„Salafisten auf’s Maul!“
Antifaschismus an der Heimatfront

von jeanrokbelle

09-2014

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Im Nahen Osten geht mal wieder die Welt unter. Quasi von heute auf morgen haben Politik und Medien die „islamistische Terrorbande“ mit dem vollmundigen Namen „Islamischer Staat“ entdeckt. Seit dieser nicht mehr vornehmlich in Syrien, sondern stärker als je zuvor auch im Irak herum massakert, ist er plötzlich zu einem Problem geworden. Denn von Berlin bis Washington kann man sich zwar mit einem destabilisierten Syrien, nicht aber mit einem destabilisierten Irak so richtig anfreunden.
Auch viele deutsche Linke sehen das so und fordern deshalb von der deutschen Regierung nicht nur Waffenlieferungen an die IS-Gegner, sondern am besten gleich Bomberstaffeln, die im Nordirak für Ruhe sorgen sollen. Darüber hinaus entdeckt so mancher noch ein weiteres, mit diesem Konfliktschauplatz verknüpftes Problem: hinzu kommen nämlich einige Islamisten hierzulande, deren Loyalität nicht dem deutschen Staat, sondern dem IS gilt und die dieser Affinität Taten folgen lassen, indem sie die Gruppe militärisch, finanziell oder ideell unterstützen. Zuletzt hatte deshalb Lothar Galow-Bergemann in der Jungle World gefordert, die deutsche Antifa müsse sich endlich auch den „Jihadisten“ entgegenstellen. Angesichts von Übergriffen auf kurdische Anti-IS-Demonstrationen in Herford und Berlin durch IS-Sympathisanten auf den ersten Blick ein für viele naheliegendes Anliegen. Allerdings nur auf den ersten Blick.

„Salafisten sind Faschisten!“
Um eine deutsche Antifa auch gegen „Jihadisten“ in Stellung zu bringen, muss zunächst einmal der Jihadismus zum Faschismus erklärt werden. Und da ist sich Galow-Bergemann sicher: der Faschismus hat viele Gesichter und eines davon ist migrantisch und muslimisch, denn: „längst schon erfüllen nicht mehr nur Nazis diese Kriterien (des Faschismus, Anm. JR)“. Sogar „frappierende Gemeinsamkeiten“ zwischen Nazis und Jihadisten kann er feststellen. Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und andere Biestigkeiten würden von Islamisten „offen terroristisch“ auch in Deutschland ausgelebt.

Mit Krokodilstränen in den Augen fragt der Jungle World Schreiberling deshalb betroffen: „kann eine antifaschistische Bewegung zu all dem schweigen?“ und befindet: „alleine mit theoretischer Erörterung ist dem Problem nicht mehr beizukommen.“ Da hat er sich über den Islamismus den Kopf zermartert, hat sich hitzige Diskussionen mit radikalen Imamen geliefert und unter jungen Salafisten für „bürgerlich-demokratische Freiheiten“ agitiert; doch leider ohne Erfolg. Jetzt ist also handfestere Praxis gefragt, schließlich toben sich diese Jihadisten mittlerweile sogar auf „deutschen Straßen“ aus. Und spätestens da hört der Spaß dann wirklich auf!

Allerdings: wen er da genau als jihadistischen Feind ausgemacht hat, kann uns Galow-Bergemann nicht sagen. Geradezu spekulativ jongliert er mit hier und da aufgeschnappten Begriffen. Er wirft Jihadisten mit Salafisten und den IS mit der Hamas in einen Topf, dass der begründete Verdacht aufkommt, der Mann könnte seine Bildung über Islam und Nahost von der berüchtigten nahostexpertlichen Erbärmlichkeit mit dem Adelsnamen haben, die regelmäßig in der Jungle World zu den „verrohten“ und „kaputten Gesellschaften“ der Araber völkerpsychologisieren darf.

Galow-Bergemann erkennt überhaupt keine Gefahr darin, mit einem so unklaren Verständnis von „Jihadismus“ ein Vorgehen der Antifa zu fordern. Mit dem abgewandelten Antifa-Motto – „Salafisten aufs Maul!“ im Kopf, kann man nur erschaudern bei dem Gedanken daran was passiert, wenn sich Deutsche zusammenrotten, um gemeinsam gegen angebliche „Salafisten“, „Hamas-Sympathisanten“ und auffällige Migranten loszugehen. Dabei haben sich für solche Aufgaben doch längst pflichtbewusste Deutsche gefunden, die unter Namen wie „German Defence League“ die altbekannte Ausländerhatz veranstalten, diesmal aber Beifall von links bekommen.

Islamistischer Normalzustand?
Für Leute wie Galow-Bergemann, unter anderem Autor der Zeitschrift Krisis, steht jedoch außer Frage, dass sich die Antifa endlich umorientieren muss. Auch Salafisten müssen demnach von der Antifa bekämpft werden denn „Antifaschismus tritt für Freiheit und Schutz von Minderheiten und Individuen ein, ob gegen staatliche Repression oder gegen »das Volk«.“ So jedenfalls seine Antifaschismus-Definition.

Offen bleibt dabei jedoch, wo die Salafisten in Deutschland zum „Volk“ werden. Womöglich ist es Leuten wie Galow-Bergemann gar nicht bewusst, dass das Volk Goethes und Sarrazins schwerlich hinter angeblichen und tatsächlichen islamistischen Mordbrennern vereint ist. Ganz im Gegenteil rennt eine deutsche Antifa mit der These vom Islamfaschismus sämtliche Türen zum Stammtisch ein, dessen proletarisches Gebaren ihr doch sonst so zuwider ist.
Dass die „Jihadisten“ mitnichten das deutsche Volk repräsentieren merkt aber auch der Jungle World Autor und schiebt daher folgenden Satz nach: „Und Mob bleibt Mob, gleich ob er schwäbische oder anatolische Großmütter hat.“ Von der Minderheit, zum Volk, zum Mob mit anatolischen Großmüttern. Für Krisis- und Jungle World-Leser mag das plausibel erscheinen, die tatsächlichen Verhältnisse werden dadurch allerdings auf den Kopf gestellt.
Nein, es herrscht kein islamistischer Normalzustand auf deutschen Straßen, der durch Wegsehen und Unterstützung der deutschen Bevölkerung ermöglicht wird. Es existieren auch keine islamistisch-befreiten Zonen in deutschen Städten. Das festzustellen verharmlost keineswegs den reaktionären und anti-emanzipatorischen Islamismus, sondern gibt lediglich die realen Zustände in Deutschland wider.

Bevor sich Antifaschisten nämlich daran machen ihre Energie für den Kampf gegen Salafisten zu opfern sollte danach gefragt werden, was die dringlicheren Probleme einer deutschen Linken sind. Fünftausend Salafisten, die in den meisten Fällen nur dann öffentlich auftreten, wenn sie in Fußgängerzonen Koranausgaben verschenken oder doch eher eine deutsche Mehrheitsgesellschaft, die ihren Sarrazin im Bücherregal hat und laut Statistiken mindestens zur Hälfte davon überzeugt ist, dass Deutschland bereits „überfremdet“ ist?
Sollen einige, zwar durchaus abscheuliche aber eben auch marginalisierte Islamisten ein dringlicheres Problem darstellen als tägliche rassistische Übergriffe, das Abfackeln von Moscheen, Sozialabbau, stetig fortschreitende staatliche Überwachung und die noch immer unaufgeklärte Mordserie des so genannten NSU, der ohne staatliches Zutun oder Wegschauen nie hätte entstehen können?

Es ist eine geradezu absurde Vorstellung denkt man an die zukünftige Antifaarbeit, neben Nazis auch Salafisten zu „outen“, wo doch jeder auffällige Migrant von der deutschen Mehrheitsgesellschaft sowieso des Islamismus verdächtigt wird. Dabei hat und praktiziert der deutsche Staat zudem viel wirkungsvollere Methoden, um gegen die Islamisten im Lande vorzugehen. Von Abschiebungen über Antiterrordatenbanken bis hin zu Beschränkungen der Zuwanderung kann er sich Mitteln bedienen, von denen eine solche Antifa nur träumen kann.

Gegenüber möglicher Kritik an seinem Vorstoß sichert sich Galow-Bergemann jedoch ab. Wer seine verzweifelten „Erwachet!“-Rufe an die deutsche Linke missachtet oder zurückweist ist ein „Linksreaktionär,“ der nicht nur den Islam, sondern auch den Islamismus verteidigen will. Und da entdeckt er neben den „frappierende Gemeinsamkeiten“ zwischen Nazis und Jihadisten, praktischerweise noch eine „beachtliche Schnittmenge“ im Weltbild mancher Linker und islamistischer Terrorbanden. Nazis gleich Jihadisten gleich abweichende Linke. Eine Diskussion und Analyse über den Islamismus erübrigt sich somit. Es gilt die Logik der Neocons: wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Linke Versöhnung mit Staat und Volk
Den Islamismus in Deutschland kann man aber nicht bekämpfen, wenn man die üblichen antifaschistischen Mittel bemüht. Fraglos mag der Salafismus auch faschistische Elemente aufweisen, in die Arme dieser Ideologie werden junge Migranten aber gerade auch durch Ausgrenzung und Rassismuserfahrungen getrieben. Man redet das Problem mit dem Islamismus also nicht klein, wenn man darauf hinweist, dass deutsche Linke eigentlich dringlichere Baustellen bearbeiten könnten.

Stattdessen aber sehnen sich deutsche Linke auf jeglichen Konfliktschauplätzen der Welt eine deutsche Beteiligung herbei. Nicht nur Waffen sollen an ausgesuchte Verbündete geliefert werden, am besten soll Deutschland direkt auf allen großen Schachfeldern mitbomben, wo angeblich dem Faschismus Einhalt geboten werden muss. Und die werden immer mehr.
Aktuell wünschen sich manche deutsche Linke – getreu ihrem Motto „Antifa heißt Luftangriff“ – ein Bombardement im Irak, während sie als Antifa an der Heimatfront im Kampf gegen die dortigen „Jihadisten“ die Stellung halten.

Im Vorgehen gegen die Islamisten können sich diese deutschen Linken endlich mit dem Staat und Volk versöhnen und jeder, der an den Motiven deutscher Politiker zweifelt, wenn sie die Bombardierung von Islamisten fordern, ist mindestens ein Linksreaktionär, wenn nicht sogar selbst ein heimlicher Islamisten-Sympathisant.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Text von http://jeanrokbelle.blogsport.de/2014/08/27/antifaschismus-an-der-heimatfront-salafisten-aufs-maul/ , wo er am 27.8.2014 erschien.