor, Maschinen, Land), oder ein kleines Geschäft; Finanzierung einer teuren Operation im Ausland, usw. Nicht selten finanzierten sie auch den Bau einer Dorfstrasse, eines Schulhauses, einer Wasserleitung und einer Kanalisation, usw. mit. Wichtig zu erwähnen ist, dass sie auch die eigenen – durch serbische Apartheid-Regimes erzwungene - Parallelstrukturen der Kosova-AlbanerInnen während fast zehn Jahren grosszügig mitfinanzierten, und anschliessend auch den weltweit bekannten Verteidigungs- und Befreiungskampf der Jahre 1998/99 in Kosova, nicht nur finanziell, sondern auch personell zu unterstützten.

Um so schlecht sie unterschreiben die Behörden und der Regierung Kosovas jene Abkommen – wie die über polizeiliche Zusammenarbeit und das Rückkehrabkommen - mit der Schweiz und andere EU-Länder ohne die Interessen der Landsleute zu berücksichtigen.

Max Brym:  Wie sehen Sie die momentane ökonomische Entwicklung in Kosova?

Osman Osmani: Die wirtschaftliche Lage ist leider nach wie vor sehr schwierig. Über die ökonomische Situation in Kosova ist die Redaktion von Kosova-Aktuell bestens ins Bilde, da sie auch regelmässig darüber kritisch und konstruktiv berichtet. Die Redaktion von Kosova-Aktuell spricht meiner Meinung nach Klartext zur aktuellen Lage in Kosova, die in deutschen und andere westeuropäische Leitmedien verschwiegen wird.

Stagnierende ökonomische Entwicklung in Kosova: Aber kommen wir zurück zu Ihre Frage: Die wirtschaftliche Situation in Kosovo hat sich auch in letztem Jahr verschlechtert. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos. So ist das Wirtschaftswachstum im Jahr von 5% auf 3.8% zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit und die Armut als nachlaufende Indikatoren werden steigen. Laut Statistikamt Kosovas leben rund 12% der Bevölkerung nur mit einem Euro pro Tag.

Berat Rukiqi von der kosovarischen Wirtschaftskammer sagte letztes Jahr für Radio Freies Europa, das Wirtschaftswachstum in Höhe von 3.8% ist für Kosova unzureichend. Kosova braucht mindestens das Doppelte, damit Arbeitslosigkeit und Armut sinken. Diese Indikatoren beschreiben sehr gut die Lage der kosovarischen Wirtschaft, sagt Rukiqi. “Ein Wirtschaftswachstum von 3.8% kann die Arbeitslosigkeit in Kosova nicht senken. Zudem erschweren der Rückgang der direkten Geldleistungen und der ausländischen Investitionen die ohnehin schon schlechte Wirtschaftslage”.

Auch die kosovarische Zentralbank melde letztes Jahr einen Rückgang der Exporte um 24.4%, der direkten Geldüberweisungen um 4.8%, sowie der direkten ausländischen Investitionen um 27.6%.

Laut Angaben der Weltbank in letzten Jahr lag die Armut in Kosova bei 39%. Rund ein Drittel leben an der absoluten Armutsgrenze mit nur 1.55 Euro pro Tag, 12% leben sogar mit 1.02 Euro pro Tag unter der Armutsgrenze.

Die Arbeitslosigkeit liegt gemäss kosovarischen Statistikamt bei 48%. In Kosova leben 1.8 Millionen Menschen, 75% davon sind im Alter von unter 35.

Sozialfremdes Regierung Kosovas: Die Situation allgemein ist alarmierend. Der Regierung verfügt über kein Konzept die Armut zu bekämpfen und die Sozialhilfe wird von der Regierung als Barmherzigkeit behandelt und nicht als kollektive Verantwortung wahrgenommen.

Die Gesetzgebung spiegelt nicht die Bedürfnisse der Gesellschaft, sondern ist weitgehend andere Staaten kopiert / übersetzt. In land fehlen weiterhin die Systeme der sozialen Sicherheit (SV)/ Gesundheit (KKV)/ Arbeitslosigkeit (ALV), usw.

Die Finanzpolitik ist unsozial, da 90% des Budgets den ärmeren und mittleren Schichten der Gesellschaft belastet wird.

Auch die einseitige und diskriminierende Sistierung der zwischenstaatlichen SVA seitens des Bundesrats aufgrund auch der Vernachlässigung durch die Behörden der Republik Kosova belasten zusätzlich die Soziale Situation in Kosova.

Politiker werden übereilt Millionäre – die Armut steigt rasant: Während politische Machthaber grösstenteils zu Millionären werden, leidet zirka 30 Prozent der Bevölkerung unter starker Armut. Die Arbeitslosigkeit wird weit über 40 Prozent geschätzt. Besorgniserregend ist vor allem die Zahl der jungen und gut ausgebildeten Arbeitslosen.

Verantwortlich für diese aussichtslose und enttäuschende politische, ökonomische und soziale Lage sind nicht zu letzt auch der EU und allgemein die internationale Überwachungsmacht und in Kosova operierende internationale staatliche und tausende nichtstaatliche („einheimische“) Organisationen.

Es werden durch Machthaber der EU und „internationalen Gemeinschaft“ Standards und Kriterien gegenüber einheimischen Vorgehensweisen und Funktionalität angewendet die in eigene und in den EU Länder nicht gelten: Die Handlugen der EU Mission werden sehr oft mit negativen Vorurteilen gegenüber das Land und den dort lebenden Menschen begleitet..

Das Sicherheitsproblem in Region und die geopolitische und geostrategische Interessen der Machthaber werden in den Vordergrund gestellt, dagegen soll mit der politischen Transformation des Landes sowie der Demokratieförderung gewartet werden. Die EU-Machthaber und viele wichtige politische Parteien in EU und in Westen allgemein blenden aus und verschwiegen die Realität in Kosova und Region.

Obwohl Kosova qualifizierte Akademiker vorzuweisen hat, bleiben ihnen die durch Vetternwirtschaft und Klientelismus besetzten wichtigen öffentlichen Positionen vorenthalten.

Der Wissens- und Erfahrungstransfer der Diaspora wird kaum gefördert: Kosova ist weiterhin auf die Hilfe von Aussen und der im Ausland lebenden Kosova-Albaner angewiesen. Kosova bleibt politisch und wirtschaftlich weiterhin abhängig und ohne faktischen Fortschritt.

Kosova, das über gute Rohstoff-Reserven verfügt, könnte seine Industrie wiederbeleben, zum Beispiel die Bergmine Trepça und anderen Minen Kosovas wieder in Betrieb nehmen und neue Arbeitsplätze schaffen. Doch über das Schicksal des Bergbaus wird schon seit der Nachkriegszeit heftig spekuliert. Obwohl Kosova starkes Potenzial in der Landwirtschaft aufweist, werden Lebensmittel vorwiegend aus dem Region und Ausland importiert. Zudem bleiben auch seriöse ausländische Investoren dem Land fern. Einerseits stellt die politische Lage – insbesondere die instabile Situation im Norden – eine Unsicherheit dar. Andererseits machen Korruption, das Fehlen eines Rechtsstaats sowie die verwirrten Entwicklungen im Land die Investoren unsicher.

Die Mehrheit der im Ausland ausgebildeten Kräfte und Fachleuten verschiedener Bereichen sind zu politischen Aussenseitern geworden. Ihre an ausländischen Institutionen, Universitäten, Organisationen und Unternehmungen erworbenen Kenntnisse können sie grösstenteils nicht zum Nutzen des eigenen Landes einbringen und weitergeben. Sie könnten einen unvergleichbaren Beitrag zu Rechtsstaatlichkeit, Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitsreformen und Investitionsmöglichkeiten. Dadurch könnte die Arbeitslosigkeit verringern werden und insbesondere den jungen Menschen in Kosova eine Zukunftsperspektive bieten. Kosova wie auch Albanien hat bekanntlich eine der jüngsten Bevölkerung in Europa. Sie stellen ein grosses Potenzials dar uns sind für die Mehrsprachigkeit und ihrer Offenheit für Neues bekannt.

Weder die zuständige Institutionen der Länder wo die kosovarische Diaspora ansässig ist (Schweiz, Deutschland, usw.) noch die von der Heimatlandes tragen diesem wichtigem Aspekt sorge. In Gegenteil, sie werden weiterhin ganz ignoriert, was die Entwicklungszusammenarbeit zu einem Schwindel macht.

In Bezug auf die Entwicklung der Gesellschaft ist die Einbeziehung professioneller Fachkräfte von materieller Bedeutung. Ohne deren Einbindung kann Kosova dauerhaft keine politisch-wirtschaftliche Fortschritte erzielen oder Reformen zustande bringen. Auch aussenpolitisch stellt die Diaspora wahre Potentiale und Ressourcen dar. Sie kann die Vertreterrolle des Heimatlandes mit bedeutender Professionalität wahrnehmen und neue Impulse wahrmachen.

Max Brym: Welche Aufgaben und welche objektiven und subjektive Probleme hat die Gewerkschaftsbewegung in Kosova? Osman Osmani: Kosova verfügt leider über geerbte Gewerkschaftsstrukturen und -Organe, die den neuen Situationen und der aktuellen Aufgaben, faktisch nicht gewachsen ist.

Die geerbten Gewerkschaften galten bis Anfangs 90’er Jahren, in dem sogenannten sozialistischen System, als Bestandsteile (Zweige) des Parteiapparate s. Sie wurden weder reformiert noch den neune veränderten systemischen Gegebenheiten angepasst. Sie verstanden sich und leider auch heutzutage verstehen sich von eigenen Funktionsträgern als Behörde und nicht als Arbeitnehmerorganisation die für dessen Interessenvertretung stehen und kämpfen soll.


Osman Osmani: Die Gewerkschaften Kosovas befinden sich in eine ernsthafte Krise: abnehmende Mitgliederzahlen, schlechte Verankerung vor allem im privaten Bereich, schlechte Verankerung in den Regionen, gewerkschaftliche Zersplitterung, Abhängigkeit von politischen Parteien, Einbindung in den Privatisierungsprozess.

Nötig wäre, wie auch der Gewerkschaftshistoriker und -reformer aus der Schweiz, Hans Schäppi empfehlt; ein ausformuliertes gewerkschaftliches Projekt mit klaren Zielen auszuarbeiten: Überwindung der gewerkschaftlichen Zersplitterung, interprofessioneller und überbetrieblicher Aufbau, Verankerung in den Regionen, Organisierung von Gewerkschaftswüsten, Erhöhung der Mobilisierungsfähigkeit, politische Unabhängigkeit, verstärkte Zusammenarbeit mit Gewerkschaften Südosteuropas und Europas.

Ausgangspunkt zur Verwirklichung wäre wohl eine Kooperation fortschrittlicher, reformwilliger Einzelgewerkschaften. Eine Gesamtreform „von oben“, d.h. über den Dachverband und alle angeschlossenen Gewerkschaften war, auch in der Schweiz, eine Illusion.

Max Brym & Hans Schäppi: Aktuelle Situation und mögliche Perspektiven?

Osman Osmani: In meiner Funktion als Gewerkschaftssekretär sehe ich das Engagement, Vernetzung und Zusammenarbeit mit Gewerkschaften des Herkunftslandes und -Gesellschaft verstehe als eine meiner wichtigen Aufgaben. In diese Zusammenhang setzen wir (ich zusammen mit anderen schweizerischen und albanischen Gewerkschaftskollegen wie, Hilmi Gashi, Hans Schäppi und Ruzhdi Ibrahimi) uns ein allgemein für die soziale Gerechtigkeit in Kosova und speziell für die Stärkung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung in Kosova. Die folgenden Ausführungen sind aus unseren Diskussionen über den möglichen Beitrag in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern vor Ort.

Die untenstehende Problemsaufzählung und mögliche Handlungsansätze sind grossenteils ein Beitrag von Kollege Hilmi Gashi, der in meinen jetzigen Funktion in der Unia von 2005 bis 2010 ausgeübt hat und aktuell als CO- Leiter der Unia Berner Oberland tätig ist:

1. Unabhängigkeit der Gewerkschaften Kosovas

Die Gewerkschaften im ehemaligen Jugoslawien und insbesondere in Kosova haben keinen einfachen Stand, weil sie einerseits die Interessen der Mitglieder vertreten sollten, ohne den sozialen Frieden zu stören. Mann will Frieden, um die Investoren nicht abzuschrecken oder wichtige Gesellschaftliche Interessen wie die Integration in der EU oder in der Nato voran zu hintertreiben. Diese Situation kann verändert werden nur wenn die Gewerkschaften verkünden, dass sie nicht mehr alleine aus patriotischen Gründen auf ihre elementarsten Rechte verzichten wollen. Hierfür wäre im ersten Schritt eine totale Abkehr von der Politik der Geduld hin zu einer aktiven Politik der sozialen Gerechtigkeit.

2. Privatisierung und die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften in Kosova sind im Privatisierungsprozess durch den Präsidenten des Dachverbandes (BSPK) eingebunden. Sie spielen dort eine eher marginale Rolle. Konzessionen die sie erzielen können sind eher klein. Beispielsweise die 20 Prozent der Verkaufsumme sollten an ehemalige Mitarbeiter/innen fliessen. Das geschieht selten und es dauert unter Umständen Jahre. Oder die Verpflichtung einen Teil der Belegschaft zu übernehmen und ihnen anständige Löhne zu bezahlen. Leider auch ein Alibi. Wenn ein Betrieb privatisiert wird und alle Mitarbeiter die Kündigung bekommen, dann spricht das nicht unbedingt für die Stärke der Gewerkschaften. Vorwürfe, dass sie sich haben kaufen lassen verbreiten sich schnell und damit schwindet das Vertrauen.

Mögliche Handlungsansatz: Die Gewerkschaften verlassen unter Protest die Privatisierungsagentur und kündigen Widerstand gegen weitere Privatisierungen an und fordern die Regierung auf, die längst bestehenden Ansprüche der ehemaligen Mitarbeiter der privatisierten Betriebe, durchzusetzen. Leider bisschen spät, aber es wäre noch möglich zu machen. Dafür braucht es aber einen Wechsel an der Spitze des Dachverbandes, weil der alte Präsident seit 2006 in der Privatisierungsagentur sitzt und mitverantwortlich gemacht wird für den Ausverkauf.

3. Mitgliederstruktur und Privatisierung

Die Mitgliedschaft der Gewerkschaften in den Kosova bestehen zum grössten Teil aus Angestellten ehemaliger Staatsbetriebe (mit oder ohne Arbeit). Gesundheitswesen, Schulen, Verwaltung, Öffentlichrechtlichen Institutionen, usw. Unter anderem auch von grösseren Minen-, Bau- und Holzunternehmen. Nun, je nach Region sind diese Unternehmen entweder in Schnelltempo privatisiert worden oder unter einer provisorischen Verwaltung gekommen, die dann die Privatisierung eingeleitet hat. Man hat hier auch die möglichen Aufträge verpasst, weil das Unternehmen nicht in den „alten sozialistischen Strukturen“ weiter geführt werden durfte. In Kosova und z. T. in Bosnien sind die ehemals Staatsbetriebe und Fabrikhallen als Unterkunft für die internationalen Militäreinheiten benutzt worden, oder bereits von einer Privatisierungsagentur (Kosova Trust Agency) übernommen. Ein Teil der zahlenden Mitglieder in den Gewerkschaften Kosovas arbeiten in der öffentlichen Verwaltung oder in den staatlichen Betrieben wie Post und Telekommunikation PTK, Stromproduzenten KEK, Schulen, Gesundheitsinstitutionen. Diese bezahlen ihre Mitgliederbeiträge (noch).

Im privaten Sektor sind sie fast nicht präsent. Zum Beispiel auf dem Bau und Gewerbe: Obwohl es im ehemaligen Jugoslawien Privatunternehmen gegeben hat, sind diese nie eine „Interessante“ Gruppe für die Gewerkschaften gewesen, weil die maximale Zahl der Angestellten in ein Privatunternehmen nicht mehr als 6 + Inhaber betragen durfte. In den Fabriken hatten sie Mitglieder zu hunderten und tausenden. Auch heute hat sich in der Mentalität der Gewerkschaften nichts geändert. Das wird sich als ein Fehler erweisen, weil die vielen Baufirmen, die nach den Kriegen entstanden auch viele Angestellte haben. Aber, sie arbeiten Schwarz, haben keinen Schutz und auch keine Versicherungen. Wer Krank ist, der wird nicht bezahlt wenn er nicht zur Arbeit erscheint. Wer protestiert wird entlassen, denn „arbeitswillige gibt es genug“.

Möglicher Handlungsansatz: Die Gewerkschaften bilden junge Aktivistinnen und Aktivisten aus und verstärken ihre Präsenz auf dem Terrain. Ein günstiger Zeitpunkt ist jetzt gegeben: Die Bechtel-Enka baut im Auftrag der öffentlichen Hand die Autobahn. Ein riesiges Prestigevorhaben der Regierung Thaqi. Die Gewerkschaft Bau könnte diesen Umstand nutzen, um sich als die Kraft, die sich für die Anliegen der Bauarbeiter einsetzt, etablieren. Hier könnte sie auf viel Sympathie aus der Bevölkerung zählen und damit auch die Regierung unter Druck setzen. Hier könnte sich die Gewerkschaft dafür einsetzen für Arbeitssicherheit, gute Löhne, Gesunde Ernährung, Bessere Mitwirkung etc. Hier könnte auch die Gewinnung neuer Mitglieder als VL und als zahlende Mitglieder ansetzen.

4. Finanzen

Viele der Gewerkschaften hausen in Baracken und haben nur eine minimale Infrastruktur. Einerseits weil Besitzverhältnisse, der von Gewerkschaften verwalteten Liegenschaften, jetzt nicht mehr klar sind und die Regierungen die Gebäude als Staatseigentum betrachtet und anderseits auch mit knappen Finanzen. Auch wenn die Mitgliederbeiträge eher bescheiden und ev. durchaus bezahlbar wären, fehlt es an Möglichkeiten diese Gelder einzutreiben. Früher wurden die Mitgliederbeiträge monatlich vom Lohn abgezogen und heute geht das nicht mehr. Nicht einmal die Behörde würde die Beiträge von Gewerkschaftsmitgliedern vom Lohn abziehen und sie der Gewerkschaft überweisen. Zudem gibt es Schwierigkeiten mit dem Zahlungsverkehr. Bezahlung per Rechnung würde die Kosten der Einnahmen übersteigen. Deshalb braucht es auch hier viel Phantasie, um dieses Problem zu lösen.

Möglicher Handlungsansatz: Erwerb von Marken und damit auch des Zugangs zu den Dienstleistungen.

5. Nachwuchsförderung

Obwohl die Gewerkschaftsfunktionäre z.T. einen guten Lohn beziehen, ist die Arbeit bei einer Gewerkschaft keine sehr attraktive Tätigkeit. Zu einem, weil sie einen eher schlechten Ruf haben, schon aus der Zeit des Sozialismus, und zum anderen, weil sie nichts oder zu wenig tun, um den potentiellen Nachwuchs zu fördern. Sie sind dieses Problems bewusst, ohne sich zu bewegen. In der BSPK gab es die Arbeitsgruppe Jugend und Frauen. Beide Bereiche funktionierten nur dank den Freiwilligen und hatten wenig Unterstützung vom bezahlten Apparat. BSPK hatte beispielsweise keine Projekte für die Förderung, Bildung und Unterstützung der jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter eingegeben. Unter dem neuen Präsidenten nahmen sie nicht einmal an internationalen Tagungen der jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter teil.

Möglicher Handlungsansatz: Die Jugend und Frauen bekommen innerhalb des Dachverbandes mehr Gewicht. Sie werden ausgebildet und in Entscheidungen miteinbezogen.

6. Gewerkschaften und die Gesamtarbeitsverträge

In einigen Ländern wurden die alten Arbeitsgesetze in die neue Struktur übernommen, um überhaupt ein Gesetz zu haben. Diese Arbeitsgesetze entsprechen aber nicht der neuen politischen und wirtschaftlichen Realität. Einige Gewerkschaften in der Region haben versucht Gesamtarbeitsverträge mit den Sozialpartnern zu erarbeiten. Diese wurden dann mit den Wirtschaftskammern (Vertreter der Arbeitgeber) und der Regierung erarbeitet und unterzeichnet. Diese GAV sind nicht für alle Firmeninhaber verbindlich, weil sie nicht Mitglied der Wirtschaftskammer sind. Die Regierung ihrerseits schreibt vor, dass alle Angestellten versichert sein müssen, um Schwarzarbeit zu verhindern, tut jedoch nichts um die GAV und die Gesetze durchzusetzen.

Möglicher Handlungsansatz: Gewerkschaften schaffen die Möglichkeit der Firmen GAV oder betrieblichen Vereinbarungen, auch für Unternehmen die nicht Mitglied in der Wirtschaftskammer sind. Zudem können sie das Instrument der AVE lancieren.

Abschliessend noch der persönliche Meinung von Kollege Hilmi Gashi: Die Vorgaben seitens der Weltbank und der Geldgeber (hier v. a der Westen) waren klar. Alles was nach Sozialismus aussehen könnte wird ausgemerzt. Nötigenfalls werden sie Zweckentfremdet. Betriebe müssen privatisiert werden (z. T. auch die der Grundversorgung). Angestellte müssen in der neuen Realität einem Wettbewerb ausgesetzt werden, ohne aber das sie unterstützt werden. Der Markt bzw. der Firmeninhaber bestimmt den Lohn. Auf der politischen Ebene wird alles den höheren Interessen untergeordnet. Hier dürften die Gewerkschaften keine Ausnahme sein. „Investoren lieben die Stabilität, sonst kommen sie nicht“, ist eine der viel zitierten Aussagen in der Presse.

Die Gewerkschaften wirken eher wie hilflose Akteure, die alles richtig machen müssen. Das schwächt ihr Image und an dem müssen sie unter anderem auch arbeiten.

Fazit: Gewerkschaftsprojekt Kosova

Die Probleme der Gewerkschaften im Kosova sind verschiedentlich analysiert worden (Zersplitterung, mangelnde Verankerung insbesondere im privaten Bereich, mangelnde Verankerung vor Ort und in den Betrieben, Organisationsdefizit bei Frauen und Jugendlichen). In einem Projekt zur Stärkung der Gewerkschaften könnten Personen der Unia Schweiz in folgenden Bereichen etwas beitragen.

1. Gewerkschaftsreform

Organizing, Mitgliederwerbung

Aufbau demokratischer Strukturen in der Gewerkschaft: Vertrauensleute, Betriebsgruppen, Interessengruppen (z.B. Frauen, Jugendliche), Delegiertenversammlungen, Kongresse

Arbeitsgesetz und Gesamtarbeitsverträge: Aufbau von GAV`s (Normative Bestimmungen, vertragsrechtliche Bestimmungen wie Betriebskommissionen, Solidaritätsbeiträge, Friedenspflicht). Aushandlung von Gesamtarbeitsverträgen, Kampagnenführung. Durchsetzung und Kontrolle der GAV-Bestimmungen. Arbeit der Betriebskommissionen

Politische Rolle der Gewerkschaften, Unabhängigkeit, Verhältnis zu Parteien und Regierung. Rolle der Gewerkschaften bei Privatisierungen

Gewerkschaftliche Kooperationen, Zusammenschlüsse, Fusionen

Internationale Vernetzung

2. Schulung von Gewerkschaftsfunktionären

Aufbau eines Schulungskurses für GewerkschaftssekretärInnen

Erarbeitung von Schulungsunterlagen: Gesamtarbeitsvertrag und Arbeitsgesetz, Streikrecht und Streiks, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, Arbeit der Betriebskommissionen, Sozialversicherungen

Erarbeitung eines Handbuchs für GewerkschaftsfunktionärInnen

Fortsetzung folgt....